Die Macht der Machtlosen (eBook)
416 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-12324-1 (ISBN)
Loel Zwecker, geboren 1968, ist Autor und freier Redakteur. Er promovierte über das Thema Kunst und Politik und war Dozent für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er schrieb für verschiedene Tageszeitungen (SZ, FR, NZZ, Le Monde) und verfasste mehrere Bücher, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Zuletzt veröffentlichte er den Bestseller Was bisher geschah. Eine kleine Weltgeschichte (2010) und Vom Anfang bis heute. Eine kleine Geschichte der Welt (2017).
Loel Zwecker, geboren 1968, ist Autor und freier Redakteur. Er promovierte über das Thema Kunst und Politik und war Dozent für Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er schrieb für verschiedene Tageszeitungen (SZ, FR, NZZ, Le Monde) und verfasste mehrere Bücher, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Zuletzt veröffentlichte er den Bestseller Was bisher geschah. Eine kleine Weltgeschichte (2010) und Vom Anfang bis heute. Eine kleine Geschichte der Welt (2017).
»Das Werk macht Mut, dass auch Normalos viel verändern können.«
G/Geschichte, Ausgabe 07/2024
»ein spannendes und lehrreiches Buch«
Winfried Kretschmer, ChangeX, 07. Juni 2024
»Ein kluger wie spannender Blick in die Vergangenheit als Empowerment für jetzt und die Zukunft, ein Geschichtsbuch, das Mut macht.«
Christian Sujata, Sanitätshaus Aktuell, Juni 2024
»Sachbuchautor Loel Zwecker gibt den Bestrebungen all dieser vermeintlich namenlosen Aktivist*innen, die teils schon im Mittelalter mit oft raffinierten Aktionen und Methoden ›von unten‹ für nachhaltige Verbesserungen oder doch zumindest erste Grundsteine sorgten, eine Stimme, die inspiriert und Mut macht, den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart zu begegnen.«
Matthias Eichardt, Stadtmagazin 07, Mai 2024
»›Die Macht der Machtlosen‹ ist ein lesenswertes Plädoyer für mehr Mut, für unkonventionelle Methoden, für mehr Solidarität.«
Maicke Mackerodt, Ö1, 02. August 2024
»Sein spannend geschriebenes Buch kann auch als ein Plädoyer für mehr Courage und Solidarität gelesen werden. Es schärft den Blick für unkonventionelle Methoden und die Macht der Überzeugung durch Wort und Tat.«
Ralph Gerstenberg, Deutschlandfunk Kultur, 13. April 2024
»Die Ableitung aus Zweckers fesselnder Schrift […] kann daher nur lauten: Nehmt die Basis ernst und werbt für breite Bündnisse!«
Björn Hayer, taz, 30. März 2024
Einleitung
Was tun ohne Macht? oder Die Hausfrau, die den Diktator stürzte
An einem Sonntag im September 1738 betritt ein kleinwüchsiger Mann den Veranstaltungssaal seiner Kirchengemeinde in Pennsylvania. Er trägt einen auffällig dicken grauen Mantel, unter dem er offenbar etwas versteckt hält. Nach einer Weile streift er ihn plötzlich ab, und die Anwesenden erschrecken. Der Mann steht da mit gezücktem Schwert. Für die Gemeindemitglieder, streng pazifistische Quäker, eine heftige Provokation. »So soll denn«, ruft er, »Gott das Blut jener vergießen, die ihre Mitgeschöpfe versklaven!« Daraufhin schlägt er mit der Waffe auf eine Bibel ein. Das Entsetzen ist groß, zumal als aus der Heiligen Schrift Blut spritzt und die Umstehenden besudelt.[1]
Vor seinem Auftritt hat Benjamin Lay seine Bibel mit einer mit Kermesbeerensaft gefüllten Blase präpariert. Doch nicht nur mit dieser Tat hinterlässt der aus England immigrierte gelernte Handschuhmacher, der in Amerika als Obstbauer und Ziegenhirte lebt, nachhaltig Eindruck. Immer wieder sorgt er mit Pamphleten und Aktionen für Aufsehen, über Jahre hinweg. Einmal hockt er sich mitten im Winter barfüßig und in kurzen Hosen vor das Gemeindehaus der Quäker auf den eisigen Boden. Als seine Glaubensbrüder und -schwestern eintreffen, bitten sie Lay, besorgt um seine Gesundheit, sich doch etwas anzuziehen. »Ihr schützt Mitleid mit mir vor«, entgegnet er. »Aber ihr empfindet nichts für die Sklaven, die im Winter halb bekleidet auf euren Feldern schuften.«
So hat Benjamin Lay, den heute kaum jemand kennt, Geschichte geschrieben. Er darf als erster Aktivist der Anti-Sklaverei-Bewegung gelten. Vielleicht war er sogar der erste Aktivist im heutigen Sinn überhaupt. Mit seinen Mitteln stemmte er sich gegen die – zumindest mit Blick auf die Opferzahlen sowie die geographische und zeitliche Ausdehnung – größte Alltagsbarbarei der Menschheitsgeschichte. Er und ein paar andere Abolitionisten begannen im Kleinen. Nachdem sie über Jahre und Jahrzehnte Netzwerke geknüpft hatten, ließen sich schließlich Politiker für ihre Sache gewinnen. 1780 sollte Pennsylvania, Lays Heimatstaat, als wohl erster der Welt die Sklaverei abschaffen.[2] 1834, ein Jahrhundert nach Lays Aktionen, folgte als erster großer Sklavereistaat Großbritannien.
Wie dieser epochale Erfolg genauer zustande kam und was sich daraus für die Gegenwart ziehen lässt, darauf werde ich in Teil I dieses Buches eingehen. Aktivisten wie Lay sind heute weitgehend unbekannt. Und es ist höchste Zeit, sie als zentrale historische Akteure anzuerkennen. Sie bewiesen Mut und Einfallsreichtum, waren im Denken ihrer Zeit voraus. Um ihre Botschaft zu verbreiten, entwickelten sie ein vielseitiges Arsenal an Methoden, von emotional anrührenden Inszenierungen bis hin zu gewieften Kommunikations- und Marketingstrategien. Ihre Errungenschaften umfassen überraschend viele Felder. Neben ihrem unersetzlichen Beitrag zur Abschaffung der Sklaverei gelang es ihnen, Empathie als wichtigen Bestandteil politischen und wirtschaftlichen Handelns zu etablieren. Sie definierten Luxus neu. Und sie konnten letztlich Menschen für ihr Anliegen gewinnen, von denen man es nicht gedacht hätte: Grundbesitzer, Politiker und sogar Sklavenhalter. In heutigen Worten konnten die Abolitionisten Leute aus ihrer »Blase« holen, um so die historisch breitesten Netzwerke und Koalitionen für ein progressives Projekt zu schmieden, über Kontinente, Ideologien, Schichten und Milieus hinweg.
Insgesamt steht der Abolitionismus beispielhaft für eine historische Tatsache, die gern übersehen oder nicht in ihrer ganzen Tragweite beleuchtet wird: Die meisten, ja fast alle positiven gesellschaftlichen Entwicklungen von übergreifender Bedeutung wurden nicht von Leuten mit Amtsgewalt oder Wirtschaftskraft wie Fürsten, Präsidenten, Militärs, Magnaten oder CEOs angeschoben; und es waren auch nicht Revolutionsführer oder »große Denker« – sondern scheinbar Machtlose, »die da unten«, einfache Leute.
Das ist besonders von Bedeutung mit Blick auf aktuelle Probleme wie die soziale Ungleichheit, den Vormarsch von Autokraten und Populisten, die Klimakatastrophe – und den zivilgesellschaftlichen Kampf dagegen. Die Bandbreite der historischen Beispiele reicht von Bauernrebellen des Mittelalters, die erstmals in der Geschichte mehr ökonomische Gleichheit und kulturelle Gleichberechtigung forderten, über den Abolitionismus bis zur Frauen- und Arbeiterbewegung. Diese Entwicklungen will ich auch deshalb genauer beleuchten, weil sich aus jeder von ihnen Ideen und Maßnahmen für Probleme der Gegenwart ergeben.
Die Beispiele betreffen eine Vielzahl an ökonomischen, politischen und kulturellen Feldern. Ich stelle Abolitionisten wie Benjamin Lay und Olaudah Equiano vor, die Gewerkschaftlerin Mary Harris Jones oder den religiösen Sozialisten Gerrard Winstanley. Um zu verstehen, wie Veränderung möglich wird, ist es unabdingbar, diese Menschen und ihre Geschichten besser kennenzulernen, ihren Errungenschaften einen angemessenen Platz in der Geschichte zu verschaffen.
Bessere Arbeitsbedingungen, genossenschaftliches Wirtschaften für ein nachhaltiges Wachstum, egalitäre Gemeinden oder die Schaffung von Stipendien, die mehr arme Menschen in Parlamente bringen – der Blick auf die Geschichte zeigt so viel Utopisches, schlau Konzipiertes und bereits einmal Praktiziertes, das sich ausbauen oder neu umsetzen ließe, in den unterschiedlichsten Bereichen. Wobei sich eine Gemeinsamkeit festhalten lässt: Oftmals war es ein Verzicht, ein Aufgeben und Loslassen von überschüssigen Ressourcen, von Privilegien und Macht, das am Ende einen Gewinn für alle brachte.
Wann begann sich die Macht der vermeintlich Machtlosen erstmals zu entfalten? Die Anfänge dessen, was ich im Folgenden schildere, liegen erstaunlicherweise weder in der Antike, der »Wiege unserer Zivilisation«, noch in der Aufklärung, sondern im Mittelalter. Das ist ein wichtiger Punkt, auch weil dadurch nebenbei klar wird, dass wir im Rückblick schriftliche Statements, etwa von berühmten Philosophen der Antike oder der Aufklärung, in ihrer Bedeutung gern überschätzen. Dabei legten sogenannte Bauernrebellen, allgemeiner gesprochen Unterprivilegierte, einfache Leute, im 14. Jahrhundert die Fundamente für eine modernere Auffassung von Recht und Gerechtigkeit. Sie, und nicht Sokrates, Aristoteles oder Thomas von Aquin, wehrten sich als Erste gegen die Einteilung der Menschheit in Adelige und Knechte, in Arm und Reich, in »kultiviert« und »unkultiviert«. Das geschah an mehreren Orten, unter anderem 1323 in Flandern und 1381 in England. »Als Adam grub und Eva spann, wer war da der Edelmann?«, lautete ihr Slogan. »Vom Anfang an wurden alle Menschen von Natur aus gleich geschaffen.« Darin steckt nichts weniger als die Erklärung der Bürger- und Menschenrechte vier Jahrhunderte vor jener der Französischen Revolution von 1789, die im Übrigen an der materiellen Ungleichheit wenig bis nichts änderte.[3] Und mehr als sechs Jahrhunderte bevor Ökonominnen und Anthropologen unserer Zeit in Studien empirisch belegen können, dass mehr soziale Gleichheit für die körperliche und seelische Gesundheit aller Menschen, auch der Privilegierten, Vorteile bringt.[4]
Vielleicht muss ich an dieser Stelle einem möglichen Missverständnis vorbeugen. Wenn ich von einfachen Leuten spreche, meine ich damit nicht so etwas wie »einfach gestrickt«, sondern die zwei Duden-Bedeutungen: erstens »nicht mit besonderen Privilegien ausgestattet«, zweitens »bescheiden, wenig Aufhebens um sich machend«. Das gilt etwa für die britischen Diggers, eine christlich-anarchistische Gruppe, die Mitte des 17. Jahrhunderts brachliegendes Land von Großgrundbesitzern besetzte und in basisdemokratischen Gemeinschaften bebaute. Sie erfanden nichts weniger als einen unternehmerischen, auf Privatinitiative aufbauenden Sozialismus und den gewaltfreien Aktivismus.
Stärker sichtbar werden die Erfolge ab dem 18. Jahrhundert. Das trifft besonders für das zu, was ich die »Big Three« der einfachen Leute nenne: den bereits erwähnten Abolitionismus sowie die Frauen- und die Gewerkschaftsbewegung. Letztere brachte der Mehrheit der Menschen ein besseres Leben. Zudem konnten Randständige erstmals offiziell die politische und kulturelle Bühne betreten. Gewerkschaften und ihre Vorläufer, die Friendly Societies, entwickelten sich zu Laboratorien für innovative, kreative Formen der Politik und des Aktivismus, etwa mit Mietstreiks oder Konsumboykotten, die heute wieder aktuell erscheinen. Auch an abgelegenen Orten wurden neue Strategien entwickelt. Wie im Fall von Domitila Chungara, die als Frau eines Minenarbeiters im bolivianischen Andenhochland schlimmste Armut und Unterdrückung erlitt. Mit ihrem »Hausfrauenkomitee« initiierte sie 1978 Hungerstreiks und trug maßgeblich zum Sturz des Diktators bei. Auf ihre Art tat sie auch einiges für den Feminismus. Die Frauenbewegung insgesamt darf als Sonderfall in Sachen einfache Leute gelten. Denn in ihr fanden sich auch Adelige, die »nicht mit besonderen Privilegien ausgestattet« waren, zumindest im Verhältnis zu ihren Männern. Auch deshalb betone ich hier den fundamentalen, letztlich nicht nur für den weiblichen Teil der Bevölkerung relevanten Aspekt, sich und seinen Lebensstil komplett neu zu erfinden – gegen extreme Widerstände, gegen alltägliche, oft sexualisierte Gewalt und über Jahrtausende eingeschliffene Mentalitäten und Gewohnheiten. Dies ist ein Wandel von Grund auf, bis ins Privatleben hinein, und das ohne ideologisch oder doktrinär zu sein. So sind die Feministinnen darin Vorbilder, radikale Transformationen auch...
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2024 |
---|---|
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Schlagworte | Abolitionismus • Aktivismus • aktivistin • Buch • Eine kleine Weltgeschichte • Geschichte von unten • Gesellschaft • historisch • Klassenfrage • Luisa Neubauer • Moderne • neuerscheinung 2024 • Neues Sachbuch 2024 • Revolution • Revolutionär • Sozialer Fortschritt • Sozialreformen • Verstehen • Vom Anfang bis heute • Was bisher geschah • Weltgeschichte |
ISBN-10 | 3-608-12324-5 / 3608123245 |
ISBN-13 | 978-3-608-12324-1 / 9783608123241 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 3,8 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich