Förderpläne entwickeln und umsetzen (eBook)
199 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61745-6 (ISBN)
Prof. Dr. Kerstin Popp lehrt Verhaltensgestörtenpädagogik an der Univ. Leipzig. Prof. Dr. Conny Melzer ist Professorin für Sonderpädagogische Grundlagen an der Univ. Köln. Dr. Andreas Methner ist Förderpädagoge und Abteilungsleiter der Ausgleichsklassen an der Schule am Südpark in Merseburg sowie zertifizierter Berater und Supervisor (WAB, SG und EAC).
Prof. Dr. Kerstin Popp lehrt Verhaltensgestörtenpädagogik an der Univ. Leipzig. Prof. Dr. Conny Melzer ist Professorin für Sonderpädagogische Grundlagen an der Univ. Köln. Dr. Andreas Methner ist Förderpädagoge und Abteilungsleiter der Ausgleichsklassen an der Schule am Südpark in Merseburg sowie zertifizierter Berater und Supervisor (WAB, SG und EAC).
1 Individuelle Förderung von Schülern
Begriff
Als Konsequenz aus den Ergebnissen der internationalen Schulleistungsvergleiche rückte der Terminus der „individuellen Förderung“ vermehrt in den Blickpunkt des Interesses, untermauert durch die Abkehr vom Prinzip möglichst homogener Lerngruppen. Der Begriff der Förderung weist dabei überwiegend positive Konnotationen auf und meint ein erfolgreiches pädagogisches Handeln ohne unerwünschte Nebenwirkungen (Arnold 2008, 14). Der Terminus der Förderung ist im wissenschaftlichen Diskurs umstritten (Vernooij 2006, 62ff). Aufgrund der vielfachen Verwendung wird er in dieser Arbeitshilfe jedoch zu Grunde gelegt, ohne die Debatte erneut aufzugreifen. Förderung kann als Oberbegriff für (pädagogische) Handlungen gesehen werden, die auf eine bestmögliche Erziehung und Bildung von Menschen ausgerichtet sind (Ricken 2008, 74). Individuell wird eine Förderung dann, wenn „der Erfolg der Förderung durch eine stetige individuelle Anpassung des Förderangebotes gewährleistet bzw. zu erreichen versucht wird“ (Graumann 2008, 21).
1.1 Förderplanung als eine Möglichkeit zur Realisierung individueller Förderung
Mit Hilfe von Förderplanarbeit kann eine stetige individuelle Anpassung der entsprechenden Fördermöglichkeiten und -angebote der Schule an den Einzelnen mit seinen individuellen Bedürfnissen und Problemlagen realisiert werden. Die Beachtung der Individualität des Einzelnen wird damit zum zentralen Qualitätskriterium von Förderplänen (→ Kap. 2.3).
individuelle Förderung und Förderplanung
Der Gedanke an individuelle Förderung ist nicht neu, schon immer waren Lehrkräfte bemüht, sich dem einzelnen Schüler mit all seinen Besonderheiten zuzuwenden und ihn im Prozess des Erwachsenwerdens und / oder in Lehrund Lernprozessen zu begleiten. Bis Anfang der 1960er Jahre wurde der Terminus der Förderung jedoch eher der Heil- und Sonderpädagogik zugeordnet, bevor er durch den Deutschen Bildungsrat 1973 auf andere Bereiche der Pädagogik ausgedehnt wurde. Mit dem KMK-Beschluss zur „sonderpädagogischen Förderung in den Schulen in der Bundesrepublik Deutschland“ von 1994 (Drave et al. 2000), der Transformierung des Begriffs „Sonderschulbedürftigkeit“ in den Begriff „sonderpädagogischen Förderbedarf“ und dem damit einhergehenden Wertewandel hin zur ressourcenorientierten Erziehung und Bildung wurde die Förderung ebenfalls zum Auftrag der Regelschule. Seit 2013 haben die meisten Länder den sprachlichen KMK-Vorschlag „Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung“ angenommen. Eine neue Dimension hat jedoch die Entschiedenheit, mit der auf individuelle Förderung gedrängt wird, erreicht. Die Forderung nach individueller Förderung wird von zahlreichen Seiten erhoben, was beispielsweise in Schulgesetzen, in einer Reihe von Erlassen der Bundesländer und in diversen Handreichungen deutlich wird. Beispielsweise wird die individuelle Förderung konkret im Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen direkt im ersten Paragraphen exponiert genannt. Dort heißt es:
„Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und sein Geschlecht ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung [...]“ (§1 Abs. 1 SchulG NRW).
neue Entwicklungen
Dabei wird das individuelle Fördern als Grundaufgabe des Lehrers gesehen. Nach Meyer ist es ein zentrales Kriterium guten Unterrichts (Meyer 2004, 17). Das Thema gewinnt auch in der täglichen Praxis an den Schulen zunehmend an Bedeutung: 75 % der Lehrkräfte in den Hauptschulen und Gymnasien sowie 50 % der Realschullehrkräfte in Deutschland bestätigen dies in einer Befragung von Kunze und Solzbacher (Solzbacher 2009, 28). Des Weiteren wird von den Befragten angegeben, dass 82 % der Hauptschulen, 80 % der Realschulen und 70 % der Gymnasien das Thema individuelle Förderung im Schulprogramm verankert haben (Solzbacher 2009, 30). Individuelle Förderung hat demnach nicht nur Konsequenzen für die pädagogische Praxis der Lehrkräfte, sondern ebenfalls für Schulentwicklung und Schulkonzeptarbeit.
Ziele
Das offensichtliche Ziel, das mit individueller Förderung verbunden wird, ist die Unterstützung des einzelnen Schülers. Eine detaillierte Aufschlüsselung von Zielen, welche mit Hilfe von individueller Förderung verwirklicht werden sollen, wird von Kunze (2009, 17) dargelegt. Die dabei genannten Ziele stehen sich teilweise komplementär, jedoch auch konträr gegenüber:
Die Umsetzung des Menschenrechts auf Bildung und freie Entfaltung der Persönlichkeit,
die Umsetzung des Rechts auf gesellschaftliche Teilhabe,
die Möglichkeit, junge Menschen auf die Anforderungen der Gesellschaft und / oder Wirtschaft vorzubereiten,
die Realisierung eines Weges, mit dem alle Schüler die in den Bildungsstandards formulierten Ziele erreichen können,
die Stärkung der Eigenheiten auf Seiten der Schüler,
die Verbesserung von Selektionsentscheidungen,
die Ermöglichung von Integration,
die Minimierung von Heterogenität in Lerngruppen,
die Zunahme von Heterogenität in Lerngruppen,
die dauerhafte Umstrukturierung des Systems Schule, da individuelle Förderung gravierende Einschnitte in übliche Organisations- und Arbeitsweisen bedeutet,
die Ermöglichung eines Ausgleichs vorhandener Benachteiligungen und die Prävention künftiger Nachteile.
individuelle Förderung als Metapher
Auf Grundlage der großen Bandbreite von Zielen, welche mit der individuellen Förderung von Schülern verbunden sind, hat der Begriff nach Hillenbrand eher den Charakter einer Metapher als den eines Fachbegriffes (Hillenbrand 2003, 25). Die Vorstellung über die Intention, die Realisierung und die Evaluation von individueller Förderung hängt von den beteiligten Akteuren ab. In der bereits erwähnten Umfrage von Kunze und Solzbacher wurde offensichtlich, dass Lehrer keine einheitliche Vorstellung über Definition und Zielsetzung von individueller Förderung haben und trotz positiver Resonanz nur gelegentlich auf Instrumente und Maßnahmen der individuellen Förderung zurückgreifen (Solzbacher 2009, 28f).
Qualitätssicherung der Förderung
Der Umstand, dass Pädagogen ihre eigene Kompetenz im Umgang mit individueller Förderung im Vergleich zu den Kollegen immer schlechter einschätzen (Solzbacher 2009, 31), könnte ein Indiz für die Unsicherheit im Umgang mit individueller Förderung sein. In Kap. 3 werden zwei erprobte und umsetzbare Verfahren zur Erstellung und Fortschreibung von individuellen Förderplänen zur Verfügung gestellt, die (zumindest) diese Unsicherheit minimieren können. Die Planung und Vorbereitung einer individuellen Förderung konkretisiert sich in individuellen Förderplänen, mit denen eine Förderung vorbereitet wird. Dabei wird versucht, die Kluft zwischen dem nicht erwünschten Ist-Zustand und dem erwünschten Soll-Zustand zu minimieren (Mutzeck 2008b, 160). Förderplanung kann dabei helfen, individuelle Lernprozesse zu strukturieren, zu koordinieren und zu dokumentieren (Höhmann 2006, 20). Im Zuge dessen erhielt der Förderplan im Jahr 2008 vom Verband Sonderpädagogik e. V. das Prädikat „zentrales Instrument der Qualitätssicherung sonderpädagogischer Förderung“ (vds e. V. 2008, 47).
Verbindlichkeit
Trotz der relativ kurzen Geschichte der Förderplanung in Deutschland ist der Förderplan mittlerweile in fast allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland und in Europa zumindest in den Verordnungen und Erlassen selbstverständlich geworden (Pluhar 2003). Exempli causa ist in Nordrhein-Westfalen die Förderplanung in der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung (AO-SF) in der Fassung vom 01.07.2016 geregelt. Der Förderplan wird sowohl bei einzelnen Förderschwerpunkten und im Hinblick auf die Leistungsbewertung benannt als auch in den allgemeinen Bestimmungen für alle Bildungsgänge:
„Die Lehrkräfte, die die Schülerin oder den Schüler unterrichten, erstellen nach Beratung mit allen anderen an der Förderung beteiligten Personen einen individuellen Förderplan. Sie überprüfen ihn regelmäßig und schreiben ihn fort. Die Sätze 1 und 2 gelten auch dann, wenn eine Schülerin oder ein Schüler sonderpädagogisch gefördert wird, ohne dass ein förmliches Verfahren [...] durchgeführt worden ist.“ (§ 21 Abs. 7 AO-SF)
Trotz der Verbindlichkeit und des hohen Stellenwertes in der Pädagogik ist der Förderplan kein Garant für individuelle Förderung. Er kann jedoch, wenn er zentralen Qualitätskriterien folgt, eine individuelle Förderung ermöglichen und Lehrkräften eine Hilfestellung bei der Umsetzung sein (→ Kap. 2.3).
1.2 Förderplanung im Kontext von Unterricht, Förderung, Diagnostik und Evaluation
Förderplanung kann nicht losgelöst von anderen pädagogischen Aufgabenfeldern gesehen werden, sondern steht mit diesen in einem direkten Zusammenhang (Mutzeck / Melzer 2007, 206). Förderplanung muss in der Synopse zu Unterricht, Förderung, Diagnostik und Evaluation betrachtet werden. Im Folgenden werden die Zusammenhänge zwischen diesen Elementen dargestellt. Dabei wird jeweils darauf eingegangen, welches Element auf der zeitlichen Dimension vor- oder nachgeordnet bzw. auf der Bedeutungsdimension über- oder untergeordnet ist.
Unterricht und Förderung
Unterricht und Förderung besitzen im schulischen Kontext...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2023 |
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Zusatzinfo | 21 Abb. 13 Tab. |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sonder-, Heil- und Förderpädagogik |
Schlagworte | Fördermaßnahmen • Förderplan • Förderplanung • Förderung • Hochbegabung • Inklusion • KEFF • Kooperative Erstellung und Fortschreibung individueller Förderpläne • Lehrer • Maßnahmenalphabet • Methoden • Schule • Screening für Verhaltensauffälligkeiten im Schulbereich • Sonderpädagogischer Förderbedarf • SVS • Verhaltensauffälligkeiten |
ISBN-10 | 3-497-61745-8 / 3497617458 |
ISBN-13 | 978-3-497-61745-6 / 9783497617456 |
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