Triumph der Gewalt (eBook)
320 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11946-6 (ISBN)
Ralf Zerback, 1961 geboren in Stuttgart, hat in Heidelberg und Frankfurt Geschichte studiert und 1993 promoviert. Er schreibt regelmäßig für verschiedene Medien, u.a. für ZEIT Geschichte.
Ralf Zerback, 1961 geboren in Stuttgart, hat in Heidelberg und Frankfurt Geschichte studiert und 1993 promoviert. Er schreibt regelmäßig für verschiedene Medien, u.a. für ZEIT Geschichte.
Wie viele, vielleicht alle Staatsgebilde trug die Weimarer Republik den Zeitgeist ihres Ursprungs in sich. Das deutsche Kaiserreich von 1871 zum Beispiel, in siegreichen Kriegen geboren, hat sich nie von einer Verherrlichung des Militärischen lösen können. Die Bundesrepublik trägt nach der Katastrophe im 20. Jahrhundert die Distanz zu jeder Großmacht- und Militärpolitik in sich eingeschrieben.
Die Weimarer Republik wurde aus Gewalt geboren, wie der irische Historiker Mark Jones zu Recht festgestellt hat.[1] Nach der militärischen Niederlage wurde die Republik überschwemmt mit heimatlos gewordenen Soldaten, von denen etliche kampflüstern blieben. Auf dieses Potenzial griff die sozialdemokratisch geführte Regierung zurück, um die ebenfalls gewaltbereite extreme Linke zu stoppen. Ob diese Entscheidung »richtig« war, darf bezweifelt werden und ist oft bezweifelt worden – hier steht ein anderer Gesichtspunkt im Fokus. Das »Kriegserlebnis« vieler junger Männer, auch manche Erfahrung an der »Heimatfront«, die innenpolitischen Kämpfe in der und um die Republik bis 1923 führten zu einer Verrohung. Ein Befund, der bereits vielfach thematisiert wurde. Schon eine Zeitgenossin wie Thea Sternheim empfand die »Gefühlsverrohung«.[2]
Die Gewaltfixierung hängt nicht nur mit der Kriegserfahrung zusammen. Der Kampf zwischen den Parteien war der Kampf um politische Systeme, nicht ein Streit um die Ausgestaltung eines Systems. Verfolgten die Parteien der Weimarer Koalition eine parlamentarische Demokratie, schwebte den Kommunisten eine Räterepublik oder ein nach Moskauer Modell gestricktes System vor, während die Deutschnationalen eine Rückkehr zu einer autoritären Monarchie erstrebten. Später trat als Systemkonkurrenz der Nationalsozialismus hinzu, der stark vom italienischen Faschismus inspiriert war und die Demokratie durch ein totalitäres Führer- und Einparteien-Regime ablösen wollte.
Institutionell zeigte sich dies an der Gründung von Parteiarmeen, sogenannten Wehrverbänden. Der Stahlhelm, faktisch der paramilitärische Arm der Deutsch-Nationalen Volkspartei, vereinte bereits im Dezember 1918 ehemalige Frontsoldaten. Der Krieg wurde in den Köpfen verlängert – und nicht nur dort. Zahlreiche »Freikorps« formierten sich, ohne einer Partei zugeordnet zu sein, sie waren bewaffnet und bereit, ihre politischen Ziele mit Gewalt zu verfolgen. Sie kämpften in Oberschlesien gegen Polen und in den Straßen Berlins gegen Kommunisten. Die Anfänge der »Wehrorganisationen« der Nazis, der SA und der SS, sind ebenfalls früh zu verorten, um 1920/21, als die Partei überhaupt erst ihre Formierungsphase durchlief.
Zwar ging es dabei zunächst um eher zivile oder halbzivile Dinge wie Saal- und Ordnungsschutz bei Parteiversammlungen. Aber die Neigung der Rechten zum Militärischen und ihre Verherrlichung von Krieg und Gewalt ließen aus SA und SS bald uniformierte paramilitärische Verbände werden. Ab 1924 wurde die SA einheitlich mit Braunhemden ausgestattet. Die Politik wurde zur Angelegenheit einer seifenfreien Männlichkeit, der die SA huldigte, einer Melange aus Schweiß, Bier und Blut. Aus den Körpern der Männer formierte sich im Gleichschritt ein größerer Körper, der Körper der Marschformation. Nach der Machtergreifung sprach Hitler einmal vom »disziplinierte[n] Körper«, den die nationalsozialistische Bewegung darstelle.[3]
Ebenfalls 1924 geschah etwas Denkwürdiges. Die Idee der Parteiarmee »eroberte« das gesamte politische Spektrum. Dass die KPD sich mit dem Rotfrontkämpferbund einen Wehrverband zulegte, lag in der Luft, hatten Kommunisten doch mit der Waffe für eine deutsche Sowjetrepublik oder ein anderes linkes Modell gekämpft. Doch auch die demokratischen Parteien der Mitte schufen sich einen solchen Verband: das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Die Erfahrungen der politischen Gewalt in den Jahren 1918 bis 1923 führten in der Mitte und links zum Durchbruch der Idee, dass man sich wehrhaft zu geben habe.
Das klingt nicht unvernünftig. Und in historischen Darstellungen wird das Reichsbanner in eine eigene, weniger »militärische« Kategorie gestellt – durchaus mit Grund. Das Militärische an dieser Organisation wird dann nicht so recht ernst genommen, es waren eben ein paar ehemalige Frontsoldaten, die nun auf Seiten der Republik standen und ein bisschen in Gleichschritt, Fahnen und Marschmusik machten. Doch auch wenn es keine gestellten Uniformen und keinen Sold gab (vielmehr waren Mitgliedsbeiträge zu zahlen), war das Selbstverständnis ein soldatisches.[4]
Der österreichische Schriftsteller Julius Deutsch hat bereits 1934 hervorgehoben, das Reichsbanner sei »trotz seines militärähnlichen Auftretens mehr eine Propagandaunternehmung«.[5] Das sahen gerade auch die damaligen Gegner von rechts genauso, für die die Männer vom Reichsbanner nicht auf militärischer Augenhöhe waren. Tatsächlich war das Reichsbanner auch weniger in Kämpfe verwickelt als Nazis und Kommunisten, es war von vornherein als eine defensive Organisation gedacht.[6] Der Verband sollte symbolisch aufzeigen, dass die Republik wehrhaft war und sich nicht von den Parteiarmeen der Extreme herumschubsen lassen wollte. Ganz konkret ging es darum, republikfreundliche Parteiveranstaltungen zu schützen.
Doch so friedlich-harmlos das Reichsbanner auch erscheinen mag: Es kopierte die militärischen Muster, wie sie auf der Rechten vorgemacht wurden. Dass damit der Krieg in den Frieden hineingetragen wurde, zeigte sich auch an der Bezeichnung Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer, die das Reichsbanner trug. Doch eben das Militärische, sein Denken und sein Erscheinungsbild, war die Kernkompetenz der Rechten. Der »Kampf« war ein »charakteristisches Merkmal« des Nationalsozialismus.[7] So sehr das Reichsbanner sich auch mühte, der Republik ein wehrhaftes Äußeres zu verleihen: Es verlieh ihr zugleich das Äußere der Rechten. Das gilt gerade auch dann, wenn man berücksichtigt, dass im Reichsbanner selbst pazifistische Bestrebungen eine Heimstatt fanden.[8] Das Wehrhafte war hier nicht das Wahrhafte, das die Zivilität von Republik und Demokratie auszeichnete. Die Verteidiger der Republik übernahmen die Ästhetik ihrer Feinde, sie waren infiziert mit dem, was sie bekämpfen wollten.
Einmal ins Leben gerufen, konnte das Reichsbanner sich nicht gänzlich von jeder Gewalt fernhalten, auch wenn deren Intensität nicht vergleichbar war mit der Praxis von SA und Rotfrontkämpferbund. Der Reichsbanner-Kenner Sebastian Elsbach formuliert es so: »Das Reichsbanner übte als republikanischer Wehrverband ebenso physische Gewalt aus wie seine antirepublikanischen Pendants. Es wäre aber grundfalsch anzunehmen, dass das Reichsbanner in derselben Weise oder demselben Umfang physische Gewalt zur Erreichung politischer Ziele nutzte, wie dies die Wehrverbände der Nationalsozialisten und Kommunisten taten.«[9]
Nicht zu unterschätzen ist ferner die kriegsselige Begrifflichkeit. Ende 1931 wurde die Bewegung Eiserne Front gegründet, die auf Initiative des Reichsbanners alle Verteidiger der bedrohten Republik vereinen sollte. Es war eine Reaktion auf die Harzburger Front, zu der sich die Republikfeinde von rechts zusammengeschlossen hatten.
Die Gründung des Reichsbanners war allerdings alternativlos. Denn gänzlich auf die zur Schau gestellte »Wehrhaftigkeit« zu verzichten, hätte die Gegner erst recht in die Offensive gebracht und die Republik einem publikumswirksamen Spott ausgesetzt. Das Reichsbanner war also gewissermaßen das kleinere von zwei Übeln, die beide die kulturelle Dominanz militärischer Denkmuster aufzeigten.
Dass Gewaltideen und -fantasien in Weimar allgegenwärtig waren, zeigten auch die Wahlplakate. Immer wieder tauchte dort ein Muster auf: die physische Vernichtung des Gegners. Spartakus bzw. KPD zeigten zum Beispiel Plakate, auf denen eine rote Riesenfaust in ein Parlament schlägt, ein übergroßer roter Arbeiter (»Hinab mit dem Geschmeiß«) seine politischen Gegner über eine Felsklippe tritt oder ein Riesenhammer auf die Feinde eindrischt. Auf NSDAP-Plakaten gab es ebenfalls eine Riesenfaust, die eine Gruppe Bürokraten zerschmettert (»Schluss mit der Korruption!«), einen übergroßen Landwirt oder SA-Mann, der mit einer Mistgabel einen kleinen »Marxisten« aufspießt (»Sachsen frei vom marxistischen Unrat!«), einen Riesenschlagstock, der auf zwei politische Gegner trifft (»Den letzten Stoß!«), einen Arbeiter, der mit einem Presslufthammer den »Weltfeind«, die...
Erscheint lt. Verlag | 20.8.2022 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Schlagworte | Adolf Hitler • Alfred Hugenberg • Antisemitismus • Ausgrenzung • Ernst Röhm • Eugenik • Franz von Papen • Gewalt • Gleichschaltung • Heinrich Himmler • Hermann Göring • Joseph Goebbels • Judenmord • Konzentrationslager • Kurt von Schleicher • Machtergreifung • Militarismus • Nationalismus • notverordnungen • Paul von Hindenburg • Präsidialkabinette • Rassenhygiene • Rassenlehre • Rassismus • Reichstagsbrand • Revolution • Röhm-Putsch • Versailler Vertrag • Volksgemeinschaft |
ISBN-10 | 3-608-11946-9 / 3608119469 |
ISBN-13 | 978-3-608-11946-6 / 9783608119466 |
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