Das Geheimnis der Muse (eBook)

Roman
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2018 | 1. Auflage
500 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-75821-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Geheimnis der Muse -  Jessie Burton
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Zwischen dem Swinging London der 60er Jahre und dem schwülheißen Andalusien am Vorabend der Spanischen Revolution entspinnt sich diese fesselnde Geschichte zweier jungen Frauen, die durch ein Gemälde schicksalhaft miteinander verwoben sind.

London, 1967. Odelle Bastien, aus Trinidad nach England gekommen, um ihren Traum vom Schreiben zu verwirklichen, ergattert einen Job in der renommierten Kunstgalerie Skelton. Durch einen sensationellen Fund - ein Gemälde des seit dem Spanischen Bürgerkrieg verschollenen Künstlers Isaac Robles - wird Odelle in eine Geschichte verstrickt, die ihr Leben völlig auf den Kopf stellt. Denn um das Gemälde rankt sich ein folgenschweres Geheimnis, das ins Jahr 1936 zurückreicht.



<p>Jessie Burton, 1982 in London geboren, hat Englisch und Spanisch in Oxford sowie Schauspiel an der Central School of Speech and Drama studiert. Ihr erster Roman <em>Die Magie der kleinen Dinge</em> (2014) wurde mehrfach ausgezeichnet, derzeit wird er von BBC One fürs Fernsehen verfilmt. 2016 erschien ihr neuer Roman <em>Das Geheimnis der Muse</em>. Ihre Bücher wurden in 38 Sprachen übersetzt und sind internationale Bestseller. Jessie Burton lebt in London.</p>

Jessie Burton, 1982 in London geboren, hat Englisch und Spanisch in Oxford sowie Schauspiel an der Central School of Speech and Drama studiert. Ihr erster Roman Die Magie der kleinen Dinge (2014) wurde mehrfach ausgezeichnet, derzeit wird er von BBC One fürs Fernsehen verfilmt. 2016 erschien ihr neuer Roman Das Geheimnis der Muse. Ihre Bücher wurden in 38 Sprachen übersetzt und sind internationale Bestseller. Jessie Burton lebt in London und arbeitet an ihrem dritten Roman. Außerdem erschien im Herbst 2018 ihr erstes Kinderbuch.

Teil I
Könige und Kohlköpfe


 

Juni 1967


 

1


Nicht jeder erhält am Ende, was er verdient. Viele Momente, die den Lauf eines Lebens verändern – ein Gespräch mit einem fremden Menschen auf einem Schiff zum Beispiel –, sind reiner Zufall. Und trotzdem hat es immer einen guten Grund, wenn jemand gerade dir einen Brief schreibt oder gerade dir seine Geheimnisse anvertraut. Das habe ich von ihr gelernt: Man muss bereit sein für den glücklichen Zufall. Und man muss seine Karten ausspielen.

An dem Tag, an dem meine Chance kam, war es so heiß, dass meine Bluse – ein vom Schuhgeschäft gestelltes Einheitsmodell – große Flecken unter den Achseln hatte.

»Egal, welche Größe«, sagte die Frau und tupfte sich mit einem Taschentuch übers Gesicht.

Meine Schultern taten weh, meine Fingerspitzen waren ganz wund. Ich starrte sie an: Ihre bleichen schweißverklebten Haare ließen sie aussehen wie eine nasse Maus. So ist es in London; die Hitze staut sich, sie kann nirgendwohin.

Ich wusste es noch nicht, aber diese Frau sollte die letzte Kundin sein, die ich jemals bedienen würde.

»Wie bitte?«

»Sie haben schon richtig verstanden.« Die Frau seufzte. »Die Größe spielt keine Rolle.«

Es war kurz vor Ladenschluss, und der Teppichboden war übersät mit Hornhautschuppen, die man am Ende jedes Tages mit dem Staubsauger beseitigen musste. Cynth sagte oft, wenn wir diese Schnipsel alle aufbewahren würden, könnten wir irgendwann einen ganzen Fuß daraus formen, ein Monster, das von selbst zu tanzen anfinge. Ihr gefiel die Arbeit bei Dolcis Shoes, und sie hatte mir die Stelle vermittelt. Aber meistens sehnte ich mich schon nach nur einer Stunde im Laden wieder nach meinem kühlen Zimmer, den billigen Schreibheften und dem Bleistift, die auf dem Tischchen neben meinem schmalen Bett auf mich warteten. »Lächeln!«, flüsterte Cynth mir immer zu. »Oder willst du lieber nebenan bei dem Bestatter arbeiten?«

Ich ging nach hinten zu dem Schrank mit der Lagerware. Hierhin zog ich mich oft zurück. Er strömte einen scheußlichen Geruch nach Gummisohlen aus, aber in der Verfassung, in der ich mich mittlerweile befand, machte mir das nichts aus – am liebsten wäre ich ganz hineingekrochen und hätte stumm die Schuhschachteln angeheult.

»Moment, warten Sie!«, rief die Frau mir hinterher. Ich drehte mich nach ihr um, und da bückte sie sich, streifte einen ihrer abgewetzten Pumps ab, und zum Vorschein kam ein Fuß ohne Zehen. Ein fleischiger Stumpf ohne auch nur eine einzige Zehe dran auf dem verblichenen Teppichboden.

»Sehen Sie«, sagte sie kleinlaut und machte auch den anderen Fuß frei, der genauso aussah, »ich … ich stopfe sie vorn mit Papier aus, darum ist die Größe egal.«

Das war ein Anblick, den ich nie vergessen habe, diese Engländerin, die mir ihre Füße ohne Zehen vorführte. Ich glaube, damals war ich davon wahrscheinlich abgestoßen. Man sagt immer, junge Leute hätten noch wenig Erfahrung mit der Hässlichkeit und deswegen noch nicht gelernt, ihren Schock zu verbergen. Ich war eigentlich nicht mehr so jung damals, sechsundzwanzig. Und ich weiß nicht mehr, wie ich mich in dem Moment verhalten habe, aber ich erinnere mich, dass Cynth, als ich ihr auf dem Nachhauseweg zu unserer gemeinsamen Wohnung am Clapham Common davon erzählt habe, mit entzücktem Grauen aufschrie: »Huuuh, das Stummelfußungeheuer! Pass auf, Delly, die kommt dich holen!« Und dann fügte sie eher pragmatisch-optimistisch hinzu: »Na ja, wenigstens hat sie nie Probleme damit, passende Schuhe zu finden.«

Vielleicht war die Frau eine Hexe, die gekommen war, um mir anzukündigen, dass sich mein Leben grundlegend verändern sollte. Ich glaube es nicht, denn die eigentliche Botin war eine andere Frau, aber es ist doch so, als hätte jene Kundin mit ihrem Erscheinen einen makabren Schlusspunkt hinter ein Kapitel meines Lebens gesetzt. Hat sie in mir eine Verwundbarkeit erkannt, die ihrer eigenen verwandt war? Waren wir beide in einer Lage, in der wir keine andere Wahl hatten, als eine Lücke mit Papier zu füllen? Ich weiß es nicht. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass sie gar nichts weiter wollte als ein Paar neue Schuhe. Und trotzdem kommt sie mir immer, wenn ich an sie denke, wie ein Wesen aus einem Märchen vor, weil es genau jener Tag war, an dem sich alles verändert hat.

 

In den fünf Jahren davor, seit ich von Port of Spain nach England gekommen war, hatte ich mich um viele Stellen beworben, aber es war nie was draus geworden. Damals, als Cynth und ich das erste Mal mit dem Zug von Southampton in die Waterloo Station einfuhren, hatte Cynth die Kamine auf den Häusern noch für Fabrikschlote gehalten, die jede Menge Arbeit versprachen. Es hatte sich jedoch bald gezeigt, dass dieses Versprechen trügerisch war. Ich hatte mir oft sogar vorgestellt, bei Dolcis zu kündigen und mich bei einer der großen Zeitungen als Tea-girl zu bewerben. Zu Hause hätte ich nicht im Traum daran gedacht, anderen Leuten Tee und Sandwiches zu servieren, schließlich habe ich ein Hochschuldiplom, und Cynth hatte nur gesagt: »Jeder Volltrottel und Halbinvalide könnte diese Arbeit machen, und trotzdem würden sie dir den Job nicht geben, Odelle.«

Cynth, mit der ich zusammen zur Schule und dann nach England gegangen war, hatte in London zwei große Leidenschaften entwickelt: für Schuhe und für ihren Verlobten Samuel, den sie in unserer Kirchengemeinde kennengelernt hatte. (Sam erwies sich als großer Pluspunkt, denn außer ihm gab es dort nur jede Menge alte Tantchen, die andauernd von den guten alten Zeiten schwärmten.) Und weil sie ihn hatte, zerrte sie nicht so ungeduldig an den Seilen wie ich, was manchmal zu Streit zwischen uns führte. Wenn ich mal wieder darüber stöhnte, dass ich das nicht mehr aushielt, dass ich einfach nicht so war wie sie, sagte sie gern: »Ja, weil ich ein dummes Schaf bin und du so ungeheuer schlau!«

Ich hatte so oft auf Stellenanzeigen reagiert, die keinerlei Berufserfahrung forderten, und sogar die Leute am Telefon hatten nett geklungen, aber dann war ich dort aufgekreuzt, und prompt, Wunder über Wunder, war die Stelle jedes Mal schon vergeben. Und trotzdem – nennen Sie es Irrsinn, nennen Sie es Beharrlichkeit – habe ich mich immer weiter beworben. Beim letzten Mal, und das war das beste Jobangebot, das mir je begegnet ist, war es ein Posten als Schreibkraft beim Skelton Institute of Art. Ich war sogar schon mal dort gewesen – so ein Kasten mit Säulen und Vorhallen –, an einem der freien Samstage, die uns bei Dolcis einmal im Monat zustanden, und war durch die Säle mit Gainsboroughs und Chagalls und Aquatintaradierungen von William Blake gewandert. Auf der Heimfahrt nach Clapham schaute mich dann in der U-Bahn ein kleines Mädchen an, als wäre ich ein Gemälde. Sie streckte die Hand aus und rieb an meinem Ohrläppchen. »Geht die Farbe nicht ab?«, fragte sie ihre Mutter. Aber statt ihre Tochter zu tadeln, sah die eher so aus, als wäre sie der Meinung, dass die Frage nur das Ohrläppchen etwas anginge.

Ich hatte mich doch nicht all die Jahre für nichts und wieder nichts angestrengt, um einen erstklassigen Abschluss in Englischer Literatur an der University of the West Indies zu machen, und es mir dabei mit allen Jungs verdorben. Ich war doch nicht nach England gekommen, bloß um mir von einem kleinen Mädchen in der U-Bahn ins Ohr kneifen zu lassen. Zu Hause hatte mir das Britische Konsulat immerhin mal einen ersten Preis für mein Gedicht »Caribbean Spider-Lily« verliehen. Und tut mir leid, Cynth, aber ich hatte nicht die Absicht, bis an mein Lebensende verschwitzten Aschenputteln Schuhe an- und auszuziehen. Ja, natürlich habe ich geweint, vor allem nachts, wenn ich einsam und allein in meinem Bett lag, wenn sich das Begehren in mir staute. Ich schämte mich dafür, und doch gehörte es dazu. Ich hatte Wichtigeres vor mir, und dafür war ich bereit zu warten. In der Zwischenzeit schrieb ich Rachegedichte über das englische Wetter und log meiner Mutter vor, dass London das Himmelreich war.

 

Der Brief lag auf dem Fußabstreifer, als Cynth und ich an jenem Tag von Dolcis nach Hause kamen. Ich zog meine Schuhe aus und stand regungslos auf dem Flur. Der Poststempel war London W.1, der Mittelpunkt der Welt. Die viktorianischen Bodenfliesen waren kalt, meine Zehen krümmten sich auf dem blau-braunen Muster. Ich schob meinen Finger unter die Umschlagklappe, fuhr sie entlang und hob sie wie ein welkes Blatt aus dem Kuvert. Darin steckte ein Schreiben mit dem Briefkopf des Skelton Institute.

»Und?«, fragte Cynth.

Ich antwortete nicht. Einen Fingernagel in die florale Prägung der Tapete gedrückt, las ich schockiert, was da stand:

 

16. Juni 1967

Liebe Miss Bastien,

 

danke für Ihr Bewerbungsschreiben nebst Lebenslauf.

Aus den jeweils gegebenen Umständen, wie immer sie auch sein mögen, das Beste zu machen, ist alles, worauf wir Menschen hoffen können. Sie sind offensichtlich eine junge Frau mit großen Fähigkeiten, bestens für die Herausforderungen des Lebens gerüstet. Darum freue ich mich, Ihnen eine Woche Probearbeit als Schreibkraft anbieten zu können.

Es gibt viel zu lernen, und das meiste davon werden Sie alleine lernen müssen. Wenn Sie mein Angebot annehmen möchten, senden Sie mir bitte postwendend eine Nachricht. Das Anfangsgehalt beträgt £10 pro...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2018
Übersetzer Peter Knecht
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel The Muse
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1930er Jahre • 1960er Jahre • 20. Jahrhundert • Affäre • Andalusien • Der Distelfink • Die Magie der kleinen Dinge • Donna Tartt • England • Galerie • Geheimnis • Gemälde • insel taschenbuch 4704 • Intrigen • IT 4704 • IT4704 • Karibik • Kunst • Kunstgeschichte • Kunsthändler • Liebe • London • Lucinda Riley • Malaga • Malerei • Peggy Guggenheim • Porträt • Revolution • Schreiben • Spanien • Spanischer Bürgerkrieg • Swinging Sixties • Trinidad • Verrat
ISBN-10 3-458-75821-6 / 3458758216
ISBN-13 978-3-458-75821-1 / 9783458758211
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