Die Kartause von Parma (eBook)

Roman

(Autor)

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2011 | 1. Auflage
1230 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401217-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Kartause von Parma -  Stendhal
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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Abenteuer und Psychologie, Weltgeschichte und eine ungezügelte, tragische Liebe - Stendhal verbindet in seiner ?Kartause von Parma? realistische Erzählkunst mit turbulenter Unterhaltung. Vor historischer Kulisse im schönen Italien stolpert Fabrizio del Dongo, ein Schmalspur-Don-Juan, durch sein freizügiges Leben direkt in den Knast. Dort verliebt er sich zum ersten Mal ernstlich, in die Schließertochter Clelia. Außerhalb der Gefängnismauern dürfen sie zwar nicht zusammen sein, und sie schwört bei ihrer Hochzeit, ihn nie wiederzusehen. Aber nachts kann man nichts sehen ...

Stendhal (Marie-Henri Beyle), geboren am 23. Januar 1783 in Grenoble, war Sohn eines Anwalts, der ihn nach dem frühen Tod der Mutter erzog. Stedhal schlug ein Studium an der École Polytechnique in Paris zugunsten der Literatur aus. Er bekleidete eine Stelle im Kriegsministerium und war von 1800 bis 1802 Unterleutnant im Italienfeldzug. 1810 war er Auditeur des Staatsrats, 1813 Intendant. Er war, in der Nachhut, an Napoleons Russlandfeldzugs beteiligt, 1814 übersiedelte er nach Mailand. Stendhal war mit Lord Byron und Alessandro Manzoni bekannt und mit Prosper Mérimée befreundet. Er war als Kritiker des ?Journal de Paris? und als königlicher Bibliothekar tätig, 1830 wurde er Konsul in Triest, 1831 in Civita Vecchia. Stendhal, der auch ein umfangreiches kunst- und musikkritisches Werk schuf, gilt als bedeutendster Romancier der ersten Generation der Realisten. Er starb am 23. März 1842 in Paris.

Stendhal (Marie-Henri Beyle), geboren am 23. Januar 1783 in Grenoble, war Sohn eines Anwalts, der ihn nach dem frühen Tod der Mutter erzog. Stedhal schlug ein Studium an der École Polytechnique in Paris zugunsten der Literatur aus. Er bekleidete eine Stelle im Kriegsministerium und war von 1800 bis 1802 Unterleutnant im Italienfeldzug. 1810 war er Auditeur des Staatsrats, 1813 Intendant. Er war, in der Nachhut, an Napoleons Russlandfeldzugs beteiligt, 1814 übersiedelte er nach Mailand. Stendhal war mit Lord Byron und Alessandro Manzoni bekannt und mit Prosper Mérimée befreundet. Er war als Kritiker des ›Journal de Paris‹ und als königlicher Bibliothekar tätig, 1830 wurde er Konsul in Triest, 1831 in Civita Vecchia. Stendhal, der auch ein umfangreiches kunst- und musikkritisches Werk schuf, gilt als bedeutendster Romancier der ersten Generation der Realisten. Er starb am 23. März 1842 in Paris.

Erstes Kapitel


Mailand 1796

Am 15. Mai 1796 hielt der General Bonaparte seinen Einzug in Mailand an der Spitze jener jungen Armee, die unlängst die Brücke von Lodi überschritten und der Welt gezeigt hatte, daß Cäsar und Alexander nach so vielen Jahrhunderten einen Nachfolger hatten. Die Wunder von Heldentum und Genie, deren Zeuge Italien geworden, rüttelten das Volk rasch aus seinem Schlaf. Noch acht Tage vor dem Einrücken der Franzosen hatten die Mailänder in ihnen nur Brigantengesindel gesehen, das vor den Truppen Seiner Kaiserlichen und Königlichen Majestät immer Reißaus nahm. So wenigstens wiederholte es ihnen dreimal wöchentlich ein handgroßes, auf schlechtem Papier gedrucktes Zeitungsblatt.

Im Mittelalter hatten die Mailänder eine Tapferkeit bewiesen, die der französischen während der Revolution ebenbürtig war und es verdient, daß ihre Stadt von den deutschen Kaisern der Erde gleichgemacht ward. Seitdem sie sich aber in getreue Untertanen verwandelt hatten, bestand ihre Haupttätigkeit darin, Sonette auf Taschentücher aus rosenroter Seide drucken zu lassen, wenn sich eine Tochter aus dem oder jenem reichen oder vornehmen Hause verheiratete. Zwei oder drei Jahre nach diesem wichtigen Abschnitt ihres Lebens nahm die junge Dame einen Cicisbeo, ja bisweilen prangte der Name des von der Familie des Gatten erkorenen Begleiters schon mit im Ehevertrag. Es war ein Riesensprung von diesen verweichlichten Sitten zu den gewaltigen Erregungen, die das unerwartete Erscheinen des französischen Heeres verursachte. Sogleich kamen neue und leidenschaftliche Zustände auf. Am 15. Mai 1796 ward ein ganzes Volk plötzlich gewahr, daß alles, was es bis dahin geachtet hatte, höchst lächerlich und mitunter verächtlich war. Der Abmarsch des letzten österreichischen Regiments bezeichnete den Sturz der alten Anschauungen. Sein Leben aufs Spiel zu setzen, kam in Mode. Nach Jahrhunderten voll Frömmlertum und fader Liebelei erkannte man, daß man, um glücklich zu sein, das Vaterland mit ernster Leidenschaft lieben und im Notfall sein Leben in die Schanze schlagen müsse. Lange, tiefe Nacht hatte seit der eifersüchtigen Gewaltherrschaft Karls V. und Philipps II. geherrscht. Man stürzte ihre Bildsäulen, und mit einem Male war alles von Licht umflutet. In den letzten fünfzig Jahren, während die Ideenwelt der Enzyklopädisten und Voltaires immer tiefer Wurzel schlug, hatten die Mönche dem lieben Mailänder gepredigt, daß Lesen und sonst etwas Lernen eine recht überflüssige Mühe sei. Wenn man nur seinem Pfarrer gewissenhaft den Zehnten entrichte und ihm jede kleine Sünde getreulich beichte, so dürfe man mit ziemlicher Bestimmtheit auf ein herrliches Plätzchen im Paradiese rechnen. Um das ehemals furchtbare und unbotmäßige Volk vollends zu schwächen, hatte ihm Österreich um geringe Gegenleistung das Vorrecht verkauft, dem kaiserlichen Heere keine Rekruten zu stellen.

Anno 1796 bestand die Besatzung von Mailand aus vierundzwanzig rotröckigen Tagedieben, die im Verein mit vier prächtigen ungarischen Grenadierregimentern die Stadt hüteten. Die Freiheit der Sitten war zügellos, aber Leidenschaft etwas sehr Seltenes. Abgesehen von der Unbequemlichkeit, den Priestern alles beichten zu müssen, wenn man nicht schon in dieser Welt zugrunde gehen wollte, schmachteten die braven Mailänder übrigens noch in gewissen kleinen monarchischen Fesseln, die nicht weniger unangenehm waren. So war zum Beispiel der Erzherzog, der seinen Sitz in Mailand hatte und im Namen des Kaisers, seines Vetters, schaltete und waltete, auf den gewinnbringenden Einfall gekommen, Getreidehandel zu treiben. Die Bauern durften ihr Korn erst verkaufen, wenn die Speicher Seiner Hoheit gefüllt waren.

Im Mai 1796, drei Tage nach dem Einzug der Franzosen, hörte ein junger, etwas närrischer Miniaturmaler, der später berühmt gewordene Gros[1], damals Schlachtenbummler im Gefolge des Heeres, im Café dei Servi (das derzeit in Mode war) von den Machenschaften des sehr beleibten Erzherzogs erzählen. Er nahm das Preisverzeichnis der Eissorten, das auf einem Blatt groben gelben Papiers gedruckt war, und zeichnete auf die Rückseite den dicken Erzherzog, dem gerade ein französischer Soldat sein Bajonett in den Bauch stieß. Statt Blut entströmte der Wunde unglaublich viel Getreide. Was man Witz und Karikatur zu nennen pflegt, war in jenem Lande des schlauen Despotentums etwas Unbekanntes. So staunte man das von Gros auf dem Tisch im Kaffeehaus liegen gelassene Spottbild wie ein vom Himmel herabgefallenes Wunderding an. Über Nacht ward es in Kupfer gestochen und anderntags in zwanzigtausend Abzügen verkauft.

Am nämlichen Tage verkündeten Maueranschläge die Erhebung einer Kriegssteuer von sechs Millionen Franken für die Bedürfnisse der französischen Armee, die binnen kurzem sechs Schlachten gewonnen und ein Dutzend Provinzen erobert hatte, aber Mangel an Stiefeln, Hosen, Röcken und Kopfbedeckungen litt.

Das Maß von Glück und Freude, das mit diesen so armen Franzosen in die Lombardei drang, war so groß, daß nur die Geistlichkeit und etliche Adlige die Bürde dieser Auflage von sechs Millionen empfanden, der bald noch manche andere folgen sollte. Die französischen Soldaten lachten und sangen den lieben langen Tag. Sie waren alle noch keine fünfundzwanzig Jahre alt, und ihr Obergeneral galt mit seinen siebenundzwanzig für den ältesten Mann im Heer. Dieser Frohsinn, diese Jugend und Sorglosigkeit standen in drolligem Widerspruch zu den grimmigen Prophezeiungen der Mönche, die seit einem halben Jahre von der Kanzel herab verkündet hatten, die Franzosen seien Ungeheuer, bei Todesstrafe verpflichtet, alles niederzubrennen und alle Welt um einen Kopf kürzer zu machen. Jedes Regiment führe dazu eine Guillotine mit sich.

Auf dem Lande sah man vor den Türen der Bauernhäuser die französischen Soldaten sitzen und das Jüngste ihrer Quartierwirtin in den Schlaf wiegen, und fast allabendlich improvisierte irgendein Geige spielender Tambour ein Tanzfest. Da die Kontertänze viel zu gelehrt und schwierig waren, als daß die Soldaten, die sie selber nicht recht konnten, sie den Lombardinnen beizubringen vermochten, so lehrten diese vielmehr die jungen Franzosen die Monferrina, die Saltarola und andere italienische Tänze.

Die Offiziere waren, soweit möglich, bei reichen Leuten untergebracht. Sie bedurften tatsächlich einiger Aufbesserung. So hatte zum Beispiel ein Leutnant namens Robert einen Quartierzettel für den Palast der Marchesa del Dongo erhalten. Dieser Offizier, ein flotter, junger Ausgehobener, nannte bei seiner Einkehr in dieses Herrenhaus nichts sein eigen als ein Sechsfrankenstück, das er in Piacenza bekommen hatte. Nach dem Übergang über die Brücke von Lodi hatte er einem feschen gefallenen österreichischen Offizier ein Paar prächtige, nagelneue Nankinghosen abgenommen, just zu gelegener Zeit. Seine Offiziersepauletten waren von Wolle, und das Tuch seines Feldrockes war an die Ärmelaufschläge festgenäht, damit das Ganze zusammenhalte. Aber noch trauriger war ein anderer Umstand. Die Sohlen seiner Stiefel bestanden aus einem Stück Filz von einem Soldatenhut, den er ebenfalls auf dem Schlachtfeld an der Brücke von Lodi aufgelesen hatte. Diese Notsohlen waren so sichtbar mit Bindfaden an das Oberleder genäht, daß der Leutnant Robert in die tödlichste Verlegenheit geriet, als der Haushofmeister des Hauses del Dongo im Zimmer erschien, um ihn feierlichst einzuladen, an der Mittagstafel der Frau Marchesa teilzunehmen. Bursche und Leutnant verwendeten die zwei Stunden bis zu der peinlichen Mittagstafel dazu, den Feldrock nach Möglichkeit zusammenzuflicken und die unglücklichen Bindfäden an den Schuhen mit Tinte zu schwärzen. Endlich schlug die gefürchtete Stunde. »In meinem ganzen Leben«, erzählte mir Leutnant Robert in späteren Tagen, »ist mir nie wieder so erbärmlich zumute gewesen. Vielleicht dachten die Damen, ich wolle ihnen Angst einjagen, aber mir bebte das Herz mehr denn ihnen. Ich blickte auf meine Schuhe und wußte kaum, wie ich es anfangen sollte, um nicht zu ungeschickt darin zu gehen. Die Marchesa del Dongo war damals im Vollglanz ihrer Schönheit. Sie haben sie ja gekannt, mit ihren wunderschönen, engelsanften Augen und ihrem hübschen dunkelblonden Haar, das dem Oval ihres reizenden Gesichts einen so prächtigen Rahmen gab. In meinem Zimmer hing eine ›Tochter der Herodias‹ von Leonardo da Vinci, die ihr glich wie ein Porträt. Gott ließ mich von ihrer übernatürlichen Schönheit so ergriffen sein, daß ich meinen Anzug ganz vergaß. Seit zwei Jahren waren mir in den Genueser Bergen nur häßliche und elende Dinge vor Augen gekommen. Ich wagte es, einige Worte über mein Entzücken an sie zu richten.

Gleichwohl hatte ich noch so viel gesunden Verstand, daß ich mich nicht allzu lange in Komplimenten bewegte. Während ich ein paar Redensarten drechselte, gewahrte ich in dem marmorgetäfelten Speisesaal ein Dutzend Lakaien und Kammerdiener, deren Livree mich damals der Inbegriff von Prachtentfaltung dünkte. Stellen Sie sich vor, diese Schlingel hatten nicht nur anständige Schuhe, sondern sogar noch silberne Schnallen darauf. Bei einem Seitenblick merkte ich, daß ihre dummen Augen alle auf meinen Rock und wohl gar auf meine Schuhe gerichtet waren. Das gab mir einen Stich ins Herz. Mit einem einzigen Wort hätte ich die ganze Bande zu Paaren treiben können; wie aber hätte ich das anfangen sollen, ohne die Damen zu erschrecken? Die Marchesa hatte nämlich, um sich ein wenig Mut zu machen, die Schwester ihres Mannes, Gina del Dongo, die nachmalige reizende Contessa di Pietranera, aus dem Kloster, wo sie erzogen wurde, zu sich...

Erscheint lt. Verlag 20.12.2011
Reihe/Serie Fischer Klassik Plus
Übersetzer Arthur Schurig
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Adel • Bologna • Clelia Conti • Duchezza • Fabrizio del Dongo • Gefangenschaft • Italien • Liebe • Mailand • Napoleon • neunzehntes • Parma • Roman • Traumpaare
ISBN-10 3-10-401217-2 / 3104012172
ISBN-13 978-3-10-401217-9 / 9783104012179
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