Wilhelm von Hirsau - Der Mann aus Emmeram -  Thomas Höferth

Wilhelm von Hirsau - Der Mann aus Emmeram (eBook)

Eine historische Erzählung
eBook Download: EPUB
2024 | 3. Auflage
255 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-2341-0 (ISBN)
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Das 11. Jahrhundert war in Europa eine Zeit tiefgreifender Umbrüche. In politischer, religiöser, wissen-schaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht gestaltete sich in dieser Zeit der Übergang vom Frühmittelalter zum Hochmittelalter. Wilhelm von Hirsau spielte dabei eine zentrale Rolle. Als Benediktinermönch und Wissenschaftler leistete er im Kloster Sankt Emmeram Bahnbrechendes in Astronomie und Musik, als Abt und Kirchenreformer im Kloster Hirsau trug er maßgeblich zur Trennung zwischen Staat und Kirche bei. Seine Klosterreform, die von Hirsau aus in zahlreiche Klöster Mitteleuropas verbreitet wurde, sollte nach dem moralischen Niedergang der Kirche am Ende des Karolingerreiches den Regeln des Heiligen Benedikt wieder neue Geltung verschaffen. Im Spannungsfeld zwischen dem Wiedererstarken des Papsttums unter Papst Gregor VII. und dem Machtanspruch des Salierkönigs Heinrich IV. agierte Wilhelm deshalb klar auf der Seite des Papstes. Er kämpfte für seine Ideale und gab den Menschen Hoffnung und Orientierung. Die Strahlkraft Wilhelms wirkt bis in unsere Zeit. Der Gedanke der europäischen Einigung hat seinen Ursprung im Netzwerk der Hirsauer und Cluniazensischen Reformklöster. Dieses Netzwerk steht auf der Kandidatenliste zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das Buch zeichnet sein Leben in einer spannenden, unterhaltsamen und informativen Geschichte nach.

Thomas Höferth ist Informatiker und Lehrer. Er leitete viele Jahre eine IT-Akademie. Reisen in ferne Länder und aktuelle gesellschaftliche Themen liefern ihm die Inspirationen zu Texten, Essays und Büchern. Mit seinen Schriften möchte er zum Nachdenken anregen, aber niemals mit erhobenem Zeigefinger, stattdessen unterhaltsam, amüsant und informativ.

6


 

Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern, an dem mich meine Eltern im Kloster Sankt Emmeram abgaben. ‚Darbringen als puer oblatus‘ nannten sie diesen Vorgang. Als gerade einmal sechsjähriger Knabe hatte ich keine Vorstellung davon, was das zu bedeuten hatte. Man hatte mich ja auch nicht gefragt, ob ich damit einverstanden sei. Gut, ich hätte es wahrscheinlich auch nicht beurteilen können. Wahrscheinlich hätte ich meinen Eltern vertraut. Bestimmt wollen sie nur mein Bestes. Eine gute Ausbildung, Struktur im Leben, Disziplin und Gehorsam. Rückblickend auf die vielen seither vergangenen Jahre würde ich sagen, dass das eigentlich auch ganz gut geklappt hat. Also zumindest das mit der guten Ausbildung und der Struktur im Leben. Was die beiden anderen Tugenden betrifft, habe ich mir sicher ein Stück Eigenständigkeit bewahrt, würde ich sagen. Mein Freund Otloh würde das wahrscheinlich etwas anders ausdrücken. Tut er ja auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Aber zurück zu meinem ersten Tag im Kloster. Ich weiß noch, dass es ein ziemlich sonniger Tag im November war - ungewöhnlich für diese Jahreszeit -, als wir uns auf den Weg zum Kloster machten. Wir gingen zu Fuß, da wir gar nicht weit entfernt vom Kloster wohnten und mein Vater klopfte ans Tor. Ich erinnere mich auch noch, dass uns vor dem Tor ein etwas seltsamer Mann begegnet ist. Er sah aus wie ein Landstreicher, der am Kloster um ein Stück Brot betteln wollte, war aber gekleidet wie ein Pfarrer. Mein Vater grüßte ihn freundlich, aber er antwortete nicht. Schaute uns nur nach. Hätte ich gewusst, dass dieser Mann bald mein Lehrer sein sollte – ich wäre wahrscheinlich schreiend davongelaufen. Jedenfalls klopfte mein Vater an das große Tor. Wir warteten, dass uns aufgetan würde, doch stattdessen öffnete sich nur ein kleines Guckfenster und ein Mönch schaute heraus. Eigentlich schaute er nicht heraus, denn das Fensterchen war so klein, dass nur seine Augen, Nase und Mund zu sehen waren. Das sah sehr lustig aus, wie ich fand, und die Sache begann mir zu gefallen. Ich fing unweigerlich an zu lachen - aber nur ganz leise.    

Nachdem mein Vater vorgetragen hatte, dass sie mich gerne hier abgeben würden – was genau er gesagt hat ist mir nicht mehr recht in Erinnerung, aber darauf lief es hinaus – öffnete der Mönch das Tor und wir durften eintreten.

Drinnen führte er uns in den Gästebereich des Klosters, wo wir warten sollten. Nach einer Weile kam dann der Prior des Klosters. Dass er so genannt wurde, wusste ich damals natürlich noch nicht. Das war damals Bruder Arnold. Bruder Arnold war der Stellvertreter des Abtes, hatte also ziemlich viel zu sagen im Kloster. Arnold war ein sehr liebenswürdiger Mensch, er sprach sehr freundlich mit uns, also eher mit meinen Eltern, und ich beobachtete eigentlich nur. Aber was ich sehen konnte war, dass es ein sehr angenehmes, einvernehmliches Gespräch war. Sie lachten gelegentlich sogar und schienen sich einig zu sein. Um was es genau ging, verstand ich nicht so recht, aber sie sprachen über Geld und über das Leben im Kloster und was es für mich bedeuten würde. Mit meinem Wissen von heute kann ich aber schon sagen, dass das Gespräch wohl nicht so harmonisch verlaufen wäre, wenn meine Eltern arm gewesen wären. Sicher mussten sie dem Kloster Geld zahlen, damit ich aufgenommen, ausgebildet und auch verpflegt würde. Auch durfte ich nichts besitzen, meine Eltern durften mir auch überhaupt nichts gelegentlich zukommen lassen und auch nach ihrem Tod nichts vererben. Das hatte ich damals wohl schon verstanden. Was mir allerdings nicht klar war: ich musste auch alle meine Freunde und Verwandte verlassen. Dass ich jedoch auch meine Eltern nie wieder sehen würde, habe ich erst mit der Zeit gemerkt. Am Anfang dachte ich, ich dürfte ab und zu nach Hause oder meine Eltern dürften mich hier besuchen. Aber das war nicht so. Mein Zuhause war von da an das Kloster. Das war dann schon schlimm für mich, aber ich gewöhnte mich mit der Zeit daran und fand auch im Kloster neue Freunde und interessante Beschäftigungen. 

Doch das lag an der Regel des Heiligen Benedikt, nach der sich alle im Kloster richten mussten und die immer befolgt werden musste. Dass es Mittel und Wege gab, sie doch nicht immer befolgen zu müssen, lernte ich später auch. Die Regeln waren sehr umfangreich und sehr streng und sie betrafen im Prinzip alles, was man als Mönch im Kloster machen musste. Da war und ist jedes kleinste Detail geregelt. Dass man gehorsam sein muss, vor allem gegenüber dem Abt, wann und wie viel es zu essen gab, ob und wann man reden durfte, wie man sich den anderen Mönchen gegenüber verhalten soll, wie man mit Alten und Kranken umgeht, welche Kleidung man trägt und so weiter. Vor allem aber wann und wie die Gottesdienste – es sind mehrere am Tag - gefeiert werden sollen, was es mit der Pünktlichkeit auf sich hat und auch welche Strafen es gibt, wenn man eine Regel nicht befolgt. Denn das ganze Leben im Kloster ist nur auf Gott ausgerichtet. Alles „Weltliche“, wie man im Kloster gerne sagt, soll draußen bleiben. Nichts soll die Hinwendung zu Gott stören oder von der Beschäftigung mit Gott und dem Glauben ablenken. Das konnte ganz schön anstrengend sein und viele hielten das auch nicht aus, wie ich später noch zur Genüge erfahren musste. Dann mussten sie das Kloster wieder verlassen, obwohl die Aufnahmebe-dingungen schon ganz schön hart waren. Auch dafür gab es nämlich Regeln, denn es sollte nicht Hinz und Kunz einfach so ins Kloster kommen können. Wer Mönch werden wollte, wurde schon vorher genau – und hart – geprüft. Derjenige sollte bereit sein, alles, was er vorher war oder besaß aufzugeben und sein restliches Leben nur noch Gott zu widmen. Für uns Kinder gab es Gott sei Dank Ausnahmen, das war nicht ganz so streng, aber im Großen und Ganzen mussten auch wir uns an die Regeln halten. 

Doch zurück zu unserem Gespräch mit Prior Arnold. Irgendwann beugte er sich dann plötzlich zu mir herunter und fragte mich: „Na, mein Kleiner, wie heißt du denn?“ Eigentlich wusste er das doch schon, denn meine Eltern hatten es mit Sicherheit gleich am Anfang gesagt. „Wilhelm,“ antwortete ich trotzdem höflich. „Ah, Wilhelm. Das ist ein schöner Name,“ sagte er mit einem Lächeln im Gesicht. Dass er so freundlich war, fand ich dann doch sehr angenehm und das trug sicher dazu bei, dass ich begann, mich wohlzufühlen. Und das ist auch heute noch so. Arnold ist, das kann ich sagen, im Laufe der Zeit zu einem meiner wichtigsten Vertrauten geworden. Ohne ihn und seine väterliche Fürsprache und Zuneigung wäre vieles, was in den Jahren seither geschah, nicht möglich gewesen. Tatsächlich ist er mir in all der Zeit zu einem Ersatz-Vater geworden. Und wahrscheinlich hatte ich schon bei diesem ersten Gespräch das Gefühl von Vertrautheit und Geborgenheit ihm gegenüber. Mit vielen meiner Sorgen und Nöte, vor allem in der Anfangszeit im Kloster, bin ich zu ihm gegangen und habe bei ihm Rat und auch Trost gesucht. Und meistens auch gefunden und erhalten. Ich glaube, dass ich auch für ihn eine Art Sohn-Ersatz war, den er ja als Mönch nie hatte.  

„Also, Wilhelm,“ fuhr Arnold fort, „soll ich dir mal das Kloster zeigen? Wenn du willst, können wir alle zusammen einen kleinen Rundgang machen und du kannst dir alles genau anschauen. Möchtest du?“ Ja, mochte ich schon. Endlich gab es eine Abwechslung und ich musste nicht mehr stillsitzen. „Du wirst nämlich in der nächsten Zeit hier im Kloster wohnen und viele neue Dinge lernen. Da sollst du doch auch wissen, was es hier alles gibt.“ Wir schauten uns alles an, zunächst das Gästehaus, in dem wir uns ja befanden, dann den Kreuzgang, die große Abteikirche, den Speisesaal, das Abtshaus, den Schlafraum für die Mönche, den Kapitelsaal, die Bibliothek und zum Schluss den Bereich für die Novizen. „Hier wirst du wohnen, zusammen mit den anderen Novizen. Und hier findet auch der Unterricht statt. Hier lernst du lesen, schreiben, singen und vieles mehr. Du wirst sehen, es macht dir bestimmt Spaß.“ Ob das Wort ‚Spaß‘  die Sache so ganz genau traf, konnte ich da noch nicht so ganz einschätzen. Auf jeden Fall war ich gespannt, was mich so alles erwarten würde.  

Unser Rundgang durch das Kloster war damit auch beendet und Prior Arnold begleitete uns noch zum Ausgang. Meine Eltern verabschiedeten sich freundlich von ihm – und auch von mir. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen und auch mein Vater schien sehr gerührt. Meine Mutter drückte mich noch einmal ganz fest an sich und flüsterte mir „Gott segne dich, mein Sohn. Wir haben dich ganz arg lieb!“ ins Ohr. Arnold öffnete das Tor und meine Eltern verließen winkend das Kloster.

Da stand ich nun also, allein mit Arnold, nachdem er das Tor hinter ihnen geschlossen hatte. Ziemlich verwirrt, muss ich gestehen. Aber Arnold nahm mich sofort bei der Hand und sagte: „Komm, ich zeige dir jetzt deinen Schlafplatz, und du bekommst auch gleich etwas anderes anzuziehen. Und dann kann ich dich auch gleich den anderen Novizen vorstellen. Du wirst sehen, die sind alle sehr nett und du wirst dich bestimmt mit ihnen gut verstehen. Und dann gehen wir auch gleich noch zu Bruder Gisbert. Er leitet die Klosterschule und er wird dir dann alles Weitere zeigen.“  Bei so viel Programm hatte ich gar keine Gelegenheit, weiter an meine Eltern zu denken. So gingen wir also los ins Dormitorium für die Novizen. So hieß der Raum, in dem wir alle schliefen. Jeder hatte zwar sein eigenes Bett, aber alle waren in einem einzigen Schlafsaal. Die erwachsenen Mönche hatten ihr eigenes Dormitorium. Das war näher bei...

Erscheint lt. Verlag 4.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7598-2341-6 / 3759823416
ISBN-13 978-3-7598-2341-0 / 9783759823410
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