101 Nacht (eBook)

Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums
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2012 | 1. Auflage
336 Seiten
Manesse (Verlag)
978-3-641-10098-8 (ISBN)

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101 Nacht
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Ein Juwel der arabischen Literatur!
Ein literarischer Sensationsfund: Die Arabistin Claudia Ott hat eine 800 Jahre alte Handschrift entdeckt - und damit ein gutes Dutzend funkelnagelneuer, bislang gänzlich unbekannter Schahrasad-Geschichten! Die betörende kleine Schwester von »1001 Nacht« feiert nun zweieinhalb Jahre nach dem Fund Weltpremiere. Eines der imposantesten Klassikerereignisse der letzten Jahrzehnte!

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.

Gott segne unseren Herrn und Gebieter Muhammad, seine Familie und seine Gefährten, und schenke ihnen Frieden.

Anfang des Buches mit der Geschichte von Hundertundeiner Nacht

Der Überlieferer dieser Geschichte erzählt:

Es war einmal ein König in Indien. Er herrschte mit Macht über sein Volk, genoss Ansehen unter seinen Zeitgenossen, lenkte die Geschicke seines Reiches wohl und war gerecht gegen seine Untertanen. Seine Gerechtigkeit beschirmte sie, und seine Güte umhüllte sie ganz.

Der König hielt jedes Jahr einen Festtag ab, an dem er das Volk mit Speisen und Getränken bewirtete. Wenn nun das Volk das Essen verzehrt und den Wein getrunken hatte und alle satt geworden waren, zog sich der König für eine Weile in seinen Palast zurück, um etwas später herrschaftlich geschmückt wieder vor sein Volk zu treten, eine Krone auf dem Haupt, zur Rechten und zur Linken seine Diener, und mit den prächtigsten Gewändern angetan. So zog er in den Thronsaal ein. Er ließ sich auf seinem Königsthron nieder, und auch seine Wesire und sein Hofstaat durften sich setzen. Nun pflegte der König nach einem Spiegel zu fragen, und dieser wurde vor ihn gestellt. Der König betrachtete darin sein Gesicht und fragte dann: ~ Kennt ihr irgendjemanden auf der Welt, der schöner ist als ich?

~ Aber nein, bei Gott! Einen solchen kennen wir nicht, pflegten sie zu antworten, und der König frohlockte und war zufrieden.

So verhielt es sich mit ihm, und so gefiel er sich selbst, bis eines Tages ein alter Scheich auf ihn zukam und ihn ansprach: ~ Hüte dich vor Eitelkeit, o König, solang noch Frauen Kinder kriegen. Ich habe alle Länder und Gegenden besucht, bin über Land gereist und über die Meere gefahren. In der Stadt Chorasân traf ich auf einen jungen Mann, einen von den Kaufmannssöhnen, der herzzerreißend schön ist und glänzt wie strahlendes Licht!

Er berichtet weiter:

~ Weißt du, was du da sagst, Alter?, ereiferte sich der König, als er das gehört hatte.

~ Ich sage nichts, als was ich selbst gesehen habe, mein Gebieter, entgegnete der Alte.

~ Wie kann ich es anfangen, fragte der König zurück, ~ diesen jungen Mann zu uns zu holen, um ihn mir ansehen und deinen Worten Glauben schenken zu können? Denn ich schwöre bei Gott, der allein würdig ist, verehrt zu werden: Ist er tatsächlich schöner als ich, wie du behauptest, so lasse ich dir Geld in Hülle und Fülle aushändigen und nehme dich zum Gesellschafter. Wenn es sich aber anders verhält, bekommst du meine Rache zu spüren!

~ Er wird nicht zu dir kommen, o König, gab der Alte zu bedenken, ~ außer für viel Geld, Geschenke und mit einer klugen List.

~ Das sollst du haben, entschied der König.

Und so befahl der König, die Schätze Indiens wie Perlen und Edelsteine, Moschus und Amber und alle anderen Kostbarkeiten, die für das Land Babel geeignet schienen, herbeizuschaffen. Nachdem das geschehen war, ließ er alles auf ein Schiff verladen, das eigens hierfür gebaut worden war, und Ausrüstung, Wegzehrung und Trinkwasser, so viel benötigt wurde, Matrosen und anderes mehr an Bord bringen. Sobald die Ladung vollständig war, bestieg der Scheich das Schiff und segelte mit seiner Mannschaft unter gutem Wind davon, bis Chorasân in Sicht kam. Sie fuhren in den Hafen ein und warfen die Anker aus. Der Scheich ging von Bord, lud seine Waren und Schätze ab und überließ das Schiff der Obhut eines seiner Männer. Dann mietete er Lasttiere, auf die er alles aufpackte, was er mitgebracht hatte, und zog in Richtung der Stadt Chorasân. Nachdem er in die Stadt gekommen war, mietete er eine Dachwohnung in einer Herberge. Dort bezog er Quartier und ruhte sich aus.

Drei Tage später ging der Scheich hinunter auf den Markt der Parfümhändler, um den Laden des hübschen Jünglings aufzusuchen. Dessen Name war Sahr al-Basatîn, das bedeutet: «Blüte der Gärten», Sohn des Abdallah Ibn Abinnûr. Gleich nach seiner Ankunft begrüßte ihn der Vater des Jungen und nahm ihm gegenüber Platz. Der Junge aber blickte dem Scheich direkt ins Gesicht. Er saß neben seinem Vater auf einer Matte aus Brokat. Um seinen Kopf war ein roter Turban geschlungen. Sein Antlitz funkelte perlenhell, wie der Dichter sagt – wenn ihr den Segen sprecht über unseren Herrn Muhammad, Gott segne ihn und schenke ihm Frieden! – So sagt der Dichter:

Lässt die Wange seinen Turban leuchten? Oder färbt der rote

Turban sein Gesicht?

Wie der Vollmond sind die beiden, welcher stehen blieb im letzten

Abendlicht.

Wenn der Junge aufsteht, wie der Vollmond aufgeht, oder wenn er

lächelt oder spricht,

Richten Herzen, Augen und Gemüter sich auf ihn und achten alles

and’re nicht.

Nachdem der Scheich eine Weile dort gesessen hatte, bot er ihm einige der Schätze als Geschenk an. Der alte Mann und sein Sohn freuten sich darüber, denn so etwas hatten sie in ihrem Land noch nie gesehen.

~ Mein Bruder, fing der Scheich nun an, ~ du musst wissen, dass ich aus keinem anderen Grund aus Indien zu dir gekommen bin als aus Freude über deine Zuneigung und weil ich so viel Gutes über dich gehört habe.

~ Gott segne dich, entgegnete der junge Chorasâner, ~ und verhelfe uns dazu, dass wir es dir zu Genüge vergelten und dir dein Recht verschaffen. So Gott will, werde ich dir in mancher Angelegenheit von Nutzen sein können.

Daraufhin sagte der Chorasâner zu einem seinem Diener etwas, das der Inder nicht verstand, und der Diener verschwand für eine Weile. Dann kam er zurück und redete mit seinem Herrn.

~ Ich möchte dir einen Vorschlag machen und bitte dich, ihn anzunehmen, um deiner Ehre und Güte willen, wandte sich der Scheich aus Chorasân nun an den Scheich aus Indien. ~ Was hältst du davon, dass du bei mir wohnen bleibst und wir einen festen Vertrag und dauerhaften Bund schließen?

Der Scheich gab sein Einverständnis und ging mit ihm zu seinem Wohnhaus.

Als sie an der Haustür eintrafen, kam ein Mädchen von unvergleichlichem Wuchs und unübertrefflicher Schönheit zu ihnen heraus. Sie öffnete ihnen die Tür und küsste ihre Hände.

~ Mache alles für uns zurecht, wies ihr Herr sie an, und sie verschwand für eine Weile. Dann betrat der Inder das Haus. Er sah, dass es wohl gebaut war und schöne Zimmer hatte. In den Zimmern standen Betten aus Elfenbein und Ebenholz, mit glänzendem Gold beschlagen. Die Fußböden der Zimmer waren mit Teppichen ausgelegt. Die beiden nahmen auf erhöhten Sitzstufen Platz, und der Scheich, der Hausherr, befahl seinem Sohn, sich zu dem alten indischen Kaufmann zu setzen.

Dann ließ er das Essen auftragen, und sie speisten zu dritt. Drei Tage lang blieb der Scheich aus Indien nun bei dem Scheich aus Chorasân, aß und trank, danach ließ ihn der Scheich ein Haus beziehen, das dem seinen gegenüberlag. Er richtete es mit dem nötigen Hausrat ein und schloss Freundschaft mit ihm. So eng verband er sich mit seinem Freund, dass er zwei Monate lang nicht mehr allein speisen wollte und ihm der Appetit des anderen fehlte, wenn der nicht mit ihm aß.

Der Scheich bot ihm inzwischen alles dar, was er aus Indien mitgebracht hatte. Eines Tages endlich sprach er ihn an: ~ Mein Bruder, warum schickst du nicht deinen Sohn mit mir nach Indien? Ich würde ihn mit dem König und den Kaufleuten bekannt machen. Er könnte in hohem Ansehen leben, wäre bei ihnen gut aufgehoben und würde zudem den Kaufmannsberuf erlernen. Er ist doch gewitzt genug für dieses Gewerbe und dazu geeignet.

~ Mein Herr, entgegnete der Chorasâner, ~ seine Hochzeit steht kurz bevor, und er kann nicht eher auf die Reise gehen, als bis er ein Jahr mit der ihm angetrauten Frau, seiner Cousine, verbracht hat. So lange könnte ich ja mit dir fahren!

~ Ich warte lieber ein Jahr lang auf ihn, gab der indische Scheich zurück und blieb am Orte wohnen, bis die erwähnte Frist verstrichen war.

Danach wandte sich der Chorasâner an seinen Sohn: ~ Mein lieber Sohn, nimm es nun auf dich, mit diesem Scheich nach Indien zu reisen. Du wirst dir dort das Kaufmannsgewerbe ansehen, außerdem Städte, Könige und Kaufleute kennenlernen.

~ Gewiss, willigte sein Sohn ein.

Und der Kaufmann packte für seinen Sohn alles, was dieser für seine Reise benötigte, stattete auch den indischen Scheich angemessen aus, mietete genügend Last- und Reittiere, und so zogen sie zum Stadttor hinaus. Auf einem nahe gelegenen Rastplatz machten sie halt. Dort verabschiedete sich sein Vater von ihm und kehrte heim.

Als Gott den nächsten, guten Morgen dämmern ließ, rüstete sich der indische Scheich zum Aufbruch von dem Rastplatz. Dem jungen Mann aber war etwas eingefallen, das er in seinem Haus vergessen hatte.

~ Nicht so eilig, mein Herr, wandte er sich an den Scheich, ~ bitte warte noch diesen einen Tag, bis ich zu dir zurückkomme. Denn ich habe zu Hause etwas vergessen.

~ Einverstanden, mein Lieber, entgegnete der Scheich, und der junge Mann kehrte zu seinem Haus zurück. Er fand die Haustür offen und trat in sein Schlafgemach. Dort war kein Laut zu hören. Er schaute hinüber zu seinem Bett – und was sah er da? Seine Cousine, und neben ihr einen Mann, der bei ihr schlief.

Bei diesem Anblick verlor er den Verstand. Er legte die Hand fest um das Heft seines Schwertes und schnitt den beiden die Köpfe ab. Dann zog er sie aus dem Bett in die Mitte des Hauses. Dort setzte er den Kopf des Schwarzen auf...

Erscheint lt. Verlag 11.10.2012
Übersetzer Claudia Ott
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Erzählungen • Geschenkausgabe • Geschichten • Klassiker • Märchen • Scheherazade • Tausendundeinenacht • Übersetzung
ISBN-10 3-641-10098-4 / 3641100984
ISBN-13 978-3-641-10098-8 / 9783641100988
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