Psychodynamische Psychotherapie (eBook)
620 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-11894-0 (ISBN)
Wolfgang Wöller, Priv.-Doz. Dr. med., Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalytiker (DGPT, DPG) und Lehranalytiker, EMDR-Supervisor (EMDRIA). Bis Ende 2017 Dozent an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dozent am Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Düsseldorf. Bis Ende 2017 Ärztlicher Direktor und Leitender Abteilungsarzt der Abteilung mit Schwerpunkt Traumafolgeerkrankungen und Essstörungen der Rhein-Klinik Bad Honnef. Seit 2018 Fortsetzung der Lehr- und Forschungsaktivitäten im Rahmen von TraumaAid Deutschland (Ruanda-Projekt) sowie freie Vortrags- und Publikationstätigkeit.
Wolfgang Wöller, Priv.-Doz. Dr. med., Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Neurologie und Psychiatrie, Psychoanalytiker (DGPT, DPG) und Lehranalytiker, EMDR-Supervisor (EMDRIA). Bis Ende 2017 Dozent an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dozent am Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie Düsseldorf. Bis Ende 2017 Ärztlicher Direktor und Leitender Abteilungsarzt der Abteilung mit Schwerpunkt Traumafolgeerkrankungen und Essstörungen der Rhein-Klinik Bad Honnef. Seit 2018 Fortsetzung der Lehr- und Forschungsaktivitäten im Rahmen von TraumaAid Deutschland (Ruanda-Projekt) sowie freie Vortrags- und Publikationstätigkeit.
1 Einleitung
1.1 Psychodynamische Psychotherapie heute
1.1.1 Zum aktuellen Stand der psychodynamischen Therapie
Psychodynamische Therapie ist als ein von der Psychoanalyse abgeleitetes psychotherapeutisches Verfahren[1] fest in unserer psychotherapeutischen Versorgungslandschaft verankert. Ihre unterschiedlichen Varianten haben in der von Sigmund Freud begründeten Psychoanalyse mit ihrer Persönlichkeits-, Krankheits- und Behandlungstheorie die gemeinsame theoretische Basis.
Durch ihre Verankerung in der Psychoanalyse ist sie das Kind einer der größten Geistesbewegungen des 20. Jahrhunderts. Ein von der Psychoanalyse inspiriertes Denken ist zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil unserer Kultur geworden. Kaum noch findet sich ein gesellschaftlicher oder kultureller Diskurs, der sich nicht auch psychoanalytischer Begrifflichkeit und Denkmuster bediente. Vielen Zeitgenossen ist die aus der Psychoanalyse hervorgegangene Gedankenwelt so zur Selbstverständlichkeit geworden, dass sie ihre Herkunft kaum noch bemerken.
Es kann nicht verwundern, dass die aus der Psychoanalyse hervorgegangene Therapieform unter ihrer über 100 Jahre währenden theoretischen und praktischen Weiterentwicklung nicht nur eine beträchtliche Tiefe in der theoretischen Durchdringung psychotherapeutischer Prozesse erreicht hat, sondern sich in ihrer praktischen therapeutischen Anwendung in einem solchen Maße verändert hat, dass ein Zeitgenosse Freuds auf den ersten Blick ihre Herleitung aus der Psychoanalyse kaum wiedererkennen würde. Auf den zweiten Blick würde er jedoch feststellen, dass die für die Psychoanalyse grundlegenden Konzepte zu unbewussten Prozessen und konflikthaften Motivationen ebenso ihre Gültigkeit behalten haben wie das psychogenetische Prinzip, demzufolge frühe Erfahrungen späteres Erleben beeinflussen, oder die Rolle von Fantasien und inneren Bildern oder die Bedeutung von Übertragung und Gegenübertragung – wenngleich in vieler Hinsicht neue Perspektiven hinzugefügt und neue Schwerpunkte gesetzt wurden. Diese betreffen etwa die Motivierung menschlichen Verhaltens, die Rolle von Emotionen und Fantasien oder den Stellenwert unbewusster Prozesse (Shedler 2010).
Psychodynamische Therapie war und ist ein Verfahren, das zentral darauf abzielt, Unbewusstes bewusst zu machen. Doch beschränkt sich diese Zielsetzung nach neuerer Auffassung nicht darauf, bereits repräsentierte Inhalte, die durch Abwehrmechanismen ins Unbewusste »verdrängt« wurden, dem Bewusstsein zugänglich zu machen. Ebenso gilt es, prozedual gespeicherte Inhalte des impliziten Beziehungswissens bewusst zu machen, um sie verändern zu können, und maladaptive Muster der Selbst- und Beziehungsregulation zu identifizieren, um sie nachzuentwickeln.
Aus einer Wissenschaft vom Unbewussten, in deren Zentrum sexuelle und aggressive Triebkonflikte standen, ist eine zeitgemäße Beziehungswissenschaft geworden, die ihre Aufgabe darin sieht, die Komplexität psychotherapeutischen Beziehungsgeschehens im Detail zu betrachten und das daraus gewonnene Verständnis therapeutisch nutzbar zu machen.
Vermutlich würde Sigmund Freud, könnte er sich mit dem heutigen Stand der von ihm begründeten Wissenschaft vertraut machen, mit nicht geringer Befriedigung zur Kenntnis nehmen, in welchem Umfang grundlegende Postulate durch die neurobiologische Forschung bestätigt werden konnten. Leicht lässt sich spekulieren, dass er, der alles darangesetzt hätte, »seiner« Psychoanalyse den Anschluss an den heutigen interdisziplinären Wissensstand zu verschaffen, erfreut gewesen wäre über das – ungeachtet der Kritik an Details psychoanalytischer Theorieelemente – ungebrochene Interesse renommierter Neurowissenschaftler an den Grundlagen der psychoanalytischen Theoriebildung. Allerdings wäre er, dem die Einheit der psychoanalytischen Theorie immer ein großes Anliegen war, höchstwahrscheinlich verwundert gewesen über den gegenwärtigen Zustand der psychoanalytischen Theorielandschaft. Auch wenn der gegenwärtige Theorienpluralismus einen kaum zu überbietenden Reichtum an Ideen und Kreativität beinhaltet, würde er betroffen zur Kenntnis nehmen, welchen Schaden der undisziplinierte Umgang mit den Prinzipien der Theorienbildung der Reputation der Psychoanalyse im Kontext ihrer Nachbarwissenschaften zugefügt hat.
Dies ist insofern bedauerlich, als die Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie durch eine Vielzahl randomisiert-kontrollierter Studien bei so gut wie allen Störungsbildern – depressiven Störungen, Angststörungen, Essstörungen, somatoformen Störungen, Substanzmissbrauch, Persönlichkeitsstörungen – zweifelsfrei belegt werden konnte (Leichsenring et al. 2004). Sie weist eine gleich starke Wirksamkeit wie die kognitiv-behaviorale Therapie auf (Steinert et al. 2017). Sogar scheint sich abzuzeichnen, dass die Wirksamkeit psychodynamischer Therapien nicht nur über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten bleibt, sondern mit der Zeit noch ansteigt (de Maat et al. 2009)[2]. Die Befunde lassen den Schluss zu, dass psychodynamische Therapie einen therapeutischen Prozess in Gang setzt, der sich nach Abschluss der Behandlung noch fortsetzt.
1.1.2 Wirkfaktoren und die Theorien- und Methodenvielfalt psychodynamischer Therapie
Die für die beschriebenen Effekte psychodynamischer Therapien angenommenen Wirkfaktoren sind unbestreitbar komplex. Die Bedeutung unbewusster Motivationen, die Rolle der Emotionalität und die Bedeutung intrapsychischer und intersubjektiver Prozesse der Beziehungsgestaltung einschließlich der Prozesse von Übertragung und Gegenübertragung stellen als zentrale verbindende klinisch-theoretische Konzepte nach wie vor einen Bezugsrahmen für eine individualisierte Behandlungsplanung dar.
Forschungsbefunde der neueren Zeit deuten darauf hin, dass die für die Wirksamkeit psychodynamischer Therapien theoretisch angenommenen Wirkfaktoren tatsächlich für ihren Erfolg verantwortlich oder mindestens mitverantwortlich sind. So waren vor allem eine Zunahme von Einsicht in bisher nicht bewusste Zusammenhänge, Veränderungen der Abwehrfunktion und die Verbesserung im Bereich der reflektierenden Funktion mit dem Therapieerfolg assoziiert (Connolly Gibbons et al. 2009; Johansson et al. 2010; Kallestad et al. 2010)[3]. Über die genannten Befunde hinaus haben wir Grund zu der Annahme, dass psychodynamische Mechanismen die Grundlage für die Wirksamkeit auch anderer Formen von Psychotherapie sein können (Ablon & Jones 1998)[4].
Wenn wir für eine Ordnung der Theorienlandschaft plädieren, darf das nicht heißen, auf eine Vielfalt theoretischer Perspektiven zu verzichten. Eher gilt das Gegenteil: Auch wenn die psychoanalytische Veränderungstheorie in den Jahren seit ihrem Bestehen einen gravierenden Paradigmenwechsel vollzogen hat – vom Paradigma des einsichtsgeleiteten Deutens zum Paradigma der Transformation durch Beziehung – wird eine multiperspektivische Auffassung unser dynamisches Arbeiten weiterhin kennzeichnen und seine Vorzüge ausmachen. Doch sollte auch sie überschaubar und geordnet sein. Unter diesem Blickwinkel möchten wir vorschlagen, die folgende Einteilung zur Grundlage einer multiperspektivischen Betrachtung zu machen[5]:
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die beziehungsorientierte Perspektive, die objektbeziehungstheoretische, selbstpsychologische, postkleinianische, intersubjektive und relationale Positionen verbindet und zu den Ergebnissen der entwicklungspsychologischen Forschung und der Psychotherapieforschung in Beziehung setzt;
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die Perspektive motivationaler Konflikte, die sich nicht mehr auf die Triebtheorie, sondern auf Konflikte zwischen unterschiedlichen Motivationssystemen bezieht;
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die Perspektive der Prozeduren der Selbst- und Beziehungsregulation, die vor dem Hintergrund der ich-psychologischen Tradition und unter Nutzung der neurobiologischen Erkenntnisse zur Speicherung impliziter Wissensbestände in prozeduralen Gedächtnissystemen die Verfügbarkeit von Ich-Funktionen – der Affektregulation, Impulskontrolle, Realitätsprüfung und Objektkonstanz, aber auch der wichtigen Mentalisierungsfunktion – zu...
Erscheint lt. Verlag | 13.4.2022 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Achtsamkeit • Bewältigungsstrategie • Diagnosestellung • Diagnostik • Emotionsregulation • Kommunikation • Krisenbewältigung • Mentalisieren • Neurobiologie • psychische Bealstung • Psychische Störung • Psychoanalyse • Psychodynamik • Ressourcenaktivierung • Ressourcenfokussierte Therapie • Ressourcenorientierung • Selbstwert • Selbstwertgefühl • Sigmund Freud • Traumatherapie |
ISBN-10 | 3-608-11894-2 / 3608118942 |
ISBN-13 | 978-3-608-11894-0 / 9783608118940 |
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