Die Weiße Rose. 100 Seiten (eBook)

Reclam 100 Seiten
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
100 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961782-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Weiße Rose. 100 Seiten -  Wolfgang Benz
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Der deutsche Widerstand gegen Hitlers Diktatur hatte viele Gesichter. Eines der markantesten ist die Gruppe 'Weiße Rose'? unter ihnen die Studenten Hans und Sophie Scholl, die nach 1945 zu Helden der frühen Bundesrepublik wurden. Ihr Mut, den sie mit dem Leben bezahlten, machte sie zu Vorbildern einer ganzen Generation. Wie lassen sich die verschiedenen Persönlichkeiten der Gruppe charakterisieren? Was waren ihre zentralen Motive? Und wie sah die politische und militärische Situation 1942/43 aus, auf die sie reagierten? Der Historiker und NS-Forscher Wolfgang Benz gibt einen kompakten Überblick über das Geschehen, frei von Glorifizierung und Heroisierung.

Wolfgang Benz, geb. 1941, ist Zeithistoriker und Professor em. der Technischen Universität Berlin. Er leitete bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin.

Wolfgang Benz, geb. 1941, ist Zeithistoriker und Professor em. der Technischen Universität Berlin. Er leitete bis 2011 das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin.

Ein Denkmal wird errichtet
Diktatur und Krieg
Tatbestand: Hochverrat und Feindbegünstigung
Studentischer Widerstand. Die Flugblätter der Weißen Rose
Der Freundeskreis Weiße Rose
Sympathisierende und Unterstützer
Die Weiße Rose und die Juden
Wirkungen: Opposition im Chemischen Institut
Nachhall in Hamburg
Ist die Weiße Rose gescheitert?

Im Anhang
Lektüretipps

Diktatur und Krieg


Die Nationalsozialisten hatten bei ihrem Machterhalt 1933 zwar nicht die Mehrheit der deutschen Wähler hinter sich, aber sie wussten durch eine raffinierte Herrschaftstechnik, die Lockung und Zwang wirkungsvoll verband, Gegner und Oppositionelle auszuschalten. Das waren Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberale und andere Demokraten, aber auch entschiedene Christen. Im Zeichen der NS-Rassenideologie waren Juden Unerwünschte, die erst diskriminiert, dann verfolgt wurden. Die Mehrheit der Deutschen ließ sich für die Ziele der Nationalsozialisten begeistern. Die Erfolge in der Außenpolitik, die Scheinerfolge in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, das Ende der Arbeitslosigkeit und der innere Frieden in einer »Volksgemeinschaft«, der im Deutschen Reich zu herrschen schien, bestätigten die Nationalsozialisten und festigten ihre Herrschaft. Dass die Gegner des Regimes in Konzentrationslagern und Gefängnissen verschwanden oder auswandern mussten, berührte viele Menschen, die der NS-Herrschaft insgesamt oder teilweise zustimmten, wenig: Sie hatten ja nichts mit ihnen zu tun und kannten sie nicht.

Hitler wurde vom Jubel der nationalen Aufbruchstimmung getragen, von einem Widerstand aus dem Bürgertum war keine Rede, der Rückzug ins Private oder in die »innere Emigration« (eine Haltung der Nichtbeteiligung, stillen Abwehr und Verweigerung) schien Regimekritikern als einziger Ausweg. Viele gaben sich auch der trügerischen Hoffnung hin, die NS-Herrschaft könne nicht lange dauern – wegen der Unfähigkeit ihrer Funktionäre, wegen der überspannten außen- und militärpolitischen Ziele, wegen des Auslands, das die Provokationen und die Exzesse der Nationalsozialisten nicht endlos hinnehmen werde.

Als diese Hoffnung sich als trügerisch erwies, hatten die Nationalsozialisten längst alle öffentlichen Einrichtungen nach ihrem Willen umgebaut oder beseitigt, den Rechtsstaat zerstört, einen Herrschaftsapparat aufgebaut, der als Staat im Staate funktionierte, mit eigenen Ausführungsorganen wie der »Schutzstaffel« (SS), der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), dem System der Konzentrationslager, womit sie Gegner einschüchtern, einsperren und vernichten konnten.

Wichtiger noch als der Zwang waren aber die Lockungen des Regimes. Aufmärsche und Kundgebungen hielten den nationalistischen Jubel am Leben, Organisationen wurden gegründet wie »Kraft durch Freude«, die den Arbeitern bisher unbekannte Freizeiterlebnisse bescherten. Das bestätigte die Begeisterung über die »nationale Revolution« und stärkte die Hoffnungen auf eine glänzende Zukunft. Sinnbild für den Aufschwung waren die Autobahnen. Tatsächlich war das nationalsozialistische »Wirtschaftswunder« verursacht durch die Aufrüstung, die Vollbeschäftigung und Wachstum brachte. Und es war nicht, wie die Propaganda verkündete, eine menschenfreundliche Sozialpolitik, sondern Hitlers Wille zum Krieg, der die Entwicklung bestimmte.

Die nationalsozialistische Diktatur war keineswegs wie eine Naturkatastrophe über die Deutschen gekommen, wie viele gerne glauben wollten. Die NS-Herrschaft wurde schrittweise verwirklicht, und Hitler hatte sich die Ermächtigung zum Umbau von Staat und Gesellschaft vom Reichstag geben lassen: »Nun, Deutsches Volk, gib uns die Zeit von vier Jahren, und dann urteile und richte uns!« Was im Taumel der vermeintlich »nationalen Revolution« dem künftigen Diktator gewährt wurde, konnte aber nicht mehr zurückgenommen werden.

Mit Schlagworten wie dem, dass nun alle Deutschen in der »Volksgemeinschaft« vereint seien, wurden die wahren Absichten des Regimes vertuscht. Die Aufmärsche und Kundgebungen, die prunkvollen Reichsparteitage in Nürnberg, der Mutterkult, die Uniformen und Fahnen dienten einem Zweck: der Einordnung der Deutschen in ein System, in dem nur Befehl und Gehorsam galten. Junge Männer waren in der Hitlerjugend organisiert, es folgten der Arbeitsdienst und die Wehrpflicht, Mädchen mussten in den Bund Deutscher Mädel (BDM), junge Frauen hatten ein Pflichtjahr in der Land- oder Hauswirtschaft zu absolvieren oder dienten im weiblichen Arbeitsdienst. Für alle Bereiche des Lebens gab es eine nationalsozialistische Organisation, in der man Mitglied werden konnte oder der man zwangsweise über seinen Beruf angehören musste. Man wurde »ausgerichtet«, war »gleichgeschaltet«, wurde »weltanschaulich geschult« und war bis in die Freizeit hinein reglementiert.

Außenpolitische Ziele waren die Vergrößerung Deutschlands auf Kosten der Nachbarn, die Gewinnung von »Lebensraum«, die Vorherrschaft über andere Nationen. Schritte dazu waren die Annexion Österreichs 1938, dann die Zerschlagung der Tschechoslowakei. Hitler wollte Krieg, um weiteres Gebiet zu erobern. Und dieser Krieg wurde seit 1934 planmäßig vorbereitet. Im August 1939 wurde der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen, ein Nichtangriffs-Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion. Die Welt staunte, denn Hitler hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass der Kommunismus der größte Feind des Nationalsozialismus sei. Der Vertrag hatte jedoch nur den praktischen Zweck, die Hände frei zu haben zum Überfall auf Polen und um die Beute mit Stalin zu teilen. Zwei Jahre später, im Juni 1941, wurde die Sowjetunion selbst überfallen.

Nach dem deutschen Überfall auf Polen im Herbst 1939 wurde Polen als Staat ausgelöscht. Die polnischen Westgebiete wurden Deutschland einverleibt, das Zentrum des Landes wurde als »Generalgouvernement« vom Deutschen Reich als eine Art Kolonie verwaltet und beherrscht. Aus den annektierten Westgebieten wurde die polnische Bevölkerung vertrieben, Juden wurden in abgeriegelte Wohngebiete (Ghettos) eingesperrt, ehe sie in die KZ und Vernichtungslager deportiert und dort ermordet wurden. Im April 1940 wurden Dänemark und Norwegen ohne Kriegserklärung besetzt, im Mai 1940 traf das gleiche Schicksal Belgien, Luxemburg und die Niederlande, die als neutrale Nationen überfallen und deutscher Herrschaft unterstellt wurden. Nach der Niederlage im »Blitzkrieg« wurde im Juni 1940 auch Frankreich von Berlin aus kontrolliert.

Für den Osten Europas, für die slawische Bevölkerung, die Tschechen und Polen, Serben und Kroaten, Ukrainer, Russen, Weißrussen, deren Länder in deutsche Hand fielen, galten nun die Grundsätze unbedingter deutscher Herrschaft, und die Methoden dazu waren Unterdrückung, Ausbeutung und Versklavung der Brauchbaren, Ausrottung der Unerwünschten. Die einheimische Bevölkerung wurde nur als Kriegsbeute, als Reservoir billiger Arbeitskraft betrachtet. Millionen Menschen wurden aus Osteuropa als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt.

Die rassistische Weltanschauung des Nationalsozialismus wurde zuerst gegenüber den Juden in Taten umgesetzt. In Deutschland lebten etwa eine halbe Million Menschen (0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung), die sich zur jüdischen Religion bekannten, nichts unterschied sie sonst von anderen Deutschen. Zuerst wurden sie aus Wirtschaft und Gesellschaft, aus ihren Berufen verdrängt, damit wurde Druck ausgeübt, dass sie Deutschland verließen. Die Maßnahmen der Diskriminierung erfolgten ohne Protest der deutschen Bürger, wurden, da formal »legal«, als neues »Recht« hingenommen. Im April 1938 mussten Juden ihre Vermögen deklarieren, ab Mai 1938 waren sie von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen, im Juli gab es einen besonderen Ausweis für sie, im August erging die Verordnung zur Führung der zusätzlichen Zwangsvornamen Sarah bzw. Israel. Zusätzliche Schikanen dachten sich Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP aus, wie die Schilder am Ortseingang »Juden unerwünscht« oder die Parkbänke mit der Aufschrift »Nur für Arier«, oder das Verbot für Juden, städtische Badeanstalten zu benutzen.

Im Krieg radikalisierte sich die Verfolgung. Ab Herbst 1939 war das besetzte Polen das Experimentierfeld des Vernichtungskampfes gegen Juden. Ab Herbst 1941 wurden die Juden in die besetzten Gebiete im östlichen Europa deportiert. Das wollten die Machthaber geheim halten, aber auch ohne Kenntnis dessen, was im Einzelnen geschah, wussten die Deutschen vom Judenmord oder ahnten ihn. Urlauber von der Ostfront erzählten, was sie gesehen hatten, die Stigmatisierung durch den Judenstern war unübersehbar, das Verschwinden von Nachbarn blieb nicht unbemerkt, die NS-Propaganda verhöhnte und verteufelte die Juden als Untermenschen – es war nicht möglich, von der Tragödie nichts zu bemerken. Die Ausrottung aller Juden Europas war beschlossen. Der Völkermord als Ziel der Rassenpolitik erreichte 19421944 den Höhepunkt, als in den Vernichtungslagern Juden aus ganz Europa mit Giftgas ermordet wurden.

Zu den Illusionen Hitlers und seiner Generale gehörte die Vorstellung, die Sowjetunion in einem »Blitzkrieg« wie 1939 Polen und 1940 Frankreich besiegen zu können. Der deutsche Angriff blieb jedoch schon im Winter 1941 vor Moskau stecken. Die Kriegserklärung an die USA besiegelte zur gleichen Zeit das deutsche Schicksal. Der Zweite Weltkrieg war für Deutschland längst verloren, obwohl die Wehrmacht noch in einzelnen Schlachten siegte. Im November 1942 war die sechste Armee der deutschen Wehrmacht, eine Viertel Million Mann, bei Stalingrad von sowjetischen Streitkräften eingekesselt worden. Am 2. Februar 1943 musste...

Erscheint lt. Verlag 29.9.2017
Reihe/Serie Reclam 100 Seiten
Reclam 100 Seiten
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Schlagworte Alexander Schmorell • Christoph Probst • Deutsche Geschichte • Diktatur • Gestapo • Gruppe Weiße Rose • Hans Scholl • Hitler • Ludwig-Maximilians-Universität • München • NS-Regime • NS-Zeit • Roland Freisler • Schauprozess • Sophie Scholl • Todesurteil • Wehrmacht • Widerstand • Widerstand im Dritten Reich • Willi Graf
ISBN-10 3-15-961782-3 / 3159617823
ISBN-13 978-3-15-961782-4 / 9783159617824
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