Palliative Pflege von Menschen mit Demenz -  Stephan Kostrzewa

Palliative Pflege von Menschen mit Demenz (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 3. Auflage
304 Seiten
Hogrefe AG (Verlag)
978-3-456-76264-7 (ISBN)
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Praxisorientiertes Handbuch zur palliativen Pflege, das einfühlsam das 'Leben in einem permanenten Augenblick' von Menschen mit einer Demenz beschreibt und zeigt, wie Pflegende sterbende demenzkranke Menschen pflegen, unterstützen und begleiten können. Der erfahrene Autor und Dozent bietet Empfehlungen und handlungsorientierte Lösungen auf den Ebenen des Symptommanagements und des kommunikativen Handelns in der Sterbebegleitung integriert die nationalen Expertenstandards zum Schmerzmanagement und zur Beziehungsgestaltung mit Menschen mit Demenz zeigt typische Konfliktfelder auf, wie den Einsatz von Morphinpräparaten, Flüssigkeits- und Nahrungsverweigerung und herausforderndes Verhalten sensibilisiert für die veränderte Informationsverarbeitung und das Erleben von Menschen mit Demenz und deren -spirituelle Bedürfnisse beschreibt das Assessment und Symptommanagement von Aggression, Atemnot, Durst, Mundtrockenheit, Unruhe und Schmerzen erläutert Konzepte zur Begleitung von sterbenden Menschen mit Demenz von der Hospizidee, über die Basale Stimulation, Biografie- und Angehörigenarbeit, Fallarbeit, Namaste Care, Palliative Care und das therapeutische Gammeln, bis hin zur Validation vernetzt professionelle Dienstleister, Demenzbeauftragte und ehrenamtlich Helfende bietet Arbeitshilfen, wie Biografiebögen, Angehörigenbroschüren, Curricula und Schmerzassessments erleichtert den Praxistransfer durch Fallbeispiele, -Reflexionsfragen, Rollenspiele und Übungen. 'Die Lektüre dieses Buches ist absolut empfehlenswert. Es ist abwechslungsreich, übersichtlich, lehrreich und gut strukturiert.' Altenpflege

|15|Vorwort zur ersten Auflage


Mitte der 1980er Jahre habe ich meine Altenpflegeausbildung bei der Diakonie in Duisburg absolviert. Zu dieser Zeit dauerte sie nur zwei Jahre, eins davon war das Anerkennungsjahr. Zum Thema „Sterben und Tod“ wurde eine Doppelstunde „Kübler-Ross“ angeboten und etwas „Religiöses“, quasi als Garnitur. Dieser fachliche Input sollte reichen für das weite Feld der Begleitung sterbender Menschen. Nun gut. Das wenige Rüstzeug konnte dem großen Bedarf aus der Praxis nicht gerecht werden. Mit meinen 21 Jahren stand ich total überfordert am Sterbebett der Bewohner/innen.

Innerhalb meines anschließenden Studiums der Sozialwissenschaften wurden im Rahmen der Psychologie die Erkenntnisse von Kübler-Ross (eingeflossen in ein 5-Phasen-Modell) teilweise entzaubert, da sie methodisch unsauber gearbeitet hatte (Howe, 1992). Aber schon vorher war ich durch meine Altenpflegepraxis irritiert, da keiner meiner sterbenden Bewohner bzw. Patienten sich an das Phasenmodell zu halten schien. Entweder wurde hier nicht „richtig“ gestorben, oder an dem Modell stimmte etwas nicht.

Wenn der/die Leser/in nun meint, hier kommt das Werk eines frustrierten Altenpflegers, muss ich ihm/ihr widersprechen. Enttäuschung ja, aber keine Frustration. Denn gerade die Arbeit mit alten und an Demenz erkrankten Menschen hat mir so manchen Blickwinkel ermöglicht, den mir die Ausbildung nicht hat bieten können. Ihre Sichtweise der Dinge, ihre Erlebenswelt und ihre radikale Gegenwärtigkeit faszinierten mich ungemein.

Meinen Professoren im Studium der Sozialwissenschaften bin ich im Nachhinein sehr dankbar, dass sie mich auf den wissenschaftlichen Weg der Sterbeforschung und Thanatologie gebracht haben. Auch wenn es kein ausgesprochener Schwerpunkt dieser Universität war, gab es die Möglichkeit, sich diesem Thema zu widmen. Über ein Lehrforschungsprojekt bin ich am Anfang der 1990er Jahre zu |16|der Hospizbewegung Duisburg-Hamborn gelangt. Erst ehrenamtlich und später hauptamtlich war ich im stationären und ambulanten Hospizbereich tätig. Diese Hospizarbeit hat mir deutlich gemacht, was alles möglich gemacht werden kann in der Arbeit mit Sterbenden und ihren Angehörigen. Sie wurde für mich quasi zur Messlatte einer gelingenden Versorgung sterbender Menschen, die überall dort zu praktizieren sein müsste, wo Menschen gepflegt und bis zuletzt begleitet wurden.

Mit viel Engagement haben wir Mitte der 1990er Jahre aus der Hospizarbeit (Hospizbewegung Duisburg-Hamborn) heraus Inhouse-Schulungen in Altenpflegeheimen durchgeführt. Bei dieser Übertragung von Interventionen und praktischen Erfahrungen aus dem Hospizbereich und der Palliativen Versorgung in z. B. Altenpflegeheime, mussten wir erkennen, dass unser Thema auch ein politisches Thema war. Wir rührten an Strukturen und mussten uns von manchem Träger und Heimleiter mehr als einmal anhören, dass man Tod und Sterben nicht verkaufen kann.

Mit der Einführung der zweiten Stufe der Pflegeversicherung standen die einzelnen Altenpflegeeinrichtungen vermehrt in Konkurrenz zueinander. Jetzt wurde für die jeweilige Einrichtung mit Hochglanzbroschüren geworben, in denen rüstige Senioren ballspielend im Residenzgarten abgebildet waren. Vitalität und Agilität, gespiegelt in einem Animationsprogramm des Sozialen Dienstes, verdrängten die Sicht auf ein Themenfeld, das sich trotz allen Etikettenschwindels immer mehr in den Vordergrund schob: Altenpflegeheime wurden zu Sterbehäusern! „Der Tod ist ständiger Gast im Pflegeheim. Man kann ihn einfach nicht ignorieren, weil er sich in so vielen Formen und Gesichtern ankündigt“ (Heimerl et al., 1999, S. 42).

Die Verweildauer in deutschen Pflegeheimen sank schon Mitte der 1980er Jahre auf unter zwei Jahre (Bickel & Jaeger, 1986, S. 30). Immer häufiger mussten Mitarbeiter/innen der Pflege und des Sozialen Dienstes Sterbebegleitung und Trauerarbeit leisten. Der Belegungsdruck führte dazu, dass Mitarbeiter/innen sich immer häufiger darüber beschwerten, dass sich neue Angehörige nachmittags ein Zimmer anschauten, in dem vormittags ein Bewohner verstorben war. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern blieb keine Zeit zur Verarbeitung der gemachten Erfahrungen.

Um die heile Welt im Pflege-Servicezentrum nicht zu erschüttern, ließen sich die Einrichtungen mitunter sehr perfide Formen der „Leichenentsorgung“ einfallen. Häufig wurde (und wird in vielen Einrichtungen leider immer noch) der Leichnam nachts über den Hinterhof vom Bestatter abgeholt. Dort, wo der Müll entsorgt wird, werden auch die Leichen der verstorbenen Bewohner entsorgt. Hier wird besonders deutlich, dass das alltägliche Treiben nicht in seinen Grundzügen erschüttert werden darf.

|17|Ein neuer Trend machte sich dann Mitte bis Ende der 1990er Jahre breit. Die neue Pflegeheimklientel, bereits an einer Demenz erkrankt, zog in die Einrichtung. In vielen Pflegeheimen Deutschlands leben etwa 50 bis 70 % (manchmal noch mehr) gerontopsychiatrisch erkrankte Bewohner/innen (Becker, 2005). Den größten Teil der Erkrankungsgruppen stellen dabei die Demenzen.

Wieder wurde das Bild der ballspielenden Senioren ad absurdum geführt, denn die neuen Bewohner ließen und lassen sich nicht in das klassische Animierprogramm einbinden. Für Bingo, Zeitungsrunde und Window-Colours waren diese neuen Bewohnergruppen nicht zugänglich.

Ein weiteres Problem entstand aus dem Sachverhalt, dass auch diese Bewohner über kurz oder lang sterben würden. Hatte uns Kübler-Ross mit ihren Arbeiten eine Richtschnur geflochten für eine angemessene Begleitung sterbender Menschen, konnten die Demenzkranken nicht in diese Erkenntnisse eingebunden werden. Auch litten viele Bewohner, deren Erkrankung schon fortgeschritten war, an einem Sprachzerfall und an schweren kognitiven Störungen, sodass die klassischen Handreichungen zur Kommunikation mit sterbenden Menschen hier nicht viel weiterhelfen konnten.

Waren die kustodial ausgerichteten Einrichtungen nicht in der Lage, Menschen mit Demenz adäquat zu versorgen, verschärfte sich die Lage zusätzlich dadurch, dass die Entwicklung einen palliativen Ansatz erforderte.

Folgende Fragen standen fortan im Raum:

  • Was erlebt ein Mensch mit Demenz im Sterben?

  • Was bedeutet ihm das Sterben?

  • Welche Bedürfnisse haben an einer Demenz leidende Menschen im Sterbeprozess?

  • Wie lassen sich die einzelnen Bedürfnisse erkennen?

  • Wie geht Sterbebegleitung bei einem Menschen mit Demenz?

  • Haben Menschen mit Demenz Schmerzen? Und wenn ja, wie zeigen sie diese?

  • Lassen sich gängige Konzepte der gerontopsychiatrischen Arbeit in die Sterbebegleitung integrieren?

  • Welche zusätzlichen Angebote brauchen Angehörige für die Sterbebegleitung von Menschen mit Demenz?

Im Rahmen unserer Hospizarbeit im Duisburger St. Raphael Hospiz begegneten uns zuweilen auch Hospizgäste, die an einer Demenz erkrankt waren. Hier konnten wir wichtige Erfahrungen in der Anwendung der Basalen Stimulation sammeln. Wir merkten, dass Berührung auch Kommunikation bedeutet. Ja, dass gerade Berührung häufig der einzige Zugangsweg war, um den Erkrankten zu erreichen. Aus |18|diesen Erfahrungen entstand unser Buch: Was wir noch tun können! (Kostrzewa & Kutzner, 2022), quasi als Antwort auf die Fragestellung von Kübler-Ross: „Was können wir noch tun?“.

Im Folgenden widmet sich dieses Buch ausschließlich den an einer Demenz erkrankten sterbenden Menschen. Sie und ihr soziales Umfeld sollen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, um einen einheitlichen Ansatz zu ihrer Versorgung und Betreuung zu finden. Dabei richte ich den Fokus vermehrt auf den stationären Altenhilfebereich, eben weil Sterben gestaltbar ist und weil diese Einrichtungen zunehmend geprägt sein werden von einer Klientel, die an Demenz erkrankt ist und die stationäre Altenhilfe auf diese Entwicklung reagieren muss. Das vorliegende Buch versteht sich als kleiner Baustein in diesem neu zu konzipierenden Versorgungsangebot.

An dieser Stelle möchte ich den...

Erscheint lt. Verlag 24.7.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Medizin / Pharmazie Pflege
ISBN-10 3-456-76264-X / 345676264X
ISBN-13 978-3-456-76264-7 / 9783456762647
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