Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
500 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77064-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Rätsel auf blauschwarzem Grund -  Lars Mytting
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Ein norwegisches Tal im Jahr 1880: Der junge Pfarrer Kai Schweigaard will in Butangen eine neue Kirche bauen. Dafür muss die 700 Jahre alte Stabkirche weichen. Mit ihr die beiden Glocken, denen übernatürliche Kräfte zugeschrieben werden. Und die auf Gedeih und Verderb zusammenbleiben müssen - wie die beiden Hekne-Schwestern, siamesische Zwillinge, zu deren Gedenken sie vor langer Zeit gestiftet wurden. »Eines Tages wirst du dafür bluten«, prophezeit die Hekne-Nachkommin Astrid, die sich vergeblich für den Erhalt des Glockenpaars einsetzt. Das Unglück nimmt seinen Lauf. Astrid stirbt im Kindbett nach der Geburt von Zwillingen, von denen angeblich nur einer überlebt, Jehan. Den Pfarrer plagen Schuldgefühle. Wie lässt sich das Glockenpaar zurückgewinnen? Die Legende sagt, dass nur zwei »Folgebrüder«, also Zwillinge?, die Glocken wiedervereinen können.

Butangen im Jahr 1903: Jehan lebt als Bauer in bescheidenen Verhältnissen. Ihn zieht es in die Freiheit, zu Fischerei und Rentierjagd. Eines Morgens im August erlegt er einen gewaltigen Rentierbock - und begegnet in diesem Moment einem rätselhaften Fremden.

Ein Roman über den Weg in eine neue Zeit, über Erleuchtung und Mühsal und das Ringen um Liebe, über die Zähmung von Wasserfällen und den ersten elektrischen Lichtstrahl im nächtlichen Dunkel des Tals.



Lars Mytting, geboren 1969, stammt aus F&aring;vang im norwegischen Gudbrandsdalen. Im Insel Verlag erschienen au&szlig;erdem der Bestseller <em>Der Mann und das Holz. Vom F&auml;llen, Hacken und Feuermachen</em> und der Roman <em>Die Birken wissen&rsquo;s noch</em> sowie die zwei Romane <em>Die Glocke im See</em> und <em>Ein R&auml;tsel auf blauschwarzem Grund</em>, die zusammen mit <em>Astrids Verm&auml;chtnis</em> eine Trilogie bilden.

Zwergenwerk


Der Schlitten glitt leicht über das Eis des Flusses. Der Lågen war auf ganzer Länge gefroren. So benötigten Eirik Hekne und seine beiden Töchter nur drei Tage für die Reise von Butangen nach Dovre.

Im Jahre 1611 führten nur mühsame Karrenwege durch das Tal, wenn aber der Fluss zugefroren war, gingen solche Reisen sehr viel leichter vonstatten, oft sogar fröhlich. Die Leute, die sie im stiebenden Schnee sahen, dachten, die Schwestern würden eng beieinander unter dem Rentierfell sitzen, um sich gegenseitig zu wärmen. Wenn die Pferde ausruhen mussten, stiegen sie nicht ab, und nach ihrem Alter gefragt, antworteten sie, sie seien 1595 geboren, aber Halfrid im Sommer und Gunhild näher an Weihnachten. Dann fuhren sie weiter, ließen die Neugierigen verdutzt stehen, und wenn der Schlitten so weit gekommen war, dass niemand sie mehr hören konnte, lachten Vater und Töchter lange. Ein Lachen mit einem Beiklang war das, Übermut mit einem Kern von Resignation, zwiespältig wie alles andere in ihrem Leben auch, ganz ähnlich dem kurzen Kichern, wenn die eine von ihnen Lust auf etwas hatte und die andere sagte, sie solle doch aufstehen und es sich holen.

Sie trieben die Pferde weiter in nördliche Richtung und machten abends in der Nähe von Sel halt, an einem Hof, wo die Hekne-Leute Bekannte hatten. Dort rutschten die Mädchen vom Schlitten herab, vier Füße trafen den Boden zugleich. Als Erstes zogen sie sich die Schürze zurecht, die so breit war, dass sie beider Leibesmitte bedeckte, dann humpelten sie in ein Blockhaus, wo ein extrabreites Bett auf sie wartete.

Tags darauf waren sie gemeinsam mit der Sonne wach, die aber verschwand, als sie die tiefen Schluchten von Rosten erreichten, in denen ewiger Schatten herrschte. Die Felswände sahen aus wie von einem wütenden Riesen zugehauen. Niemals erreichte die Sonne den Talgrund, es hieß, hier werde es nie wärmer als an einem kalten Oktobertag, und hier lebten ausschließlich Geschöpfe, die kein Licht brauchten – oder keines ertrugen. Ringsum stürzte der Fels in den brausenden Fluss, der an dieser Stelle nie ganz gefror und nur als Schaum zu sehen war. Eirik leitete die Pferde im tiefen Schnee zwischen herabgestürzten Felsblöcken hindurch steil bergauf. Vater wie Pferde, Töchter wie Schlitten waren weiß vom gefrorenen Wasserdunst, durch den sie fuhren, das Tosen war so laut, dass nichts zu hören war und nichts gesagt zu werden brauchte, denn der einzige Gedanke in Rosten galt der Frage, wie lange es noch dauerte, bis man aus Rosten draußen war.

Dann glättete sich die Landschaft wieder, es gab die Sonne doch immer noch, und froh erreichten Pferde und Menschen die Blockhäuser des Hofs Lie, wo sie von der Tante der Mädchen empfangen wurden. Sie war in Butangen bei der unendlich langen Geburt dabei gewesen, an deren Ende ihre Schwester, die Mutter der Zwillinge, starb und die Frauensleute das Wunder bestaunten, das da im Blut von Astrid Hekne strampelte: zwei Mädchen, an der Hüfte zusammengewachsen.

Inzwischen waren diese Mädchen sechzehn Jahre alt und sollten hier in einer Hütte oberhalb von Lie leben, an einem selten befahrenen Karrenweg, in passender Entfernung von den Menschen. Die Hütte war eigens für sie gebaut worden, aus ordentlich winddicht gesetzten Stämmen und ebenmäßig zugerichteten Innenwänden, die gelb leuchteten und nach frischer Kiefer dufteten; ein Schlaf- und ein Arbeitsraum. Sie richteten sich dort ein und scherzten wie üblich miteinander. Als Halfrid Gunhild bat, im Ofen Holz nachzulegen, antwortete ihre Schwester: »Ja, wenn du Wasser holst.«

Seit ihrer Kindheit hatten die beiden Mädchen ihre Familie mit Webarbeiten überrascht und erfreut. In Butangen und den umliegenden Dörfern waren allerdings nur schlichte Muster bekannt. Jetzt wollte Eirik ihnen das jahrhundertealte Wissen zugänglich machen, das, so wusste er, weiter nördlich bewahrt wurde. Bei ihrer Tante konnten sie von den ältesten Meisterinnen aus dem Bøverdal und Lesja und den Dörfern dazwischen lernen. Murmelnd und bedacht, gebeugt und oft barsch, alles Frauen, Trägerinnen von aus der Vergangenheit ererbtem Wissen um Wolle und Pflanzenfarben. Nur sie kannten bestimmte Muster, die von der Nachwelt als skybragd, Wolkenpracht, oder lynild, Blitzfeuer, bezeichnet und weder mündlich erklärt noch schriftlich aufgezeichnet wurden, sondern nur erlernt werden konnten, indem man wochenlang danebensaß und sie dann stets aufs Neue wiederholte.

Ohne dass es ihnen selbst bewusst war, gehörten viele Frauen im nördlichen Gudbrandsdal zu den kundigsten Vertreterinnen der europäischen Webkunst. Tagelang saßen sie vor altertümlichen, an der Wand lehnenden Hochwebstühlen, deren Kettfäden von durchbohrten Steinen beschwert herabhingen. In anderen Ländern war dieses Handwerk durch Zunftregeln oder sogar Gesetze Männern vorbehalten, und was in dieser Gegend smettvev hieß, wurde im übrigen Europa als Gobelin bezeichnet, als Webteppich, Bildwirkerei. Aber was woanders in der Welt vorging, interessierte hier noch weniger, als was auf dem Mond passierte, und wenn sich jemand darüber beschwert hätte, hätte er zu spüren bekommen, dass es für Frauen aus dem Gudbrandsdal, waren sie nun arm oder reich, keine Tradition in Untertänigkeit gab und sie selbst dem geduldigsten Mann die Hölle heiß machen konnten.

Monat um Monat wurden die Hekne-Schwestern von ihren Lehrerinnen besucht. Bei Tageslicht wurde gewebt, am Abend vor der Feuerstelle gesponnen, in deren Wärme das Wollfett weicher wurde. Die Mädchen lernten geheime Techniken der pflanzlichen Wollfärbung, überdies – so wurde erzählt – durften sie im Zwielicht auch einen Blick auf Webstücke aus vorchristlichen Zeiten werfen, auf Bilder, die uralte nordische Sagen erzählten, mit nicht mehr deutbaren Symbolen und Figuren von Gestaltwandlern und Wesen, halb Tier, halb Mensch.

Doch das gehörte zu den Lehren der Nacht. Am Morgen saßen die Mädchen wieder im Sonnenlicht, bereit, Bildteppiche mit der Darstellung christlicher Legenden zu schaffen. Stets Seite an Seite, die breite, schön bestickte Schürze über Leibesmitte und Beinen. Ihre Fingerfertigkeit hatten sie dann schon durch die stets variierenden Zopfmuster bewiesen, die sie einander bei Sonnenaufgang flochten, und die Traurigkeit, die ihre Begleiterin sein musste, war entweder noch nicht herangereift, oder sie hatten sich längst mit ihr abgefunden.

Die Alten entdeckten schnell, wie behände und genau die beiden arbeiteten. Mit ihrer ganz eigenen vierhändigen Methode flochten sie die Fäden rascher ein als sonst jemand, und wer sie beobachtete, dem wurde klar, warum »Weberknecht« (norwegisch »Webweib«) auch der Name einer Spinne war. Bald auch bemerkten die Meisterinnen die besondere geistige Verbindung zwischen den Schwestern. Eng verknüpfte Reflexe, schattenartig gelesene Gedanken – der Einfall der einen war noch nicht mal ausgesprochen, so half ihr die andere bereits bei seiner Verwirklichung. Wenn sie sich aber uneins waren und gegeneinander arbeiteten, ging gar nichts mehr, da konnte die eine sich nichts vornehmen, ohne dass die andere es sofort blockierte oder zerstörte. Zudem sahen sie die störenden Züge der anderen vorher und ärgerten sich zusätzlich darüber. So war es schwer, Frieden zu finden und den Ärger aus der Welt zu schaffen. Dann gab es ein hartnäckiges, fruchtloses Ringen, das die Lehrerinnen beenden mussten, damit eine schöne Arbeit nicht verdorben wurde.

Bis dahin hatten die beiden Mädchen nur selten eigene Muster entworfen und hatten sich die geheimnisvolle Bildsprache, für die sie später bekannt werden sollten, noch nicht erarbeitet. Die sollte sich am deutlichsten in dem nachmals berühmten Wandteppich zeigen, der die Skråpånatta darstellte, die Kratzenacht, das Weltenende, bei dem die Erde bis auf den blanken Fels abgeschabt und Lebende wie Tote zum Jüngsten Gericht geschoben würden. Vorerst webten sie Teppiche mit den Heiligen Drei Königen oder den klugen und den törichten Jungfrauen, und so ging es den Winter und den...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2021
Reihe/Serie Schwesterglocken-Trilogie
Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel
Sprache deutsch
Original-Titel Hekneveven
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte aktuelles Buch • Bestseller • Brudergeschichte • bücher neuerscheinungen • Die Glocke im See • Dorfgeschichte • Familiengeschichte • insel taschenbuch 4951 • IT 4951 • IT4951 • Johanna Mo • Liebe • Natur • Neuerscheinungen • neues Buch • Norwegen • Norwegen Anfang des 20. Jahrhunderts • Pfarrer Kai Schweigaard • Rätselhafte Geschehnisse • Schwesterglocken • Spanische Grippe • Survival • Trilogie • Zwillinge
ISBN-10 3-458-77064-X / 345877064X
ISBN-13 978-3-458-77064-0 / 9783458770640
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