Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García (eBook)

Roman

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
448 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30359-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García -  Moritz Rinke
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Von Vätern und Söhnen, Lava und Lichterketten. Ein Postbote auf Lanzarote, der um seinen Sohn kämpft, ein seltsamer Tisch, der ein dunkles Familiengeheimnis aus dem Spanischen Bürgerkrieg birgt, und ein blauer Ball, der über die Insel der hundert Vulkane bis nach Afrika rollt: Moritz Rinke entfacht in seinem zweiten Roman mit unvergleichlicher Tragikomik und schier atemberaubender Erzählkunst ein Feuerwerk an Geschichten. In seinem kleinen Postbüro in Yaiza sortiert Pedro Fernández García seit Erfindung des Internets keine Briefe mehr, sondern nur noch Werbesendungen. So hat er unendlich viel Zeit, um am Hafen Café con leche zu trinken, seinem Sohn Miguel alles über historische Vulkanausbrüche zu erzählen und den Geheimnissen seiner Familie auf den Grund zu gehen. Was hat sein Großvater in den dreißiger Jahren in Spanisch-Marokko gemacht? Wer war der mysteriöse Deutsche, bei dem er angestellt war? Als sich Pedros große Liebe Carlota von ihm trennt und mit Miguel nach Barcelona zieht, wird es plötzlich still in seinem Leben. Auch sein Freund Tenaro, ein arbeitsloser Fischer ohne Boot, der angeblich mit Hemingway verwandt ist, kann ihn nicht aufheitern. Und dann sitzt da auf einmal ein Mann in seiner Küche, Amado, ein Flüchtling, der auf Lanzarote die Freiheit gesucht und ein Gefängnis vorgefunden hat. Pedro, Tenaro und Amado beschließen, Miguel zurückzuholen. Sie schmieden einen wahnwitzigen Plan - und merken, wie viel es zu gewinnen gibt, wenn alles verloren scheint.

Moritz Rinke, geboren 1967 in Worpswede, ist einer der führenden Dramatiker seiner Generation. Seine Theaterstücke, u. a. »Republik Vineta«, »Wir lieben und wissen nichts« oder »Westend«, werden national und international gespielt und erreichen ein Millionenpublikum. Sein Debütroman »Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel« (2010) wurde zum Bestseller. Zuletzt erschien bei Kiepenheuer & Witsch der Roman »Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García« (2021). Moritz Rinke lebt in Spanien und in Berlin.

Moritz Rinke, geboren 1967 in Worpswede, ist einer der führenden Dramatiker seiner Generation. Seine Theaterstücke, u. a. »Republik Vineta«, »Wir lieben und wissen nichts« oder »Westend«, werden national und international gespielt und erreichen ein Millionenpublikum. Sein Debütroman »Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel« (2010) wurde zum Bestseller. Zuletzt erschien bei Kiepenheuer & Witsch der Roman »Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García« (2021). Moritz Rinke lebt in Spanien und in Berlin.

2 Lavafrauen und Penélope Cruz in der Bar Stop


Pedro sah ihn schon in seiner Schuluniform vor dem großen Tor warten. Miguel hatte seinen Ranzen auf dem Rücken und schaute in die entgegengesetzte Richtung.

»Miguel, ich bin hier«, rief Pedro.

»Kommt Mama nicht?«, fragte Miguel.

»In Deutschland ist schon der Winter ausgebrochen. Die Gäste kommen deshalb mit schlimmer Verspätung«, antwortete Pedro. »Wie war es in der Schule?«

»Gut«, antwortete Miguel und setzte sich vorne auf die Honda, den Gurt mit den seitlichen Halteschlaufen hatte Pedro jetzt nicht dabei. Sein Sohn stützte sich mit den Händen am Tank ab und sagte: »Los!«

Sie fuhren in die Bar Stop, sie befand sich gleich gegenüber der weißen Kirche und dem Dorfplatz mit den Geranien. Pedro liebte sein Yaiza. Es war ein kleiner Ort, aber es gab viel Platz und Licht, die Häuser lagen mit großzügiger Hand verstreut in einer Senke. Weiter hinten, inmitten der südlichen Ajaches-Bergzüge, die man die »Braunen« nannte, ragte der Vulkan Atalaya hervor, der »Wachturm«; im Westen erstreckten sich die Lavafelder und die Feuerberge von Timanfaya.

Pedro parkte hinter der Kirche und betrat mit Miguel die Bar Stop. Sein Sohn bestellte Huhn mit Mais, Pedro Eintopf mit Stockfisch und Süßkartoffeln. Sie saßen auf Hockern am Bartresen, der schräg von links nach rechts abfiel, angeblich weil der Maurer, der ihn vor hundert Jahren gemörtelt hatte, betrunken gewesen war.

»Was habt ihr heute in der Schule gelernt?«, fragte Pedro, Miguel besuchte dieselbe Schule, auf die schon er gegangen war.

»Die Vulkanausbrüche auf Lanzarote«, antwortete sein Sohn.

»Großartig, schon in der ersten Klasse! Die historischen Vulkanausbrüche dauerten sechs Jahre, von 1730 bis 1736. Habt ihr das auch gelernt?«, fragte er weiter.

»Ja.«

»Und Blocklava?«

»Ja.«

»Stricklava und Schildvulkane aber noch nicht, oder?«

»Nein.« Schulfragen beantwortete Miguel meist mit »Ja« oder »Nein«.

Ernesto, der Kellner, stellte das Huhn mit Mais und den Eintopf mit Stockfisch auf den Tisch, mit zusätzlichen Süßkartoffeln, gratis.

»Oh, danke!«, rief Pedro. »Sagst du auch Danke, Miguel?«

Ernesto winkte ab, klopfte dem Jungen zärtlich auf die Schulter und schlurfte zurück hinter den Tresen.

»Ich liebe die Bar Stop. Guten Appetit, mein Sohn.« Pedro löffelte das erste Stück Stockfisch aus dem Eintopf. »Weißt du, ich glaube, ich hatte die historischen Vulkanausbrüche erst in der zweiten Klasse. Die unterschiedlichen Formen von Lava konnte ich mir nur merken, weil mein Vater mir damit die Frauen erklärt hat.«

»Hä?«, sagte Miguel.

»Bei Menschen gibt es manchmal auch einen Vulkanausbruch. Ist das Huhn noch zu heiß?«

»Stirbt dann jemand, wenn bei Menschen ein Vulkan ausbricht?«, fragte Miguel.

»Das kommt darauf an, ob man mit einem Blocklavamenschen oder einem Stricklavamenschen zusammenlebt«, antwortete Pedro und wischte sich den Mund ab. Sein Vater hatte eigentlich immer nur von Lavaehen und Lavafrauen gesprochen. Bei Blocklavafrauen strömten nach dem Ausbruch die Worte und Vorwürfe, die Drohungen und Anklagen angeblich wie etwas Dick- und Zähflüssiges heraus und erstarrten zu rauen, scharfkantigen Brocken. Wenn bei den Explosionen Leidenschaften wie riesige Lavafetzen durch die Luft flogen und sich beim Flug verformten, entstanden riesige Blockbomben. Sein Vater sprach von Blockbomben vor allem im Zusammenhang mit Trennungen und Scheidungen.

»Und welche Lava kommt bei mir raus?«, fragte Miguel, er umfasste die Gabel mit der geballten Faust und stach ins Huhn.

»Wahrscheinlich Stricklava«, antwortete Pedro und schnitt Miguels Huhn in kleine Stückchen. »Auf Stricklava kann man sogar barfuß laufen, sie hat keine scharfen Kanten und Spitzen, eher eine sanft gekräuselte oder fladenartige Oberfläche.«

»Und bei Mama?«, fragte Miguel.

»Auch, Mama ist bestimmt eine Stricklavafrau, wie meine Mutter«, antwortete Pedro, seine Eltern waren bis zum Schluss zusammengeblieben, der Tod hatte sie geschieden, kein großer Vulkanausbruch, natürlich hatte es kleinere gegeben wie in jeder kanarischen Ehe, aber eben keinen verheerenden, historischen. »Hat deine Lehrerin schon die Pyroklastenfelder erwähnt?«

»Nein«, antwortete Miguel.

»Das ist auch noch zu früh«, sagte Pedro. Pyroklastenfelder entstanden bei großen Ausbrüchen, wenn sich die feinkörnigen Fragmente, die beim Ausbruch vom Wind fortgetragen wurden, wieder auf die Erde herabsenkten. Man nannte sie hier Picón. In der Nähe von Blocklavaehen waren auch immer Picónfrauen, das waren Geliebte, Resultate der großen Unruhen und Ausbrüche. Pedro hatte das als Kind nie so richtig verstanden, aber sein Vater war selbst ganz angetan von seinen Lavafrauen-Theorien. Zwar konnte man auf Picón gut umherwandeln, er war weich, gab bei jedem Schritt etwas nach, aber manchmal waren die zarten Kanten so scharf, dass man blutete, weil auch die Picónfrauen irgendwann Forderungen stellten oder mehr wollten. Das war jedoch kein Vergleich zum Höllengang durch das Blocklavafeld, das schlimmste Verletzungen und Narben und sogar Tote verursachte. »Heirate nie eine Frau, aus der am Ende Blocklava fließen könnte!«, hatte sein Vater gesagt.

»Schmeckt dir das Huhn?«, fragte Pedro.

»Ja«, antwortete Miguel.

Pedro beobachtete ihn, wie er konzentriert die Gabel hielt und das Huhn aß, ohne aufzusehen. Wie schön er war, dachte Pedro. Die großen dunklen und glänzenden Augen, das offene, meist fröhliche Gesicht mit dem weichen, runden Lippenbogen, dazu die Stupsnase und die dichten braunen Haare.

»Haben wir nicht tolle Vulkane auf unserer Insel? Wir gehören in der Geschichte des Vulkanismus zum Bedeutendsten, was es auf der Welt gibt!«, sagte Pedro. »Und was für tolle Namen sie haben: der schöne Hans, der verspielte Berg, die Gipfelkrone … Oder der schwarze Brüller und der Mantel der Jungfrau, ich mag auch die Zauberin des Hinterlandes.«

»Mich nerven die Vulkane. In meinem Buch kommt das Feuer nicht aus Vulkanen, sondern aus dem Mund von Nepomuk, dem Halbdrachen, der so gerne ein Volldrachen wäre«, sagte Miguel.

»Das ist im Märchen so. In der Schule lernt man, dass das Feuer aus der Erde kommt und aus den Magmakammern«, sagte Pedro.

»Spielt Unión Sur Yaiza deshalb nicht so gut wie el Barça, weil es hier keine grünen Wiesen gibt?«, fragte Miguel.

»Dafür hat Barcelona keine Vulkane«, antwortete Pedro.

»Aber Barcelona hat Messi!«, erklärte Miguel.

Miguel liebte Messi, den Fußballspieler vom FC Barcelona, noch mehr als die Pinxo-Hefte, »Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer«, »Nico, das Rentier« oder »Geschichten vom Untergang der Titanic«, die Pedro jeden Abend vorlesen musste. Er sammelte Messi-Trikots, Messi-Poster, Messi-Schlüsselanhänger, schaute Messi-Tore auf YouTube. Er hatte auch eine DVD mit einem Film über Messis Leben, dessen schwierige Anfänge in Argentinien, die Wachstumsstörung, die Armut, die Messi-Großmutter, die an ihn geglaubt und der er später bei jedem Tor mit einem Gruß zum Himmel gedankt hatte. Pedro hatte Miguel sogar einen Messi-Briefbeschwerer geschenkt. Und es gab ein Barça-Spannbettlaken, das noch viel zu groß für Miguels Kinderbett war, aber Pedro wickelte einfach die gesamte Matratze damit ein.

Es klingelte. Pedro klappte sein Handy auf und sagte: »Hallo.«

»Hast du ihn abgeholt?«, fragte Carlota.

»Ja«, antwortete Pedro.

»Was hast du gekocht? Bitte kein Nutella-Biskuit vor dem Mittagessen, ja?«, vergewisserte sich Carlota.

»Keine Sorge. Wir sind in der Bar Stop. Huhn mit Mais«, antwortete Pedro. »Er hat heute in der Schule die historischen Vulkanausbrüche gelernt!«

»Schön«, sagte sie. »Aber bringe ihm nicht diese komischen Machismo-Theorien von den Blocklavafrauen oder Picónfrauen bei.«

»Okay«, sagte Pedro.

»Ich habe eine Überraschung für dich! Rate mal!« Carlota klang ganz aufgeregt.

»Keine Ahnung … Ein paar freie Tage?«, fragte Pedro, er beobachtete, wie Miguel eine Grimasse schnitt.

»Leider nicht, aber ich habe ein neues Smartphone für dich, mit Internet!«, antwortete sie. »Dein altes Klappding, auf dem nicht mal das C funktioniert, kannst du ins Museum bringen.« Sie lachte.

»Okay, aber beim C steckt die Taste nur fest, weil ich sie so oft benutzt habe deinetwegen«, sagte Pedro, er lachte auch.

»Ich bringe es heute Nacht mit. Neue SIM-Karte, neue Nummer, neues Leben, dann brauchst du ab morgen nicht mehr zehn Minuten für eine SMS, sondern nur zehn Sekunden. Gibst du mir jetzt mal Miguel?«, fragte Carlota.

Pedro reichte Miguel sein Handy und hörte, wie sein Sohn etwas zum Winterausbruch in Deutschland fragte, dabei schnitt er wilde Grimassen, das fiel Pedro in letzter Zeit öfter auf, diese plötzlichen Grimassen im sonst so lieblichen Gesicht des Jungen. Mal zerrte er die eine Gesichtshälfte nach links, dann nach rechts, so als würde ein innerer Teufel die Nasenlöcher und die Mundwinkel abwechselnd zu der einen oder anderen Seite pressen.

Pedro schaute nach draußen, während er Carlotas Stimme aus dem Telefon hörte. Er starrte auf die weiße...

Erscheint lt. Verlag 19.8.2021
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bestseller-Autor • der durch das Jahrhundert fiel • Der Mann • Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel • Familiengeheimnis • Familienroman • Flucht / Europa • Franco-Diktatur • Freundschaft • Fußball • Insel-Roman • Lanzarote-Roman • Männer-Freundschaft • Messi • Spanischer Bürgerkrieg • Vater-Sohn-Beziehung
ISBN-10 3-462-30359-7 / 3462303597
ISBN-13 978-3-462-30359-9 / 9783462303599
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