Die verschwundene Braut (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60765-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die verschwundene Braut -  Rosa Teruzzi
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Am Rande des romantischen Navigli-Viertels in Mailand liegt ein altes Eisenbahnhaus, in dem die Floristin Libera einen Blumenladen betreibt. Libera, die sich auf Brautsträuße spezialisiert hat, lebt dort zusammen mit ihrer Mutter Iole, einer äußerst munteren alten Dame aus der Hippie-Generation. Dritte im Bunde ist Liberas penible Tochter Vittoria, die für die Mailänder Polizei ermittelt und eigentlich ausziehen möchte, zumal sich Mutter und Großmutter oft genug und ungefragt in ihre Fälle einmischen. Als an einem regnerischen Julitag eine Frau in Schwarz an die Tür klopft und verlangt, die junge Kommissarin zu sprechen, flüchtet Vittoria durch die Hintertür. Sie kennt die alte Signora Minardi bereits, die sich mit dem Verschwinden ihrer Tochter Carmen vor fast dreißig Jahren einfach nicht abfinden will. Niemand in der Präfektur hat Lust, sich schon wieder mit diesem ungelösten Fall zu beschäftigen. Doch Rosalia Minardi lässt nicht locker. Damals, so behauptet sie, wurden einige Spuren übersehen. Aus Mitgefühl hören sich Libera und Iole die Geschichte der alten Frau an, doch bald schon haben sie gute Gründe, um hinter Vittorias Rücken ein wenig zu recherchieren und sich kopfüber in den zunehmend rätselhaften Fall zu stürzen ...

1
Die Frau in Schwarz


Es läutete gegen sieben Uhr abends. Zweimal ein kurzes, resolutes Klingeln.

»Oh nein!«, rief Vittoria, nachdem sie durch das winzige Küchenfenster einen kurzen Blick auf die schwarze Gestalt hinter der Gartentür geworfen hatte.

Sie sprang vom Tisch auf, schob heftig ihren Stuhl zurück und stieg die steinerne Treppe hinauf, die in das obere Stockwerk führte, wobei sie ihrer Mutter mit erhobenem Zeigefinger ein Zeichen machte.

»Ich bin nicht zu sprechen!«

Libera versuchte nicht einmal, zu widersprechen. Wenn ihre Tochter auf diese Weise den Mund verzog, deuteten sich am Horizont düstere Wolken an.

Seufzend spülte sie sich die Hände ab, zog ihre Schürze aus und ging zur Tür, wo die Frau erneut auf die Klingel drückte.

Sie war klein, hatte graues Haar und war wie die Witwen in den Filmen des Neorealismus von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet.

»Ich suche die Inspettrice Deidda«, sagte die Frau unwirsch und sah sie dabei kaum an.

Ihr Blick war auf die hölzerne Eingangstür des alten Bahnwärterhauses gerichtet, in dem Libera und ihre Tochter Vittoria wohnten. Von diesen Häusern gab es in der Stadt nur noch wenige. Sie lagen am Naviglio Grande, dem ältesten Kanal Mailands, zwischen den Gleisen der Strecke Mailand–Mortara und der Südstrecke, auf der gerade der Vorortzug nach Rogoredo vorbeidonnerte.

Die Frau in Schwarz spähte ins Innere des Hauses, während sie erneut und mit fordernder Stimme sagte:

»Ich will jetzt mit der Inspettrice Vittoria Deidda sprechen, bitte.« Sie trat ungeduldig mit dem Fuß auf.

»Sie ist nicht zu Hause«, erklärte Libera unbehaglich und zog die Tür rasch hinter sich zu. Sie gehorchte der Anweisung ihrer Tochter, wenn auch mit Widerwillen – so wie jedes Mal, wenn sie gezwungen war zu lügen.

Erst jetzt schenkte die alte Frau ihr einen Blick: Ihre kleinen Augen, die aussahen wie dunkle Geldmünzen, musterten sie ernst und abwägend. Dann schüttelte sie energisch den Kopf.

»Ich komme wieder«, sagte sie, drehte sich auf dem Absatz um und ging auf den Schienenübergang zu, die Handtasche fest unter den Arm geklemmt, mit für ihr Alter erstaunlich geradem Rücken und hocherhobenen Hauptes. Erste bläuliche Blitze zuckten am Himmel und kündigten ein herannahendes Gewitter an.

»Ich komme wieder«, sagte sie erneut, und es klang fast wie eine Drohung. Ein paar Sekunden später bog sie in die Via Pesto ein, nicht ohne noch einmal einen Blick auf das alte Bahnwärterhaus geworfen zu haben.

Libera sah der kleinen schwarzen Gestalt verblüfft nach, dann ging sie ins Haus und zog die Tür hinter sich zu.

»Wer war das?«, fragte sie ihre Tochter, die jetzt oben an der Treppe auftauchte. Vermutlich hatte sie die ganze Zeit am Fenster ihres Zimmers gestanden und gewartet, bis die Fremde endlich den Rückzug antrat.

»Ah, das ist eine echte Nervensäge«, sagte Vittoria.

Sie kam herunter, nahm wieder ihren Platz unter der alten Hängelampe in der Küche ein und vertiefte sich in ihr Buch. Wenn Vittoria ein so konzentriertes Gesicht machte und ihren Mund dabei unwillkürlich zusammenzog, sah sie genauso aus wie ihr Vater. Für einen Moment wurde Libera das Herz schwer. Dann trat sie zum Tisch hinüber.

»Ich hatte den Eindruck, dass die Frau ein dringendes Anliegen hat und Hilfe braucht. Woher weiß sie überhaupt, wo du wohnst?«

»Eine echte Nervensäge«, wiederholte Vittoria, ohne von ihrem Buch aufzublicken. »Mit der vergeude ich nicht mehr meine Zeit!«

Und mit mir auch nicht, fügte Libera in Gedanken hinzu. Sie zuckte die Schultern und ging hinaus, um die Werkstatt abzuschließen, die im Anbau ihres kleinen Bahnwärterhaus untergebracht war, das sie von ihrem Großvater geerbt hatte. Um diese Zeit würde keine Braut mehr vorbeikommen, um bei ihr einen Brautstrauß zu bestellen. Sie ging wieder ins Haus, um sich etwas zu essen zu machen. Vittoria würde sicher zu einer ihrer geheimnisvollen Verabredungen gehen wie jeden Donnerstagabend. Seit fast drei Monaten blieb ihre Tochter an diesen Tagen sogar die ganze Nacht weg. Sie zu fragen, wo und mit wem sie diese Nächte verbrachte, hätte sicher auch sie selbst zu einer Nervensäge gemacht. Libera seufzte. Auch mit Iole, ihrer Mutter, war heute Abend nicht zu rechnen. Sie hatte die Lebensweise eines Hippies beibehalten, trieb sich überall in der Weltgeschichte herum und tauchte dann und wann überraschend bei ihr auf. Dann blieb sie ein paar Monate und wohnte im Gästezimmer. »Um mich nicht zu sehr von der Familie zu entfernen«, pflegte sie zu sagen, was Vittoria mit »Nonna ist wohl mal wieder das Geld ausgegangen!« kommentierte. Ihr gefiel der unkonventionelle Lebensstil ihrer Großmutter ganz und gar nicht, und sie machte daraus keinen Hehl. Und tatschlich konnte niemand wissen, wann Iole das nächste Mal wieder auftauchen würde.

Die Grille und die Ameise nannte Libera die beiden liebevoll in Gedanken – nur dass die Grille in diesem Fall fast siebzig und die Ameise erst fünfundzwanzig Jahre alt war.

Um die Ameise machte Libera sich am meisten Sorgen. Vittoria war ein Einzelkind gewesen, und heute war sie eine angehende Inspektorin von eher zurückhaltendem Wesen. Für sie schien es nur ihre Arbeit zu geben, gerade bereitete sie sich auf ihren Abschluss in Rechtskunde und die Inspektorenprüfung vor. Von Freunden wusste Libera nichts, nur von Kollegen. Seit der Zeit im Gymnasium hatte Vittoria auch keinen Freund mehr gehabt.

Ihre Großmutter, der das nicht entgangen war, hatte einmal in munterem Plauderton zu ihr gesagt:

»Wenn du eine Lesbe bist, kannst du es mir ruhig sagen.« Natürlich trat Iole auch heute noch für die in der 68er-Zeit propagierte freie Liebe ein. Damals war Libera zur Welt gekommen, doch inzwischen herrschten ja offenbar wieder eher konservative Ansichten.

Jedenfalls hatte Vittoria ihrer Nonna einen Blick zugeworfen, der deren Lächeln erstarren ließ.

Die beiden führten oft endlose Diskussionen, und dann nannte Iole ihre Nichte eine Virago und Rächerin.

Man musste kein Therapeut sein, um zu verstehen, wen Vittoria rächen wollte und warum. Ihre sonst eher freundliche Ausstrahlung hatte sich in letzter Zeit verdüstert. Seit Mitte Mai, um genau zu sein. Als Libera behutsam versucht hatte, den Grund für die schlechte Laune ihrer Tochter herauszufinden, erhielt sie nur ein abweisendes Knurren zur Antwort.

»Meiner Meinung nach ist sie verliebt, aber er ist verheiratet oder will nichts von ihr wissen«, hatte Iole gemeint, die wie immer zu allem eine Meinung hatte. »Das ist in ihrem Alter die einzige einleuchtende Erklärung.«

Eine halbe Stunde später machte Vittoria sich wie jeden Donnerstag auf den Weg.

»Wir sehen uns dann morgen Abend«, sagte sie, ohne jede weitere Erklärung.

Libera nickte ergeben. Sie bereitete gerade eine sommerliche Pasta-Sauce aus Tomaten, Kapern und Schalotten zu, und das im regenreichsten Juli, den sie in den letzten dreißig Jahren erlebt hatten. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn zu geben, und bemerkte erschaudernd die Pistole, die Vittoria in der hinteren Tasche ihrer Jeans unter ihrer geblümten Bluse trug. Vittoria war bei all ihrer Entschlossenheit auch fragil und durchaus hübsch. Manchmal machte Libera sich Sorgen um ihre verschlossene Tochter. Auch jetzt hätte sie gern gewusst, warum man zu einem Rendezvous eine Waffe mitnahm, wenn es denn überhaupt ein Rendezvous war, doch sie verkniff sich die Frage. Vittoria hätte ihr sowieso keine Antwort gegeben. Schon als junges Mädchen hatte ihre Tochter sich nicht gern in die Karten schauen lassen.

Nach dem Essen zog Libera aus dem vollgestopften Bücherregal im Flur einen Roman von Scerbanenco hervor – Der Kanal im Nebel – und machte es sich auf dem Sofa gemütlich, um ein paar Seiten zu lesen. Sie liebte die Magie von Scerbanencos Büchern und ließ sich gern davon verzaubern. Doch heute gelang ihr das nicht. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, und das Bild der geheimnisvollen Frau in Schwarz schob sich vor ihre Augen. Wer war diese Fremde? Was wollte sie von ihrer Tochter? Bedeutete ihr Auftauchen vielleicht eine Gefahr für...

Erscheint lt. Verlag 29.2.2024
Übersetzer Christiane Landgrebe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ermittlerinnen • Italien • Krimi • Mailand
ISBN-10 3-492-60765-9 / 3492607659
ISBN-13 978-3-492-60765-0 / 9783492607650
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