Wieso Heimat, ich wohne zur Miete (eBook)

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2016 | 1. Auflage
248 Seiten
Haymon (Verlag)
978-3-7099-3713-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wieso Heimat, ich wohne zur Miete -  Selim Özdogan
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Freiburg-Istanbul und zurück Krishna Mustafa wird von Laura verlassen, weil er seine Identität noch nicht gefunden hat. Aber wer hat das schon? Doch Krishna lässt es auf einen Versuch ankommen. Kurz entschlossen tauscht er mit seinem türkischen Cousin das WG-Zimmer und zieht vorübergehend von Freiburg nach Istanbul. Über das Leben zwischen zwei Kulturen Auf der Suche nach seiner Identität, der verlorenen Liebe und guter Schokolade beginnt für Krishna in der Türkei eine unvergessliche Reise. Neugierig auf das Leben und stets leicht zu begeistern, taucht er in das turbulente und pulsierende Leben der Großstadt ein. Über seine Wurzeln weiß er ein halbes Jahr später zwar immer noch nicht mehr, dafür aber eine ganze Menge über die 'Türken' und die 'Deutschen', über Erdo?an und den Gezi-Park, über Moscheen und Starbucks, darüber, wie man mithilfe von Gebets-Apps zum guten Moslem und mithilfe des richtigen Haarschnitts zum Islamisten wird. Provokant, scharfsinnig und witzig: Spielerisch und berührend erzählt Selim Özdogan vom Leben zwischen zwei Welten. In leichtem Ton bringt er den Alltag in Istanbul aus zugleich deutscher und türkischer Sicht näher, schildert provokant, scharfsinnig und witzig die vermeintlichen Eigenheiten der 'Deutschen', der 'Türken' und all derjenigen, die zwischen den Kulturen leben. Ein grandios kluger und grandios komischer Roman über die Menschen mit ihren Sehnsüchten, ihren Vorstellungen und Vorurteilen, ihren Konflikten und Leidenschaften. Ein Roman über das Leben selbst. 'Man kann auch lachend ernsthaft sein. Selim Özdogan jedenfalls kann-Migration, Integration, Identität zwischen Deutschland und Türkei - so cool, poetisch und unterhaltsam hat davon noch niemand erzählt. Wir sollten ihm zuhören!' Faith Akin, Filmregisseur 'Özdogan versteht es, in unterschiedlichste Welten zu entführen, ohne dabei jemals unglaubwürdig zu wirken.' APA, Wolfgang Huber-Lang ****************************************************************** Leser*innenstimmen: 'Ein entlarvender und köstlich unterhaltsamer Blick auf Deutschland und die Türkei.' 'urkomisch, berührend und treffend beobachtet' ****************************************************************** Alle Bücher von Selim Özdogan erschienen bei Haymon: • Der Klang der Blicke • DZ • Wieso Heimat, ich wohne zur Miete • Wo noch Licht brennt

Selim Özdogan, Sohn türkischer Eltern, ist 1971 in Köln geboren, wo er heute noch lebt. Seit seinem Debüt 'Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist' hat er zahlreiche Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, zuletzt bei Haymon 'Der Klang der Blicke'. Geschichten (2012) und 'DZ'. Roman (2013). Die Idee zu seinem neuen Roman 'Wieso Heimat, ich wohne zur Miete' entstand während eines halbjährigen Schreibaufenthalts in Istanbul. www.selimoezdogan.de

Selim Özdogan, Sohn türkischer Eltern, ist 1971 in Köln geboren, wo er heute noch lebt. Seit seinem Debüt "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist" hat er zahlreiche Romane und Kurzgeschichten veröffentlicht, zuletzt bei Haymon "Der Klang der Blicke". Geschichten (2012) und "DZ". Roman (2013). Die Idee zu seinem neuen Roman "Wieso Heimat, ich wohne zur Miete" entstand während eines halbjährigen Schreibaufenthalts in Istanbul. www.selimoezdogan.de

Fünftes Kapitel, in dem Krishna Mustafa Yunus und Esra kennenlernt, die Geschichte ihres Pudding Shops hört und sich fragt, warum Liebeskummer und Laura mit L anfangen


Mein Vater ist heute Morgen an die Ägäis geflogen, um mal ein paar Wochen auszuspannen, wie er sagt. Wir werden uns erst sehen können, wenn er wieder zurück ist. Yunus und Esra kommen gerade von der Ägäis zurück, wo sie ein paar Tage mit Esras Eltern Urlaub gemacht haben.

Esra ist braungebrannt, aber man kann erkennen, dass sie von Natur aus dunkel ist, dunkler noch als ich. Ihre Augenbrauen sind gezupft, doch da sind so kleine Punkte, an denen man sieht, dass sie ziemlich dick sein müssen. Die Haare an ihren Armen sind lang und ihre Nase wirkt ein wenig zu groß für ihr Gesicht. Sie kommt aus Hatay, sagt aber, dass ihre Familie ursprünglich aus dem Iran stammt.

Yunus ist ein hellerer Typ mit lockigen Haaren und einem Flaum im Gesicht, der vielleicht ein Bart werden wollte, nun aber feststellen muss, dass sich seine Hoffnungen nie erfüllen werden. Er kommt aus Zonguldak an der Schwarzmeerküste.

Man fragt hier immer, woher jemand stammt, aus welcher Provinz die Familie kommt. Mein Vater lebt nun schon seit über 27 Jahren in Istanbul, mehr als die Hälfte seines Lebens, aber wenn er nach seiner Heimat gefragt wird, sagt er Kars. Und wenn man mich fragt, sage ich auch Kars, obwohl ich noch nie da war.

Yunus ist der andere Mitbewohner hier, Esra ist seine Freundin, und während der Ventilator die Luft dreht und dreht, ohne dass sie kühler wird, sitzen wir im Wohnzimmer und reden. Es ist etwas an den beiden, das schön ist und weh tut. Ich verstehe nicht warum, aber manchmal bekomme ich trotz der Hitze eine Gänsehaut, wenn ich die zwei ansehe, manchmal verknotet sich mein Magen, als wäre er ein Taschentuch, das mich an etwas erinnern möchte.

Als ich den beiden erzähle, wie ich bei Erdoğan war, fällt Esra fast von der Couch vor Lachen.

Aber so ist es ja, sagt sie, so viel Unterschied ist da nicht. Der Mann ist lustig. Warum sollten wir Bäume fällen wollen, wir haben genau drei Quadrillionen Bäume in diesem Land gepflanzt.

Das hat er wirklich gesagt, ergänzt Yunus.

Wer?

Recep Tayyip Erdoğan, der Präsident, der, der uns Çapulcu genannt hat, nicht Yılmaz Erdoğan, der auf der Zugfahrt von Ankara nach Hakkâri die Bäume entlang der Schienen gezählt hat.

Der, der uns zusammengebracht hat.

Yılmaz Erdoğan hat euch zusammengebracht?

Nein, RTE.

RTL? Ihr habt euch bei einer Fernsehsendung kennengelernt?

RTE. Recep Tayyip Erdoğan.

Der hat euch zusammengebracht?

Ja, sagt Yunus, wir sind diesem Mann Dank schuldig.

Ja, sagt Esra, wie sollte denn die Tochter eines Sufi-Derwisches, die in Tarabya wohnt, den Sohn eines Fischers kennenlernen, der in Mecidiyeköy ein Zimmer hat? Einen, der für die Arbeit am Rechner sitzt und in seiner Freizeit Candy Crush und GTA spielt? Wie sollte eine BWL-Studentin einen freien Programmierer kennenlernen, der eigentlich nur für Kundenbesuche und Beşiktaş-Spiele das Haus verlässt und sonst in seinem Rechner wohnt?

Wie? Weil ihr beide beim Präsidenten wart?

Gezi, sagt Yunus, das ging nur bei Gezi, da kamen alle zusammen. Junge, Alte, Kurden, Aleviten, Marxisten, Moslems, Schwule, Lesben, Hip-Hopper, Metaller, Rocker, Playstation-Zocker, Fußballfans, Studenten, Schüler, Gezi hat alle Grenzen aufgehoben, wir haben einfach alle zusammen geweint, weil die Polizei so rührend war, wir habe alle zusammen gelacht, wir sind zusammen weggelaufen, wir haben zusammen Rennie und Talcid genommen.

Rennie und Talcid?

Ja, gegen die Schmerzen vom Tränengas.

So werden wir unser Kind nennen, sagt Esra, wenn es ein Mädchen wird, Rennie, wenn es ein Junge wird, Talcid.

Du bist schwanger?

Nein. Das war ein Witz.

Ach so.

Was heißt achso?

Das ist so ein deutsches Wort, das man immer sagen kann.

Und wir sind uns auch nicht einig, sagt Yunus, wenn es ein Mädchen wird, möchte ich es Tazyık nennen, wenn es ein Junge wird, Toma.

Beide lachen.

Ich verstehe wieder nicht.

Kennst du Toma?

Nein, sage ich.

Toma, das ist die Abkürzung für Toplumsal Olaylara Müdahale Aracı, so heißen hier die Wasserwerfer, die sprühen Wasser mit viel Druck. Druck, tazyık, du kennst das Wort?

Ich nicke.

Toma, Toplumsal Olaylara Müdahale Aracı, zu Deutsch Interventionsfahrzeuge für gesellschaftliche Ereignisse. Das ist lustig. Als würde man Panzer Streitwagen für nicht verbale Auseinandersetzungen nennen.

Ihr habt euch im Tränengas kennengelernt?, frage ich. Das finde ich romantisch.

Ich war schon tagelang mit Toma beschäftigt, sagte Yunus, ich dachte, es wird etwas Ernstes mit uns, doch dann habe ich Esra im Park gesehen, wie sie Essen verteilt hat. Ich habe sie gesehen und dachte: Es gibt keine hässlichen Mädchen, es gibt nur zu wenig Tränengas.

Beide sehen mich an.

Er ist nicht von hier, sagt Esra, er versteht die Witze nicht.

Es ist über ein Jahr her, sagt Yunus, aber wir zitieren immer noch die Graffiti von damals. Hast du um Taksim herum mal gesehen, wie viele Wände grau überstrichen sind? Fast alle. Dort standen diese Sprüche, und wir werden sie später noch unseren Kindern erzählen. Gezi wird später mal als der Wendepunkt angesehen werden, weil wir dort das erste Mal Demokratie, Respekt und Brüderlichkeit gelebt haben, ohne Führer, ohne Dogmen, ohne Druck. Das erste Mal in der Geschichte dieses Landes.

Dort hat unsere Liebe ihren Anfang genommen, sagt Esra.

In einer Tomakratie, sagt Yunus.

Ich habe die Proteste letztes Jahr im Internet mitbekommen. Hase hat mich darauf aufmerksam gemacht. Aus dem Widerstand gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gezi-Park, der einzigen Grünfläche, die es in der Nähe von Taksim noch gibt, wurde eine riesige Bewegung, alle demonstrierten gegen die Regierung. Sonst interessiere ich mich nicht für solche Sachen, doch ich mochte die Energie, die ich dort sah. Ich habe mir viele Clips auf YouTube angesehen und die Hashtags auf Twitter verfolgt.

Esra und Yunus leben die Schwingungen von damals weiter, sie reiten immer noch auf der Welle des letzten Jahres, sie haben die Liebe herausgezogen und für sich bewahrt. Deswegen bekomme ich Gänsehaut. Deswegen verknotet sich mein Magen.

Laura habe ich auf einer Party angesprochen, weil ich auf Partys immer alle Frauen anspreche, die ich noch nicht kenne.

Krishna Mustafa, das ist aber ein schöner Name, hat sie gesagt.

Danke, den habe ich zum Geburtstag bekommen, habe ich geantwortet.

Dann hat sie gelacht, obwohl das die Wahrheit war. Wir haben keinen Pudding Shop und keinen Gezi-Park, wir haben nur ein Lachen, aber das ist doch auch ein guter Anfang.

Alles fängt mit A an. Das ist eine Wahrheit.

Laura mit ihren blonden Haaren, die von den Wurzeln bis zu den Spitzen gehen, Laura mit ihren Beinen, die so lang sind, dass sie bis zum Boden reichen, Laura mit ihren Brüsten, die genau in ihren BH reinpassen. Laura, die mit mir Memory spielte und Lego, mit der ich im Herbst aus Kastanien Tiere bastelte. Laura, die auch gerne Nudeln mit Ketchup isst und dabei fernsieht, Laura, mit der man Keiner darf den Boden berühren spielen konnte und Pippi Langstrumpf gucken (Tausende Male), anstatt in irgendeinen Arthouse-Film zu gehen, wo Kaffeetassen so lange gezeigt werden, bis ich einschlafe. Was lustig ist, Kaffeetassen zum Einschlafen, und wenn man aufwacht, hat man nichts verpasst. Aber Pippi Langstrumpf finde ich noch schöner.

Laura. Liebeskummer. Beides fängt mit L an. Warum? Hätte ich eine Elena finden sollen, Elena wie Ewigkeit? Oder eine Isabelle, die immer für mich da ist?

Alles fängt mit A an. Ich klappe meinen Rechner auf. Laura ist nicht online, das weiß ich, sie ist jetzt auf der Arbeit. Im Kindergarten. Ich klappe den Rechner wieder zu. Ich schreibe ihr auf WhatsApp, dass ich sie vermisse und dass ich gerne wieder mit ihr zusammen wäre. Dass ich in Istanbul bin und suche. Ich schreibe ihr, was ich ihr jetzt schon fünfmal so ähnlich geschrieben habe, ohne dass sie geantwortet hat.

Ich höre Yunus und Esra nebenan ins Yunus’ Zimmer lachen. Ich mache den Fernseher an. Auf dem Couchtisch liegt ein Buch mit Gedichten auf Türkisch und Deutsch, wahrscheinlich gehört es Emre. Ich lese die Seite, die ich aufs Geratewohl aufschlage.

Bist du denn fremd hierhergezogen –

Ach, warum weinst du, Nachtigall?

Und hast ermattet dich verflogen?

Ach, warum weinst du, Nachtigall?

Ach, wie so bitter klingt dein Flehen!

Neu lässt du meinen Schmerz erstehen!

Du möchtest deinen Freund wohl sehen?

Ach, warum weinst du, Nachtigall?

Ihr Augen, die im Schlafe ruhten,

Erwachend hebt ihr an zu bluten –

Mein Herz verbrennt in hellen Gluten –

Ach, warum weinst du, Nachtigall?

Ich schlage das Buch wieder zu und weine. Das letzte Mal habe ich geweint, als ich 15 war. Ich sollte kochen lernen, weil meine Mutter einen modernen Mann aus mir machen wollte. Ich wollte nicht. Sie redete wie immer viel, Worte wie Gleichberechtigung, tradierte Rollenverteilung, Machtgefälle, patriarchale Wertvorstellungen konnte man bei uns zu Hause fast jeden Tag hören. Es war falsch, dass Männer über Frauen bestimmten. Und deshalb war es richtig, dass eine Frau über einen Jungen bestimmte.

Das letzte Mal habe ich geweint, als ich 15 war und Zwiebeln...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2016
Verlagsort Innsbruck
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Deutschland • Erdogan • Erdoğan • Freiburg • Gezi-Park • Istanbul • Türkei • WG • Wohngemeinschaft
ISBN-10 3-7099-3713-2 / 3709937132
ISBN-13 978-3-7099-3713-6 / 9783709937136
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