Die Große Depression (eBook)
242 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-42528-3 (ISBN)
Jan-Otmar Hesse ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth.
Jan-Otmar Hesse ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth. Roman Köster, PD Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr München. Werner Plumpe ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität in Frankfurt am Main. Von 2008 bis 2012 war er Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands.
Inhalt 6
Vorwort 8
1.Die Weltwirtschaftskrise als historisches Ereignis und konzeptionelles Problem 12
2.Krisenherde der
26
3.Die Krise in den einzelnen Ländern 54
3.1Die kurze und tiefe Krise des Deutschen Reiches 54
3.2Die schleichende Krise in Großbritannien und dem Commonwealth 79
3.3Die große und lange Depression in den USA 104
3.4Die verzögerte Krise in Frankreich und dem Goldblock 129
3.5Die verspätete Krise in China 151
3.6 Die entkoppelte Krise in der Sowjetunion 163
4. Die Weltwirtschaftskrise in der
178
5.Die Weltwirtschaftskrise
206
Tabellen und Grafiken 218
Literatur 220
Anhang 236
Vorwort Die Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit war, daran besteht kein Zweifel, wegen ihres Ausmaßes und ihrer Folgen das gravierendste Ereignis der jüngeren Wirtschaftsgeschichte. Sie hat nicht nur unser Verständnis der modernen Wirtschaftsentwicklung geprägt und dabei eine tiefe Skepsis hinterlassen, dass solche tiefen globalen Wirtschaftskrisen jederzeit wiederkehren können. Auch die Erwartungen an die wirtschaftliche Rolle des Staates haben sich fundamental gewandelt. Der liberale Optimismus des 19. Jahrhunderts jedenfalls ist seither geschwunden. Im Gegenteil: Heute verlangen die Bürger vom staatlichen Handeln Schutz, sei es durch kluge vorbeugende Maßnahmen oder durch umfassende Hilfen angesichts der sozialen Folgen von Wirtschaftskrisen. So richtete man während der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise rasch umfassende Erwartungen an die Adresse des Staates - und das nicht etwa nur aus dem Lager der Anhänger sozialpolitischer Maßnahmen, sondern auch von Seiten der Unternehmer. Die Forderungen wurden auch damit begründet, dass der Staat ein Desaster wie die Entwicklung nach 1929 um fast jeden Preis verhindern müsse. Schließlich war die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise auch deshalb so einschneidend, weil sie in der Tat ein weltweites Phänomen war und nicht ohne weiteres auf regionale Besonderheiten oder nationale Fehlentwicklungen zurückgeführt werden konnte. Gerade ihre Globalität begründete ihre Wirkung und bestimmt unser Denken seither. Umso erstaunlicher ist es, dass - trotz einer nicht mehr zu überschauenden Fülle an Forschungsbeiträgen - Darstellungen, die den ökonomischen und wirtschaftshistorischen Forschungsstand zusammenfassen und eine entsprechende Erläuterung der Ursachen, des Verlaufes und der Folgen der Krise geben, zumindest im deutschen Sprachraum selten geblieben sind. Dies mag mit Paul A. Samuelsons fast resignierender Beobachtung zu tun haben, nach der die Weltwirtschaftskrise sich vor allem einer unglücklichen Verkettung verschiedener Faktoren verdankt, die eine einfache Darstellung erschweren; allein die Zusammenfassung der bisherigen Literatur zu den Krisenursachen steht vor dem Problem, in einem nicht leicht zu entwirrenden Dickicht konkurrierender Interpretationen den roten Faden zu entdecken. Andererseits aber ist die Bedeutung der Krise zu groß, um nicht zumindest den nachfolgenden Versuch zu wagen. Mit dem vorliegenden Buch beabsichtigen wir keine Enzyklopädie der Großen Depression zu schreiben. Wir legen vielmehr eine typisierende Darstellung einer Krise sowohl in ihrer Regelhaftigkeit als auch in ihren jeweiligen nationalen Besonderheiten vor. Daher betrachten wir vor allem jene Staaten und Regionen genauer, die sich im Fokus der Krise befanden, während Länder, die von der Krise kaum oder gar nicht betroffen waren (wie etwa Japan), eher am Rande bleiben. Auch lässt die historische Wirtschaftsstatistik ein zugleich umfassendes und detailliertes quantitatives Bild des Krisenverlaufes bisher nicht zu, und es war außerhalb unserer Möglichkeiten, hier durch eigene Arbeit Abhilfe zu schaffen. Aber die vorliegenden statistischen Befunde sind bei allen Vorbehalten auch nicht so schlecht, dass sie nicht für die Argumentation hätten herangezogen werden können. Der Aufbau der Studie ist entsprechend unserer typisierenden Argumentation angelegt. Wir beginnen mit einer allgemeinen Übersicht über die Krise und diskutieren danach deren Überraschungswert für die Zeitgenossen, deren Erwartung an die konjunkturelle Entwicklung noch weitgehend durch die ökonomischen Vorstellungen des liberalen 19. Jahrhunderts und die sich von dort herleitenden politischen Vorstellungen geprägt war. Die Krise war - und das ist uns sehr wichtig - eben nicht nur ein tiefer Einschnitt in der wirtschaftlichen Leistung; sie traf die wesentlichen Akteure der Zeit auch unvorbereitet, auf dem falschen Fuß, und machte sie teilweise hilflos. An diese Eröffnung schließt sich ein Kapitel zu den strukturellen Belastungen der Weltwirtschaft der Zwischenkriegszeit an, in dem einerseits die Folgen des Krieges, andererseits die Folgen jener Maßnahmen betrachtet werden, die ergriffen wurden, um die Nachkriegswirtschaft zu stabilisieren. Dabei ragt der Goldstandard als internationale Währungsordnung in jeder Hinsicht heraus. Rekonstruiert, um an die Vorkriegsprosperität anknüpfen zu können, wurde er zu einer Art tragischem Band der Weltwirtschaft, über das sich die Krise global ausbreiten konnte. Diesen Überlegungen folgt dann die Betrachtung der Krise in einzelnen Ländern nach der Reihenfolge, in der sich die Länder von den 'goldenen Fesseln' (Barry Eichengreen) befreit haben, beginnend mit Deutschland, Großbritannien bzw. dem britischen Empire und fortsetzend mit den USA und Frankreich. Zwei Schlaglichter auf Länder, die dem Goldstandard nicht unterworfen waren, China und schließlich die Sowjetunion, beschließen dieses Kapitel. Das ist, wie gesagt, kein vollständiges Panorama der Weltwirtschaftskrise - so bleibt nicht nur Japan am Rande, sondern auch Lateinamerika. Diese Auswahl ermöglicht aber doch einen klaren Blick auf die maßgeblichen regionalen Krisenverläufe, durch die wiederum die Darstellung der Krise als Weltwirtschaftskrise Kontur gewinnt. Dieser Krisengeschichte folgt dann eine pointierende Diskussion der Krisenursachen, namentlich auch eine Rekonstruktion der bis heute geführten Auseinandersetzungen um das Wesen der Krise und der mit einer jeweiligen Diagnose verbundenen Erwartungen an das wirtschaftspolitische Handeln des Staates. Seit der Weltwirtschaftskrise war Krisendiagnostik in der großen Mehrzahl der Fälle immer beides: Ursachenanalyse und Therapievorschlag, zum Teil untrennbar ineinander verschmolzen. Das zeigt noch die gegenwärtige Krisendebatte, die sich auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 auch deshalb bezieht, weil sie so ein größeres Reservoir an Argumenten anzubieten glaubt, um die jeweils gewünschte Krisenpolitik zu legitimieren. Mit Überlegungen hierzu schließt das Buch, dessen Verfasser sich selbst mit Ratschlägen zurückhalten. Schließlich lehrt die Geschichte, dass nichts zweimal geschieht - und es daher auch schwer ist, ihr Rezepte zu entnehmen. Das Buch geht zurück auf die Erstellung eines Kursheftes für die Fernuniversität Hagen, die die Verfasser noch kurz vor der Finanzkrise begonnen hatten. Das Thema haben wir seitdem in zahlreichen gemeinsamen Diskussionen untereinander, aber auch mit vielen Freunden, Kollegen und Studenten über einen längeren Zeitraum vertieft. Ihnen allen gilt unser Dank, auch wenn es nicht möglich ist, hier allen einzeln zu danken. Diejenigen, die großen Einfluss hatten, werden aber auf jeden Fall wissen, dass und inwiefern sie gemeint sind. Fehler gehen selbstverständlich auf unser Konto. Frankfurt am Main und München, im Sommer 2014 1.Die Weltwirtschaftskrise als historisches Ereignis und konzeptionelles Problem Als im Oktober 1929 in New York die Blase am Aktienmarkt platzte, ahnte zunächst kaum ein Betrachter, dass die bis auf den heutigen Tag tiefste Wirtschaftskrise ausbrechen würde, in deren Ergebnis sich das Antlitz der Weltwirtschaft, ja der Weltpolitik grundlegend verändern sollte. Die meisten Zeitgenossen gingen vielmehr davon aus, dass es sich um einen normalen wirtschaftlichen Abschwung handelte, ausgelöst und verstärkt durch das Ende einer spekulativen Blase. Dieses Ereignis war zweifellos bemerkenswert, zumal es die vermeintlich 'goldenen zwanziger Jahre' abrupt beendete und mit aus den Fenstern springenden Börsenhändlern auch spektakuläre Bilder lieferte. Aber das Ausmaß des konjunkturellen Einbruchs schien doch überschaubar, zumal es die Weltwirtschaft regional ganz unterschiedlich betraf. Das Jahr 1930 war wirtschaftlich schwierig: Vor allem in den USA und im Deutschen Reich ging die wirtschaftliche Gesamtleistung um mehr als fünf Prozent zurück, die Arbeitslosigkeit stieg, und in manchen Branchen, besonders in der Landwirtschaft, waren die Zustände überaus unerfreulich. Aber die Landwirtschaft war Kummer gewohnt: Die gesamten zwanziger Jahre war sie von strukturellen Problemen (zu hohe Kapazitäten, niedriges Preisniveau) gequält worden, überhaupt schien ihre Bedeutung insgesamt zu schwinden. Andere Staaten hingegen wie Frankreich oder England merkten 1930 die Krise noch kaum, die Sowjetunion und Japan waren nur am Rande betroffen, und auch Italien, von der faschistischen Regierung zu einer durchgreifenden ökonomischen Modernisierung genötigt, schien sich der Krise weitgehend entziehen zu können. So war es nur naheliegend, dass die Regierungen weltweit auf die Krise nicht panisch, sondern eher traditionell im Sinne des wirtschaftlichen Liberalismus reagierten. Sie beschränkten die Staatstätigkeit, um den geringer werdenden finanziellen Spielräumen zu entsprechen. Ansonsten warteten sie darauf, dass die Krise sich von selbst erledigte. Abwartendes Verhalten war naheliegend, zumal die Probleme der internationalen Währungsordnung, die durch den Goldstandard bestimmt war, eine offensivere staatliche Haltung ohnehin nicht zuließen. Anfang 1931 schien die Rechnung auch aufzugehen. Sowohl in der staatlichen Wirtschaftspolitik wie in zahlreichen privaten Unternehmen ging die Mehrzahl der Betrachter davon aus, die Krise sei im Wesentlichen überwunden, und man könne in absehbarer Zeit mit einem erneuten Aufschwung rechnen. Die dramatische Zuspitzung der internationalen Finanz- und Währungskrise in den nächsten Monaten ließ diese Hoffnungen jedoch gegenstandslos werden. Das überaus störungsanfällige System der internationalen Währungsordnung, das komplizierte Problem der Reparationen bzw. der interalliierten Schulden und der damit verbundenen Ungleichgewichte in den globalen Finanz- und Kapitalströmen sowie das politische Misstrauen der ehemaligen Kriegsgegner führten im Sommer 1931 zuerst zum faktischen Zusammenbruch des zentraleuropäischen Banken- und Finanzsektors und dann auch des Goldstandards. Diese Ereignisse mündeten wiederum in einem protektionistischen Wettlauf, in dessen Ergebnis der Welthandel ein weiteres Mal deutlich schrumpfte, nachdem ihm bereits zu Beginn der Krise verschiedene protektionistische Maßnahmen namentlich der US-Regierung zugesetzt hatten. Die wirtschaftlichen Daten verschlechterten sich im Gefolge der Währungs- und Finanzkrise und des Zusammenbruchs des Weltwährungssystems und des Welthandels nun weltweit drastisch - allein die Sowjetunion schien unbeschadet durch das wirtschaftliche Desaster zu kommen, während jetzt auch Länder wie England und Frankreich, die Niederlande und Belgien, die bisher einigermaßen zurecht gekommen waren, in den Strudel hineingezogen wurden. Die sich weltweit zuspitzende Agrarkrise traf zudem nun auch die Gewinner der durch den Ersten Weltkrieg ausgelösten weltwirtschaftlichen Verschiebungen wie Argentinien, Australien oder Spanien überaus heftig. Im Winter 1931/32 erreichte die Krise folgerichtig ihren Tiefpunkt, deren trauriger Ausdruck Rekordarbeitslosenzahlen waren - in Deutschland gab es im Februar 1932 offiziell sechs Millionen Arbeitslose, von der verdeckten Arbeitslosigkeit ganz zu schweigen. In Großbritannien waren es offiziell 2,85 Millionen Menschen, in den USA standen zwölf Millionen Menschen auf der Straße. Dabei geben diese Zahlen die soziale Realität kaum angemessen wieder, da diejenigen, die noch Arbeit hatten, oft kurz arbeiteten, die Löhne gesenkt und die staatlichen Transferleistungen für Erwerbslose drastisch eingeschränkt worden waren. Massenelend breitete sich in vielen Ländern Europas, vor allem aber auch in den ländlichen Gebieten der USA aus - nun wurden auch die politischen Systeme mehr und mehr in Mitleidenschaft gezogen. Die bisher noch ohne größeren Widerspruch betriebene liberale Wirtschaftspolitik erschien als unfähig, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Staaten in den Griff zu bekommen. 1932 war insofern nicht nur das annus horribilis der Weltwirtschaft; auch die bisherigen Vorstellungen einer liberalen Wirtschaftspolitik, ja der Handlungsfähigkeit parlamentarischer Regierungen überhaupt, gerieten weltweit in die Kritik. Der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland war dabei in dieser Hinsicht keine Ausnahme, sondern nur der spektakulärste Fall - mit freilich in jeder Hinsicht desaströsen Folgen. Diese Auswirkungen blieben anderen Ländern erspart, auch wenn dort ähnliche antiparlamentarische und antiliberale Bewegungen an Raum gewannen, besonders ausgeprägt in Österreich und Südosteuropa. Aber auch Frankreich experimentierte in den 1930er Jahren mit der 'Volksfront', und in Spanien und Portugal kamen Diktatoren an die Macht. Wie weit die amerikanische Regierung unter Franklin Delano Roosevelt als antiparlamentarisch bezeichnet werden kann, ist umstritten, doch suchte auch Roosevelt im 'New Deal' einen neuen, direkten, das Volk mobilisierenden Politikstil, um genügend Momentum zur Überwindung der Krise vorbei an der als schwerfällig, ja handlungsunfähig erscheinenden parlamentarischen Prozedur gewinnen zu können. Lediglich Großbritannien, die Niederlande und einige skandinavische Staaten blieben gegenüber derartigen Verlockungen immun. Der Bruch mit der liberalen Tradition - das ist freilich die Ironie - erzielte letztlich aber auch keine besseren wirtschaftlichen Ergebnisse als der vermeintlich versagende Liberalismus, vom Sonderfall der nationalsozialistischen Rüstungskonjunktur abgesehen. In der Mehrzahl der Staaten kam es nach 1932/33 zwar langsam zu einer wirtschaftlichen Erholung, doch fiel der Aufschwung vergleichsweise verhalten aus, zumal ihm die weltwirtschaftlichen Impulse fehlten. Denn an die Stelle des in der Krise zerbrochenen Goldstandards trat keine neue Weltwährungsordnung. Die Weltwirtschaft verharrte vielmehr in wirtschaftlich gegeneinander abgeschotteten Handels- und Zollblöcken, und der Welthandel schrumpfte weiter. Entsprechend blieb in der Mehrzahl der Länder die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau. Allein Deutschland scherte aus diesem Muster eines nur schleppenden Aufschwungs aus. Schon 1936/37 war Vollbeschäftigung erreicht und auch die gesamtwirtschaftlichen Daten signalisierten, dass die große Krise überwunden war (vgl. Tabellen 5 und 10 im Anhang).
Erscheint lt. Verlag | 2.10.2014 |
---|---|
Zusatzinfo | zahlr. Tabellen und Grafiken |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► 20. Jahrhundert bis 1945 |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | China • Deutschland • Europa • Frankreich • Golden Twenties • Großbritannien • Große Depression • New Deal • Russland • Schwarzer Donnerstag • Schwarzer Freitag • Sozialgeschichte • USA • Vereinigte Staaten von Amerika • Weltwirtschaft • Weltwirtschaftskrise • Wirtschaftsgeschichte |
ISBN-10 | 3-593-42528-9 / 3593425289 |
ISBN-13 | 978-3-593-42528-3 / 9783593425283 |
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