Homo Deus (eBook)
576 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-80197-6 (ISBN)
Yuval Noah Harari wurde 1976 in Haifa, Israel, geboren. Er promovierte 2002 an der Oxford University. Aktuell lehrt er Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem mit einem Schwerpunkt auf Weltgeschichte. Sein Weltbestseller "Eine kurze Geschichte der Menschheit" wurde in fast 40 Sprachen übersetzt.
Vorwort zur 17. Auflage
Über die Zukunft zu schreiben ist eine heikle Sache. Mein vorheriges Buch, Eine kurze Geschichte der Menschheit, erzählte davon, wie die einzigartige menschliche Fähigkeit, an kollektive Mythen zu glauben – ob nun über Nationen, Götter, Menschenrechte oder Geld –, unsere Spezies in die Lage versetzte, den Planeten Erde zu erobern. In Homo Deus habe ich mich dem nächsten Kapitel dieser Geschichte zugewandt: der Frage, was passieren könnte, wenn unsere alten Mythen, Religionen und Ideologien sich mit revolutionären neuen Technologien paaren.
Wie wird das Christentum mit der Gentechnik zurechtkommen? Wie wird der Sozialismus damit umgehen, wenn menschliche Arbeitskräfte durch Roboter ersetzt werden? Was kann der Liberalismus digitalen Diktaturen entgegensetzen? Wird das Silicon Valley am Ende neben neuen Gadgets auch neue Religionen hervorbringen?
Künstliche Intelligenz ist gerade in rasantem Tempo dabei, unsere kognitiven Fähigkeiten zu übertrumpfen. Schon bald werden Computer besser als Menschen Auto fahren, Krankheiten diagnostizieren, Schlachten schlagen und sogar menschliche Gefühle verstehen können. Was wird aus dem Sozialstaat, wenn Computer Millionen von Menschen aus dem Arbeitsmarkt verdrängen und eine riesige neue «nutzlose Klasse» schaffen? Was wird aus der menschlichen Freiheit, wenn Unternehmen und Regierungen Menschen hacken können und besser über uns Bescheid wissen als wir selbst?
Derweil kann die Biotechnologie die Lebensspanne der Menschen radikal verlängern und sowohl unseren Körper als auch unseren Geist auf eine neue Stufe heben. Werden diese Verbesserungen allen zugänglich sein, oder werden wir erleben, wie eine noch nie dagewesene biologische Kluft zwischen Arm und Reich entsteht? Könnte sich die Menschheit in zwei Arten aufspalten – in reiche neue Übermenschen und arme gewöhnliche Homo sapiens? Könnten die schwächeren Nationen der Welt einer neuen Sorte von imperialen Eroberern zum Opfer fallen?
Wir befinden uns mitten in einem globalen Wettrüsten in Bereichen wie Datensammlung, KI und Biotechnologie. Einige wenige Länder führen das Rennen an, während die meisten anderen Länder weit zurückbleiben. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, wird das Ergebnis wahrscheinlich eine neue Form des Kolonialismus sein – der Datenkolonialismus. Frühere Imperien, vom alten Rom bis zum Großbritannien des 19. Jahrhunderts, mussten Soldaten entsenden, um Länder und Territorien zu erobern. Die neuen Imperien des 21. Jahrhunderts könnten ein Land nicht durch die Entsendung von Soldaten, sondern durch die Extraktion von Daten erobern. Eine kleine Anzahl von Unternehmen oder Regierungen, die die Informationen der Welt abgreifen, könnten den Rest des Globus in Datenkolonien verwandeln.
Stellen Sie sich die Situation in zwanzig Jahren vor, wenn jemand in Peking oder San Francisco über die gesamten persönlichen Daten jedes Politikers, Bürgermeisters, Journalisten und Firmenchefs in Ihrem Land verfügt. Wenn dieser Jemand Bescheid weiß über jede Krankheit, die sie jemals hatten, jede sexuelle Begegnung, jeden Witz, den sie erzählt haben, jede Bestechung, die sie angenommen haben. Wäre Ihr Land dann noch unabhängig oder würden Sie zu einer Datenkolonie werden? Was passiert, wenn sich Länder in völliger Abhängigkeit von digitalen Infrastrukturen und KI-gestützten Systemen befinden, über die sie keine wirkliche Kontrolle haben?
Eine Datenkolonie zu werden, wird sowohl wirtschaftliche als auch politische Folgen haben. Im 19. und 20. Jahrhundert bedeutete die Kolonisierung durch eine Industriemacht wie Großbritannien oder die USA, dass man hauptsächlich Rohstoffe lieferte, während die führenden Industriezweige, die die größten Gewinne einbrachten, im imperialen Zentrum verblieben. Ägypten exportierte Rohbaumwolle nach Großbritannien und importierte fertige Textilien, Autos und Maschinen.
Etwas Ähnliches könnte im 21. Jahrhundert passieren. Der Rohstoff für die KI-Industrie sind Daten. Die wirklich wichtigen Daten, die die Entwicklung der KI in den USA und China vorantreiben, kommen aus der ganzen Welt, aber die Gewinne und die Macht werden nicht zurückverteilt. Daten aus Ägypten und Brasilien können Unternehmen in San Francisco und Shanghai reich machen, während Ägypten und Brasilien arm bleiben.
Im 19. Jahrhundert hat ein Land, das die industrielle Revolution verpasst hat, dies mit einem Jahrhundert des Imperialismus und der Ausbeutung bezahlt. Im 21. Jahrhundert könnte ein Land, das die Revolution in der Informations- und Biotechnologie verpasst, einen noch höheren Preis zahlen.
Die neuen Technologien stellen eine gemeinsame Herausforderung für die gesamte Menschheit dar. Sie können nur durch globale Zusammenarbeit reguliert werden. Es wird nicht reichen, wenn nur ein Land beschließt, die Produktion von Killerrobotern und gentechnisch veränderten Übermenschen zu verbieten. Wenn auch nur ein paar Länder solche hochriskanten und hochprofitablen Technologien entwickeln, werden bald alle Länder dasselbe tun, aus Angst, abgehängt zu werden. Ohne eine globale Verständigung über solche Technologien wird es zu einem umfassenden Wettrüsten im Bereich der KI und der Biotechnologie kommen. Wer dieses Wettrüsten gewinnt, spielt dabei keine Rolle – der Verlierer wird die Menschheit sein. Um diesen Bedrohungen zu begegnen, sollten alle Menschen zusammenarbeiten.
Aber kann sich die Menschheit wirklich zusammenschließen, um diese gefährlichen Technologien zu regulieren? Ich weiß es nicht. Homo Deus ist ursprünglich 2016 erschienen, in einer längst vergangenen historischen Epoche. Damals erfreute sich die Menschheit noch an der kooperativsten, friedlichsten und wohlhabendsten Ära ihrer Geschichte. Das Buch beginnt daher ausgesprochen optimistisch und schildert, wie es den Menschen bisher gelungen ist, Hungersnöte, Seuchen und Kriege einzudämmen.
Im ersten Kapitel dieses Buches habe ich geschrieben, dass Hungersnöte, Seuchen und Kriege in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich weiterhin Millionen von Opfern fordern werden, dass sie sich aber von unvermeidlichen Tragödien – die sich dem Verständnis und der Kontrolle der Menschheit entziehen – in beherrschbare Herausforderungen verwandelt haben. Zum ersten Mal in der Geschichte verfügt die Menschheit über die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die technologischen Werkzeuge und die politische Klugheit, die notwendig sind, um zerstörerische Kriege und Epidemien einzudämmen und die biologischen Grundbedürfnisse aller Menschen zu erfüllen.
Die Botschaft dieses Kapitels war nicht Selbstzufriedenheit, sondern Verantwortung. Hungersnöte, Seuchen und Kriege waren nicht aufgrund eines Wunders weniger geworden, sondern aufgrund kluger menschlicher Entscheidungen. Es liegt in unserer Verantwortung, weiterhin kluge Entscheidungen zu treffen, und wir sollten auch die Verantwortung dafür übernehmen, ökologische Katastrophen zu verhindern und die explosiven neuen Kräfte der Menschheit zu regulieren. Homo Deus war gedacht als Warnung davor, dass wir unsere Verantwortung vernachlässigen: Wenn wir anfangen, unkluge Entscheidungen zu treffen, könnte die Ära des Friedens und des Wohlstands, die wir geschaffen haben, von kurzer Dauer sein.
Leider habe ich selbst in meinen düstersten Momenten nicht geahnt, wie kurzlebig sie tatsächlich sein würde. Die Ära des Friedens und des Wohlstands beruhte auf der Kombination von wissenschaftlicher Erkenntnis und globaler Zusammenarbeit. In den letzten paar Jahren jedoch wurden die Ideale der Wissenschaft und der Zusammenarbeit zunehmend von führenden Politikern und Bewegungen überall auf der Welt attackiert. Die globale Ordnung gleicht heute einem Haus, in dem alle wohnen, das aber niemand repariert. Es könnte schon bald zusammenbrechen, mit katastrophalen Folgen.
Die COVID-19-Pandemie ist erst der Anfang. Im Jahr 2016 habe ich nach einem Überblick über die jüngsten Erfolge der Menschheit bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten gewarnt: «Wir können zwar nicht sicher sein, dass nicht doch ein neuer Ebola-Ausbruch oder ein unbekannter Grippevirenstamm über den Globus hinwegfegt und Millionen tötet, aber wir werden das nicht als unvermeidliche Naturkatastrophe betrachten. Vielmehr wird es sich in unseren Augen um ein unverzeihliches menschliches Versagen handeln.»
Der Kampf der Menschheit gegen COVID-19 war genau ein solches unverzeihliches menschliches Versagen. Es war ein wissenschaftlicher Sieg, gepaart mit einem politischen Desaster. Forscher aus aller Welt haben zusammengearbeitet, um das Virus zu...
Erscheint lt. Verlag | 3.1.2023 |
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Übersetzer | Andreas Wirthensohn |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Eine kurze Geschichte der Menschheit • Evolution • Geschichte • Gesundheit • Gier • Glück • Homo Deus • Homo sapiens • Humanismus • Hunger • Krankheit • Krieg • Macht • Maschinen • Neandertaler • Religion • Technologien • Zukunft |
ISBN-10 | 3-406-80197-8 / 3406801978 |
ISBN-13 | 978-3-406-80197-6 / 9783406801976 |
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