Für die Freiheit (eBook)
672 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491152-6 (ISBN)
Lyndal Roper ist »Regius Professor of History« in Oxford. Sie ist Expertin für die Geschichte der Reformation und der Frühen Neuzeit in Deutschland. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit dem Leben Martin Luthers. Auf Deutsch erschienen von ihr u. a. ?Ödipus und der Teufel. Körper und Psyche in der frühen Neuzeit? (Fischer Taschenbuch Verlag 1995), ?Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung? (2007) und ?Der feiste Doktor. Luther, sein Körper und seine Biographen? (2012). Lyndal Roper wurde mit dem Gerda Henkel Preis 2016 ausgezeichnet.
Lyndal Roper ist »Regius Professor of History« in Oxford. Sie ist Expertin für die Geschichte der Reformation und der Frühen Neuzeit in Deutschland. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit dem Leben Martin Luthers. Auf Deutsch erschienen von ihr u. a. ›Ödipus und der Teufel. Körper und Psyche in der frühen Neuzeit‹ (Fischer Taschenbuch Verlag 1995), ›Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung‹ (2007) und ›Der feiste Doktor. Luther, sein Körper und seine Biographen‹ (2012). Lyndal Roper wurde mit dem Gerda Henkel Preis 2016 ausgezeichnet. Holger Fock und Sabine Müller übersetzen seit drei Jahrzehnten zusammen Belletristik und Sachbücher, neben Lyndal Roper u.a. Patrick Deville, Mathias Enard, Mohamed Mbougar Sarr, Cécile Wajsbrot. Dafür wurden sie u.a. mit dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis 2011 und dem Paul-Celan-Preis 2023 ausgezeichnet. Holger Fock und Sabine Müller übersetzen seit drei Jahrzehnten zusammen Belletristik und Sachbücher, neben Lyndal Roper u.a. Patrick Deville, Mathias Enard, Mohamed Mbougar Sarr, Cécile Wajsbrot. Dafür wurden sie u.a. mit dem Eugen-Helmlé-Übersetzerpreis 2011 und dem Paul-Celan-Preis 2023 ausgezeichnet.
Kapitel 1 Zündfunke
Der Bauernkrieg entstand keineswegs aus dem Nichts. Es hatte schon früher Aufstände gegeben, Beschwerdebriefe und Klagen gegen Grundherren vor Gericht hatten Tradition. Aus diesen Erfahrungen hatten die Bauern gelernt – doch keine jener Erhebungen erlangte die Reichweite und das Ausmaß des Bauernkrieges oder war von derselben Vision getragen. Einer der frühen und besonders dramatischen Aufstände begann 1476 im kleinen fränkischen Weiler Niklashausen und führte zu einem Massenprotest, der vor der großen Burg des Bischofs von Würzburg endete, die der Jungfrau Maria gewidmet war und heute noch über der Stadt aufragt. Auslöser war die Marienerscheinung eines Schafhirten. Die Jungfrau forderte ihn auf: »Sage jedem, was mein Sohn will und befiehlt, dass alle Abgaben, Zölle, Frondienste, Eintreibungen, Vorteile und Unterstützung für die Prälaten, Fürsten und Adligen, und alles Unrecht, das den Armen zugefügt wird, sofort vollständig abgeschafft werden soll.« Hans Behem selbst wies sie an, er solle seine »Eitelkeiten« aufgeben, seine Flöte und die Pauke verbrennen und fortan predigen. Und so rief der Pauker seine Zuhörer auf, Buße zu tun und ihre unnützen Habseligkeiten wie Schuhe, edle Kleidung und Schmuck zu vernichten. Kurz nach der Walpurgisnacht am 30. April kam es im Taubertal zu einer großen Wallfahrtsbewegung, als sich bei Niklashausen zahllose Pilger mit Kerzen und Opfergaben versammelten, um den Visionär predigen zu hören.[1]
Abbildung 1: »Die nicklas hausser fart«, 1490. Hans Behem (mit Flöte und Pauke) erscheint beim Schafehüten die heilige Jungfrau. Die Szene im Holzschnitt ist überraschend positiv gestaltet, als wollte man für eine Pilgerfahrt werben.
Das schreckte zunächst den ansässigen Bischof auf, wenig später war auch der Erzbischof von Mainz alarmiert. Eine solche Massenbewegung brachte möglicherweise Gefahren mit sich, zudem begann Behem, die Kirche zu kritisieren. Seine Visionen enthielten den revolutionären Ruf nach einer Welt ohne Steuern, Abgabe des Zehnten und Frondienste. Die Jungfrau sagte ihm, Felder und Wälder sollten gemeinschaftlich bewirtschaftet werden. Als in den ersten Julitagen Pilgerscharen gemeinsam mit Behem in die Stadt Eichstätt einzogen, schritt der Würzburger Bischof Rudolf II. ein und verkündete, Behem verbreite eine ketzerische Lehre. Während die Wallfahrer nach Niklashausen strömten, verhaftete man am 13. Juli den Pauker und brachte ihn nach Würzburg. Daraufhin unternahmen die entsetzten Pilger eine Massenwallfahrt unter der Führung von Konrad (Kunz) von Thunfeld, einem Ritter aus der Gegend, um den Paukenspieler aus der Festung Marienberg zu befreien. Etwa sechzehntausend Menschen marschierten die ganze Nacht über, erreichten am frühen Morgen die Brücke über den Main und riefen: »Wenn du uns den Jungen nicht zurückgibst, werden wir nicht von hier weggehen, bis wir ihn mit Gewalt befreit und diese Burg zerstört haben.«[2]
Die versammelten Menschen glaubten offenbar, Maria selbst würde erscheinen und ihnen den Paukenspieler zurückgeben. Nach langem Abwarten gab ein Teil der Menge die Belagerung auf, dann öffneten sich die Festungstore und die Männer des Bischofs schossen auf die Menschen, die sich geweigert hatten abzuziehen. Der Flaschenhals, den die Brücke bildete, machte sie zu einem leichten Ziel, viele wurden getötet, Hunderte gefangen genommen. Der Pauker aus Niklashausen wurde ohne Aufhebens als Ketzer verbrannt, die Wallfahrt unterdrückt. Der Pfad, der zur Festung führte, war mit dem Blut der Bauern getränkt. Im Namen der Gottesmutter hatte sich eine antiklerikale, religiöse Massenbewegung erhoben, die im Schatten der Maria geweihten Festung mühelos niedergeschlagen worden war. Die Erhebung endete damit am selben Ort, an dem später, im Frühsommer 1525, der Bauernkrieg zum Stillstand kam.[3]
Der Pauker war zwar besiegt worden, doch er war auch viele Jahre später noch nicht vergessen. Um die Wende vom 15. ins 16. Jahrhundert häuften sich die Erhebungen. Im Schwarzwald, im Elsass und in Württemberg war es bei den Bauern schon Tradition, sich mit der Obrigkeit anzulegen. Sie zogen gegen ihre Grundherren vor Gericht, verweigerten die Pacht und widersetzten sich dem Frondienst, ebenso wie sie sich weigerten, zum Zeichen ihrer Lehnstreue symbolische Abgaben zu leisten – das Fastenhuhn zum Beispiel –, die ihre Dienstbarkeit bestätigten. So gab es 1491 in der Gegend um Kempten und in einigen anderen Orten unter klösterlicher Herrschaft Erhebungen. 1493 kam es bei Schlettstadt im Elsass, dem heutigen Sélestat, zu einem Aufstand, bei dem gefordert wurde, die ansässigen Juden zu vertreiben (sie wurden beschuldigt, Wucherzins zu verlangen), die Einkünfte des Priesters zu begrenzen und die Rechtsprechung zu reformieren. Die Bauern bildeten Geheimbünde, die durch Schwüre zusammengehalten wurden, und ihre Zusammenkünfte fanden nicht im Tal, sondern auf dem Ungersberg statt. Als Aufnahmeritual schworen sie angeblich mit drei Fingern und zogen mit dem Spaten um sich einen Kreis auf dem Boden: Wer dem Bund beitreten wollte, begab sich in den Kreis.[4]
Abbildung 2: Würzburg, Schedelsche Weltchronik, 1493. Dieser Holzschnitt aus Hartmann Schedels berühmter Chronik zeigt den Marienberg, der die Stadt zu seinen Füßen beherrscht.
Stiefel waren das Symbol dieser Aufstände, die unter dem Namen »Bundschuh« geführt wurden. Der Name hatte eine doppelte Bedeutung: Einerseits verwies er auf den Bund zwischen Menschen (in dem sie »gebunden« waren), andererseits bezeichnete der Begriff »Bundschuh« einen einfachen Stiefel aus billigem Leder, der mit langen Lederschnüren am Bein befestigt war, wie ihn typischerweise Bauern trugen. Bundschuhe hatten nichts gemein mit den sagenhaft weichen Lederschuhen der Adeligen, die bis über das Knie reichten, ihren Trägern zu einem aufrechten Stand verhalfen und sie groß wirken ließen. Sie wurden von ungeschliffenen, derben Leuten getragen, es war einfachstes Schuhwerk, das keines Schusters Fertigkeiten bedurfte. Ein Illustrator brauchte auf einem Holzschnitt nur den bäuerlichen Schuh auf einer Fahne abzubilden, um seine Betrachter zu warnen, dass hier eine gefährlichen Gruppierung am Werk war. Nach den Aufständen in Kempten und Schlettstadt kam es 1502 im rechtsrheinischen Herrschaftsgebiet des Hochstifts Speyer zu einer Erhebung, die weit bedeutender war und vom gefürchteten Bauernrevolutionär Joß Fritz angeführt wurde. Dieser Aufstand hatte zudem eine religiöse Dimension, denn wer sich den Aufständischen anschloss, musste niederknien und fünf Vaterunser sowie fünf Ave Maria sprechen. Die Parole der Bundschuh-Verschwörer lautete: »Was ist euch für ein wesen?« Worauf die richtige Antwort lautete: »Wir mögen vor den pfaffen nicht genesen!« Frömmigkeit und tief verwurzelter Antiklerikalismus gingen Hand in Hand. [5]
Ein Jahrzehnt später war derselbe Joß Fritz an einer großen Verschwörung im Freiburger Umland beteiligt, die einen Aufstand im Breisgau für den Herbst 1513 vorbereitete. Die Fahne der Aufständischen war weiß und blau und zeigte auf der einen Seite den gekreuzigten Christus mit Maria und Johannes dem Täufer neben dem päpstlichen und dem kaiserlichen Hoheitszeichen sowie einen knienden Bauern – auf der anderen Seite war der Bundschuh abgebildet.[6] Die Aufständischen forderten das Recht auf Holz, Wald- und Wassernutzung, Vogel- und Fischfang sowie das Jagdrecht für Arme wie für Reiche. Sie verlangten eine Beschränkung der Einkünfte von Konventen und Klöstern, eine Begrenzung von Zinsen für Kredite, zudem sollte dem Hofgericht von Rottweil und der geistlichen Gerichtsbarkeit die Zuständigkeit für die Rechtsprechung über die Bauern entzogen werden, niemand außer Papst und Kaiser sollte über ihnen stehen. Die Pläne wurden verraten, doch bald darauf zettelte Joß eine andere Erhebung an und schuf dazu ein Netzwerk von Aufständischen, über das die Dörfer und Kleinstädte der Region miteinander verbunden waren.
Im selben Jahr schlossen sich Bauern im benachbarten Württemberg gegen ihren Herrscher Herzog Ulrich zusammen, der nach einem schlechten Erntejahr versucht hatte, die Steuern zu erhöhen. Als dies zu Protesten führte, griff er zu der Notlösung, bei gleichbleibenden Preisen die Maßgewichte zu reduzieren. Die Bauern hielten »Gericht« über das neue Gewicht, warfen es zur Wasserprobe in den Fluss, und als es sank, folgerten sie daraus, dass es unrechtmäßig war. Die Aufständischen nannten ihre Bewegung »Armer Konrad«, womit sie die herablassende Bezeichnung des Adels für das arme Volk zu ihrem Ehrenzeichen machten. Unterstützung erhielten sie von dem Marbacher Arzt Alexander Seitz, der 1514 zum Tode verurteilt wurde, dem jedoch die Flucht in die Schweiz gelang.[7]
Schätzungsweise 1700 Bauern wurden gefangen genommen und mussten stundenlang bei drückender Hitze genau dort ausharren, wo sie sich am Anfang unerlaubt versammelt hatten. Als schließlich die Fürsten erschienen, inszenierten diese einen »Schauprozess«. Auf Knien flehten die Bauern um Gnade, bis man sie unter der Bedingung freiließ, dass sie ihre Waffen ablieferten, vier ihrer »Anführer« wurden jedoch an Ort und Stelle enthauptet. In den folgenden Tagen fanden weitere Hinrichtungen in Kleinstädten statt (so wurden in...
Erscheint lt. Verlag | 9.10.2024 |
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Übersetzer | Holger Fock, Sabine Müller |
Zusatzinfo | 4 Seiten Tafelteil mit 7 farbigen Abbildungen; 41 s/w-Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
Schlagworte | 500 jahre bauernkrieg • Abendmahl Streit • Adel 16. Jahrhundert • Allgäu • Allstedt • Andreas Karlstadt • Bäuerliches Leben • Bauernaufstand 1525 • Bauernkrieg • Bestseller-Autorin • Bodensee-Region • Brüderlichkeit • Evangelikale Bewegung • Evangelische • Evangelium • Feudalherrschaft • Florian Geyer • Friedrich der Weise Kurfürst • Frühe Neuzeit • Fulda • Geschenk Männer • Götz von Berlichingen • Grundherrschaft • Huldrych Zwingli • Kloster Grundherr • Lehnswesen • Leibeigenschaft Bauern • Mainz • Martin Luther • Mühlhausen • Protestantismus • Raubritter • Reformation • Rothenburg ob der Tauber • Schlacht Frankenhausen • Schwaben • Schweiz • Stuttgart • Thomas Müntzer • Thüringen • Tirol • Würzburg |
ISBN-10 | 3-10-491152-5 / 3104911525 |
ISBN-13 | 978-3-10-491152-6 / 9783104911526 |
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