Ein neues Blau (eBook)

Roman

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
416 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2189-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein neues Blau -  Tom Saller
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Nach dem großen Erfolg von Wenn Martha tanzt der neue Roman von Tom Saller! Eine junge Frau geht ihren Weg als Porzellanmalerin der KPM Als Lilis Mutter früh stirbt, kümmert sich ihr Vater Jakob rührend um sie. Aber erst als sie Günther von Pechmann kennenlernt, den Direktor der Königlichen Porzellan-Manufaktur, findet sie ihre Bestimmung: die Welt des Porzellans. Doch die Nationalsozialisten kommen an die Macht und Lili muss aus Berlin fliehen. Fünfzig Jahre später lebt Lili wieder in Charlottenburg, zurückgezogen in ihrem Haus mit dem japanischen Garten. Sie spricht nicht viel über sich und ihr bewegtes Leben. Erst die 18-jährige Anja, widerspenstig und quer, kann Lili dazu bewegen, sich ihr zu öffnen. Stück für Stück enthüllt sich Lilis Geschichte, doch auch Anja hat ein Geheimnis. Welche Rolle spielt dabei die schlichte Porzellanschale, die die alte Frau wie einen Schatz hütet? Die Presse zu Wenn Martha tanzt: »Tom Saller schildert eindrücklich die gesellschaftlichen Veränderungen der Zwanzigerjahre bis zur Machtübernahme der Nazis.« NDR Kultur »Tom Saller hat einen spannenden Erstling geschrieben, der alle Zutaten eines facettenreichen Familienromans enthält.« Brigitte Wir »Saller nimmt uns mit auf eine spannende Reise durch das 20. Jahrhundert und endet mit einer überraschenden dramatischen Wendung. Eine Geschichte voller historischer Verweise und mit noch mehr großen Gefühlen.« emotion

Tom Saller, geboren 1967, hat Medizin studiert und arbeitet als Psychotherapeut. 2018 erschien sein Debütroman Wenn Martha tanzt und wurde umgehend ein Bestseller. Tom Saller lebt in Wipperfürth, einer kleinen Stadt im Bergischen Land.

Tom Saller, geboren 1967, hat Medizin studiert und arbeitet als Psychotherapeut in der Nähe von Köln. Falls er nicht gerade schreibt, spielt er Saxophon in einer Jazzcombo. 2018 erschien Sallers Debütroman Wenn Martha tanzt und wurde umgehend ein Bestseller.

Berlin


1985

Das Haus, an dessen Tür ich klingele, liegt nicht weit von unserem entfernt, mitten in Charlottenburg. Es sieht genauso aus wie seine Kollegen rechts und links und stammt wie diese aus einer anderen Zeit – nicht anders als die Frau, die mir jetzt die Tür öffnet. Sie ist ziemlich dünn und hat schlohweiße Haare, was einen merkwürdigen Kontrast zu ihrem Gesicht bildet, denn da sind kaum Falten. Alles, was älter ist als vierzig, kann ich sowieso nicht schätzen, aber bei ihr stehe ich völlig auf dem Schlauch. Sechzig, achtzig, hundert? Sie mustert mich misstrauisch, was an dem Tracey-Thorn-Schnitt liegen könnte, den ich mir vor ein paar Tagen selbst verpasst habe. Eden ist eins meiner absoluten Lieblingsalben. Ich hole tief Luft.

»Ich heiße Anja Hermann. Mein Vertrauenslehrer schickt mich. Ich wollte mich um den Job als Ihre … Ihre Gesellschafterin bewerben.«

Verwirrt blickt sie mich an. »Welcher Vertrauenslehrer und was für ein … Job?«

Oh Mist, bei meinem Glück bin ich natürlich auf so eine halbverkalkte Alte gestoßen. »Na ja, Herr Franke vom Sophie-Charlotte-Gymnasium in der Sybelstraße. Der Direktor hat ihn angesprochen und gemeint, ein Freund von ihm suche jemanden für seine Mutter. Man solle sich direkt bei Ihnen melden, wenn man Interesse an einem Nebenjob hat, für ein paar Nachmittage die Woche.«

Sie presst die Lippen zusammen. »Er hat seine Drohung also wahr gemacht.«

»Wer?«, stottere ich.

Sie fasst mich genauer ins Auge und dann offensichtlich einen Entschluss. »Kommen Sie erst einmal herein. Wir brauchen die Angelegenheit nicht an der Haustür zu besprechen.«

Sie dreht sich um und tritt in den Flur. Ich folge ihr und schließe die Tür hinter mir. Die Frau ist vollkommen schwarz gekleidet. Schwarzes Kleid, schwarze Strümpfe, schwarze Schuhe. Wirkt irgendwie ein bisschen gruselig. Schade, wär echt doof, wenn sie eine Schwarze Witwe ist, also so eine Art Serienkillerin, und mich abmurkst. Gut, dass Franke weiß, wo ich bin. Ich hab ihm gesagt, dass ich heute hier vorbeimarschiere. Mutter und Vater habe ich erst mal außen vor gelassen: Sie nerven zu sehr.

Eigentlich ist der Fummel der alten Dame gar nicht so verkehrt. Ein bisschen altmodisch und super schlicht geschnitten. Steht ihr ziemlich gut. Von Mutter weiß ich, je simpler so was aussieht, umso teurer ist es. Wahrscheinlich hat sie richtig Kohle. Ich meine, wer sonst sucht sich schon eine »Gesellschafterin«?

Der Raum, den wir betreten, ist irre hell und ziemlich geil, weil quasi nichts drinsteht. Fast wie im Museum. Die Fenster gehen auf einen megagepflegten Garten raus. Da könnte Vater sich ruhig mal ein Beispiel dran nehmen. Er hasst Gartenarbeit, und wenn er zweimal im Jahr mit dem Mäher ums Haus pflügt, hat man den Eindruck, er spielt Vietnam. Aber ich schätze, er engagiert absichtlich keinen Gärtner, nur um Mutter zu ärgern. Die schämt sich nämlich volle Kanne, wenn ihre feinen Freundinnen zu Besuch kommen und auf der Terrasse sitzen und Kaffee trinken und auf unseren Dschungel glotzen. Dann hilft nur Sekt.

»Bring uns doch mal ein, zwei Piccolöchen, Anja.« Klar doch, hoch die Tassen!

»Bitte, nehmen Sie Platz«, fordert die alte Dame mich auf und deutet auf den Tisch mit den Stühlen in der Mitte des Raums. Das ist es auch schon, also ich meine das komplette Mobiliar. »Mögen Sie eine Tasse Tee?«

Ich nicke. Der Dritte-Welt-Laden bei uns um die Ecke betreibt eine Teestube. Da treffen wir uns ein paarmal die Woche, trinken Vanille-Tee und stinken uns die Klamotten voll – nicht umsonst heißen Räucherstäbchen Räucherstäbchen. Wenn ich nach Hause komme, rieche ich, als hätte ich den ganzen Nachmittag gekifft, was definitiv nicht der Fall ist. Meist zieht Mutter dann demonstrativ ihre Schnupper-Show ab und mustert mich vorwurfsvoll. Ich spare mir eine Antwort und schaue nur vielsagend ins Wohnzimmer, wo ihre Riesenschale mit dem Duftpotpourri steht, das jeden Monat ausgewechselt wird. Schwer zu sagen, was schlimmer mieft: ich oder der Mist, der zu ihrem Schöner-wohnen-Style gehört.

Die alte Frau kehrt mit einem Tablett in der Hand zurück, das sie vor mir auf dem Tisch abstellt. Schlichte Tonschalen, in die sie ein grünliches Pulver füllt. Sie gießt es mit heißem Wasser auf. Zu meiner Überraschung greift sie nach so einer Art Rasierpinsel mit hölzernen Borsten und fängt wie wild an, in den Schälchen rumzurühren. Ein exotisches Aroma liegt in der Luft.

»Haben Sie schon einmal Matcha, grünen Tee, getrunken?«, fragt sie.

»Nein«, sage ich.

»Sie müssen entschuldigen, dass ich ihn so formlos serviere, aber alles andere wäre unter den gegebenen Umständen sicher unangemessen.«

Ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht, aber was soll’s – man kann auch alt und bescheuert sein. Sie reicht mir die Schale, in der sich ein schaumig geschlagenes Gebräu befindet. Vorsichtig nehme ich einen Schluck und verziehe das Gesicht. Zum ersten Mal tritt der Hauch eines Lächelns auf ihre Züge. »Es braucht Zeit, bis man sich an den Geschmack des Neuen gewöhnt«, sagt sie.

So unauffällig wie möglich lasse ich den Blick durch den Raum wandern. Wie gesagt, das Zimmer ist fast leer. Allerdings sind da ein paar Skulpturen oder so auf kleinen, scheinbar extra dafür an der Wand angebrachten Regalbrettern. Sie sind weiß, und ich schätze, was ich da sehe, ist Kunst. Aber eigentlich sind’s auch ganz normale Sachen: Tassen, Schalen, Vasen – nur irgendwie anders. Sie sind verformt, verzerrt, vergrößert oder verkleinert. Außerdem ist immer nur ein Teil lackiert oder wie man das nennt; der andere sieht roh und unbehandelt aus. Ziemlich schräg, finde ich.

»Ihr Vertrauenslehrer hat Sie also im Auftrag Ihres Direktors angesprochen?«

»Ja und der ihn im Auftrag eines Freundes. Herr Franke hat mir einen Zettel in die Hand gedrückt. Da standen Ihr Name und Ihre Adresse drauf. Keine Telefonnummer. Deswegen bin ich einfach vorbeigekommen.«

Sie nimmt einen Schluck von ihrem Tee. »Ich habe kein Telefon. Und das Haus verlasse ich nur ausgesprochen selten. Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, mich anzutreffen, ziemlich hoch. Das weiß er.«

»Wer?«

»Mein Sohn. Er ist der Freund, der mit dem Direktor gesprochen hat. Allerdings ohne meine Zustimmung.«

»Warum sollte er gegen Ihren Willen jemanden suchen, der Ihnen Gesellschaft leistet?«

Sie zuckt mit den Schultern. »Er macht sich Sorgen um seine alte Mutter.«

»Ähem … und wieso?«

»Dass ich vereinsamen oder sonst wie Schaden nehmen könnte nach dem … nach dem Tod meines langjährigen Begleiters.«

Stimmt, da war doch was. Ich mustere ihr Kleid, die dünnen Beine in der schwarzen Strumpfhose. »Sind Sie lange zusammen gewesen?«

Für einen Moment werden ihre Züge weicher. »Sehr lange, beinah ein Leben lang. Aber nicht so, wie Sie es vermuten. Er hat sich seit meiner Kindheit um mich gekümmert, ist wie ein zweiter Vater für mich gewesen. Doch ich mag Sie nicht mit den alten Geschichten langweilen.« Sie strafft ihre schlanke Gestalt, was sie immer noch nicht zu einem Sitzriesen macht; ich bin locker einen Kopf größer als sie. »Mein Sohn hat mich vor die Wahl gestellt – entweder ich finde selbst jemanden, der mich ab und zu besucht, oder er kümmert sich darum. Er will keinesfalls, dass ich den ganzen Tag allein bin.« Sie verzieht die Mundwinkel. »Ich habe versucht, auf Zeit zu spielen, und gesagt, ich würde es mir überlegen. Aber offenbar habe ich ihn unterschätzt, und nun hat er die Initiative ergriffen. Sind Sie eigentlich die Einzige, der Ihr Vertrauenslehrer diesen … diesen Job angeboten hat, oder muss ich befürchten, dass hier bald Heerscharen von Schülern einfallen?«

»Eher nicht. Ich glaube, er hat nur mich gefragt.«

»Warum ausgerechnet Sie?«

Franke ist einer der wenigen Lehrer, die einem nicht sofort auf den Sack gehen. Er sieht gut genug aus, dass die Hälfte aller Oberstufenmädchen in ihn verknallt ist, andererseits ist er locker genug, dass die Jungens mit ihm Witze machen und Basketball spielen. Gleichzeitig hält er Abstand, was ich okay finde. Er macht einem klar, ich bin der Lehrer und ihr seid die Schüler, und das ist halt so; eine Art natürliche Ordnung der Dinge. Er spricht mit uns wie zu normalen Menschen: schleimt sich weder ein, noch tut er irgendwie von oben herab. Vielleicht gibt’s deshalb in seinem Unterricht keine Disziplinprobleme. Außerdem erzählt er fast nichts von sich. Da sind wir uns ziemlich ähnlich. Eigentlich bin ich wirklich nicht so eine Superlabertasche, aber …

Ich heiße Anja. Ein ätzender Name, ich weiß. Auch hierfür sind meine Eltern verantwortlich. Ein Anagramm übrigens: Anja. Ich hab’s ausprobiert. Man kann Na ja daraus machen. Ich nehme an, so sehen mich die meisten. Anja. Na ja. Ein Name wie ein Achselzucken.

Damit bin ich nicht allein; auch ein paar andere Mädchen aus der Stufe...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2019
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Annette Hess • Bauhaus • Bauhaus-Jubiläum • Berlin • Brigitte Glaser • Bühlerhöhe • Charlottenburg • Deutsches Haus • Familiengeschichte • Familienroman • Japan • Judentum • KPM • Martha • Nationalsozialismus • Porzellan • Porzellanmalerei • Rheinblick • Stella • Takis Würger • Teezeremonie • Wenn Martha tanzt
ISBN-10 3-8437-2189-0 / 3843721890
ISBN-13 978-3-8437-2189-9 / 9783843721899
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