Palliative Care: Kernkompetenzen für die Pflegepraxis (eBook)
Thieme (Verlag)
978-3-13-243787-6 (ISBN)
1 Grundlagen von Palliative Care
1.1 Was ist Palliative Care?
Prof. Dr.med. H. Christof Müller-Busch
Definition
WHO-Definition von Palliative Care
„Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit Problemen konfrontiert sind, welche mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Dies geschieht durch Vorbeugen und Lindern von Leiden durch frühzeitige Erkennung, sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art“ ▶ [12]
Unter den Begriffen Palliative Care, Palliativversorgung und Palliativmedizin werden ähnliche Aufgabengebiete verstanden.
Sie haben die gemeinsamen Ziele:
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die Leiden von Menschen mit fortgeschrittenen, lebensbedrohlichen und/oder chronisch fortschreitenden Erkrankungen zu lindern und ihnen vorzubeugen
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die Erhaltung bzw. die Wiederherstellung einer schmerzfreien bzw. schmerzarmen Lebensqualität
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die durch die Erkrankung verursachte Symptomlast zu senken
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Begleitung und Versorgung im Alltag, sodass die Betroffenen trotz Krankheit am täglichen Leben teilhaben können
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Unterstützung der Angehörigen, die Krankheit und die eigene Trauer zu verarbeiten
Das Konzept Palliative Care umfasst einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz der Patientenversorgung, wenn diese kurativ nicht mehr behandelbar sind ( ▶ Abb. 1.1). Die Palliativmedizin und Palliativversorgung sind also Teilbereiche von Palliative Care.
Zusatzinfo
Kurative Behandlung
Die kurative Behandlung hat das Ziel der Heilung und damit der Lebensverlängerung. Es können dadurch allerdings Einbußen der Lebensqualität entstehen, wie z.B. der Verlust einer Extremität nach einer Tumoroperation.
Kurative und palliative Behandlung.
Abb. 1.1 Kurative und palliative Orientierung erfolgen im Verlauf einer Behandlung, bis hin zum Sterbeprozess, mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Merke
Die Begriffe Palliative Care und Palliativpflege werden teilweise synonym verwendet, was allerdings nicht korrekt ist. Palliative Care ist ein Behandlungskonzept bestehend aus einem multidisziplinärem Team. Die Palliativpflege ist ein spezieller Pflegeprozess, bei dem unheilbar kranke Menschen palliativ pflegerisch versorgt werden.
1.1.1 Was bedeutet palliativ?
Die meisten Menschen können mit dem Begriff „palliativ“ wenig anfangen. Sie verbinden damit eher negative Assoziationen wie Aussichtslosigkeit, Unheilbarkeit oder den unmittelbar bevorstehenden Tod. Eine repräsentative Umfrage, die im Auftrag des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes im Jahre 2012 durchgeführt wurde, zeigte, dass nur etwa 32% der Deutschen das Wort „palliativ“ richtig zuordnen konnten, während das bei dem Begriff Hospiz immerhin bei 66% der Fall war. Im Grundverständnis von Palliative Care, wie es in der im Jahr 2002 überarbeiteten Definition der WHO aus dem Jahre 1990 zum Ausdruck kommt, wird jedoch eine eher positive Einstellung zum Ausdruck gebracht. Betont wird die umfassende Sorge und eine Haltung des therapeutischen Handelns, die die Bedürfnisse, Wertvorstellungen und das subjektive Wohlbefinden bzw. die Lebensqualität des kranken Menschen, aber auch deren An- und Zugehörige, in besonderer Weise im Blick hat.
1.1.2 Geschichte von Palliative Care
1.1.2.1 Ursprünge und Entwicklung
Palliativ wird auf das lateinische Wort „pallium“ (Mantel, Umhang) bzw. „palliare“ (bedecken, tarnen, lindern) zurückgeführt. Der Betroffene soll sinnbildlich mit einem Mantel umhüllt werden. In der vormodernen Medizin verband man mit dem Wort „palliare“ allerdings nicht nur die Vorstellung eines bloßen „Bemäntelns“. Es wurde auch für eine Behandlung benutzt, die äußere Makel oder gar die Unfähigkeit des Heilkundigen zu einer wirksamen Behandlung verbergen sollte. Die Verwendung des Wortes im Sinne von dämpfend, erleichternd, lindernd und täuschend war bis ins 19. Jahrhundert in gebildeten Kreisen geläufig. Mit am eindrucksvollsten ist die Verwendung des Wortes palliativ im politischen Kontext. So finden wir das Wort mehrfach bei Karl Marx, später auch bei Rosa Luxemburg im Sinne von „das Übel nicht kurierend, nicht ursächlich, bei der Wurzel packend, oberflächlich bleibend“ ▶ [34].
Das Wort „Care“ (lat. cura = Sorge oder Obhut, engl. care = pflegen) leitet sich ebenfalls aus dem Lateinischen ab. Schaut man sich das Wort „kurativ“ genauer an, so ist der Begriff „cura“ enthalten. Care und Cure haben somit den gleichen Ursprung. Sie verweisen in der Mythologie auf Cura, die römische Göttin der Sorge, Fürsorge und Pflege. Cura galt in der antiken Sagenwelt auch als Schöpferin des Menschen, weil sie am Ufer eines Flusses sitzend aus Schlamm ein Geschöpf mit einer besonderen Gestalt formte. Da es aus Erde und Humus gemacht wurde, erhielt es den Namen „homo“ und wurde von dem Göttervater Jupiter beseelt. Der englische Begriff „care“ wird im deutschsprachigen Raum – mit jeweils unterschiedlicher Akzentuierung – zumeist mit Sorge, Fürsorge, fürsorglicher Praxis oder Sorgearbeit übersetzt. Gleichzeitig beinhaltet Care in besonderer Weise eine Haltung der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Ein solches Verständnis von Caring (Fürsorge) soll auf der Handlungsebene dazu führen als „beziehungsorientierte Tätigkeit“ den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Dadurch unterscheidet sich Care auch als moralische Haltung von einem eher dienenden Handlungsverständnis der funktionellen Pflege als Dienst- oder Auftragsleistung ▶ [46].
1.1.2.2 Wiederentdeckung
Die Wiedereinführung des Begriffs „palliativ“ in die moderne Medizin als besondere Form der Betreuung und Haltung ist auf Balfour Mount zurückzuführen, der in Montreal im Jahre 1973 die erste moderne Palliativstation gründete. Wenige Monate zuvor hatte er das St. Christopher Hospice in London besucht, das von der Ärztin Cicely Saunders ( ▶ Abb. 1.2) 1967 speziell für die Betreuung Sterbender gegründet worden war. Sie hatte damit einen historischen Impuls gesetzt, durch den das Leiden, aber auch die Bedürfnisse sterbender und schwerstkranker Menschen, wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerieten. Saunders hatte als Krankenschwester und Sozialarbeiterin im St. Lukes Hospital in London Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts tiefgreifende Eindrücke in die Betreuung sterbender Patienten. Um eine bessere Schmerzbehandlung entwickeln zu können, ließ sie sich als Ärztin ausbilden. Ihr Ziel war es, den mittelalterlichen Hospizgedanken „Beistehen und Begleiten“ aufzugreifen und in einem eigenen Haus die letzte Lebensphase schwerstkranker Menschen würdevoll und lebenswert zu gestalten.
Hospiz-Gründerin Cicely Saunders.
Abb. 1.2 Cicely Saunders, Krankenschwester, Sozialarbeiterin, Ärztin und Gründerin des St. Christopher Hospice in London.
(Aus: Student J, Napiwotzky A, Hrsg. Palliative Care. 2. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2011)
1.1.2.3 Anfänge von Palliative Care und Hospizbewegung
Auf der Suche nach einer Bezeichnung für seine Station entdeckte Balfour Mount das damals in der Medizin kaum bekannte, aber schon im Mittelalter verwendete, Wort „palliativ“ im Sinne von „lindernd“. Im Französischen wurde das Wort „hospice“ für Einrichtungen zur Pflege alter und sterbender Menschen genutzt.
Er wollte damit verdeutlichen, dass es in „Palliative Care“ um die in der modernen Gesundheitsversorgung zu wenig beachtete würdige Begleitung der letzten Lebensphase und um ein umfassendes Betreuungskonzept für die körperlichen, psychosozialen und spirituellen Probleme bei Sterbenden geht.
Palliative Care ist eng mit dem Hospizgedanken verbunden und ist ähnlich alt wie der palliative Ansatz in der Medizin. Schon im 4. und 5. Jahrhundert n.Chr. gab es in Syrien Gasthäuser, Hospize oder Xenodochions, die sich nicht nur der Beherbergung von Pilgern, sondern auch der lindernden Pflege Kranker und Sterbender widmeten. Im Mittelalter kam es im Rahmen der Kreuzzüge zur Gründung von Orden u.a. der Johanniter, Malteser und Hospitaliter. An verschiedenen Orten Europas und Kleinasiens richteten sie für die Pflege von schwerstleidenden Menschen, die Isolierung von Aussätzigen und die Betreuung von Sterbenden Hospize und Hospitäler ein. Hierzu gehörte u.a. das Spital zu Jerusalem oder...
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Medizin / Pharmazie ► Pflege ► Palliativpflege / Sterbebegleitung |
Schlagworte | acute pain • Akuter Schmerz • Angehörige • Basiscurriculum Palliative Care • chronic pain • Chronischer Schmerz • critically ill patients • Curriculum Palliative Medicine • Dying • End of Life • end of life care • Hospice • Hospiz • Lebensende • Nichttumorpatienten • Non-tumour patients • Nursing home • Pain Therapy • Palliative Care • Palliative care unit • Palliative courses • Palliative measures • Palliative Versorgung • Palliativmaßnahmen • Palliativstation • Palliativweiterbildung • Pastoral Care • patient autonomy • Patient Care • Patientenversorgung • Pflegeheim • relatives • Schmerztherapie • schwerkranke Menschen • Seelsorge • Selbstbestimmung • Specialised outpatient palliative care • Spezialisierte ambulante Palliativversorgung • Sterben • Tumorpatienten • Tumour patients |
ISBN-10 | 3-13-243787-5 / 3132437875 |
ISBN-13 | 978-3-13-243787-6 / 9783132437876 |
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