Der Aldi-Äquator (eBook)

4 Jungs, 20 Filialen, 660 Kilometer
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
272 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401828-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Aldi-Äquator -  Christoph Wilkes,  Johannes Wilkes
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Mitten durch Deutschland geht noch immer eine Grenze! Der Aldi-Äquator trennt unsere Heimat in Aldi Nord und Aldi Süd. Diese imaginäre Linie fahren vier Männer mit einem alten Ford Mondeo in einer Woche ab - von der tschechischen bis zur holländischen Grenze. Auf knapp 700 Kilometern machen sie Stippvisiten in den Aldi-Filialen und den Ortschaften drum herum. Auf ihrer Expedition begegnen den Abenteurern denkwürdige Äquatorbewohner, zweifelhafte Sonderangebote, menschenleere Parkflächen, krumme Einkaufswagen-Ketten und die Zufallsentdeckung Aldi-Aquavit. Ein witziger und kurzweiliger Reisebericht zwischen Ost und West, zwischen Gestern und Heute, ein Road-Movie der besonderen Art und ein charmanter Blick auf unsere deutsche Provinz!

Christoph Wilkes, geboren 1961, freier Redakteur, Autor und story analyst für Fernsehen, Film, Werbung, PR; Art Fotografie. Er lebt in Berlin. Dr. Johannes Wilkes, geboren 1961, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie; diverse Buchpublikationen (dtv, ars vivendi, Brunnen-Verlag). Er lebt in Erlangen.

Christoph Wilkes, geboren 1961, freier Redakteur, Autor und story analyst für Fernsehen, Film, Werbung, PR; Art Fotografie. Er lebt in Berlin. Dr. Johannes Wilkes, geboren 1961, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie; diverse Buchpublikationen (dtv, ars vivendi, Brunnen-Verlag). Er lebt in Erlangen.

Tag 2


Konradsreuth – Hof – Mödlareuth – Saalfeld – Sonneberg – Coburg


Der große Weg ist sehr einfach,

aber die Menschen lieben die Umwege.

Laotse

Am nächsten Morgen Verkehrslärm von der Konradsreuther Durchgangsstraße her. Laster, Laster, und was noch nicht alles auf zwei, drei, vier Achsen … Lauter als in der Großstadt. Land halt. (Wer Stille erwartet, kennt das Land mit nervenaufreibendem Kirchenglockenläuten, Muh-Kühen und unablässigem Vogelgezwitscher nur noch nicht – ganz abgesehen von Treckergebrumm und Mähdreschergedröhn.)

Die Auswirkungen des Durcheinandertrinkens von gestern halten sich bei mir, bilde ich mir ein, in Grenzen. Und die andern? Nun, man wird sehen.

Jetzt erst mal frühstücken. Crosse Croissants gibt’s, lecker’ Brötchen, Milch und Kaffee von der Bäckerei unten, gleich nebenan. Die Bäckerzunft ist, verständlicherweise, von den Backautomaten bei Aldi, die ja eigentlich Aufbackautomaten sind, überhaupt nicht erbaut.

»Auch wenn Aldi sie anpreist – ›frisch‹ ist an den Aldi-Semmeln natürlich nix«, weiß Jo.

Denn die Backwaren seien von der Großbäckerei Lieken – während der kleine Bäcker am Eck um zwei Uhr in der Früh aufstehen muss, um seinen Kunden wirklich frische Ware, Brot und Brötchen mit Aroma und Geschmack, zu bieten. Nicht nur die Mehlverarbeiter, auch die Kuhhalter waren schon sauer auf Aldi – des drastischen Preisverfalls bei Milchprodukten wegen.

Im weiteren Verlauf dann hakelt es. Fast vollzählig hocken wir schon im Wagen, nur auf Jo noch wartend, der rasch seinen Pullover holen will, den er in der Wohnung oben liegengelassen hat.

Jablonski neben mir im Fond untersucht seine Hybridkamera – anachronistisch wirkend, das schwarze, klobige Stück Plastik.

»Irgendwo muss man hier das Benzin einfüllen. Gluckgluck …«

Gluckgluck, jaja … Wir grinsen uns an.

Ich nehme mir die Bild-Zeitung vor, die Jo in der Bäckerei gekauft hat, wohl wegen der Bundesliga-Spielberichte. Ein Sparkassenpräsident erteilt Bild-Lesern Rat: »Was Sie mit Ihrem Geld jetzt tun sollten …« Was für ’n Präsi? Was für Geld?

Frage ich mich – und bald fragen wir uns alle, wo Jo nur bleibt? Nichts von ihm zu sehen. Ob einer mal rausgeht, nach ihm schauen?

Da kommt er endlich. Und berichtet uns das Malheur. Steckte doch der Schlüssel in der Ferienwohnung leider innen im Schloss. Hätten wir nicht gemerkt, hätte Jo nicht noch mal hineingewollt. Ulf, der Letzte, der unsre Bleibe verlassen, hatte sich zwar gewundert, einen Überzieher dort rumliegen zu sehen, den aber leider – möglicherweise noch im Tran vom Abend zuvor – nicht mit rausgenommen. Der von Jo herbeigerufene Zimmerwirt jedenfalls kann die Wohnung nicht aufsperren. Ein Fall für den Schlüsseldienst. Der würde kosten. Die schöne, ob unsres späten Eintreffens kaum mehr erwartete Einnahme von der Nacht zuvor – perdu. So spielt das Leben. Beziehungsweise wir. Die Klamotte würde Jo nach Hause nachgeschickt werden.

Losrollen. Thema Fußball. Was für ein hinterhältiger Trick von Borussia-Dortmund-Hackern: Googelt man die Website von Schalke, erscheint der Bildschirm in Schwarz-Gelb! Belustigung beziehungsweise helle Freude und Schenkelklopfen bei den beiden BVB-Fans im Wagen. Jo intoniert den Schmähgesang »Magath auf der Bank, keine Schale in der Hand! Scheiße 04

Sodann holt unser Mann hinterm Lenker zu einer längeren Anekdote aus, welche BVB-Schlachtenbummler zum Inhalt hat, die in der Freiburger Trambahn ein Lied mit unterirdischem Text fehlerfrei abzusingen nicht in der Lage waren – trotz immer wieder und in zunehmender Verzweiflung Stopp gebietenden »Chorleiters«.

Wo wir grade beim Thema Nr. 1 sind: Ende der neunziger Jahre spielte Bayern München einmal in der Champions League gegen Beiktas Istanbul. Anlässlich dieser Begegnung hielten Bayern- den türkischen Fans eine Aldi-Tüte hin, »Geht zu Aldi!« skandierend. Ein böser Fall von Aldi-Tüten-Missbrauch?

»Mein Gott, die Bayern-Südkurve stiebelt doch wahrscheinlich selber zum Aldi …«

Jedenfalls, es gab einen großen Wirbel in der türkischen Presse wegen dieses Vorfalls; und Aldi sah sich gar bemüßigt – gegen das selbst auferlegte Schweigegebot zu allem und jedem – verlautbaren zu lassen, man sei stolz auf seine türkischen Kunden. Quod erat demonstrandum.

Den Anweisungen des Navi folgend, biegen wir bei Aldi Süd in Hof ein – einem Laden von insgesamt drei, mit denen die Stadt punktet, beziehungsweise die ihr das gewisse Etwas verleihen. Linksdreher, silbrig-grau und weiß, radikal zeitgemäßes Erscheinungsbild mit kantig, ja geradezu expressiv am Eck herausstehender Wellblechdach- beziehungsweise Vordachkonstruktion: einem Wetterschutz, der sich mittig asymmetrisch senkt – ironische Umkehrung des ubiquitären Satteldachprinzips! Zwischen den Eisenstützen im Obergeschoss feineres Wellblech als Füllung; filigran wirkende Zugverspannungen. Passend zu den Fassadenelementen die Ton in Ton, nämlich dunkelgrau-hellgrau abgesetzten Parkfelder. Unbedingter Stilwille mit Wiedererkennungswert – so schnittig, cool, elegant wie hier könnte eine Ladenkette, die konsequent auf Zeitgenössisches hält und nicht auf Abgelebtes, auf Verschnarchtheiten, überall aussehen. Warum sieht sie’s nur nicht?

Knickdach, Locheisen, durchgehende Zierleiste: Aldi in Hof

Hier in Hof beginnt unser Contest: Welcher Aldi hat die schönste Verkäuferin? An der Kasse leuchtet’s blond – nicht nur in Sachen architektonische Hülle, auch in Sachen weibliche Fülle, pardon: Schönheitsfülle, braucht sich Hof keinesfalls zu verstecken.

Im Inneren des »Teil-Sortimenters« alles proper – wie generell bei den Südlern, während die Nordler, na ja … Hempels unterm Sofa halt. Alle paar Jahre jedenfalls werden im Süden die Fußböden erneuert, regelmäßig werden Lampen ausgetauscht, Regale und Wägelchen ersetzt, bevor diese runterfallen, zusammenbrechen oder sonstwie die Grätsche machen. Überhaupt gibt sich Aldi Süd katholisch »opulenter« – Aldi Nord dagegen kommt einfacher, nüchterner, protestantischer daher. Fast schon wie ein normaler Supermarkt, fast wie ein Voll-Sortimenter, fast wie ein REWE mit mehreren Tausend Produkten: dieser Discouter hier mit nur etlichen hundert. Dazu geräumig, mit mehr Personal als die Aldis im Norden – Karl soll den Mitarbeitern auch mehr zahlen als Theo. Dafür wiederum haben die Nordler mehr Produkte im Programm. Ein Widerspruch? Schon. Aber überhaupt ist Aldi ja ein Widerspruch in sich – ist Aldi doch Konsum und Verzicht zugleich. Beschränkung in der Überflussgesellschaft – macht das am Ende »das Faszinosum Aldi« aus?

Das Kaufbare also. Nun, Aldi erfüllt vor allem die überlebensnotwendigen Primärbedürfnisse und langweilt mit sogenannten Me-too-Produkten: austauschbaren Artikeln. Die’s woanders auch gibt, nur vielleicht nicht so günstig. FMCG: fast moving consumer goods. Schnell sich bewegende Konsumgüter – »Schnelldreher«.

Wir blicken uns um, machen den üblichen Rundgang durch die Gassen, alles da, wie sich’s gehört, wo’s hingehört. Vor allem sind’s lang haltbare Standardprodukte, in den gewohnten Umpackkartons und auf Paletten, in der immergleichen, bewährten und vertrauten Abfolge: Kaffee, Tee, Flüssigkeiten, Frischware, Körner, Pasta, Aktionskrempel in der Mitte, Kühlabteilung links hinten im Eck, Büchsen, Dosen, Fläschchen, Eingelegtes in Gläsern, Haushalts- und Drogeriekram, Zuckriges und Knabbriges in Kassennähe, rechts das Toilettenpapier beziehungsweise die Windel für danach. (Bei Rechtsdrehern schreitet man exakt dieselbe Warenfolge ab, nur spiegelverkehrt.)

Ein Gutteil des Angebotenen firmiert unter Eigenmarkenlabel. Solche Handelsmarken haben den Vorteil, dass sie direkten Preisvergleich unmöglich machen. Bekannte Marken finden sich kaum. Sie waren wegen der früher üblichen Preisbindung Aldi einfach zu teuer. Immerhin, die gute Marke Toffifee gibt’s. (Eine Lieblingsspeise einer Ex-Freundin nebenbei bemerkt, welche mich auf den Geschmack dieser in erhärteter Caramelcreme eingelegten Nüsse, mit oben ’nem Schokoladenklecks drauf, gebracht hat. Die Beziehung ist längst in die Brüche – die Beziehung zur Marke indes weiterhin intakt. Hieran zeigt sich wieder einmal: Hang zum Genussgaranten wie auch Freundschaft zum Freunde – sie halten länger als der Liebe Leidenschaft.)

Positiv fällt auf, dass Aldi bei der Präsentation darauf verzichtet, Artikel mit der größten Gewinnmarge, wie es andere Supermärkte machen, in Augenhöhe zu platzieren. Verführen also tut Aldi nicht. Und es gilt natürlich weiterhin Karls Diktum von 1953: »Dekorationen im Laden werden nicht ausgeführt.«

Man ködert den Kunden seit Jahrzehnten vor allem mit dem niedrigstmöglichen Preis. Fällt der Einkaufspreis für eine Ware, wird bei Aldi auch sogleich der Ladenpreis gesenkt. Wer kennt nicht das bekannte Schild an der Straße: »Jetzt wieder Preise gesenkt«?

»Jetzt wieder dauerhaft Preise gesenkt.«

»Genau. Nicht ›nur für kurze Zeit‹ – auf immer und ewig«, lacht Jablo.

Preise runter!

Deutschland ist das Land der niedrigen Lebensmittelpreise. Ursachen sind: das dichte Discounter-Netz,...

Erscheint lt. Verlag 26.9.2012
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aldi Nord • Aldi Süd • Coburg • Detektiv • Deutschland • Discounter • Einkaufswagen • Essen • Filiale • Kriminalroman • Mülheim • Rationalismus • Reisebericht • Roman • Ruhrgebiet • Schattengewächse • Solingen • Spürsinn • Stille Wasser • Zeche Zollverein
ISBN-10 3-10-401828-6 / 3104018286
ISBN-13 978-3-10-401828-7 / 9783104018287
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