Das Buch eines Sommers (eBook)

Werde, der du bist

(Autor)

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2020 | 2. Auflage
240 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61134-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Buch eines Sommers -  Bas Kast
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Nicolas hat einen Traum: Schriftsteller zu werden wie sein Onkel. Dann kommt das Leben dazwischen und die Firma seines Vaters, Verantwortung, Termine und lauter Zwänge. Als sein Onkel stirbt, verliert Nicolas den einzigen Menschen, der an ihn geglaubt hat. Doch dann findet er am unwahrscheinlichsten Ort den Schlüssel, um zu dem zu werden, der er wirklich ist.

Bas Kast, geboren 1973 in Landau, Pfalz, wollte Hirnforscher werden, wandte sich dann aber dem Schreiben zu. Er ging in Utrecht, München und Kalifornien zur Schule, studierte Psychologie und Biologie in Konstanz, Bochum und am MIT in Boston. Sein Buch ?Der Ernährungskompass? wurde ein Weltbestseller. Er lebt mit seiner Familie in Rottendorf bei Würzburg.

Bas Kast, geboren 1973 in Landau, Pfalz, wollte Hirnforscher werden, wandte sich dann aber dem Schreiben zu. Er ging in Utrecht, München und Kalifornien zur Schule, studierte Psychologie und Biologie in Konstanz, Bochum und am MIT in Boston. Sein Buch ›Der Ernährungskompass‹ wurde ein Weltbestseller. Er lebt mit seiner Familie in Rottendorf bei Würzburg.

Ich weiß noch, wie mir vor vielen Jahren der Sommer meines Lebens bevorstand. Oder doch eigentlich hätte bevorstehen müssen. Das Abitur in der Tasche, das Studium noch in weiter Ferne, hätte jenes ultimative Abenteuer namens Leben endlich losgehen können. In meiner grenzenlosen Freiheit musste ich nur noch zugreifen, ich musste mich bloß noch hineinfallen lassen und es in vollen Zügen genießen.

Nur fühlte ich mich überhaupt nicht frei, und das Abenteuer entfernte sich Minute für Minute mehr von mir, mit rasender Geschwindigkeit. Um genau zu sein, saß es in einer Boeing 747, auf dem Weg nach Sydney. Das Abenteuer, das schulterlanges, kastanienbraun glänzendes Haar hatte und Katharina hieß, wollte mich nicht. Es wollte, statt bei mir zu bleiben, am anderen Ende der Welt, in Australien, studieren.

So kam es, dass ich den Sommer mit meinem Onkel Valentin verbrachte, dem »Spinner der Familie«, wie mein Vater ihn nannte. »Ach, der Valentin«, pflegte mein Vater zu sagen, mit einem Seufzen, das sofort klarmachte, was er von seinem – deutlich jüngeren – Bruder hielt. »Der Valentin hat schon immer vom ganz großen Wurf geträumt. Irgendwann kommt er ganz groß raus! Aber, merk dir das, Nicolas: Den großen Wurf gibt es nicht. Was es gibt, ist, dass man als Erster bei der Arbeit erscheint und als Letzter wieder geht.«

Hatte mein Vater ihm von meinem Kummer erzählt? Oder hatte er ihn herausgehört, ihn gespürt mit seinen feinen Antennen, am Telefon, als er mich angerufen hatte, um mir zum Abitur zu gratulieren, und ich nur Einsilbiges zurückgemurmelt hatte?

Jedenfalls stand er dann plötzlich vor unserer Haustür, mein berühmter Onkel Valentin, eine sonnengebräunte Gestalt in einem beigen, zerknitterten Leinenanzug mit beigem Panamahut. Er nahm mich in seine kräftigen Arme und ließ mich sekundenlang nicht los, und ich schloss die Augen. Wie ich so dastand in seinen Armen, war es, als würde ein Teil meines Katharina-Schmerzes in ihn übergehen, absorbiert von seinem Körper, und um die so entstandene Leere in mir wieder auszufüllen, ließ er etwas von seiner Valentin-Kraft in meinen Körper zurückströmen.

Irgendwann blickte er mich mit seinem verschmitzten Lächeln an und fragte, ob ich nicht Lust auf eine kleine Reise hätte.

»Eine Reise?« Ich zuckte mit den Schultern, unentschlossen, niedergeschlagen. »Wohin?«

»Ins Leben, mein Lieber. Komm mit, Junge, ich muss dir unbedingt etwas zeigen!«

Was an ihm war es, das mich so faszinierte? War es die schlichte Tatsache, dass er Schriftsteller war und ich das damals selbst auch so gern werden wollte? War es seine Energie? Seine gelassene, zuversichtliche Art? Das verschmitzte Lächeln? War es der Umstand, dass er kaum etwas ernst nahm, nur das, was in seinen Augen seinen Ernst verdiente, wozu erstaunlicherweise auch mein Liebeskummer gehörte? Ja, all das vielleicht …

Und dann wohl auch sein exzentrischer Lebensstil. Einmal bekam ich eine Postkarte von ihm aus Lateinamerika, wo er eine Zeitlang von Land zu Land reiste, auf der Suche nach, wie er sagte, »corazón«. Zu viel Vernunft mache »genauso dumm wie zu wenig«, und er würde immer noch zu sehr mit dem Kopf und zu wenig mit dem Herzen denken, auch wenn es bei ihm in dieser Hinsicht vielleicht nicht ganz so schlimm wie bei seinem Bruder stünde.

Ein anderes Mal hatte er sich in eine Dichterin aus Ligurien verknallt, war ein paar Monate verschollen gewesen, schrieb mir dann aus Rom, er sei »auf den Spuren Senecas«, und als er wieder auf‌tauchte, ebenso plötzlich, wie er verschwunden war, sprach er fließend Italienisch und meinte: Er müsse seinem Leben wie auch seinen Texten doch noch »etwas mehr sprezzatura einhauchen«.

Wenn mein Vater damals abends gestresst aus der Firma nach Hause kam – er hatte ein kleines Pharmaunternehmen gegründet, sein ganzer Stolz –, sagte ich: »Papa, bitte, etwas mehr sprezzatura!«, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was das Wort bedeutete. Es klang einfach cool.

»Was?«

»Sprezzatura.«

»Ach, hör doch auf mit dem Quatsch von deinem Märchenonkel!«

Dann allerdings gelang dem Märchenonkel, ganz entgegen den pessimistischen Prophezeiungen meines Vaters, doch noch der große Wurf. Nach drei, vier Romanen, die sich eher mäßig verkauf‌ten, erfand er einen Charakter, den seine Leser liebten. Dank der begeisterten Resonanz entstand daraus eine ganze Reihe von Erzählungen. Bei dem Protagonisten handelte es sich um einen außergewöhnlich lebensklugen Helden, der vor sprezzatura nur so sprühte und den mein Onkel nach ein paar Gläsern Weißwein spontan »Christopher« tauf‌te. Ich war noch ein kleiner Junge, als er mir bei Kerzenlicht und mit leuchtenden Augen von Christopher, den ich für eine Art Zauberer hielt, vorschwärmte und mich dann plötzlich fragte, nur halb im Scherz: »Oder sollen wir ihn Nicolas nennen?«

Spätestens mit dem dritten Band entwickelte sich ein regelrechter Christopher-Hype, die Bücher wurden zu Bestsellern, sie machten meinen Onkel zunehmend bekannt und auch wohlhabend. Schließlich hörte man von meinem Vater nur noch selten die Wörter »Spinner« und »Märchenonkel«. (Tatsächlich habe ich ihn abends einmal heimlich dabei beobachtet, wie er mit dem neuesten Christopher-Band in den Händen in seinem smaragdgrünen Ohrensessel im Wohnzimmer saß und immer wieder vergnügt vor sich hin schmunzelte, und ich weiß noch, wie ich mir vorstellte, es wäre mein Buch, das er da las, und mir wünschte, es wären meine Sätze, die ihn so schmunzeln ließen …)

Ich steckte ein paar Klamotten, meinen Walkman und meine Zahnbürste in meine blaue Sporttasche, wir riefen meinen Vater an, der seit dem Tod meiner Mutter – sie war kurz vor meinem vierten Geburtstag an Lungenkrebs gestorben – mit seiner Firma verheiratet war, und dann drückte mein Onkel mir seinen Autoschlüssel in die Hand.

»Ich? Darf ich? Wirklich?«

»Du hast doch deinen Führerschein gemacht, oder nicht?«

»Ja, klar …«

Als Katharina gegangen war, als ich allein in meinem Zimmer saß und es mit einem Mal zu mir durchdrang, dass sie weg war, wirklich weg, verschwunden aus meinem Leben, hatte sich irgendwo in meiner Bauchregion ein Schmerz mit einer Urkraft festgekrallt, von der ich nicht ahnte, dass so etwas physiologisch überhaupt möglich war. Man sagt das immer so leicht dahin: Diese oder jene Sache hat mich »umgehauen«. Damals wurde mir klar, dass selbst so überzogen klingende Redensarten einen realen Kern haben können.

Nun mischte sich in diesen Schmerz eine gewisse Aufregung, womöglich auch eine Prise Angst. Ich schaute auf den Schlüssel, dann auf den Wagen. Auf den schwarzglänzenden Porsche 911 Targa, ein G-Modell, Baujahr 1987.

Mein Herz klopf‌te, als ich auf das Auto zuging und die Fahrertür öffnete, die dabei ein metallisches Klacken von sich gab. Ich setzte mich auf den schwarzen Ledersitz.

Einen Moment saß ich einfach bloß da, den Geruch von Motoröl in der Nase. Dann beobachtete ich, wie meine linke Hand den Schlüssel ins Zündschloss steckte – beim 911 traditionsgemäß links vom Steuer – und ihn umdrehte. Der Porsche brüllte kurz auf wie ein kampf‌lustiger Löwe und fing dann an zu vibrieren wie eine Waschmaschine im Schleudergang.

Da ich selbst kein Auto besaß und mein Vater mich nicht mehr in die Nähe seines alten senfgelben Mercedes ließ, seit ich beim Einparken einen seiner Außenspiegel abgebrochen hatte (»Mann, Nicolas, das muss man auch erst mal hinbekommen«), war ich nicht gerade ein geübter Fahrer, und so würgte ich den Motor zunächst mehrfach ab.

Minuten später standen wir immer noch halb in der Einfahrt. Anschließend blockierten wir eine Weile den Verkehr auf der schmalen Anliegerstraße, in der mein Vater und ich wohnten.

Mein Onkel blieb bei meinen kläglichen Auspark- und Losfahrversuchen die Ruhe selbst. »Tja, mein Lieber, keine Servolenkung, kein ABS, überhaupt keine Nanny an Bord«, sagte er, während ich mich mit der Mechanik des Wagens, der mir wie ein wildes Raubtier vorkam, das ich zu zähmen lernen musste, vertraut machte.

Um die Sache an dieser Stelle etwas abzukürzen und auf den Punkt zu bringen: Irgendwann an jenem Tag fuhren wir tatsächlich. Das heißt, ich fuhr, Porsche 911, das Targa-Dach heruntergenommen, stahlblauer Himmel über uns, hinter uns der röhrende, luftgekühlte Sechszylinder-Boxermotor. Meine feuchten Hände hielten das Lenkrad umklammert, während mein Onkel neben mir saß und eine Geschichte nach der anderen erzählte, nur gelegentlich kurz unterbrochen für eine Richtungsanweisung. Ich konnte vor lauter Aufregung und Konzentration auf das Auto kaum seinen Worten folgen, stattdessen klang seine sonore Stimme wie eine angenehme, beruhigende Hintergrundmusik in meinen Ohren.

So fing sie an, unsere Fahrt ins Unbekannte. Denn ich wusste immer noch nicht, was unser Ziel war. Gab es überhaupt ein Ziel? Was wollte mein Onkel mir denn so dringend zeigen?

»Jetzt lass dich doch mal überraschen« – mehr bekam ich nicht aus ihm heraus, und irgendwann, als wir so fuhren, stellte ich verblüfft fest, dass ich fast eine Stunde nicht an Katharina gedacht hatte. Bis mein Onkel aus heiterem Himmel fragte:

»Wie sieht sie denn aus?«

Er war der Einzige, der nicht mit...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2020
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Achtsamkeit • Aufbruch • Besinnung • Buch • Carnegie • Carnegie, Dale • carpe diem • Coelho • Coelho, Paulo • Dale • Dobelli • Dobelli, • Dobelli, Rolf • Einklang • Entschleunigung • Fabel • Geist • Gesundheit • Glück • Inneres Selbst • Inspiration • John • lebe • Lebe deinen Traum • Lebensbegleiter • Lebensgefühl • Lebensglück • Lebenshilfe • Lebensphilosophie • Lebenstraum • Lebensweg • Märchen • Meditation • Mentor • Paulo • Persönlichkeitsentwicklung • Ratgeber • Rolf • Schriftsteller • Seele • Selbstfindung • Sinn des Le • Sinn des Lebens • Sorge dich nicht • Sorge dich nicht, lebe • Spirituell • Strelecky • Strelecky, John • Traum • Vorbild
ISBN-10 3-257-61134-X / 325761134X
ISBN-13 978-3-257-61134-2 / 9783257611342
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