Das Blaue Buch -  Erich Kästner

Das Blaue Buch (eBook)

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2018 | 1. Auflage
432 Seiten
Atrium Verlag AG Zürich
978-3-03792-099-2 (ISBN)
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Nachdem Erich Kästner 1933 von den Nazis als Autor verboten worden war, entschloss er sich, ein geheimes Tagebuch zu führen. Dazu griff er auf ein blau eingebundenes, unbeschriftetes Buch zurück, das er zwischen den anderen viertausend Bänden seiner Bibliothek versteckte. Aus Sicherheitsgründen fertigte Kästner seine Aufzeichnungen außerdem stenografisch an. Von 1941 bis zum Kriegsende schrieb Erich Kästner auf, was sich an der Front und in Berlin ereignete, notierte Heeresberichte und Massenexekutionen ebenso wie die Kneipenwitze über Goebbels und Hitler, die schon bald nur noch hinter vorgehaltener Hand gemacht wurden. Er dokumentiert seinen zunehmend von Stromsperren und Bombenangriffen geprägten Alltag bis zur bedingungslosen Kapitulation im Mai 1945 und berichtet, was sich in den Monaten danach abspielte. Die jetzt vorliegende, von Sven Hanuschek zusammen mit Silke Becker und Ulrich von Bülow herausgegebene und umfangreich kommentierte Ausgabe umfasst neben Kästners Kriegstagebuch auch seine gesammelten Notizen für einen Roman über das 'Dritte Reich', ein umfangreiches Vorwort sowie zahlreiche Zeitungsartikel, die Erich Kästner im Blauen Buch aufbewahrte.

Erich Kästner, 1899 in Dresden geboren, ist bis heute einer der meistgelesenen und beliebtesten deutschen Autoren. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden seine Bücher verbrannt, sein Werk erschien nunmehr in der Schweiz im Atrium Verlag. Für seine Bücher wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Hans-Christian-Andersen-Preis und dem Georg-Büchner-Preis. Erich Kästner starb 1974 in München.

Erich Kästner, 1899 in Dresden geboren, ist bis heute einer der meistgelesenen und beliebtesten deutschen Autoren. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden seine Bücher verbrannt, sein Werk erschien nunmehr in der Schweiz im Atrium Verlag. Für seine Bücher wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Hans-Christian-Andersen-Preis und dem Georg-Büchner-Preis. Erich Kästner starb 1974 in München.

Knappe Chroniken: 1941 und 1943


Kästners Kriegstagebücher samt der zahlreichen Beilagen – Zeitungsartikel, Nietzsche-Notizen und anderes – sowie der Anläufe für zwei Romanprojekte sind zum einen lakonische Mitschriften eines Alltags und einer Mentalität. Zum anderen liefern sie, wenn man den schieren Gedächtnisstützen des Autors, seinen Anspielungen, Nebengeschichten und einigen der Hinweise auf damals geläufige Halb- und Viertelprominente nachgeht, ein Zeitpanorama von geradezu Rabelais’scher Üppigkeit. Einigen dieser Nebengeschichten geht der Kommentar dieser Ausgabe nach, es finden sich immer wieder Biografien, die nach einer ausführlichen Recherche oder einer Verfilmung schreien; um hier wenigstens zwei zu nennen: Der österreichische Schauspieler Leo Reuss hatte seit den zwanziger Jahren Engagements an den großen Berliner Bühnen, 1934 erhielt er wegen seiner jüdischen Herkunft Arbeitsverbot und ging wieder nach Österreich. Dort gab er sich 1936 bei einem Vorsprechen in Salzburg als bärtiger Tiroler Bauer ›Kaspar Brandhofer‹ aus, als theaterinteressierter Laie in Lederhosen, der unbedingt auf die Bühne wolle; tatsächlich wurde er am Wiener Theater in der Josefstadt engagiert und erhielt sehr positive Kritiken, als scheinbar völkisch-naives Originalgenie. Er beging dann den Fehler, sich selbst zu enttarnen, mit der Folge, dass er nun auch in Österreich keine Engagements mehr erhielt. Reuss emigrierte in die USA und war dort bis zu seinem frühen Tod 1946 ein gefragter Nebendarsteller in Hollywood – unter dem Namen Lionel Royce. Felix Mitterer hat das Stück In der Löwengrube (1998) über ihn geschrieben, es gibt mehrere Biografien,[2] und offenbar hatte auch Kästner dieses Leben als ›Stoff‹ im Blick.

Ein anderer Fall, den Kästner nur nebenbei erwähnt, ist der Vorwärts-Redakteur Hans Wesemann, der sich im Londoner Exil von der Gestapo anwerben ließ und an der Entführung des NS-kritischen Publizisten Berthold Jacob aus Basel nach Deutschland beteiligt war; Wesemann wurde von den Schweizer Behörden inhaftiert, konnte nach dem Zuchthaus nach Venezuela emigrieren und war einige Jahre in Texas interniert; er ist 1971 in Lateinamerika gestorben und hat postum etliche Spionage-Geschichten erzeugt – er habe für den KGB gearbeitet, sei in New York gesichtet worden und anderes mehr. Die größte Öffentlichkeit erlangte seine Verwechslung mit dem Journalisten Hans Otto Wesemann, dem langjährigen Intendanten der Deutschen Welle. Auch die bislang einzige Biografie über Hans Wesemann kann sein Leben nach dem Krieg nicht zuverlässig rekonstruieren.[3]

So kurios solche Nebengeschichten sein mögen, ist doch offensichtlich, dass die Bereitschaft des Chronisten Kästner allmählich sinkt, das Beobachtete – neben allen anderen Emotionen – auch komisch zu finden; am Ende, bei der Wiedergabe des Berichts von Männe Kratz, der Auschwitz entronnen ist, scheint er selbst überwältigt, sprachlos. Seine Kommentierung des Kriegsverlaufs ist zu Anfang gleichzeitig eine Kommentierung der Nachrichtenpropaganda und -mechanik der Diktatur, 1941 noch erstaunlich patriotisch gehalten; auch diese Tendenz lässt im Verlauf der Notizen stark nach. Kästner hat einmal bemerkt, er habe auch aus Langeweile nicht Tag für Tag mitschreiben können, die Sprünge in den ersten Monaten sind zum Teil erheblich.

Nachdem die Kriegstagebücher erst 1941 und nicht mit den ersten Jahren der NS-Diktatur einsetzen, werden schon zu Beginn Alltagsprobleme beschrieben, die neben den Kriegsereignissen und dem massiven Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft nur frivol wirken können. So ist einmal davon die Rede, dass seine Lebensgefährtin Luiselotte Enderle nicht mehr bei Kempinski einkaufen wolle: »Die Verkäufer sind von reichen Kunden samt und sonders bestochen. Fünfzig Mark als Schmiergeld sind keine Seltenheit. Und die Verkäufer bedienen ostentativ nur noch solche ›Kunden‹. Sie plaudern mit ihnen, sie wickeln ihnen vor aller Augen Waren ein, die es für die andern ›nicht gibt‹.« (1811941) Es werde viel geschoben, man könne, »für entsprechende Preise, alles kaufen«. Als wolle Kästner die Frivolität selbst ausstellen, notiert er einige Zeit später: »Was es in den letzten Monaten wirklich im Überfluss gab waren: Sekt, Hummern und Orchideen. Sekt gibt es zurzeit so wenig wie nie früher. Orchideen gibt es aber noch« (1351941). Die Tagebücher sind Mitschriften, Tagesbeobachtungen eben; was der Verfasser davon hielt, wusste er ohnehin und sah keine Veranlassung, die eigenen Notizen auch noch moralisierend oder anders zu interpretieren. Deshalb finden sich kaum Kommentare, und wenn es denn welche gibt, können sie zu Beginn durchaus irritierend ausfallen. Er lernt einen Leutnant der Panzerjäger kennen, der bei der Gestapo ist, lässt sich in dessen Wohnung einladen und die angehäuften Vorräte vorführen, einen Cognac servieren und ein zeitgemäßes zweideutiges Etablissement zeigen; obwohl ganz offen erwähnt wird, der Leutnant habe sich bei der Gestapo erkundigt, ob gegen Kästner etwas vorliege, und über seine sonstigen Taten in seiner Eigenschaft als Gestapo-Mann nichts bekannt wird, meint der Kommentator nur, das sei doch mal ein »harmloser, quietschvergnügter Junge« (1811941).

Kästner verteidigt den deutschen Film gegenüber Beate und Kurt von Molo, die im Ausland französische und amerikanische Filme gesehen hatten und zu behaupten wagten, es sei nicht mehr möglich, in Deutschland gleichwertige Filme zu drehen (1911941). Immer wieder referiert er Gerüchte, die teilweise, so oder ähnlich, stimmten – wie schlimm die deutschen Nicht-Nationalsozialisten im unbesetzten Teil Frankreichs behandelt würden (»Eine interessante Tatsache«, 1911941) oder dass sich Walter Benjamin umgebracht habe. Dabei ist dem Diaristen schon immer klar, dass er weder der deutschen noch der ausländischen Presse je ganz trauen kann.

Er sammelt Wanderlegenden, Flüsterwitze (»Der Krieg wird wegen seines großen Erfolges verlängert«, 2611941), dokumentiert kleine Erfolge des Widerstands oder freut sich über eine missglückte Rede des Wiener Reichsstatthalters Baldur von Schirach in einer Fabrik in Floridsdorf: Die Arbeiter »übertrieben ihre Begeisterung ins Ironische so, dass sie zwei Stunden lang ohne Pause die Lieder der Bewegung sangen und in Siegheilrufe ausbrachen, sodass Baldur, nachdem er zwei Stunden lang auf dem Rednerpodium abgewartet hatte, endlich wieder nach Hause fuhr, ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben« (2311941).

Den größten Teil des Tagebuchs macht hier noch die laufende Kriegsberichterstattung aus. Ab und zu kommentiert der Verfasser die sich fortzeugenden Widersprüche, aber meistens in einer Haltung, als sei er kein Oppositioneller, sondern ein Repräsentant Deutschlands – auch diesmal entwickle sich der »Balkan zur Höllenmaschine Europas« (2911941), oder: »Für meine Begriffe ist nun eine besonders wichtige Frage, ob es Deutschland gelingt, die Landung in England erfolgreich durchzuführen, ehe die amerikanische Atlantikflotte mithelfen kann, diesen Landungsversuch (und vor allem den Nachschub) zu stören.« (921941) Tagelang verfolgt Kästner die Meldungen über die Flucht des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß nach Großbritannien, die Kriegserklärung an die Sowjetunion findet er »psychologisch sehr interessant«, Goebbels’ Ansprache sei der »melancholische Versuch einer staatsmännischen Rechtfertigung« gewesen, an die Nationalsozialisten selbst gerichtet und nur namentlich an das Volk (2261941). »Es hat den Eindruck, als ob Deutschlands ›Kreuzzug gegen den Bolschewismus‹ in allen, auch den unterdrücktesten Ländern, eine geradezu erstaunliche Sympathiesteigerung für Hitler hervorgerufen habe.« (2661941)

Sehr hellhörig war Kästner von Anfang an gegenüber den laufenden Steigerungen des Antisemitismus. Im September 1941 verspürte er »eine neue innenpolitische Aktivität«, unübersehbar begannen die Deportationen in die Vernichtungslager, Kästner konnte sie freilich noch nicht genau einordnen: »Und seit Tagen werden die Juden nach dem Warthegau abtransportiert. Sie müssen in ihren Wohnungen alles stehen und liegen lassen und dürfen pro Person nur einen Koffer mitnehmen. Was sie erwartet, wissen sie nicht.« Pauline und Günther Schlesinger, von Kästner fälschlich als Ehepaar bezeichnet, waren seine Nachbarn in der Roscherstraße 16. Sie hätten ihn »gefragt, ob ich Möbel, Bilder, Bücher, Porzellan usw. kaufen will. Sie hätten sehr schöne ausgesuchte Dinge. Aber das Geld werden sie wohl auch nicht mitnehmen dürfen« (Ende Oktober 1941). Die Mutter starb in Theresienstadt, der Sohn wurde in Auschwitz ermordet.

Auch die Einträge für das Jahr 1943 bleiben noch vergleichsweise knapp; sie sind nicht mehr die des abgeklärten...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2018
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Schlagworte 2.Weltkrieg • Berlin • Deutschland • Drittes Reich • Kästner • Nationalsozialismus • Nazis • Sven Hanuschek • Tagebuch • Zeitdokument
ISBN-10 3-03792-099-8 / 3037920998
ISBN-13 978-3-03792-099-2 / 9783037920992
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