Praxisbuch AMDP (eBook)
322 Seiten
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
978-3-8444-2852-0 (ISBN)
|19|1 Grundlagen für die praktische Anwendung von AMDP
Rolf-Dieter Stieglitz und Achim Haug
Ziele des Kapitels sind die Vermittlung der allgemeinen Grundlagen und Kenntnisse für die praktische Anwendung des AMDP-Systems sowie grundlegende Überlegungen für die nachfolgenden Kapitel. Das System wurde vor mehr als 50 Jahren entwickelt und sowohl das Manual als auch die Art der Vermittlung der psychopathologischen Inhalte wurden bis zum heutigen Zeitpunkt in aktuell neun Auflagen kontinuierlich weiterentwickelt (vgl. AMDP, 2016). Der aktuelle Aufbau des Systems ist in Tabelle 1.1 enthalten.
Tabelle 1.1: Aufbau und Kennzeichen des AMDP-Systems (AMDP, 2016)
Anamnese | 12 Merkmale | Minimalkatalog von allgemeinen Variablen (u. a. soziale, berufliche) sowie zur Erkrankung (inkl. ICD-10 Diagnose) |
Psychischer Befund | 100 Symptome sowie 11 Zusatzsymptome | graduiert nach leicht – mittel – schwer bzw. nicht vorhanden und keine Aussage, verteilt auf 12 Merkmalsgruppen |
Somatischer Befund | 40 Symptome sowie 3 Zusatzsymptome | 7 Merkmalsgruppen |
Während das System in der Anfangszeit hauptsächlich in der Forschung zur Anwendung kam (vgl. Kapitel 10), dient es heute vor allem in der klinischen Praxis als ein Instrumentarium zur Erfassung des psychopathologischen Befundes und assoziierter somatischer Symptome. Trotz eines sehr differenzierten Manuals (AMDP, 2016) und des begleitenden Interviewleitfadens (Fähndrich & Stieglitz, 2016) ergeben sich in der praktischen Anwendung immer wieder Fragen, die nachfolgend sowie in den weiteren Kapiteln Gegenstand einer ausführlichen Darstellung sind.
Abbildung 1.1: Diagnostische Ebenen: Symptom – Syndrom – Diagnose
Abbildung 1.2: Psychopathologische Symptome als Grundlage des psychopathologischen Befunds, für die Definition von Syndromen und als Kriterien für die Diagnose.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Psychopathologie auf unterschiedlichen diagnostischen Ebenen von Bedeutung ist (vgl. Abbildung 1.1). Die Symptome stellen die Basis aller höher geordneten Ebenen dar. Auf der nächst höheren diagnostischen Ebene werden in der Regel Syndrome bestimmt (vgl. auch Kapitel 4) und darauf aufbauend, beziehungsweise ergänzend dazu, |21|wird durch weitere Informationen dann die Diagnose nach einem Klassifikationssystem abgeleitet (vgl. Kapitel 5).
Die erhobenen psychopathologischen Symptome stellen die Basis des psychopathologischen Befundes dar (vgl. Kapitel 3). Die Syndrome werden dann meist in Ratingskalen, in diesem Fall Fremdbeurteilungsverfahren, umgesetzt (vgl. Kapitel 4). Die Diagnosen (vgl. Kapitel 5) dagegen werden aus den psychopathologischen Symptomen und zusätzlichen Informationen zum Verlauf und der Dauer der Symptomatik abgeleitet. Hierbei kommen als Hilfestellung oft diagnostische Interviews zur Anwendung, wie in Abbildung 1.2 dargestellt ist.
1.1 Aufbau des AMDP-Systems
Das AMDP-System war von Anfang an, wie im Begriff System erkennbar, als ein umfassendes Dokumentationssystem entwickelt worden, mit einer ausführlichen Anamnese sowie den beiden symptombezogenen Bereichen Psychischer Befund und Somatischer Befund. Im Laufe der Zeit wurde das System wiederholt revidiert (vgl. Baumann & Stieglitz, 1983) und speziell der Anamneseteil in Anbetracht der Entwicklung von Dokumentationssystemen außerhalb von AMDP auf ein Minimum reduziert. Auf der anderen Seite wurde der Psychische und Somatische Befund seit 1979 (3. Auflage; AMDP, 1979) bezüglich des Merkmalbestandes in der auch heute noch vorliegenden Form unverändert beibehalten, wenngleich bezüglich der Definitionen und der formalen Gliederung Modifikationen im Hinblick auf eine Verbesserung der klinischen Anwendung durchgeführt wurden. Der Kernbereich des Systems umfasst den Psychischen Befund (vgl. Tabelle 1.1). Die besondere Bedeutung des Psychischen Befundes wird in den nachfolgenden Kapiteln ausführlich dargestellt.
Oft vernachlässigt beziehungsweise übersehen wird der Somatische Befund (vgl. Kapitel 13). In ihm werden auf der einen Seite zum Teil als diagnostisch relevant angesehene Kriterien erfasst (z. B. Schlafstörungen), andererseits eignet er sich auch zur Dokumentation von Nebenwirkungen durch Psychopharmaka und wurde in Studien immer wieder als eine Nebenwirkungsskala eingesetzt.
|22|Sowohl für den Psychischen Befund als auch den Somatischen Befund wurde in der vorletzten größeren Revision (vgl. AMDP, 2007) eine einheitliche Darstellung der Symptome nach folgenden Punkten gewählt:
-
Definition,
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Erläuterungen und Beispiele,
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Hinweise zur Graduierung,
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abzugrenzende Merkmale.
Alle Symptome können als nicht vorhanden oder vorhanden gekennzeichnet werden. Hinsichtlich des Schweregrades werden sie einheitlich nach leicht – mittel – schwer bewertet. Dies unterscheidet das AMDP-System zum Beispiel von anderen Rating-Skalen wie der Inpatient Multidimensional Psychiatric Scale (IMPS) oder der Hamilton-Depressionsskala (HAMD; vgl. Kapitel 11). Eine weitere Innovation, die das AMDP von anderen Skalen unterscheidet, ist die Möglichkeit, bei den Merkmalen „keine Aussage“ zu markieren.
Der Merkmalsbestand des AMDP-Systems wurde in den ersten Jahren der Entwicklung mehrfach verändert. In den letzten 20 Jahren bestanden beide Bereiche konstant aus 100 bzw. 40 Symptomen. In der 9. Auflage (AMDP, 2016) wurden erstmals einige Symptome ergänzt, die sich in bisherigen Diskussionen im Zusammenhang mit dem AMDP-System als wichtig erwiesen haben, im ursprünglichen Merkmalsbestand aber fehlten. Auch für diese Zusatzsymptome wurde entsprechend der allgemeinen Strategie des AMDP-Systems nach dem oben beschriebenen Muster eine einheitliche Darstellung gewählt. Darüber hinaus wurden auch Zusatzmodule für bestimmte Störungsbereiche entwickelt (vgl. Kapitel 14).
1.2 Indikation und Anwendungsbereiche
Das AMDP-System hat seit jeher ein breites Anwendungsfeld. Während es ursprünglich zur Vereinheitlichung der psychopathologischen Befunderhebung und speziell des Einsatzes in Psychopharmaka-Studien entwickelt worden ist (vgl. Baumann & Stieglitz, 1983), ist der Anwendungsfokus heute sehr weit. Es hat vor allem folgende Funktionen:
-
|23|Deskription des Symptombildes im Querschnitt und im Verlauf,
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Zuordnung von Patienten zu diagnostischen Gruppen innerhalb eines Klassifikationssystems (aktuell ICD-10 und DSM-5),
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Grundlage für therapeutische Indikationsstellungen,
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Evaluation der Effektivität durchgeführter Therapien sowie
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Übung und Anwendung einer gemeinsamen Fachsprache.
In der klinischen Anwendung dient das System heute primär der Erfassung des Symptombildes und der Ableitung eines psychopathologischen Befundes. In der Forschung liegen die Möglichkeiten vor allen Dingen in der syndromalen Beschreibung der Psychopathologie (vgl. Kapitel 4) wie auch der Nutzung des Somatischen Befundes zur Erfassung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen.
Die Anwendung des Systems erfordert eine umfassende Kenntnis des Manuals. Oft erübrigen sich dann...
Erscheint lt. Verlag | 9.10.2017 |
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Verlagsort | Göttingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | ADHS bei Erwachsenen • AMDP-System • Befunddokumentation • Begutachtung • Demenz • Depression • Diagnose • Essstörung • Klinische Psychologie • Medizinerausbildung • Pflege • Psychiatrie • Psychische Störung • Psychopathologie • Psychopathologische Befunderhebung • Schizophrenie • Symptom • Syndrom |
ISBN-10 | 3-8444-2852-6 / 3844428526 |
ISBN-13 | 978-3-8444-2852-0 / 9783844428520 |
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