Zerbrochenes Rad -  Nils Sandrisser

Zerbrochenes Rad (eBook)

Die Geschichte der Lakota und Dakota
eBook Download: EPUB
2023 | 15. Auflage
402 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7584-2376-5 (ISBN)
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Die Lakota und Dakota gehören zu den bekanntesten Urvölkern Nordamerikas. Unter dem Namen 'Sioux' waren sie gefürchtet, weil sie dem Vordringen weißer Amerikaner harten Widerstand entgegensetzten. Heute kämpfen sie nicht mehr gegen die US-Kavallerie, sondern gegen Armut, Alkoholismus, Rassismus und Erdöl-Pipelines. 'Zerbrochenes Rad' beschreibt ihre Geschichte vom Erstkontakt mit Europäern bis heute - ihre Wanderungsbewegungen, ihre Entwicklung von Bauern zu großwildjagenden Pferdenomaden, ihren Kampf um ihr Land und um ihre Lebensweise sowie ihren Umgang mit der modernen Welt.

Nils Sandrisser ist Redakteur bei der Nachrichtenagentur epd in Frankfurt am Main. Historische, medizinische und gesundheitspolitische Themen bilden seine Arbeitsschwerpunkte. Er studierte Geschichte, Journalismus, Politik und Spanisch. Zuvor absolvierte er eine Ausbildung zum Rettungsassistenten und arbeitete im Rettungsdienst.

Nils Sandrisser ist Redakteur bei der Nachrichtenagentur epd in Frankfurt am Main. Historische, medizinische und gesundheitspolitische Themen bilden seine Arbeitsschwerpunkte. Er studierte Geschichte, Journalismus, Politik und Spanisch. Zuvor absolvierte er eine Ausbildung zum Rettungsassistenten und arbeitete im Rettungsdienst.

1.2 Geheimnisvolle Hunde


Weit weg von den Lakota und Dakota, auf den Schlachtfeldern des Siebenjährigen Kriegs der europäischen Mächte, tat sich Bedeutendes für die Urbevölkerung im Norden Amerikas. Im Frieden von Paris musste Frankreich 1763 seine Kolonien im heutigen Kanada an Großbritannien abtreten. Schon zuvor hatten die Briten militärisch Fakten geschaffen und Montreal sowie Quebec erobert. Der offizielle Handel mit den Franzosen kam für die Indianer nun zum Erliegen. Allerdings machten viele französische Händler auf eigene Faust weiter und belieferten die Ureinwohner mit Waren im Tausch gegen Felle.1

Für die Lakota und Dakota war das kein Schaden, da ab etwa 1760 britische Forscher und Händler der Hudson's Bay Company zu ihnen kamen. Mit ihnen waren die Geschäfte noch besser als mit den Franzosen, schon bald übertraf der Umfang des Handels mit den Briten den mit den Franzosen um ein Vierfaches. Vor allem die Yanktonai entsandten Handelsdelegationen zu den Forts der Hudson's Bay Company im Red-River-Gebiet des heutigen Manitoba und schlüpften bald in die Rolle einer Drehscheibe für den Umschlag britischer Waren wie Messer, Pfeilspitzen und Kochgeräte sowie Feuerwaffen. Sie veranstalteten jährlich in ihren Dörfern Handelsmessen.2

Diese Geschäfte endeten allerdings 1821. In diesem Jahr stellte die Hudson's Bay Company den Handel mit den Dakota ein. Die Ojibwa nämlich, auch sie mit den Briten gut im Geschäft, hatten zunehmend darauf gedrängt, weil die Dakota immer mächtiger wurden, und diese Macht hatte sie nervös gemacht. Mehrfach waren Handelsdelegationen der Konkurrenten aneinandergeraten, als sie gleichzeitig an Forts aufgetaucht waren.3 Nachdem das Geschäft mit den Briten für die Dakota zu Ende war, handelten sie verstärkt mit den Métis. Das waren Nachfahren weißer Fallensteller und indianischer Frauen in Kanada. Sie spielten eine große Rolle als Zwischenhändler, wobei ihr Geschäftsmodell zu einem gewissen Teil aus Schmuggel beschränkter oder verbotener Waren über die Grenze bestand. Bei den Métis tauschten die Dakota, Lakota und andere Völker Felle gegen Feuerwaffen, Munition und Schnaps ein.4

Die zunehmende Macht der Dakota und besonders der Lakota lag vor allem an einem Wesen, dessen Bekanntschaft sie erstmals um das Jahr 1750 gemacht hatten. Das Pferd sollte ihre ganze Lebensweise oder zumindest die Lebensweise der Lakota von Grund auf ändern, auch wenn sie bis etwa 1750 brauchten, ehe sie dieses Tier zu einem zentralen Bestandteil ihrer Kultur gemacht hatten.5

Bekanntlich hatten die Spanier das Pferd in die Neue Welt eingeführt. Ganze 16 Tiere waren es zunächst, mit denen Hernán Cortés 1519 zur Eroberung des Aztekenreichs in Mexiko ansetzte. Berittene Krieger in gleißenden Brustharnischen versetzten die indigenen Mexikaner zwar nicht in helle Panik, wie man oft liest, aber Respekt hatten sie schon.6 Bei spanischen Vorstößen von Mexiko aus lernte später auch die Urbevölkerung im Norden des Doppelkontinents dieses Tier kennen. 1541 machte sich Francisco Vasquez de Coronado auf nach Nordosten, das sagenhafte Goldland Quivira vor Augen, das er zu finden hoffte. Seine 250 Reiter führten mehr als 1.000 Reservepferde und Maultiere mit. Obwohl er recht früh während seiner Expedition von einem Hagelsturm überrascht wurde, bei dem ihm der größte Teil der Reit- und Packtiere durchging, zog er bis ins heutige Kansas hinein, wo er mangels Goldländern schließlich umkehrte.7

Bis zur Wende zum 17. Jahrhundert hatten sich die nunmehr wildlebenden Pferde Coronados auf stattliche Herden vermehrt. Indianer gelangten in den Besitz einiger Tiere, lernten sie zu reiten, sie zu züchten.8 Viele Pferde gelangten außerdem in die Hand der Ureinwohner, als im Jahr 1680 die Pueblo-Indianer im heutigen Südwesten der USA revoltierten und den Spaniern dabei so hart zusetzten, dass diese sich fürs Erste wieder nach Süden zurückzogen.9

Die ersten richtigen Reitervölker in Nordamerika waren die Shoshone und die sich von ihnen abspaltenden Comanche. Ursprünglich in den Rocky Mountains von Idaho, Wyoming und Colorado beheimatet, erschloss sich ihnen nun ein ganz neuer Lebensraum: die Prärien, die Great Plains des Mittleren Westens der USA. Um 1700 waren die nämlich im Großen und Ganzen höchstens entlang der großen Flussläufe besiedelt, weite Gebiete waren menschenleer. Ein extremer Lebensraum: wasserarm, windgepeitscht, und übers Jahr Temperaturunterschiede von 70 Grad Celsius.10 Erst das Pferd machte ihn bewohnbar. Hoch zu Ross jagten die Shoshone und Comanche den Bison erfolgreicher. Aus den Häuten der Wildrinder fertigten sie große, kegelförmige Zelte, die im heißen Sommer kühl und im eisigen Winter warm blieben. Beritten konnten sie mehr Nahrung transportieren als zu Fuß. Ihre Kopfzahl nahm zu, und sie weiteten ihr Territorium gewaltig aus. Während die Comanche sich nach Süden zu den Prärien des heutigen Texas und Oklahoma orientierten, durchstreiften die Shoshone um 1750 ein riesiges Gebiet vom Arkansas bis in die heutigen kanadischen Bundesstaaten Saskatchewan und Alberta hinein und dominierten ihre unberittenen Nachbarn militärisch.11

Aber diese Nachbarn blieben ihrerseits nicht lange unberitten. Sie stahlen den Shoshone Pferde oder handelten sie bei ihnen ein, denn die Shoshone tauschten Waren gegen diese Tiere. Ihre Nachbarn wiederum handelten weiter östlich bei den bäuerlichen Völkern die Pferde gegen Agrarprodukte und andere Güter ein. Drehscheiben des Handels waren die mit Palisaden und Erdwällen befestigten Hüttendörfer der Arikara sowie der benachbarten Mandan und Hidatsa, dreier damals mächtiger Völker am Missouri beidseits der heutigen Grenze von North und South Dakota. Der Pelzhändler Charles Mackenzie erlebte 1805 in einem Dorf der Hidatsa, wie dort eine große Handelsdelegation der Crow mit einer Kaufkraft von 250 Pferden eintraf. Sie bekamen dafür Mais, Metallwerkzeuge und metallene Kochkessel – und 200 Gewehre mit je 100 Schuss Munition.12 Letzteres war besonders bedeutsam.

Franzosen, Engländer und später US-Amerikaner gaben zwar nie wirklich viel und selten wirklich gute Feuerwaffen an Indianer weiter, aber das war immer noch mehr als das, was die Spanier bereit waren zu geben. „Keine Gewehre an Indianer“ war deren strikte Politik. Pech für die mit den Spaniern handelnden Shoshone. Zuerst hatten deren Nachbarn durch den Erwerb von Pferden militärisch mit den Shoshone gleichgezogen, nun machten die Feuerwaffen sie deutlich überlegen.13 Ein alter Blackfeet-Indianer namens Saukamappee erzählte dem Forscher David Thompson von einem Kampf von Blackfeet und Assiniboine gegen einen großen Shoshone-Kriegstrupp um 1740, wahrscheinlich in Saskatchewan. Die beiden verbündeten Völker boten dabei zusammen zehn Gewehrschützen gegen die Shoshone auf und erzielten damit ein durchschlagendes Ergebnis, wie Saukamappee berichtete:

 

"Als die Schlangenindianer so viele der ihren tot und verwundet sahen, rührten sie sich hinter ihren Schilden nicht mehr von der Stelle. […] Unsere Schüsse riefen Bestürzung und Mutlosigkeit in der gegnerischen Reihe hervor. Gegen Mittag hatte der Kampf begonnen und die Sonne war noch nicht einmal halbwegs untergegangen, als wir sahen, dass einige ihre Schilde zurückgelassen und die Flucht ergriffen hatten."14

 

Mit der Herrlichkeit der Shoshone war es vorbei. Von Nordosten drängten die Blackfeet und die Assiniboine auf die Prärien. Aus dem Osten kamen die Cheyenne und Arapaho.15 Zum militärischen Druck kamen die Pocken hinzu. Eine Epidemie um 1780 traf die Shoshone besonders hart.16

Welches Staunen das Pferd anfangs auch bei den Lakota ausgelöst haben muss, sieht man an dem Namen, dem sie diesem Tier gegeben haben. Šuŋka wakhaŋ bedeutet übersetzt "geheimnisvoller Hund". Hunde waren die einzigen Haustiere, die Indianer zuvor kannten. Mit wakhaŋ – übersetzen kann man es sowohl mit "heilig, mysteriös" als auch mit "rätselhaft, geheimnisvoll" – bezeichneten Lakota und Dakota so ziemlich alles, was ihnen bislang nie untergekommen war, aber einen Namen brauchte.17 Feuerwaffen hießen bei ihnen zum Beispiel maza wakhaŋ, "geheimnisvolles Metall"18, Alkohol nannten sie mni wakhaŋ, "geheimnisvolles Wasser". Bei den Östlichen Dakota hießen die Pferde etwas weniger mystifizierend šuŋka taŋka – "große Hunde". 19

Vermutlich bekamen sie ihre ersten Tiere von den Arikara, die mit rund 20.000 Seelen etwa so viele Menschen zählten wie die Lakota und Dakota zusammen.20 Die ersten Kontakte zwischen beiden Nationen waren wohl Handelstreffen, wobei die Teton auch oft als Bettler auftraten, die um Mais und Bohnen baten. Schon bald aber unterstrichen sie ihre Bitten mithilfe ihrer britischen Feuerwaffen, von denen die Arikara kaum welche hatten. Aus Handelszügen wurden so allmählich Raubzüge. Die Lakota und Dakota erwiesen sich also wieder als Nachbarn, die man lieber von hinten sah. Zur bevorzugten Beute ihrer Unternehmungen gegen die Arikara gehörten natürlich ganz besonders Pferde.21

Handelsnetzwerke und Beutezüge sorgten dafür, dass sich im 18. Jahrhundert Pferde schnell Richtung Norden und Osten verbreiteten, während die Verfügbarkeitsgrenze von Gewehren sich langsam nach Süden und Westen schob. Den Lakota und Dakota öffneten beide Dinge nun denselben Lebensraum, den zuvor die Shoshone eingenommen hatten: die Great Plains.22 Und diese Herausforderung nahmen vor allem die Lakota an. Sie stellten ihr Leben komplett um und auf šuŋka wakhaŋ ein. Aber noch stießen sie nicht in die Ebenen westlich des Missouri vor. An diesem Fluss nämlich saßen die Arikara wie ein Sperrriegel – jedenfalls bis 1780. In diesem Jahr ließ die Pockenepidemie, die bereits die Shoshone so hart getroffen hatte,...

Erscheint lt. Verlag 5.11.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte Indianer • Indigene • Kanada • Sioux • Ureinwohner • USA • Wilder Westen
ISBN-10 3-7584-2376-7 / 3758423767
ISBN-13 978-3-7584-2376-5 / 9783758423765
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