Eine bessere Zeit (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2018 | 1. Auflage
555 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-75848-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eine bessere Zeit -  Jaume Cabré
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Miquel ist keine zwanzig Jahre alt, als er den Bruch mit seiner Familie herbeiführt. Er will frei sein, will seinen Leidenschaften und Überzeugungen folgen. Die Textilfabrik, die seine Familie seit sieben Generationen reich macht, interessiert ihn nicht. Stattdessen beginnt er zusammen mit seinem Jugendfreund ein Studium der Literatur an der Universität in Barcelona. Doch schon bald zieht es die beiden jungen Männer aus Faszination für eine Frau in den antifranquistischen Untergrund, und sie laden eine Schuld auf sich, die nie mehr vergeht.

Eine bessere Zeit erzählt vom Aufbegehren gegen die eigene Familie. Es ist ein Roman über die Kraft der Traditionen, über den Glauben an das Schöne angesichts der verlorenen Zeit - sprachgewaltig orchestriert vom Weltbestsellerautor Jaume Cabré.



<p>Jaume Cabré, geboren 1947 in Barcelona, ist einer der angesehensten katalanischen Autoren. Neben Romanen, Erzählungen und Essays hat er auch fürs Theater geschrieben und Drehbücher verfasst. Seine Romane wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem spanischen Kritikerpreis und dem französischen <em>Prix Méditerranée</em>, und in zahlreiche Sprachen übersetzt.</p>

Jaume Cabré, geboren 1947 in Barcelona, ist einer der angesehensten katalanischen Autoren. Neben Romanen, Erzählungen und Essays hat er auch fürs Theater geschrieben und Drehbücher verfasst. Seine Romane wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem spanischen Kritikerpreis und dem französischen Prix Méditerranée, und in zahlreiche Sprachen übersetzt.

1


Viel später, als alles längst vorbei war, saß ich Júlias schwarzen Augen und ihrem makellosen Teint gegenüber und fragte mich, wann genau mein Leben die ersten Risse bekommen hatte. Der Gedanke überfiel mich unvermittelt, und sogleich fragte ich mich, was ihr wohl gerade durch den Kopf gehen mochte. Verstohlen sah ich sie an: Sie war in die Speisekarte vertieft und schwankte nach wie vor zwischen dem Filet und dem Entrecôte. Ein kurzer Rundblick hatte mir genügt, um festzustellen, dass das Restaurant ausgesprochen geschmacklos eingerichtet war. An welchem Punkt war die Sache aus dem Ruder gelaufen? Vielleicht schon vor vielen Jahren, an jenem regnerischen Freitag im Herbst — meine orientierungslose Phase war bereits überwunden —, als es kurz nach dem Essen läutete und mein Vater, der das sonst nie tat, aufstand und die Tür öffnete. Als hätte er Besuch erwartet. Hinterher haben wir es alle gemeinsam rekonstruiert: Er hatte auf dem Treppenabsatz gestanden und mit jemandem gesprochen, mit wem, wussten wir nicht. Im Hinausgehen hatte er noch gesagt, zu uns oder zu den Wänden, er sei gleich wieder da. Wir haben ihn nie mehr gesehen. Es regnete, und er hatte das Haus in Pantoffeln und Hemdsärmeln verlassen. In der Folgezeit sollte ich noch oft darunter leiden, dass ich nicht gemerkt hatte, wie wichtig dieses Klingeln gewesen war. Denn von den wenigen ausschlaggebenden Momenten unseres Lebens bekommen wir nichts mit, und hinterher verbringen wir den Rest unserer verzweifelten Existenz im sinnlosen Bemühen, sie wiederzuerlangen. Ich wohnte damals zu Hause, weil ich mich gerade von Gemma getrennt hatte.

Mein Leben ist voller solcher Schlüsselmomente, die mir wie Fische durch die Finger schlüpfen, derweil ich meine Zeit vor dem Fernseher vertrödele oder Kreuzworträtsel löse. Wie oft habe ich mir gewünscht, Teresas Lächeln vor dem Ritz zu vergessen. Es will mir nicht aus dem Sinn gehen und treibt mir noch heute die Tränen in die Augen. Vor der strahlend hell erleuchteten Hotelfassade hatte Teresa mir zugelächelt, und ich war wenige Schritte entfernt schwer atmend im Dunkeln stehen geblieben. Dann hatte sie sich abgewandt, immerzu lächelnd, und ich hatte dagestanden wie ein Ölgötze. Nein, daran wollte ich jetzt nicht denken. Ich musste mich konzentrieren, auf die Speisekarte und auf Júlias Entscheidung: Fleisch, aber welches, und mach schon, ich habe Hunger. Teresa jedoch, vor dem Ritz am Piccadilly, hatte nicht aufgehört zu lächeln. Schließlich schaute ich in die Karte, in der die Gerichte, schwülstig und literarisch ambitioniert, eher gepriesen statt beschrieben wurden. Und Júlia und ihre schwarzen Augen und ihre samtene Stimme üben eine Anziehungskraft auf mich aus wie ein bodenloser Brunnen, doch ich sehe mich nicht imstande, sie zu lieben, weil ich todmüde bin.

Im Grunde hatte alles vor wenigen Stunden damit angefangen, dass Júlia mich bat, mit ihr essen zu gehen, weil ich der Einzige sei, der ihr helfen könne. Nein, begonnen hatte alles morgens auf dem Friedhof während der Beerdigung. Seither bin ich am Grübeln. Ich hatte mich ein wenig abseits der Angehörigen gehalten, die von diesem unerwarteten Todesfall noch wie vor den Kopf geschlagen waren, und mich hinter einer dunklen Brille versteckt. Rovira hatte mich trotzdem entdeckt und war mir nicht mehr von der Seite gewichen. Es folgten Vertraulichkeiten, ein halbes Päckchen Camel lang. Dort auf dem Friedhof, bevor Rovira mich mit Beschlag belegte, war ich wie durch göttliche Eingebung zu der Erkenntnis gelangt, dass ich niemals den Mut aufbringen würde, die offizielle Version zu dementieren, der zufolge Bolós' Tod ein beklagenswerter, unerklärlicher Unfall gewesen war. Ich war der Einzige, der von der rätselhaften Nachricht wusste — »Ich bin's, Franklin. Sei auf der Hut, Simó, jemand ist hinter uns her« —, die er am Mittwochabend auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Dann kam der Donnerstag mit seinen Ereignissen und am Freitag, als ich nach der Beerdigung wieder zu Hause war, der Anruf von Júlia und ihr Vorschlag, zusammen essen zu gehen.

Der angenehme Wind auf dem Friedhof hatte mich an einen anderen erinnert, an den wärmeren, doch von Angst erfüllten Wind am Berg Qurnat as-Sauda. Und ich hatte es praktisch achselzuckend hingenommen, dass ich, obwohl ich einmal so etwas wie ein Held gewesen war, jetzt hinter dunklen Brillengläsern Zuflucht suchen, den Ahnungslosen spielen und ja, ja, ein absurder, bedauerlicher Unfall sagen musste. Und bevor Marias fragender Blick mir die Fassung rauben konnte, hatte ich mich verdrückt.

Dann das Telefongespräch mit Júlia:

»Und die Bedingung wäre?«

»Dass ich das Lokal aussuchen darf«, hatte Júlia gesagt.

Ich dachte, das ist mir völlig egal. Auch ich bin allein, niedergeschlagen, verstört, habe Bolós im Kopf und Furcht im Herzen. Und ich bin ein solcher Feigling, nicht einmal Marias Blick auf dem Friedhof habe ich ausgehalten.

»Gern. Einverstanden. Wo führst du mich denn hin?«

»Verrate ich nicht. Ein sehr nettes Restaurant, eine Neueröffnung. Wir müssen uns ausführlich unterhalten, Miquel.«

»Über was denn?«

»Über alles, über Bolós. Ich muss den Artikel über ihn schreiben.«

»Welchen Artikel?«

»Hat Duran dir das nicht gesagt? Einen Nachruf, eine Hommage.«

»Lasst Bolós doch in Frieden.«

»Was ist los? Findest du das nicht gut?«

»Doch, fantastisch.« Ich gab mir ehrlich Mühe. »Ganz im Ernst.«

Ich konnte noch nie lügen, und Júlia merkte es sofort. 

»Du findest es nicht gut.«

»Doch, natürlich. Aber was weißt du denn schon über Bolós?«

Jetzt war Júlia diejenige, die auf befremdliche Weise schwieg; auch sie war eine schlechte Lügnerin.

»Na ja, ich grabe mich durch die Archive und so.« Die Pause fühlte sich unbehaglich an, für sie und für mich. »Aber mir fehlen Informationen über seine Kindheit und Jugend, und du …« Sie räusperte sich. »Sag ja.« Und um mir die Zustimmung zu erleichtern: »Es ist ein sehr hübsches Lokal, die Steaks sind äußerst empfehlenswert, und du musst auf andere Gedanken kommen.«

Die Argumente waren unwiderlegbar, und ich erwiderte, perfekt, ich stehe ganz zu deiner Verfügung. Auf diese Weise würde ich nicht im Dunkeln auf dem Sofa liegen und an Teresa denken und an Bolós, an mich, an Teresa und an die Angst vor der heiseren Stimme am Telefon, die mir grässliche Strafen androhte, als wüsste sie nicht, dass die schlimmste Strafe die lebenslange Erinnerung an das vollgesogene Handtuch und die Fünfundzwanzig-Watt-Birne ist. Und an Teresa.

Júlia hatte mich um acht abgeholt und mir, statt ins Auto zu steigen, mit einem spitzbübischen Grinsen die Hand hingehalten: Sie wollte fahren. Sie wollte die Spannung steigern bis zum letzten Moment. Und da mich das Lächeln einer Frau wehrlos macht, vertraute ich ihr meine Autoschlüssel und mein Leben an, zwar ebenfalls lächelnd, doch voller Argwohn, weil ich ein katastrophaler Beifahrer bin. Außerdem weiß ich, dass Júlia eine leidenschaftliche Autofahrerin vom alten Schlag ist, die unablässig schwatzt, beidhändig gestikuliert, das Lenkrad vergisst, die Gangschaltung schrammen lässt, seufzt und ganz gelegentlich, fast widerwillig, auch mal dem Straßenverkehr ein wenig Beachtung schenkt. Ich stellte mich also innerlich darauf ein, eine Weile zu leiden, was sich dann aber doch arg lang hinziehen sollte, denn das nette Restaurant befand sich außerhalb Barcelonas. Die Ausfahrt Avinguda Meridiana war nicht allzu stark befahren, doch Júlias unangekündigte, grundlose, gleichsam poetische Spurwechsel drehten mir den Magen um. Meine tristen Gedanken jedenfalls waren wie weggeblasen, das zumindest musste man ihr zugutehalten.

»Willst du mir nicht verraten,...

Erscheint lt. Verlag 25.3.2018
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel L'ombra de l'eunuc
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Barcelona • Bestsellerautor • Familiengeschichte • Familienroman • Franco • Freundschaft • Generationen • insel taschenbuch 4716 • IT 4716 • IT4716 • Liebe • Schweigen des Sammlers • Spanien • Spanischer Bürgerkrieg • Stimmen des Flusses • Tradition • Weltliteratur
ISBN-10 3-458-75848-8 / 3458758488
ISBN-13 978-3-458-75848-8 / 9783458758488
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