Die neue Kindheitspädagogik -  Veronika Verbeek

Die neue Kindheitspädagogik (eBook)

Chancen, Risiken, Irrwege
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
196 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043641-1 (ISBN)
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Trotz pädagogischer Reformen in den letzten 20 Jahren mit dem Ziel der Verbesserung von Bildungsniveau und Chancengerechtigkeit in der Kindertagesstätte bleiben die Erfolge der neuen Kindheitspädagogik aus. Fehlt es nur an Kita-Plätzen und Personal oder ist es die neue inhaltlich-konzeptuelle Ausrichtung selbst, die wenig nützt oder vielleicht sogar schaden kann? Acht Leitkonzepte der neuen Kindheitspädagogik - Kita-Qualität, Akademisierung, professionelle Haltung, Kompetenzorientierung, Selbstbildung, Ressourcenorientierung, Partizipation und Diversity - werden auf Chancen, aber auch auf Mängel in der wissenschaftlichen Begründung oder pädagogischen Umsetzung untersucht. Der Band schließt mit einem Ausblick auf das Entwicklungspotential der Kindheitspädagogik.

Prof. Dr. Veronika Verbeek ist Psychologin, Bildungswissenschaftlerin, Fachschullehrerin und Hochschulprofessorin mit 30-jähriger Erfahrung in der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte.

Prof. Dr. Veronika Verbeek ist Psychologin, Bildungswissenschaftlerin, Fachschullehrerin und Hochschulprofessorin mit 30-jähriger Erfahrung in der Ausbildung pädagogischer Fachkräfte.

2 Kita-Qualität – Gütemaßstab oder Worthülse?


Bei einem neuen Thema in Unterricht und Lehre ist es hilfreich, Studierende nach ihrem Vorwissen zu fragen, so auch in Seminaren zur Kita-Qualität. Typisch sind die folgenden Antworten aus einer aktuellen Abfrage bei Studierenden, die an einem digitalen Campus sogar aus dem gesamten Bundesgebiet zusammenkommen und bereits mehr als eineinhalb Jahre in einer Kindertagesstätte tätig sind, weil sie dual studieren: »Noch nie davon in der Einrichtung gehört.« – »In unserer Einrichtung gab es das Thema bislang noch nicht.« – »Sehr geringes Vorwissen. Wir haben kein öffentlich zugängliches Dokument zu unserem Qualitätsmanagement, lediglich einige Regeln und Abläufe, an die wir uns halten sollen.« Antworten dieser Art fallen bei mehr als der Hälfte der Studierenden. Manche kommen an ihrer Arbeitsstelle mit Qualitätsthemen per Zufall in Berührung, ohne dabei aber ihre Beobachtungen einordnen zu können, weil sie nicht eingeführt wurden: »Wir überarbeiten gerade unser Qualitätshandbuch, ich kannte es bisher aber nicht.« – »An unserem Konzeptionstag haben wir über die Indikatoren gesprochen und ob wir die alle bei uns einhalten.« – »Ich habe davon auch noch nichts mitbekommen, außer, dass meine Chefin sich mal auf so einen Qualitätscheck in der Kita vorbereitet hat. Am nächsten Tag kamen dann welche vom Management und haben sich die Kita angeschaut und geprüft, wie alles läuft.« Selten hört es sich informiert an wie in der folgenden Äußerung: »Wir wurden frisch BETA-zertifiziert, von daher ist das Qualitätsmanagement in der Kita selbst bekannt.« In den vielen Jahren hat erst eine Studierende geantwortet: »An meinem ersten Arbeitstag hat mir die Leiterin das Qualitätshandbuch in die Hand gedrückt und gesagt, das solle ich mir durchlesen.«

Im folgenden Kapitel soll es um das Bestreben in Wissenschaft und Berufspraxis gehen, unter Nutzung des Begriffs ›Qualität‹ die Güte der Kindertagesbetreuung verbessern zu wollen.

Kontexte und Begriffe


In den 1990er Jahren entwickelte sich im sozialen Bereich, der bis dato nach wohlfahrtsorientierten Vorstellungen konzeptualisiert wurde, eine Orientierung an wirtschaftlichen Kriterien (Wendt, 2017). Mit dem Ziel einer organisationsbezogenen Effizienz- und Effektivitätsorientierung erreichten vor ca. 20 Jahren Strategien des Sozialmanagements die Kindertagesstätte. Schrittmacher eines wissenschaftsfundierten Qualitätsdiskurses waren die Forschungsarbeiten zur Kleinkindpädagogik um den Erziehungswissenschaftler Wolfgang Tietze. Ende der 1990er Jahre erzielten die Ergebnisse einer nur mittleren Qualität der Kindertagesbetreuung in Deutschland große Aufmerksamkeit (Tietze, 1998), die, weiter forciert durch die besorgniserregenden PISA-Ergebnisse, zu einer Bildungswelle mit Fokus auf Kindergarten und Krippe führte. In Kenntnis historischer Bezüge sei mit Berth (2015) herausgestellt, dass sich deutliche Parallelen zur ersten Bildungswelle in den 1970er Jahren auftun: Begründung mit einer Schulbildungsmisere, Fokus auf die Verbesserung der Kindertagesbetreuung und Konzeptualisierung des Kindergartens als Bildungsstätte, verbunden mit der Hoffnung, Bildungsdefizite von Grund auf beheben zu können. Allerdings sind einige Implikationen in den 2000ern anders als in den 1970ern: das Verständnis von Bildung, die Ausweitung auf sehr kleine Kinder und nicht zuletzt der hier interessierende Rekurs auf den Qualitätsbegriff.

Qualität kann als neutrale Beschreibungskategorie im Sinne einer »Gesamtheit von Eigenschaften eines Produktes oder einer Dienstleistung«, aber auch normativ in Bezug auf die »Erfüllung festgelegter Erfordernisse oder Ziele« (Soellner, 2022, o. S.) verstanden werden. Auf den Mediziner Avedis Donabedian geht die Unterscheidung in Struktur-‍, Prozess- und Ergebnisqualität zurück, die bereits in den 1960ern zur Bewertung medizinischer Leistungen eingeführt wurde (Donebedian, 2002). Der Aspekt Strukturqualität meint organisatorische, personelle und räumliche Rahmenbedingungen. Übertragen auf die Kindertagesstätte sind damit vielfältige Merkmale der Einrichtung gemeint: ihre Größe, die gewählte Gruppenstruktur und Altersmischung, das Vorliegen einer Konzeption, der Personalschlüssel und die Fachkraft-Kind-Relation, das Qualifizierungsniveau der Professionellen, die Lage der Einrichtung oder das Raumangebot bzw. verfügbares Beschäftigungsmaterial im Innen- und Außenbereich. Der Aspekt Prozessqualität bewertet dagegen die Güte der tatsächlich durchgeführten Aktivitäten oder Interaktionen, die sich zwischen Fachkraft und Kind abspielen oder von der Fachkraft für Kinder initiiert werden, adressieren also das einzelne Kind oder die Gruppe. Dabei kann es sich um allgemeine pädagogische Handlungen wie Essenssituationen oder Eingewöhnung, gleichermaßen aber auch um bildungsbereichsspezifische Aktivitäten wie z. B. Sprachbildung, Gesundheit oder Sozialkompetenz handeln. Prozessqualität bezieht sich meist auf das Kerngeschäft in der Kindertagesstätte, auf die pädagogische Arbeit mit Kindern, meint aber auch elternbezogene, teambezogene und Kooperationen betreffende Arbeitsprozesse, die letztendlich auf indirektem Wege der Förderung des Kindes zugutekommen. Der dritte Aspekt Ergebnisqualität fokussiert den erreichten und messbaren Outcome der institutionellen Kindertagesbetreuung, mit einem Konsens von am Kindeswohl orientierten Kriterien wie körperliche und psychische Gesundheit, eine altersgemäße Entwicklung sowie Lernkompetenzen im Übergang zur Bildung in der Schule, auch die Erwartung positiver Effekte auf Familien und eines gesellschaftlichen Nutzens werden artikuliert.

Im Rahmen der erwähnten Studien zur Kita-Qualität wurden weitere Qualitätsdimensionen eingeführt. Mit Orientierungsqualität werden Einstellungen, Ziele und Werte bezeichnet, die einrichtungsübergreifend über Kita-Bildungspläne transportiert werden oder für eine Einrichtung tragend sind, die in einem möglichen Leitbild verfasst werden und sich im pädagogischen Selbstverständnis und den Fördereinstellungen der pädagogischen Fachkräfte äußern. Mit Kontextqualität werden die externen Unterstützungssysteme über Fachberatung oder Fortbildung berücksichtigt (Tietze u. a., 2013; Viernickel, 2022b). Teamqualität beschreibt die Zufriedenheit mit den kollegialen Beziehungen und der Arbeitssituation (Becker-Stoll u. a., 2020). Wie schon bei Donebedian werden auch in der einschlägigen Kita-Forschung Struktur- und Orientierungsqualität sowie die verschiedentlich zwischengeschalteten anderen Qualitätsdimensionen als Bedingungen für Prozessqualität und diese wiederum als Bedingung für Ergebnisqualität angesehen.

Qualitätssicherung in der Kindertagesstätte


Schaut man auf die Berufspraxis in den Kindertagesstätten, dann haben sich Konzeptionsentwicklung und Qualitätsmanagement in den letzten 20 Jahren offiziell durchgesetzt und vielfältig ausgestaltet. Kita-Konzeptionen als Beschreibungen des Selbstverständnisses der einzelnen Einrichtung, der Handlungsmodelle, Programme und Vorhaben sind mittlerweile per Gesetzgebung vorgeschrieben und durch umfangreiche Bildungspläne in den Bundesländern inhaltlich vorstrukturiert. Ein Kita-Qualitätsmanagement sichert die Abstimmung der Qualifikationsziele einer Einrichtung mit den tatsächlichen Leistungen unter Einbezug von Prüfkriterien, die intern oder auch extern evaluiert werden. Mittlerweile wurden zahlreiche Zertifizierungsverfahren mit Qualifizierungsmaßnahmen für Auditor:innen etabliert, die entweder die Kindertagesstätte als Organisation betreffen (u. a. Das deutsche Kindergartensiegel von Pädquis, Evangelisches Gütesiegel BETA, Qualitätssiegel einzelner katholischer Bistümer, z. B. TRIQM) oder einzelne Entwicklungs- und Bildungsbereiche (u. a. Sprach-Kita, Bewegungskita, Ernährungskita), was dann wiederum der Außendarstellung von Kita-Förderschwerpunkten dient. Eine betriebswirtschaftlich ausgerichtete Organisationsentwicklung (z. B. Corporate Identity oder Design) sowie Marketing- und Fundraising-Strategien, die ebenfalls typisch für den Einzug von Sozialmanagement in die Kindertagesstätte sind, werden zunehmend umgesetzt (seit Längerem: Gestaltung der Homepage, seit Kurzem: einheitliche Kleidungsstücke der pädagogischen Fachkräfte, z. B. bei repräsentativen Terminen).

Sowohl in der wissenschaftlichen Erforschung als auch in der Umsetzung des Qualitätsmanagements in der Kindertagesstätte lassen sich Top-down- und Bottom-up-Prozesse unterscheiden. Besonders der Versuch, einen Nationalen Kriterienkatalog mit 20 Qualitätsbereichen zu etablieren, drückt das Bemühen aus, Qualitätsentwicklung normativ auszurichten (Tietze & Viernickel, 2016). Bei diesem als ›struktural-prozessural‹ bezeichneten Qualitätsmodell werden der gesetzliche Auftrag, politische Interessen und eine Expertise über Wohlbefinden, Entwicklungs- und...

Erscheint lt. Verlag 24.1.2024
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Bernd Ahrbeck, Karl-Heinz Dammer, Marion Felder, Anne Kirschner
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik
Schlagworte Kindertagesstätte • Kindertagesstättenpädagogik • Kompetenzorientierung • Qualität • Ressourcenorientierung
ISBN-10 3-17-043641-4 / 3170436414
ISBN-13 978-3-17-043641-1 / 9783170436411
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