Die vorletzte Frau (eBook)

Roman | »Eine leidenschaftliche, eine heftige Liebe ... grandios erzählt!« Elke Heidenreich | Der neue Roman von der Autorin des Bestsellers »Marzahn mon amour«

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
228 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3244-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die vorletzte Frau -  Katja Oskamp
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Die Geschichte einer großen Liebe und ihrer Verwandlung Sie lernt ihn kennen, als sie noch jung ist und er beinahe schon alt. Er, der berühmte Schriftsteller. Sie, die mit dem Schreiben gerade anfängt und Mutter einer kleinen Tochter ist. Sie wird seine Schülerin, seine Geliebte, seine Vertraute, und beide schwören, sich einander zuzumuten 'mit allen Meisen und Absonderlichkeiten'. Eine Beziehung voller Lust und Hingabe und Heiterkeit.   Dann aber, als die Tochter mitten in der Pubertät steckt, erhält er eine Diagnose, die alles ändert. Die Beziehung wird zum Ausnahmezustand und sie von der Geliebten zur Pflegerin. Sie will helfen, sie hilft, doch etwas schwindet, ihr Lebensmensch entfernt sich, die Zeit der Abschiede beginnt. Und noch etwas: ein neues Leben.  Katja Oskamp erzählt zärtlich und rückhaltlos von den Verwandlungen, die das Dasein bereithält, von brüchigen Lebensläufen, von den Rollen einer Frau und den Körpern in ihrer ganzen Herrlichkeit und Hässlichkeit.   Vor allem aber erzählt sie die Geschichte einer großen Liebe.

Katja Oskamp, geboren 1970 in Leipzig, ist in Berlin aufgewachsen. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft arbeitete sie als Dramaturgin am Volkstheater Rostock und studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Bisher wurden von ihr der Erzählungsband Halbschwimmer und die Romane Die Staubfängerin und Hellersdorfer Perle veröffentlicht. 2019 erschien bei Hanser Berlin Marzahn, mon amour, für dessen englische Ausgabe sie 2023 zusammen mit der Übersetzerin den Dublin Literary Award erhielt.

Katja Oskamp, geboren 1970 in Leipzig, ist in Berlin aufgewachsen. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft arbeitete sie als Dramaturgin am Volkstheater Rostock und studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Bisher wurden von ihr der Erzählungsband Halbschwimmer und die Romane Die Staubfängerin und Hellersdorfer Perle veröffentlicht. 2019 erschien bei Hanser Berlin Marzahn, mon amour, für dessen englische Ausgabe sie 2023 zusammen mit der Übersetzerin den Dublin Literary Award erhielt.

ZWEI


Aktiv-Muttis


Das Leben im eigenen Koffer: Ich verfeinerte es, studierte seine Vorzüge, seine Nachteile. Tosch gehörte zu mir, doch praktisch gesehen war ich alleinerziehend; er hielt sich aus dem täglichen Kinderkram heraus. Er war in seinem Koffer – schrieb in seiner Wohnung, fuhr auf Lesereise, traf sich mit Kollegen. Paulas Grundschule betrat Tosch in sechs Jahren zwei Mal, einmal zur Einschulung, einmal zu einer Theateraufführung. Auch in Paulas Musikschule machte er sich rar; der Raum war ihm zu eng, die anderen Mütter und Kinder fand er anstrengend. Ich hingegen fuhr mindestens hundertachtzig Mal dorthin, mit Paula und ihrer Geige, fünf Stationen mit der Straßenbahn, bis Paula den Weg allein schaffte. Ich saß in der Grundschule auf Elternversammlungen, stand bei Weihnachtsbasaren hinter Verkaufstischen, organisierte Zeugnisfeiern, Sommerfeste, Lesenächte, Theaterbesuche und Karnevalsumzüge. Im Rahmen meiner Mutterschaft habe ich hundert Kuchen gebacken und bestimmt dreihundert Kindergeburtstagsgeschenke nicht nur erworben, sondern auch eingewickelt. Und dasselbe taten die anderen Mütter, die von Beruf Apothekerin, Zahnarzthelferin oder Bibliothekarin waren. Nicht, dass ich mit jeder dieser Mütter etwas hätte anfangen können. Aber darum ging es nicht. Zusammen mit einem sehr guten Klassenlehrer arbeiteten wir daran, unseren Kindern einen ordentlichen Start ins Leben zu verschaffen.

Tosch nannte uns etwas abschätzig die Aktiv-Muttis. Er kam aus einer Zeit, da die Eltern im Zweifelsfall der Autoritätsperson mehr Glauben schenkten als dem eigenen Kind und der einzige Kontakt zur Schule im jährlichen Hausbesuch des Lehrers bestand, für den die ganze Familie sich in Schale schmiss. Was Paula mit mir erlebte, hatte Tosch, wenn überhaupt, mit seinem Kindermädchen erlebt. Ich aber verabredete mich noch jahrelang ab und zu mit Paulas altem Klassenlehrer zum Kaffee, aus schierer Dankbarkeit und Nostalgie. Tosch bekam von alldem nur mit, was ich ihm am Telefon erzählte, meistens spätabends, wenn Paula schlief. Er nahm Anteil, mischte sich aber nicht ein, weder als Bestimmer noch als Helfer.

Natürlich fluchte ich, wenn ich den Monteur rufen musste, weil die Waschmaschine den Geist aufgab, wenn der Stromzähler aus der Wand fiel, wenn der Duschkopf das Wasser in alle Richtungen versprühte. Auch der Aufbau eines Hochbetts überforderte mich. Für solche Fälle hätte ich gern einen Mann im Haus gehabt, der die Dinge stillschweigend erledigte. Tosch kam nicht infrage. Tosch hatte zwei linke Hände. Er operierte maximal mit Klebeband, aber er bezahlte die neue Waschmaschine.

Wenn er am Wochenende zu uns kam, brachte er Pralinen, Blumen und einen Koffer voll dreckiger Wäsche mit. Ich bereitete Königsberger Klopse, Ofengemüse oder Gehacktes mit Hörnli zu. Manchmal sagte Tosch: Wir gehen zum Italiener, dann musst du nicht kochen, und wir kehrten nach einem Spaziergang in unserem Stammrestaurant ein, wo wir es uns gut gehen ließen.

Müde und satt fiel Paula irgendwann ins Bett; Tosch und ich aber saßen noch stundenlang auf dem Balkon oder in der Küche. Immer ging es ums Leben und ums Schreiben. Ich mutmaßte, dass Paare, die zusammenwohnten, sich nie und nimmer so ausführlich, intensiv und gekonnt unterhielten wie Tosch und ich. Am nächsten Morgen dallerten Paula und ich herum, bis wir der Ansicht waren, Tosch wecken zu dürfen. Paula krabbelte ins große Bett und stellte mit ihrem Zeigefinger eine Fliege dar, die dem ausgemusterten Zirkuslöwen laut um die Nase summte, bis sie sich dort niederließ. Löwi knurrte gefährlich, doch seine behäbigen Pranken erwischten die freche Fliege nie. Paula holte Nagelschere und Zahnbürste, und mit der Vorsicht der Linkshänderin frisierte sie Löwis struppige Augenbrauen. Tosch war froh, reglos und mit geschlossenen Augen daliegen zu müssen. Ganz langsam erwachen, sagte er immer. Dann gab’s Frühstück.

Am Sonntagabend bestellte Tosch ein Taxi, stieg mit einem Koffer voll frisch gewaschener Wäsche die Treppen hinab und fuhr in die Junggesellenbude nach Friedrichshain, wo er seine Arbeitswoche verbrachte.

Diese Wochenenden waren ein fester Bestandteil unseres Lebens und dennoch die Ausnahme vom Alltag. Ich war in Weißensee festgenagelt, mit Paula zusammen ins Schulkorsett gezwängt; ich hütete das Nest. Das passte Tosch gut in den Kram. Paulas Vorhandensein verhinderte, dass ich ihm zu dicht auf die Pelle rückte. Die schreibende Junggesellenexistenz war außer Gefahr. Andererseits musste auch Tosch warten. Warten, bis Paula zu ihrem Vater fuhr, bei meinen Eltern oder einer Freundin übernachtete und ich meinerseits wie der alte Löwi durch die lose Zaunlatte abhaute und in Toschs Lotterbett hüpfte.

Ich hätte das Festgenageltsein vielleicht nicht ausgehalten, wenn ich nicht heimlich hätte pendeln dürfen. Und auch Tosch genoss die Wechsel. Klug tarierten wir Pflicht und Kür aus und bewahrten uns die Sehnsucht.

Wasserfreundschaft


Kurz bevor Paula in die Schule kam, fuhren wir zum ersten Mal gemeinsam in den Urlaub, zehn Tage Fuerteventura, eine All-inclusive-Pauschalreise mit blauem Bändchen ums Handgelenk, Animateuren und Poolbar. Es war der Beginn einer jahrelangen Wasserfreundschaft, die Tosch und Paula später in vielen Schweizer Seen pflegten: Paula sprang von Toschs Schultern, sie tauchten einander durch die Beine oder nach Gegenständen auf dem Grund, schwammen um die Wette zur Boje. Über mich lachten sie, wenn ich draußen verharrte oder mich Zentimeter für Zentimeter ins Nasse arbeitete wie eine wasserscheue Katze.

Ich saß immer gern am Rand und sah zu. Der Anblick der gemeinsamen Selbstvergessenheit befriedete mich. Auch an jenem Abend am breiten Sandstrand in Fuerteventura: Paulas kleine Hand greift Toschs große, und ins Gespräch versunken gehen sie auf den Meeressaum zu, Tosch, den ich damals schon Ibsen in der Spätphase nannte, und Paula auf ihren niedlichen X-Beinchen. Tosch erzählte dann, Paula habe auf diesem Gang einen Monolog gehalten, der von der schweren Kindheit ihres Vaters handelte. Der GMD musste bei ihrem letzten Besuch seine längst toten Eltern in den schaurigsten Farben gemalt haben; Paula hatte die Schilderungen aufgesaugt und zerfloss nun an Toschs Seite vor Mitleid mit ihrem Papa.

Ein andermal muss Paula Tosch und mir zugesehen haben: Wir bolzen mit dem Kinderball durch den feuchten Sand, barfuß liefern wir uns Sprint- und Fummelduelle, er kämpft, ich lache. Während ich dicht neben ihm herrenne, um ihm den Ball abzuluchsen, bleibt er abrupt stehen, presst die Arme an den Körper, dreht mir die Schulter zu und macht sich steif. An diesem Bollwerk pralle ich ab, fliege in hohem Bogen auf den Hintern und kann mich nicht entscheiden, ob ich gackern oder schimpfen soll. Noch Jahre später war ich fassungslos über Toschs fiesen Jungs-Trick und gleichzeitig beeindruckt von seinem Eselwesen.

Einmal saßen wir zu dritt faul auf einer Bank. Eine unübersichtliche Großfamilie näherte sich, Kinder, Eltern, Großeltern; Tosch sagte, es seien Italiener. Einer von ihnen ging am Stock und zog ein Bein nach. Ich konnte mich später nicht an sein Aussehen erinnern, auch nicht an die Familie, wohl aber an Toschs Beobachtung: In meinem Gesicht habe sich beim Anblick des älteren Mannes mit Stock eine winzige Gier gezeigt. Mein Instinkt habe Witterung aufgenommen, meine Lippen hätten sich fast unmerklich geöffnet. Ich habe davon nichts bemerkt, und so kam es, dass sich Toschs Beobachtung in meine Erinnerung schlich, wo ich ihr und dem Stock einen schönen Nistplatz zuwies.

Männer


Paula sollte nicht ohne Männer aufwachsen. Dass es mit dem GMD nicht geklappt hatte, war kein Grund, alle Exemplare dieser Gattung zu verabscheuen. Tosch war seinem Wesen entsprechend als Onkel fest engagiert. Er musste bereits als Onkel geboren sein, mutmaßte ich, und auch Paula ging davon aus, dass Tosch, der gern Geschichten aus seiner Kindheit erzählte, schon als Baby diesen Bart im Gesicht getragen hatte.

Der Mann, den Paula am häufigsten und regelmäßigsten sah, war ihr Geigenlehrer. Er war in erster Linie leidenschaftlicher Musiker und zum Glück nur ganz am Rande Pädagoge (ein Wort, das Tosch und ich als Schimpfwort benutzten). Er ging eine belastbare Beziehung zu Paula ein. Sie kannten sich gut, sie wussten, wie sie tickten, und sie hatten ein unerschöpfliches Thema, die Musik. Der Geigenlehrer war nicht nur ein schöner Mann mit feurigen Augen und wilden schwarzen Locken, er war zudem Komiker, Charmeur und Diva. Paula und ich hätten ihn gern geheiratet, was leider nicht ging, weil er erstens schon eine Frau und zwei Kinder hatte und zweitens ungefähr dreihundert Kinder, Mütter und Großmütter ihn umringten und ebenso anhimmelten wie wir.

Es gab nur einen, den wir noch lieber als den Geigenlehrer geheiratet hätten: Paulas Opa, meinen Vater.

Männer sind super, sagte ich zu Paula, und wir schäkerten mit den Kerlen, wie es uns gefiel.

Tiere


Paula sollte auch nicht ohne Tiere aufwachsen. Der GMD hatte immer Siamkatzen gehabt, zuletzt Lila und Mimi, eine missglückte Züchtung mit viel zu dicken Backen, viel zu kurzen Beinen und einem Knick im Schwanz. Mit der Trennung verlor Paula die Katzen, die mit dem GMD ins Haus an der Ostsee...

Erscheint lt. Verlag 29.8.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte alleinerziehend • Altern • Beziehung • Biografie • Erinnerung • Erschöpfung • Fußpflegerin • Körper • Krankheit • Liebe • Marzahn • Mutter • Pflege • Rollenverhältnisse • Schreiben • Schriftstellerin • Tochter • Vergangenheit
ISBN-10 3-8437-3244-2 / 3843732442
ISBN-13 978-3-8437-3244-4 / 9783843732444
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