FintmaL Sprache (eBook)

Förderkonzept zum interaktiven mathematischen Lernen für Kinder mit Spracherwerbsstörungen (1. Kl.) - Manual
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
137 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61389-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

FintmaL Sprache -  Anja Schröder
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Kinder mit Umschriebenen Spracherwerbsstörungen (USES) haben Probleme mit dem Spracherwerb, während die allgemeine Entwicklung unauffällig ist. Ihre Matheleistungen sind dennoch schlechter als die altersgleicher Kinder mit unauffälliger Sprachentwicklung. Daher benötigen diese Kinder eine spezielle Intervention. Das evaluierte Konzept 'FintmaL Sprache' ist spezifisch für die Förderbedarfe von Kindern mit USES im frühen mathematischen Lernen entwickelt worden. Einzigartig ist an diesem Konzept, dass nicht nur die arithmetischen Kompetenzen gefördert werden wie Mengen bilden, Zählen, Mengen zerlegen und Mengen vergleichen, sondern auch die Diskursfähigkeiten. Denn mathematisches Lernen findet in Interaktion statt. Die Kinder arbeiten zusätzlich mit dem ansprechend gestalteten Arbeitsheft.

Dr. phil. Anja Schröder, Erzieherin, Sonderpädagogin, unterrichtet an der Städtischen Förderschule Gelsenkirchen mit dem Schwerpunkt Sprache und ist seit über 10 Jahren an verschiedenen Hochschulen / Universitäten im Fachgebiet Sprachbehindertenpädagogik tätig.

Dr. phil. Anja Schröder, Erzieherin, Sonderpädagogin, unterrichtet an der Städtischen Förderschule Gelsenkirchen mit dem Schwerpunkt Sprache und ist seit über 10 Jahren an verschiedenen Hochschulen / Universitäten im Fachgebiet Sprachbehindertenpädagogik tätig.

1 Mathematisches und sprachliches Lernen

Mit dem Förderkonzept FintmaL Sprache wird das frühe mathematische Lernen, genauer das arithmetische Lernen in den Bereichen Zählen sowie Zahl- und Mengenbeziehungen, fokussiert. Da dieses Konzept spezifisch für Kinder mit Spracherwerbsstörungen entwickelt wurde, ist es notwendig, zunächst die Beziehung zwischen sprachlichem und mathematischem Lernen zu fokussieren und einige linguistische und mathematische Grundbegriffe zu klären.

Grundsätzlich werden mathematisches und sprachliches Lernen mittlerweile längst nicht mehr als zwei getrennte Domänen gesehen, sondern eher als zwei Seiten einer Medaille (Schröder 2014). Damit ist die Frage nicht mehr ob, sondern wie sprachliches und mathematisches Lernen zusammenhängen können. Die Beantwortung dieser Frage soll auf zweierlei Weisen erfolgen, zum einen durch die Betrachtung der Funktion der Sprache für das mathematische Lernen (Kap. 1.1) und zum anderen durch die Betrachtung der Beteiligung von Sprache im Entwicklungsverlauf arithmetischer Basiskompetenzen (Kap. 1.2). Denn die arithmetischen Kompetenzen, die besonders eng mit sprachlichen Fähigkeiten verbunden sind, können für Kinder mit Spracherwerbsstörungen besonders schwer zu erwerben sein (Kap. 2), sodass diese Kompetenzen im Förderkonzept eine besondere Berücksichtigung finden müssen.

1.1 Funktionen von Sprache für mathematisches Lernen

Der Sprache können für die mathematische Denk- und Wissensentwicklung grundsätzlich verschiedene Funktionen zugeordnet werden. Im Fokus steht dabei immer die sprachliche Interaktion über ein bestimmtes mathematisches Phänomen. Mit der Perspektive auf eine spezifisch sprachliche Förderung kann der Sprache eine Vermittlungsfunktion, eine Erwerbsfunktion und eine Speicherfunktion zugeschrieben werden (Abb. 1). Die Erwerbsfunktion von Sprache für die Aneignung numerischer Basiskompetenzen (wie Zählen und die präzise Anzahlbestimmung) ist darin zu sehen, dass der symbolische Gebrauch von Sprache auch den symbolischen Gebrauch von Zahlen in Relation zum Zahlkonzept vorantreibt. Des Weiteren hat Sprache eine wichtige Vermittlungsfunktion. So sieht Krummheuer (2011) die Funktion von Sprache für die mathematische Denkentwicklung in der Partizipation an mathematischen Diskursen. Nührenbörger und Steinbring (2010) gehen noch einen Schritt weiter und erklären die Funktion von Sprache als eine epistemologische, weil sie davon ausgehen, dass nur durch die sprachliche Interaktion mit anderen MitschülerInnen und der Lehrperson eigene mathematische Konzepte aufgebaut, neu strukturiert und erweitert werden können. Damit ist die Teilnahme an mathematischen Interaktionen zunächst die Voraussetzung. Mit der Nutzung von Sprache werden darüber hinaus neue Erkenntnisse aufgebaut bzw. die eigenen Vorstellungen mit denen anderer Kinder und der Lehrperson abgeglichen. Dies ist ein essentieller weiterer Schritt für den Aufbau mathematischen Wissens. Dabei ist Sprache das Mittel um Verstehen und Verständigung über diese subjektiven Vorstellungen überhaupt erst herstellen zu können. Auch bei einer oberflächlich betrachtet gleichen Begriffsverwendung in Lehrer- und SchülerInnenäußerungen muss noch längst nicht immer dieselbe Bedeutung intendiert worden sein. Deshalb ist davor zu warnen, bei einer Fachwortverwendung in Schüleräußerungen vorschnell auf ein tieferes Verstehen bei den SchülerInnen zu schließen. Missverständnisse könnten so vorprogrammiert sein (Bauersfeld 2002).

Schließlich wird die Funktion von Sprache für das Lösen mathematischer Aufgabenstellungen auch darin gesehen, dass mit der Lösung zugleich eine Bearbeitung sozialer Erwartungen erfolgt. Diese sozialen Erwartungen gilt es, sprachlich mittels Interaktionen auszuhandeln (Voigt 1984). So gibt es beispielsweise klare Konventionen darüber, wie die Zahlwortreihe aufgebaut ist, wie Rechenverfahren anzuwenden sind usw. Die soziale Erwartung ist demnach, diese Konventionen zu kennen und einzuhalten.

Zudem kommt Sprache eine wichtige Speicherfunktion zu, weil mentale Repräsentationen zu Zahlenwissen u. a. sprachgebunden sind. Ein neurokognitives Erklärungsmodell liefert Dehaene (1992). Anhand des Triple-Code-Modells verdeutlicht er, dass Zahlen im Gehirn in verschiedenen Formaten gespeichert sind (Notationssystem, linguistisches Zahlwort und imaginäre Vorstellung von Mengen und Größen). Für erfolgreiches Rechnen ist die Integration dieser Formate wesentlich. Aus neurobiologischer Perspektive zeigt sich die Verbindung zwischen der Verarbeitung von Sprache und Mathematik darin, dass die Fähigkeiten, Zahlen zu lesen und zu schreiben, der Aufbau mentaler Repräsentationen zu Mengen und Zahlen sowie die Ausführung mentaler Arithmetik genauso wie die Verarbeitung von Sprache linkshemisphärisch verortet sind (Schröder / Ritterfeld 2014).

Abb. 1: Funktionen von Sprache für mathematisches Lernen

In all diesen Erklärungen zu Funktionen von Sprache im mathematischen Lernen wird deutlich, dass Sprache nicht (nur) auf Wort- oder Satzebene eingesetzt wird, sondern ganz wesentlich für Interaktionen erforderlich ist. Durch diese Interaktionen wird es Lernenden möglich, sich die Kultur des Mathematikunterrichts zu erschließen mit den zu ihr gehörenden Ritualen, Normen und Zeichen (Steinbring / Nührenbörger 2010). Bezogen auf den Erwerb früher arithmetischer Kompetenzen sind damit z. B. Zahlzeichen und das entsprechende linguistische Zahlwort gemeint, aber auch Zählhandlungen und Zählprinzipien. Dabei muss die Bedeutung der Symbole interaktiv hergestellt werden.

Die Interaktionen werden also von mehreren Beteiligten (SchülerInnen und Lehrperson) gemeinsam aufgebaut. Damit sind strukturell betrachtet mehrere aufeinander bezogene sprachliche Äußerungen nacheinander notwendig, sodass eine Einheit entsteht, die über die Satzebene hinausgeht. Das heißt, es handelt sich um Diskurse (zur Definition von Diskursen siehe Kap. 3).

Zum anderen zeigt sich aber auch, dass für eine präzise, konventionalisierte und damit verständliche Beschreibung eines mathematischen Phänomens eine treffende Fachwortverwendung notwendig ist. Damit werden hier bereits zwei wesentliche sprachliche Bereiche (Wortsemantik und Diskurs) herausgestellt. Auf die mit ihnen verbundenen besonderen Herausforderungen für Kinder mit Umschriebenen Spracherwerbsstörungen wird in Kap. 2 näher eingegangen.

1.2Rolle der Sprache in der Entwicklung arithmetischer Basiskompetenzen

Die Entwicklung arithmetischer Basiskompetenzen beschreibt Krajewski (2008) mithilfe eines empirisch abgesicherten Entwicklungsmodells, das einschlägige Modelle zur Entwicklung früher Mengen- und Zahlkonzepte integriert (Resnick 1989; Fuson 1988; Piaget 1973). Ihr Modell umfasst drei Kompetenzebenen (Tab. 1).

Kompetenzebene 1: Diese umfasst die Ausbildung numerischer Basisfertigkeiten. Auf dieser Ebene entwickeln sich die Fähigkeiten zum Erkennen von Mengen und zum Zählen noch völlig unabhängig voneinander. Kinder kommen bereits mit der Fähigkeit auf die Welt, Mengen zu unterscheiden, wobei diese Unterscheidungsfähigkeit allerdings noch sehr unpräzise entwickelt ist, d. h. sie können Mengen durch Subitzing und aufgrund ihrer räumlichen Ausdehnung unterscheiden sowie eine Veränderung der Mengen wahrnehmen. Da sie dies bereits im Alter von nur wenigen Wochen können, sind diese Fähigkeiten nicht mit Sprache verbunden und auch der Erwerb ist nicht abhängig von Sprache. Mit der Entwicklung der Sprache können Kinder allerdings die Unterscheidung der Mengen sprachlich verdeutlichen als „mehr“, „weniger“, „viel“ oder „wenig“. Damit wird die eigene Wahrnehmung kommunizierbar mit anderen.

DEFINITION

Subitizing (auch Simultanerfassung) meint die simultane „Erfassung der Anzahl von Elementen einer Menge auf einen Blick (in der Regel gelingt das bei Mengen bis zu 4 Elementen)“ (Grüßing et al. 2007, 55).

Mengenvergleich meint „das Vergleichen von Objekten nach quantitativen (z. B. Anzahl) und qualitativen (z. B. Farbe) Merkmalen; wichtig ist hierzu das Ausbilden von Begriffen, die mathematische Ordnungsrelationen beschreiben (z. B. mehr, höher, die meisten etc.)“ (Grüßing et al. 2007, 55).

Die Zählfähigkeiten werden zunächst völlig unabhängig von diesem Mengenkonzept erworben. Somit ist das Zählen in dieser Kompetenzebene noch ein reines Aufsagen der Zahlwortreihe ohne eine Verbindung zu einer Menge, also ohne z. B. eine Menge abzuzählen und damit die Anzahl bestimmen zu wollen. Erste Zahlwörter erwerben Kinder im Alter von ca. zwei Jahren (Krajweski 2008). Hier wird die Verbindung zum sprachlichen Lernen, genauer dem Wortlernen, besonders augenfällig. Allerdings ist zu beachten, dass das Erlernen mathematischer Begriffe sich von dem Erlernen von Alltagsbegriffen unterscheidet (Kap. 3).

DEFINITION

Verbales Zählen bedeutet „Die Zahlwortreihe wird aufgesagt wie ein Gedicht, sie ist noch nicht strukturiert und kann noch nicht zum Zählen eingesetzt werden; die Zahlwörter sind noch nicht auf Mengen bezogen und werden z. T. noch nicht unterschieden“ (Grüßing et al. 2007, 55).

Kompetenzebene 2: Diese umfasst den Erwerb einer Mengenbewusstheit von Zahlen. Dazu wird die Ebene in zwei Phasen eingeteilt: In die erste Phase von...

Erscheint lt. Verlag 26.10.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sonder-, Heil- und Förderpädagogik
Schlagworte Arbeitsheft • arithmetische Kompetenz • Diskursfähigkeit • Erste Klasse • Grundschule • interaktiv • Kind • Manual • Mathematikdidaktik • Mathematische Förderung • Sprache • Spracherwerbsstörungen • uses
ISBN-10 3-497-61389-4 / 3497613894
ISBN-13 978-3-497-61389-2 / 9783497613892
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