Von Anekdote bis Wundergeschichte (eBook)
240 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-03667-6 (ISBN)
Menschen sprechen auf verschiedenste Weisen von Gott. Ob in Gebet, Bibeltext oder Witz: Nur wer die Gattung beachtet, versteht die Aussage. Dieses Arbeitsbuch erläutert 24 Textsorten durch Beispiel, Definition und Merkmale. Übungen, Lösungstipps und ein Glossar der Fachbegriffe machen es zu einem hilfreichen Begleiter für Lehrkräfte und SchülerInnen der Oberstufe.
Josef Epping, geb. 1955, ist Studiendirektor, er unterrichtet Katholische Religionslehre und Deutsch am Gymnasium. Er ist Ausbilder am Studienseminar für Lehrämter an Schulen, Arnsberg.
Was Sprachformen für unsere Verständigung bedeuten
Ron möchte Julia eine besondere Liebeserklärung machen. Aber wie? Verschiedene Möglichkeiten gehen ihm durch den Kopf. Er könnte ihr eine SMS schicken. Das wäre ein normaler Weg, eine Botschaft zu schicken, aber es kommt ihm für den besonderen Zweck doch recht dürftig und wenig originell vor. Außerdem würde seine Herzensangelegenheit dann mitten zwischen den belanglosen Botschaften von Julias Freundinnen und Bekannten ankommen. Wie wäre es stattdessen mit einem richtigen Liebesbrief? Er weiß nicht genau, ob er so viele Worte machen könnte, dass ein ganzer Brief damit gefüllt wäre. Und fände Julia das besonders romantisch - oder würde sie ihn nicht im Gegenteil für einen spießigen Typen halten? Etwas Besonderes müsste es schon sein. Ron fällt ein, dass er an Straßen manchmal Liebeserklärungen gesehen hat, die jemand auf einen Brückenpfeiler oder eine Wand gesprüht hat, 'Sandra, ich liebe dich bis zum Mond und wieder zurück' oder so etwas. Julia geht doch jeden Morgen auf dem Weg zur Schule an dem leer stehenden Schuppen vorbei; da gäbe es schon eine passende Wand ... Aber eigentlich findet Ron es blöd, wenn Wände besprüht werden, und Julia wüsste dann ja auch nicht, von wem der Spruch dort hingesprüht worden ist. Seinen Namen dazuzuschreiben, das wäre ihm zu viel Öffentlichkeit. Es gibt doch diese 'Fröhlichen-Guten-Tag-Anzeigen' in der Zeitung, denkt er, da könnte Julia es morgens beim Frühstück lesen, und er könnte in den Text eine Anspielung einbauen, damit nur sie weiß, von wem die Anzeige kommt. Würde ihr das gefallen oder fände sie es albern und peinlich? Ron experimentiert gerne am Computer. Er könnte ihr eine Video-Animation per Mail schicken. Aber dann bräuchte er eine kreative Idee, etwas ganz Pfiffiges - und im Moment fällt ihm gerade nichts ein ...
Wir wollen hier nicht verraten, wozu Ron sich schließlich entschieden hat, das ist seine ganz persönliche Sache. Aber wir können an diesem Beispiel erkennen, dass die Form, in die man eine Botschaft kleidet, keineswegs belanglos ist. Ron muss sich Gedanken machen, ob sie zum Inhalt seiner Botschaft passt (ob ihm z.B. so viel einfallen würde, dass ein Brief mit seinen Liebesworten gefüllt werden könnte), ob die Form zu ihm selber passt (das Graffito würde das z.B. nicht tun) und wie die Botschaft auf Julia wirken würde (spießig, peinlich ...).
Damit wird ein einfaches Kommunikationsmodell sichtbar: mit Ron als 'Sender', Julia als 'Empfängerin' und der Liebeserklärung als 'Botschaft'. Die Form, die Ron wählt, hat Konsequenzen; sie kann in der Kommunikation mit Julia als Hilfe verstanden werden:
• Sie hilft dem Sender, sich auszudrücken. Ron weiß beispielsweise, dass die 'Fröhlichen-Guten-Tag-Anzeige' eher eine humorvolle Ausdrucksweise verlangt. Sehr ernsthafte Gedanken wird er sich also bei dieser Form verkneifen.
• Sie hilft dem Empfänger, den Sender zu verstehen. So könnte Julia verstehen (wenn sie erfahren hat, dass Ron der Urheber ist), warum er das Graffito nicht mit seinem Namen versehen hat.
• Sie gibt zusätzliche Informationen. An der Video-Animation könnte man erkennen, dass Ron auch seine besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten (am Computer) für die Liebe zu Julia einsetzt.
Damit die Form einer Botschaft als Verstehenshilfe dienen kann, muss sie konventionell (gebräuchlich) sein, d.h. Sender und Empfänger müssen sie kennen. Würde Julia (es ist schwer, sich das vorzustellen, aber versuchen wir es) überhaupt keine persönlichen Briefe kennen, sondern nur Werbepost von Firmen und Bettelbriefe von Hilfsorganisationen, wäre sie von Rons Brief wohl sehr verwirrt und würde ihn wahrscheinlich nach dem ersten Eindruck wegwerfen.
Die Formen, in denen Menschen kommunizieren, haben ihre Geschichte. Im 18. oder 19. Jahrhundert hätte Ron wohl ganz selbstverständlich zum Liebesbrief gegriffen. Das war die große Zeit einer Kultur des Briefeschreibens; das 18. Jahrhundert wird sogar das 'Jahrhundert der Briefe' genannt. Heute verschiebt sich die Kommunikation auf 'schnellere' Formen (ohne dass alte Formen damit völlig überholt wären), z.B. SMS oder E-Mail. Der Wandel der Textformen hat aber nicht nur technische Gründe. Schreiber (oder Sprecher) können nämlich bewusst auf die vorhandenen Formen reagieren und sie verändern und weiterentwickeln. Ron könnte beispielsweise, statt eine Wand zu besprühen, seine Liebeserklärung mit Straßenkreide auf Julias Weg schreiben und nach jedem Regen den Text verändern. Wenn sich diese Form einbürgern würde, käme sicher irgendwann jemand auf die Idee, auch diese wieder zu verändern.
Sprachform und Aussage (der Inhalt) sollten im Normalfall zueinander passen. Also wird man eine Liebeserklärung nicht in die Form eines Kochrezeptes fassen. Aber der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt; man könnte daher bewusst die 'unpassende' Form wählen und vielleicht lustige Effekte erzielen. Auch das verweist auf die Veränderbarkeit von Formen und die Freiheit, mit ihnen umzugehen.
Was Sprachformen für das Reden von Gott bedeuten
Wenn Menschen von Gott reden, greifen sie auf sprachliche Formen zurück. Auch hier helfen diese Formen, sich auszudrücken und verständliche Sätze über ihn zu 'formulieren. Vor allem aus zwei Gründen sollte man sich mit ihnen auseinandersetzen:
a) Der erste Grund liegt in Gott selbst begründet. Wenn er sich den Menschen mitteilen will, geschieht das in der Sprache der Menschen. Gott als die 'Wirklichkeit, die unser Denken weit übersteigt', übersteigt aber jede menschliche Sprachform, und nur die Vielfalt der sprachlichen Zugänge kann ein wenig von seiner göttlichen Fülle widerspiegeln. Schon in der Bibel gibt es einen kaum übersehbaren Reichtum an sprachlichen Formen: betende, erzählende, poetische, lehrhafte, juristische, bekenntnishafte ... Und das setzt sich in der Glaubensgeschichte fort. 'Wenn die Verständigungsgemeinschaft [der Glaubenden] neue Erfahrungen macht und ausdrückt, wenn neue Probleme geklärt und bearbeitet werden, wird die Sprache fortwährend erprobt und erweitert'; auch das Sprechen vom Geheimnis Gottes erweitert sich so.
b) Wenn man diese 'Weisen, von Gott zu sprechen' nicht kennt, bleiben viele Einsichten des Glaubens unverständlich. Die christliche Religion ist darauf angewiesen, die Glaubenszeugen zu verstehen, die vor 2000 Jahren und in den vergangenen 2000 Jahren gelebt haben. Die allerersten Glaubenszeugen haben Jesus persönlich erlebt und Erfahrungen mit ihm gemacht, die richtunggebend für die folgenden Zeiten bleiben. Sie haben jüdisch gedacht und als Juden von Gott gesprochen, daher müssen wir auch die alttestamentlichen Sprachformen des Gottesglaubens verstehen.
Erscheint lt. Verlag | 5.7.2010 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Schulbuch / Wörterbuch ► Unterrichtsvorbereitung ► Sekundarstufe II |
Religion / Theologie ► Christentum ► Religionspädagogik / Katechetik | |
Sozialwissenschaften ► Pädagogik | |
Schlagworte | Abitur • Abitur, Religionsunterricht, Textarbeit • eBooks • Pädagogik • Religionsunterricht • Textarbeit |
ISBN-10 | 3-641-03667-4 / 3641036674 |
ISBN-13 | 978-3-641-03667-6 / 9783641036676 |
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