Aufbruch im Licht der Sterne (eBook)

Wie Tupaia, Maheine und Mai Captain Cook den Weg durch die Südsee erschlossen
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31159-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aufbruch im Licht der Sterne -  Frank Vorpahl
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Ohne sie wäre kein Europäer lebend zurückgekommen: Tupaia, Maheine, Mai - die Indigenen, die James Cooks Entdeckungen in der Südsee erst möglich machten. James Cook gilt als bedeutendster Entdecker nach Kolumbus. Freilich: Ohne Tupaia, Maheine und Mai wären seine Reisen unmöglich gewesen. Sie führten Cook in die Welt der Südsee ein, bewahrten seine Schiffe vor gefährlichen Korallenriffen und ersparten es ihm, in Neuseeland von den Maori als Eindringling massakriert zu werden. Tupaia, Meisternavigator, Hohepriester und Chefberater der Herrscher Tahitis erstellte eine Seekarte mit mehr als 70 unbekannten Inseln, das erste schriftliche Dokument, das das ungeheure nautische Wissen polynesischer Seefahrer belegt, die auf ihren Übersee-Kanus den Pazifik schon Jahrtausende vor den Europäern befuhren. Kam er in Cooks Beschreibungen etwa nur deshalb kaum vor, weil er an Bord an Skorbut erkrankte und bald darauf starb - Cook aber als der Kapitän in die Seefahrtsgeschichte eingehen wollte, der »keinen einzigen Mann an den Scharbock verloren« hatte? Maheine ermöglichte es Cooks Expedition bei der zweiten Reise, drei Jahre durchzuhalten und Zugang zu wichtigen Kultgegenständen zu bekommen. Mai kam als Einziger bis nach London mit und erlangte dort bizarren Ruhm als »wilder Südseeprinz«. Alle drei hatten Gründe, bei den Engländern mitzusegeln, von denen diese nichts ahnten. Wo findet sich eine angemessene Würdigung der drei?

Frank Vorpahl ist promovierter Historiker, Autor und Kurator. Bei ZDF-Aspekte ist er Redakteur. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Georg Forster und James Cooks Südseeexpeditionen. 2007 initiierte er die illustrierte Neuausgabe von Georg Forsters Reise um die Welt in der ANDEREN BIBLIOTHEK. 2018 veröffentlichte er Der Welterkunder. Auf der Suche nach Georg Forster. Im Zuge seiner Recherchen war er oft in der Südsee und kuratierte Ozeanien-Ausstellungen in Deutschland und Tonga.

Frank Vorpahl ist promovierter Historiker, Autor und Kurator. Bei ZDF-Aspekte ist er Redakteur. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich intensiv mit Georg Forster und James Cooks Südseeexpeditionen. 2007 initiierte er die illustrierte Neuausgabe von Georg Forsters Reise um die Welt in der ANDEREN BIBLIOTHEK. 2018 veröffentlichte er Der Welterkunder. Auf der Suche nach Georg Forster. Im Zuge seiner Recherchen war er oft in der Südsee und kuratierte Ozeanien-Ausstellungen in Deutschland und Tonga.

Kapitel 1 Hohepriester, Navigator, Geflüchteter:
Der Chefberater Ihrer Majestät


Tupaia war nicht zu übersehen. Selbst für Samuel Wallis nicht, den Captain der Dolphin, der an diesem 11. Juli 1767 noch immer gehunfähig und vom Skorbut ausgemergelt nur aus dem kleinen Fenster seiner Kapitänskajüte beobachten konnte, wie sich an Land eine leuchtend weiße Gestalt in wallenden Gewändern dem Ankerplatz seines Schiffs näherte. Plötzlich verwandelte sich das drohende Treiben Hunderter Inselbewohner am Ufer, die sich in den letzten Tagen in der Bucht von Matavai versammelt hatten, um das fremde Schiff und die gefährlichen bleichen Ankömmlinge mit eigenen Augen zu sehen, in ein lautloses Spalier.[1] In der Gasse kastanienbrauner Körper mit gebeugtem Nacken nahm sich der forsch ausschreitende, groß gewachsene Mann in Weiß wie eine Lichtgestalt aus – ein römischer Feldherr in seiner Toga. Erst dann nahm Captain Wallis die in voluminöse rote Stoffe gehüllte Frau an Tupaias Seite wahr. Ihr Gang wirkte nicht weniger selbstbewusst, der turmhohe Schmuck auf ihrem Kopf verlieh ihr etwas Majestätisches. Tobias Furneaux, der Zweite Offizier der Dolphin, der anstelle seines geschwächten Commanders die Landeoperationen auf der bislang von Europäern unentdeckten Insel befehligte, konnte den Captain nach seiner Rückkehr an Bord genauer ins Bild setzen: Die matronenhafte Frau in Rot musste die Königin von Tahiti sein, ihr hünenhafter Begleiter in Weiß der Chefberater Ihrer Majestät. Ein Paar von entscheidender Bedeutung – so die Annahme der britischen Besatzung – für die legale Inbesitznahme des fruchtbaren und dicht besiedelten Eilands für die britische Krone.

Die Voraussetzungen dafür schienen endlich gegeben: Der König Tahitis war – so nahmen die Briten fälschlich an – schon vor zwei Wochen, am 24. Juni 1767, in der ersten Schlacht der Dolphin gegen die Flotte der Insel in der Matavai-Bucht getötet worden, als eine Kanonenkugel das größte der tahitischen Kriegskanus zertrümmert und den Katamaran in zwei Teile gespalten hatte. Dem waren weitere Kanonaden und Scharmützel gefolgt, die die Überlegenheit britischer Feuerwaffen über die Speere, Keulen und Steinwürfe der Tahitianer deutlich demonstriert haben dürften. Etwa 300 der widerständischen Eingeborenen waren getötet worden. »Sie müssen einen schrecklichen Schock erlitten haben, als sie ihre Nächsten und Freunde tot sahen«, trug der Schiffslotse George Robertson ins Logbuch der Dolphin ein. »Ich bin sicher, dass sie sie auf eine Weise in Stücke gerissen sahen, wie sie es nie zuvor für möglich gehalten hatten.«[2]

Jetzt, zwei Wochen nach dem Massaker von Matavai, lagen die Geschicke Tahitis vermutlich in den Händen der Witwe des vermeintlich getöteten Königs, so Tobias Furneaux’ Erkundungen, die er infolge der Unkenntnis der fremden Sprache und der bedrohlichen Lage an Land nur mit größter Mühe hatte durchführen können. Die Einheimischen nannten ihre Respekt einflößende Herrscherin offenbar Purea. Ihre roten Gewänder, so vermuteten Wallis’ Männer, mussten die Trauer um ihren gefallenen Gatten symbolisieren. Die Unterzeichnung eines offiziellen Vertrags, der Tahiti der Hoheit des britischen Königs Georg III. unterwarf – Politiker, Zeitungsschreiber, selbst die Admiralität in London fanden gewaltsame Annexionen immer weniger zeitgemäß, offiziell wurden zivilisierte Manieren, Protektions-Ersuchen der Einheimischen, Papiere und Unterschriften erwartet –, machten Unterhandlungen mit der Königin und ihrem Minister unumgänglich.[3] Captain Wallis, der sich dank der vitaminreichen Früchte Tahitis allmählich vom Skorbut erholte, war nur allzu gern bereit, die maßgeblichen Repräsentanten der erbitterten Gegner in der mittlerweile eingetretenen Feuerpause an Bord der Dolphin willkommen zu heißen. Und es schien, als wären Purea und Tupaia ebenso fest entschlossen, Verhandlungen mit den Invasoren aufzunehmen. Selbst wenn sie dafür an diesem 11. Juli 1767 ihr Leben riskierten.

 

Tupaia, der Hohepriester im größten Tempel von Tahiti, dem Marae Māha’iātea, seit fast einem Jahrzehnt Chef-Berater des Herrscherpaares von Papara – des mächtigsten Distrikts von Tahiti –, war von der Ankunft der Dolphin nicht überrascht. Was in Europa unter dem Datum des 18. Juni 1767 als Captain Wallis’ Entdeckung Tahitis inmitten der endlosen Weiten des Pazifischen Ozeans als Sensation in die Annalen der abendländischen Seefahrt eingehen sollte, war von den Priestern Polynesiens seit Langem erwartet worden. Keiner kannte die Warnungen des Halbgottes Maui vor dem hohen Schiff besser als Tupaia. Schon als Heranwachsender war er auf seiner Heimatinsel Ra’iātea, gut zweihundert Kilometer nordwestlich von Tahiti, als Priesterschüler im Marae Taputapuātea – dem heiligsten Tempel Polynesiens – in die durch Tabu geschützten Visionen der großen Priester eingeweiht worden. Hundertfach hatte er das Wissen der Alten psalmodieren müssen und so auch die Botschaft des Priester-Propheten Paue in sein Gedächtnis eingebrannt. Es war eine düstere Warnung des Ahnengottes Maui, die Ankündigung eines vaa ama ore, eines gefährlichen fremden Schiffs mit nur einem Kiel, die Paue beschworen hatte. Auch an eine ähnliche Offenbarung des Priesters Vaita konnte sich Tupaia erinnern: In spiritueller Trance hatte der nicht nur Mauis keilförmiges Schiff durch die Himmelsdecke stürzen sehen, sondern auch die gefährlichen milchhäutigen Krieger an Bord beschrieben, die von Kopf bis Fuß in Stoff gehüllt waren und darin tödliche Waffen verbargen.[4]

1769 fertigte Sydney Parkinson eine erste Zeichnung eines Māohi an, der mit den weißen Tapa-Stoffen eines hohen tahitischen Würdenträgers bekleidet ist. Es ist möglich, dass Parkinson hier Tupaia abbildete.

Zwanzig Jahre nach seiner Ausbildung zum Priester-Navigator, auf dem Gipfel seiner Macht, hielt Tupaia, der auf Tahiti und den umliegenden Gesellschaftsinseln als Nachfolger der weisen Priester-Propheten galt und das prestigereiche Amt des Hohepriesters des mächtigen Kriegsgottes ’Oro bekleidete, die Meldung des ungewöhnlichen Schiffs und der in Stoff gehüllten Krieger für alarmierend.[5] Ohne Verzug verließ er sein Ehrfurcht gebietendes Machtzentrum in Papara – die von ihm entworfene und erst kurz vor der Ankunft der Fremden vollendete Tempel-Pyramide des Marae Māha’iātea – und machte sich auf in den weiter östlich gelegenen Distrikt von Viarai, eine halbtägige Kanu-Fahrt von Papara entfernt: Zu Maui, dessen einzige Inkarnation auf der Insel hier aufbewahrt wurde. Dies war der Ort, wo jetzt Klausur gehalten, alles Weitere in Erfahrung gebracht und beschlossen werden musste – gestützt auf Mauis Mana, seine göttliche Energie, im spirituellen Austausch mit den Ahnen. Den einzigen Europäern, denen Tupaia drei Jahre später einen exklusiven Blick auf die Inkarnation des Halbgottes in Viarai erlaubte – Captain Cook und Sir Joseph Banks –, blieb Mauis Bedeutung vollständig verborgen.[6] Sie hielten sein Abbild für ein rätselhaftes »Monster«: Eine mannshohe perlmutt-schillernde »Puppe«, die über und über mit schwarzen und weißen Federn geschmückt war, vermutlich brauchbar für Hiwas, tahitische Theateraufführungen, wie James Cook bemerkte.[7]

Ganz anders Tupaia im Juni 1767: Für ihn rückte mit der Ankunft der Dolphin die Offenbarung des Maui in akute Realitätsnähe – eine dunkle Zukunftsvision, die den letzten Flug der heiligen Vögel prophezeite, das Ende der gefiederten Götter, den Umsturz der althergebrachten Welt, den radikalen Bruch mit den Traditionen und Gebräuchen der Māohi, vielleicht sogar ganz Polynesiens.[8] In dieser Erwartung verfolgte Tupaia minutiös, gestützt auf ein Netzwerk von Beobachtern in den Distrikten Tahitis, was sich ereignete, seitdem die mächtigen Segel des vaa ama ore am Horizont erschienen und die bleichen Krieger in den schützenden Ring des Korallenriffs rund um die tahitische Doppelinsel eingedrungen waren.

 

Für die Männer der Dolphin war nach ihrer monatelangen auszehrenden Fahrt über den Stillen Ozean die Landung an der Küste Tahitis zur Überlebensfrage geworden. Seit der Abfahrt vom englischen Plymouth am 21. August 1766 hatte sich die Lage an Bord ständig zugespitzt. Beim Umfahren von Kap Hoorn im April 1767 war in den heftigen Stürmen an der Südspitze Amerikas eines der beiden Beiboote verloren, das andere beschädigt worden, Landgänge zur Proviant- und Wasserversorgung wurden nun noch schwieriger. In den folgenden Wochen waren beim Navigieren in den endlosen Weiten des Pazifiks infolge des Vitaminmangels mehr als 30 Seeleute an Skorbut erkrankt und so geschwächt, dass sie ihre Hängematte unter Deck kaum noch verlassen konnten. Neben Kapitän Samuel Wallis war schließlich auch William Clarke, der Erste Offizier der Dolphin, ausgefallen. Der Stolz der Royal Navy, eine hochmoderne Fregatte mit kupferversiegeltem Rumpf und 24 Kanonen, die immerhin schon einmal eine Weltumsegelung absolviert hatte, glich beim Anlaufen der Küste Tahitis einem Geisterschiff.[9] Als...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2023
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik
Schlagworte Captain Cook • Entdecker • Entdeckungsreise • Kolonialgeschichte • Kolonialismus • Kolumbus • Nautik • Pazifik • Polynesien • Südsee
ISBN-10 3-462-31159-X / 346231159X
ISBN-13 978-3-462-31159-4 / 9783462311594
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