Margret -  Roswitha Gruber

Margret (eBook)

Eine Südtiroler Bauerntochter
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
272 Seiten
Rosenheimer Verlagshaus
978-3-475-55009-6 (ISBN)
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Margret kommt 1943 in Südtirol zur Welt. Auf dem Bauernhof ihrer Eltern wächst sie behütet auf, obwohl schwere Schicksalsschläge die Großfamilie heimsuchen. Zudem bleibt ihr abgelegenes idyllisches Bergdorf nicht von den politischen Wirren in Südtirol verschont. Schon früh erfährt das aufgeweckte Mädchen, dass eine ihrer Tanten als Katakomben-Lehrerin in ständiger Gefahr geschwebt hatte. Von der 'Option' zwischen 1939 und 1943 bleibt die Familie zwar unberührt, doch die Zeit der Bombenattentate und anderer Anschläge erlebt Margret bewusst mit.

Roswitha Gruber widmet sich der Schilderung starker Frauen mit außergewöhnlichen Lebensgeschichten. Für jeden ihrer Romane nähert sie sich in intensiven Gesprächen dem Schicksal ihrer Protagonistinnen an. Die Autorin lebt und arbeitet in Reit im Winkl.

Auf dem Kreuzer-Hof


Drei Bauernhöfe spielten in meiner Kindheit eine wichtige Rolle: der Kreuzer-Hof, auf dem mein Vater aufgewachsen ist, der Wieser-Hof, auf dem meine Mutter ihre Kindheit verbrachte, und der Vinzenz-Hof, von dem ihre Mutter, meine Großmutter Cäcilia, stammte. Als Erstes will ich vom Kreuzer-Hof berichten, weil dort meine Wiege stand. Mein Vaterhaus, ein bescheidenes Anwesen zu Kalditsch, unweit von Montan in Südtirol, duckt sich mitten im Dorf zwischen die Häuser. Die Felder aber lagen weit außerhalb, sodass wir immer ganz schön lange Wege zurückzulegen hatten.

Mein Vater hat keine sorglose Kindheit gehabt, obwohl alles so verheißungsvoll begonnen hatte. Seine Eltern Josef und Katharina bewirtschafteten das kleine Anwesen, das von Generation zu Generation weitergereicht worden war. In Katharina begegnete meinem Großvater Josef im Jahre 1906 die große Liebe. Sie sah nicht nur gut aus, sie war auch tüchtig, wovon er sich bei mehreren Gelegenheiten hatte überzeugen können. Da beide noch recht jung waren – er war erst 22 und sie 16 Jahre alt –, wollten sie sich mit dem Heiraten noch etwas Zeit lassen. Doch dann starb Josefs Vater im Alter von 51 überraschend an einem Blutsturz, und der Sohn musste die Verantwortung für den Hof übernehmen. Wie es das Unglück so wollte, starb seine Mutter, nur 49 Jahre alt, ein Jahr später an einem Schädelbasisbruch. Beim Heu-Hinabwerfen war sie vom Heuboden gestürzt.

Damit der Hof nicht so lange ohne Bäuerin war, heiratete das junge Paar bereits ein Vierteljahr nachdem Josefs Mutter beerdigt worden war, in aller Stille. Das war im September 1908. Neun Monate später brachte Katharina einen gesunden Sohn zur Welt, der selbstverständlich Josef genannt wurde. Damit schien das Glück des jungen Paares vollkommen, doch es währte nicht lange. Als der kleine Josef 15 Monate alt war, erkrankte er an Diphtherie. Tagelang saß die junge Mutter weinend und betend am Bett des Kindes und kämpfte um sein Leben. Sie verlor diesen Kampf, denn nach wenigen Tagen war Josef tot. Bald schon erfuhr das junge Paar Trost, indem Katharina wieder Mutterfreuden entgegensah. Dreizehn Monate nach dem Tod ihres ersten Kindes brachte die junge Ehefrau einen weiteren Sohn zur Welt, der ebenfalls den Namen Josef bekam. Dieser sollte mein Vater werden. Ein Jahr nach Josef lag Klein-Katharina in der Wiege und 14 Monate nach ihr ein Julius, nämlich am 2. Februar 1914.

Leider brach am 1. August desselben Jahres der Erste Weltkrieg aus. Bauer Josef wurde schon bald eingezogen, obwohl er Vater von drei kleinen Kindern war. Seine junge Frau musste nun sehen, wie sie mit der Landwirtschaft allein zurechtkam. Ihr stand lediglich ein alter Knecht zur Seite. Im September des folgenden Jahres erhielt sie die Schreckensnachricht, dass ihr Mann für Volk und Vaterland am 31. August 1915 in Galizien/Polen gefallen war. Er wurde in fremder Erde beigesetzt. Für die junge Witwe, sie war erst 25 Jahre alt, brachen gleich mehrere Welten zusammen. Nicht nur dass sie den Mann verloren hatte, den sie liebte, sie trug nun auch allein die Verantwortung für den Hof. Der war immerhin ihre Existenzgrundlage. Außerdem fühlte sie sich verpflichtet, ihn für ihren Sohn Josef zu erhalten. Mit dem alten Knecht Paul, der ihr treu zur Seite stand, bewältigte sie ihre Aufgaben mit Mühe und Not. Leider starb Paul zwei Jahre nach seinem Herrn. Katharina hatte keine Möglichkeit, einen jungen, kräftigen Knecht anzustellen. Die meisten jungen Männer waren noch im Krieg, und darüber hinaus fehlte das Geld, einen Knecht bezahlen zu können. Es nützte auch nicht viel, dass ihr Bruder Theo gelegentlich bei ihr aushalf. Viel Zeit für sie blieb ihm nämlich nicht, denn er hatte selbst genug zu tun, seit er den väterlichen Hof übernommen hatte.

Obwohl Katharina bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit arbeitete, kam ihr Hof immer mehr herunter und brachte immer weniger ein. Alles, was sie für sich und ihre Kinder notwendig brauchte, ließ sie in den Geschäften anschreiben. Ihre Schuldenliste wurde von Monat zu Monat länger, sodass Haus und Grund bald völlig verschuldet waren. Ist es da ein Wunder, dass sie in ihrer Not und ihrem Kummer zur Flasche griff? Gewiss, das war keine Lösung. Im Gegenteil, es verschlimmerte ihre finanzielle Lage noch mehr. Das Geld, das sie für Alkohol ausgab, fehlte an allen Ecken und Enden. Doch das Trinken versetzte sie in einen Zustand, in dem sie für Stunden aller Alltagssorgen enthoben war. Zu ihrer Armut kam noch falscher Stolz. Sie ließ ihre Kinder nicht an der Schulspeisung teilnehmen, die für den Nachwuchs finanzschwacher Familien angeboten wurde. Dort hätten sie sich wenigstens einmal am Tag richtig satt essen können. Stattdessen setzte sie ihnen Tag für Tag Erdäpfel oder Polenta vor. Josef, mein Vater, erkannte schon als Schulbub den Ernst der Lage und arbeitete fleißig auf dem Hof mit. Nach seiner Schulentlassung gab er gar eine vollwertige Arbeitskraft ab. Im Gegenzug dafür, dass der Onkel bei ihnen auf dem Hof einsprang, half er auch auf dessen Hof mit. So lernte der vaterlose Bub alles, was ein Bauer können muss.

Leider blieb Katharinas Alkoholkonsum nicht ohne Folgen. Sie starb 1931 mit 40 Jahren an Leberzirrhose. Ihren drei Kindern im Alter von 19, 18 und 17 Jahren, die nun Waisen waren, hinterließ sie einen verschuldeten Hof.

Doch Sohn Josef biss die Zähne zusammen und arbeitete bis zum Umfallen auf dem eigenen Anwesen und auf dem des Onkels. Katharina und Julius setzten sich ebenfalls voll ein, um den elterlichen Hof zu erhalten. Leider traf ein Jahr nach dem Tod der Mutter ein neues Unglück die Familie. Im Dezember 1932 war Julius mit seinem um zwei Jahre älteren Cousin Theo, dem Sohn von Onkel Theo, bei Tramin damit beschäftigt, Maisstängel zu ernten. Man hatte sie, wie üblich bei der Maisernte, im Oktober stehen lassen. Nach einigen Stunden legten sie eine Rast ein. Mittlerweile war es empfindlich kühl geworden war, deshalb machten sie sich auf der benachbarten Wiese mit Maisstängeln ein Lagerfeuer. Die trockenen Stängel brannten wie Zunder und gaben eine wohlige Wärme ab. Nichts Böses ahnend saßen sie um ihr Feuer, tranken von dem mitgebrachten Wein, aßen ihre belegten Brote und unterhielten sich angeregt. Plötzlich tauchten zwei Carabinieri auf, mit Gewehren im Anschlag. Sie schrien: »Altolà!«, was »Halt« bedeutet. Statt brav die Hände hochzuheben und sich nicht vom Fleck zu rühren, sprangen die Cousins auf und rannten davon.

Die Polizisten nun, statt wie vorgeschrieben einen Warnschuss in die Luft abzugeben, schossen direkt auf die Fliehenden. Sie trafen Julius im Rücken, der daraufhin sofort zusammenbrach. Theo, der das aus dem Augenwinkel mitbekommen hatte, beugte sich sofort zu dem Bewusstlosen hinunter und tastete nach seinem linken Handgelenk. Der Puls war noch deutlich zu fühlen. Deshalb rief er den Staatsbeamten, die sich mittlerweile genähert hatten, in vorwurfsvollem Ton zu: »Da habt ihr was Schönes angerichtet! Jetzt helft mir wenigstens, den Verletzten auf den Wagen zu heben.« Er holte das Fuhrwerk, vor dem die Ochsen geduldig ausgeharrt hatten und das schon zur Hälfte mit Maisstängeln beladen war, herbei, und sie betteten Julius zwischen die Ladung. Das nächstgelegene Spital befand sich in Bozen. Heutzutage würde man mit dem Auto eine knappe halbe Stunde von Tramin bis Bozen benötigen. Mit dem Ochsengespann zog sich der Krankentransport jedoch über Stunden hin.

Bis sie endlich im Spital ankamen, hatte der Angeschossene bereits sehr viel Blut verloren. Zudem stellte man schwere innere Verletzungen fest, sodass er nicht mehr gerettet werden konnte. Am folgenden Tag, dem 7. Dezember, erlag er seiner Verletzung, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Für die Geschwister Katharina und Josef war das ein neuer schwerer Schlag. Nicht nur dass sie ihren geliebten Bruder verloren hatten, ihnen fehlte auch seine Arbeitskraft. Sie überlegten, ob sie den Carabiniere anzeigen sollten. Von diesem Gedanken nahmen sie aber ganz schnell wieder Abstand. Ihnen fehlte nicht nur das Geld für einen möglichen Prozess, sie sahen auch nicht die geringste Chance, dass der Schuldige zur Rechenschaft gezogen würde. Sie, als Südtiroler, hätten vor einem italienischen Richter keinerlei Aussichten, zumal sie nicht beweisen konnten, welcher der beiden Polizisten den tödlichen Schuss abgegeben hatte. Selbst wenn das Gericht sich wirklich die Mühe gemacht hätte, dies herauszufinden, und der Todesschütze bestraft worden wäre, so wäre ihr Bruder davon nicht wieder lebendig geworden.

Für die Geschwister brach eine noch härtere Zeit an. Doch mit Fleiß und Gottvertrauen schafften sie es tatsächlich, in wenigen Jahren den Schuldenberg abzubauen.

Josef ging davon aus, dass seine Schwester Katharina nicht ewig bei ihm bleiben würde, um ihm den Haushalt zu führen. Deshalb sah er sich mit seinem Wahlspruch »Such dir deine Frau im Stall und nicht auf dem Ball« rechtzeitig unter der holden Weiblichkeit der näheren Umgebung um....

Erscheint lt. Verlag 9.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-475-55009-1 / 3475550091
ISBN-13 978-3-475-55009-6 / 9783475550096
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