Frühling der Revolution (eBook)

Spiegel-Bestseller
Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
1168 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-23162-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Frühling der Revolution -  Christopher Clark
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Das neue, epochale Werk von Bestsellerautor Christopher Clark: Der beliebte Historiker erklärt uns wie kein anderer, wie wir wurden, wer wir heute sind, welche Werte wir vertreten, wofür wir kämpfen
In der Geschichte Europas gibt es keinen Moment, der aufregender, aber auch keinen, der beängstigender war als der Frühling des Jahres 1848. Scheinbar aus dem Nichts versammelten sich in unzähligen Städten von Palermo bis Paris und Venedig riesige Menschenmengen, manchmal in friedlicher, oft auch in gewalttätiger Absicht. Die politische Ordnung, die seit Napoleons Niederlage alles zusammengehalten hatte, brach in sich zusammen.

Christopher Clarks spektakuläres neues Buch erweckt mit Schwung, Esprit und neuen Erkenntnissen diese außergewöhnliche Epoche zum Leben. Überall brachen sich neue politische Ideen, Glaubenssätze und Erwartungen Bahn. Es ging um die Rolle der Frau in der Gesellschaft, das Ende der Sklaverei, das Recht auf Arbeit, nationale Unabhängigkeit und die jüdische Emanzipation. Dies waren plötzlich zentrale Lebensthemen für unendlich viele Menschen - und es wurde hart um sie gekämpft.

Die Ideen von 1848 verbreiteten sich um die ganze Welt und veränderten die Verhältnisse zum Bessern, zuweilen aber auch zum viel Schlechteren. Und aus den Trümmern erhob sich ein neues und ganz anderes Europa.

Christopher Clark, geboren 1960, lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine's College in Cambridge. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte Preußens. Er ist Autor einer Biographie Wilhelms II., des letzten deutschen Kaisers. Für sein Buch »Preußen« erhielt er 2007 den renommierten Wolfson History Prize sowie 2010 als erster nicht-deutschsprachiger Historiker den Preis des Historischen Kollegs. Sein epochales Buch über den Ersten Weltkrieg, »Die Schlafwandler« (2013), führte wochenlang die deutsche Sachbuch-Bestseller-Liste an und war ein internationaler Bucherfolg. 2018 erschien von ihm der vielbeachtete Bestseller »Von Zeit und Macht« und 2020 folgte das von der Kritik gefeierte »Gefangene der Zeit«. Einem breiten Fernsehpublikum wurde Christopher Clark bekannt als Moderator der mehrteiligen ZDF-Doku-Reihen »Deutschland-Saga«, »Europa-Saga« und »Welten-Saga«. 2022 wurde ihm der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten verliehen.

1


Soziale Fragen

Im Folgenden geht es um wirtschaftliche Not, allgegenwärtige Angst, Ernährungskrisen und massive Gewalt. Wir befassen uns mit den Gesellschaften Europas vor 1848, wobei das Augenmerk auf Bereichen der Repression, Verdrängung, Unterdrückung und des Konflikts liegt. Soziale Unzufriedenheit »verursacht« keine Revolutionen – wenn sie das täte, käme es viel häufiger zu Revolutionen. Dennoch war die materielle Not der Europäer Mitte des 19. Jahrhunderts der unverzichtbare Hintergrund für jene Prozesse der politischen Polarisierung, die die Revolutionen erst ermöglichten. Sie war ausschlaggebend für die Motivation vieler Teilnehmer an städtischen Unruhen. Ebenso wichtig wie die Realität und das Ausmaß des Leids waren die Mittel und Wege, mit denen diese Ära soziale Missstände wahrnahm und einordnete. Die »soziale Frage«, die Europäer Mitte des 19. Jahrhunderts beschäftigte, war ein ganzer Komplex realer Probleme, aber sie war zugleich auch eine Art der Wahrnehmung. Das Kapitel beginnt mit Szenen aus dem Leben der Armen und weniger Armen und setzt sich mit den Mechanismen auseinander, die soziale Gruppen voneinander entfremdet und über die Grenze zwischen Auskommen und Not gedrängt haben. Es untersucht die Methoden, die von jenen, die mit ihren Händen Dinge schufen (insbesondere die Weber), angewandt wurden, um ihre Lage durch gezielten Einsatz von Protest und Gewalt zu verbessern. Es schließt mit der politischen und sozialen Unruhe von 1846, als ein gescheiterter politischer Aufstand in Galizien durch einen gewaltsamen sozialen Aufruhr von unten vereinnahmt wurde – eine Episode, die die Menschen von 1848 eine Fülle düsterer Lektionen lehrte.

Die Politik der Beschreibung


Wer wissen möchte, wie die ärmsten Arbeiter leben, möge sich in die Rue des Fumiers begeben, die fast ausschließlich von dieser Klasse bewohnt wird. Bücken Sie sich und betreten Sie eine der Kloaken, die auf die Straße hinausgehen; treten Sie ein in einen unterirdischen Gang, wo die Luft feucht und kalt wie in einer Höhle ist. Sie werden merken, dass Ihre Füße auf dem verdreckten Boden rutschen; Sie werden Angst haben, in den Schlamm zu fallen. Auf beiden Seiten werden Sie, wenn Sie weitergehen, dunkle eisige Kammern antreffen, aus deren Wänden schmutziges Wasser sickert, nur vom schwachen Licht eines winzigen Fensters erhellt, das zu stümperhaft angefertigt ist, um es ordentlich zu schließen. Drücken Sie die dünne Tür auf und treten Sie ein, sofern die übel riechende Luft Sie nicht abstößt. Aber passen Sie auf, weil der dreckige, unebene Boden mit Unrat bedeckt ist und weder gepflastert noch ordentlich gefliest. Hier befinden sich drei oder vier schäbige Bettstellen, mit einem Seil zusammengebunden und von abgetragenen Lumpen bedeckt, die kaum jemals gewaschen werden. Und Schränke? Überflüssig. In einem Heim wie diesem gibt es nichts, was man darin aufbewahren könnte. Ein Spinnrad und ein Webstuhl vervollständigen die Einrichtung.

So beschrieben die beiden Ärzte Ange Guépin und Eugène Bonamy im Jahr 1835 die ärmste Straße ihrer Stadt.[1] Es handelte sich nicht um Paris oder Lyon, sondern um Nantes, eine Provinzstadt an der Loire in der Region Obere Bretagne, im Westen Frankreichs. Nantes war keine pulsierende Metropole: Im Jahr 1836 lebten dort knapp 76 000 Menschen, zusammen mit rund 10 700 überwiegend männlichen Wanderarbeitern, Seeleuten, Reisenden und Garnisonstruppen. Diese Zahlen brachten Nantes keineswegs auf die Liste der 40 bevölkerungsreichsten Städte Europas. Die Stadt hatte vielmehr immer noch alle Mühe, den Schock der Revolutions- und Napoleonischen Kriege zu überwinden. Diese geopolitischen Störungen hatten den Atlantikhandel einbrechen lassen (insbesondere jenen mit versklavten Afrikanern und Afrikanerinnen), der Nantes im 18. Jahrhundert reich gemacht hatte; an einigen der schönsten Straßen reihten sich die noblen Häuser wohlhabender Sklavenhändler.[2] Die Bevölkerung hatte während der Kriege abgenommen, und trotz eines wirtschaftlichen Aufschwungs nach 1815 wuchs sie weiterhin nur langsam, teils weil sich die französische Atlantikküste nie ganz von den Auswirkungen der britischen Blockade erholte, teils weil der Markt für Textilwaren zunehmend umkämpft war und teils weil eine Ansammlung von Schlick in der Loire inzwischen verhinderte, dass größere Schiffe die Kais der Stadt erreichten. Im Jahr 1837 hatte der Außenhandel der Stadt immer noch nicht den Stand von 1790 erreicht.[3] Eine vom Bürgermeister im Jahr 1838 in Auftrag gegebene Studie zeichnete ein industrielles Leben, das von relativ kleinen Unternehmen dominiert wurde: 25 Baumwollspinnereien mit 1327 Beschäftigten, 12 Bauhöfe mit 565 Beschäftigten, 38 Woll-, Barchent- und Textilfabriken, 9 Kupfer- und Eisengießereien, 13 kleine Zuckerraffinerien mit 310 Beschäftigten, 5 Konservenfabriken mit 290 Beschäftigten und 38 Gerbereien mit 193 Beschäftigten.[4] Eine weit größere Zahl arbeitete außerhalb der Fabriken und Gießereien. Diese Erwerbstätigen nahmen Stückarbeit an, wuschen Wäsche, arbeiteten auf Baustellen oder als Bedienstete der verschiedensten Art.

Doch die relativ bescheidene Stadt wies in ihrem Mikrokosmos extreme Unterschiede in der Lebensqualität auf, und ebendiese zogen die Aufmerksamkeit von Guépin und Bonamy auf sich, zwei Ärzten mit einem ausgeprägten sozialen Gewissen. In einem umfangreichen Werk statistischer Erfassung führten sie dem Leser die Stadt Nantes vor Augen: ihre Straßen, Kais, Fabriken und Plätze, ihre Schulen, Klubs, Bibliotheken, Brunnen, Gefängnisse und Krankenhäuser. Die eindringlichsten Textstellen enthielt ein Kapitel gegen Ende des Buches über die »Daseinsformen verschiedener Klassen der Gesellschaft in Nantes«. Hier lag der Schwerpunkt auf der Vielfalt sozialer Schicksale. Die Autoren unterschieden acht »Klassen« in der Stadt – was nicht ganz dem dialektischen Dreiklang entsprach, der den Sozialismus nach Marx dominieren sollte. Die erste Klasse umfasste einfach die »Vermögenden«. Darauf folgten die vier Ränge des Bürgertums: das »gehobene Bürgertum«, das »wohlhabende Bürgertum«, das »notleidende Bürgertum« und das »arme Bürgertum«. Am unteren Ende der Pyramide waren die drei Arbeiterklassen angesiedelt: die »begüterten«, die »armen« und die »elenden«.[5]

Die ganzheitliche soziologische Qualität der Beobachtungen ist verblüffend. Die Autoren gingen über die Beschreibung der ökonomischen Bedingungen jeder Gruppe hinaus und tendierten bereits zu einer Bewertung der Lebensweisen, Bräuche, Einstellungen und Werte. »Die Reichen«, stellten sie fest, neigten dazu, wenig Kinder zu haben (im Durchschnitt zwei) und Wohnungen zu belegen, die zwischen zehn und 15 Zimmer aufwiesen, erhellt von zwölf bis 15 hohen und breiten Fenstern. Das Leben der Bewohner wurde durch »tausend kleine Annehmlichkeiten« versüßt, »die man für unverzichtbar halten könnte, wenn sie nicht einem gewaltigen Teil der Bevölkerung verwehrt wären«.

Die nächste Schicht, das gehobene Bürgertum, unternahm enorme Anstrengung zur Organisation der jahreszeitlichen Bälle, welche es für ihre Töchter ausrichtete. Ganze Wohnungen wurden ausgeräumt, um Platz für die Tänzer zu schaffen; für die ältere Generation wurden in der Mansarde Liegen hergerichtet. Die Friseure brachte die Ballsaison schier um den Verstand, weil sie belagert wurden wie Ärzte bei einer Epidemie (sowohl Guépin als auch Bonamy hatten bei der Bekämpfung der Cholera, die 1832 in Nantes grassierte und 800 Bewohner tötete, eine bedeutende Rolle gespielt). Ob die Nacht der Festivitäten wirklich die ganze Mühe wert gewesen war, sei, zumindest nach der Einschätzung der Autoren, fraglich. Denn in Wahrheit sei ein großer Ball in Nantes doch »ein Gedränge, in dem man endlos schwitzt, stickige Luft einatmet und mit Sicherheit die eigenen Aussichten auf  ein langes Leben mindert«. Und am nächsten Morgen finde man, wenn es kalt gewesen war, in den Fensterrahmen »Klumpen schrecklich schmutzigen Eises« vor. »Der Dampf, der beim Kondensieren diese Eisklumpen bildete, war die Atmosphäre, wo 300 Gäste atmeten.«[6]

Während das gehobene Bürgertum eigene Pferde und Kutschen unterhielt, gaben sich die Angehörigen eines Haushalts des »wohlhabenden« Bürgertums (Schicht 3) damit zufrieden, im Stellwagen durch die Stadt zu fahren. Der Hausherr sei ein loyaler Abonnent seines Leseklubs, wussten die Autoren, aber er lebe auch in ständiger Angst, weil er »stets weiß, dass Sparsamkeit und Arbeit nötig sein werden, um seine ganzen Kosten zu decken«. Aufgrund der Notwendigkeit hauszuhalten war die extravagante Lebensweise ausgeschlossen, die die beiden obersten Schichten an den Tag legten, auch wenn sich die Kinder dieser Klasse im Umgang mit den sozial Bessergestellten leichter taten als noch ihre Eltern.

Ganz besonderes Mitgefühl verdiente das »notleidende Bürgertum« (Bourgeois gênés: Schicht 4). Dabei handelte es sich um Angestellte, Professoren, Schalterbeamte, Ladenbesitzer, »die untere Schicht der Künstler«: Gemeinsam bildeten sie »eine der am unglücklichsten Klassen«, weil Kontakte zu einer reicheren Schicht sie in Unkosten stürzten, die ihre Mittel überstiegen. Diese Familien konnten sich lediglich mithilfe strengster Sparsamkeit ernähren. Das »arme Bürgertum« (Schicht 5) nahm in dem sozialen...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2023
Übersetzer Norbert Juraschitz, Klaus-Dieter Schmidt, Andreas Wirthensohn
Zusatzinfo mit 42 s/w-Abbildungen und 5 Karten
Sprache deutsch
Original-Titel ..
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
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ISBN-10 3-641-23162-0 / 3641231620
ISBN-13 978-3-641-23162-0 / 9783641231620
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