Das Lächeln der Königin (eBook)

Roman

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eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31281-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Lächeln der Königin -  Stefanie Gerhold
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Ihre Schönheit ist zeitlos, ihre Entdeckung eine Sensation - die Büste der Nofretete. 1913 gelangt sie nach Berlin und wird für den Mäzen der Grabungen, James Simon, zum Triumph. Doch bald werden Rückgabeforderungen laut. Stefanie Gerhold erzählt vom kolonialen Grabungsrausch in Tell el-Armana, jüdischem Bürgertum in Berlin und den flirrenden Hoffnungen der Zwanzigerjahre. Nach bangen Wochen des Wartens gelangt die Nofretete-Büste endlich in die Hauptstadt, auf den Schreibtisch von James Simon. Der jüdische Mäzen kann kaum glauben, dass der Fund Berlin zugesprochen wird. Simon, erfolgreicher Textilunternehmer, genießt hohes Ansehen in der Berliner Gesellschaft. Er gründet soziale Einrichtungen und stiftet den Berliner Museen unzählige Kunstschätze. Aber die Büste der Nofretete überstrahlt alles. Sogar Kaiser Wilhelm II. stattet James Simon einen Besuch in seiner Villa ab, um sie zu sehen. Doch der verlorene Erste Weltkrieg, aufkommender Nationalismus und die Krisen der Weimarer Republik setzen James Simon schwer zu. Als die Nofretete 1924 erstmals im Neuen Museum ausgestellt wird, bricht ein erbitterter Streit zwischen Ägypten, Frankreich und Deutschland aus. Wohin gehört sie wirklich? Und während Berlin seine neue Königin und mit ihr den Glanz einer bedeutenden Entdeckung feiert, verliert James Simon im Siegeszug nationalistischer und antisemitischer Propaganda zunehmend an Einfluss. 

Stefanie Gerhold, geboren 1967, wurde bekannt als Übersetzerin für spanischsprachige Literatur, unter anderem der Werke von Max Aub und Elsa Osorio. 2023 bekam sie für ihre Übertragung des Stücks Himmelweg von Juan Mayorga den Eurodram-Preis. Sie schreibt Essays zu interkulturellen Themen und hat bei Deutschlandfunk Kultur das Hörspiel Come Back veröffentlicht. Das Lächeln der Königin ist ihr erster Roman. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Stefanie Gerhold, geboren 1967, wurde bekannt als Übersetzerin für spanischsprachige Literatur, unter anderem der Werke von Max Aub und Elsa Osorio. 2023 bekam sie für ihre Übertragung des Stücks Himmelweg von Juan Mayorga den Eurodram-Preis. Sie schreibt Essays zu interkulturellen Themen und hat bei Deutschlandfunk Kultur das Hörspiel Come Back veröffentlicht. Das Lächeln der Königin ist ihr erster Roman. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

2


Es war das Jahr 1897. James hatte sich ganz gut eingefunden in seine Position als Firmenchef und begann nun auch, sich als Mäzen ein neues Gebiet zu erschließen, die Archäologie. Etwa zur gleichen Zeit machte Wilhelm Bode vor, wie man eine Kunstsammlung aufbaut. Die Zielstrebigkeit, mit der er die Leitung der Berliner Gemäldegalerie anging, vertrug sich nicht mit der dort herrschenden Trägheit, und so löste er sich aus der Abhängigkeit von der staatlichen Museumsverwaltung und gründete den Kaiser-Friedrich-Museumsverein.

Der Kunstmarkt war schnell. Durch den privat getragenen Verein verfügte Bode nun über einen aus Mitgliedsbeiträgen gebildeten Fonds, auf den er zum Erwerb von Gemälden und Skulpturen für die Berliner Sammlungen schnell zugreifen konnte.

»Ich zähle auf Sie, Herr Simon.«

James wurde gern Gründungsmitglied, aus Verbundenheit und auch, weil die Archäologie in einer ganz ähnlichen Situation steckte. An den Universitäten erlebten die Altertumswissenschaften eine Blüte, aber die Absolventen kamen auf keinen grünen Zweig. Zwar gab es ein Gremium, das den Weg zu Ausgrabungen bereiten sollte, das Orient-Komitee, aber dessen Mitglieder schienen damit ausgelastet zu sein, sich ihrer eigenen Wichtigkeit zu versichern und die Launen des Kaisers zu bedienen. Der hatte immerhin schon mehrere Erkundungsreisen finanziert. James auch, eben erst, auf Anregung von Onkel Louis, nach Mesopotamien.

Aber wohin sollte das Erkunden antiker Stätten führen, das Suchen nach geeigneten Grabungsorten, wenn anschließend das Geld für die Durchführung der Grabungskampagnen fehlte? Den lohnenden Part übernahmen dann wieder die französischen und englischen Archäologen, die es von vornherein leichter hatten, sie mussten nur ausströmen in ihre riesigen Kolonien.

Als Unternehmer hatte James das Orient-Komitee schon mehrmals darauf hingewiesen, dass groß angelegte Vorhaben eine kontinuierliche Finanzierung benötigten, und er hatte auch darauf gedrungen, den Museen fachlich mehr Mitsprache einzuräumen und den Häusern gleichzeitig mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewähren. Geändert hatte sich bisher nichts.

 

Es bräuchte jemanden, der sich mit Professionalität und Entschlossenheit der Sache annimmt, damit die Archäologie vorankommt, jemanden wie Wilhelm Bode. Das dachte James immer wieder, so auch an dem Sonntagmorgen, als er sich noch einmal den Brief dieses jungen Ägyptologen vornahm, der ohne Zweifel zu den Hoffnungen des Fachs gehörte.

Kairo, den 1. September 1897

 

Mein verehrter James Simon!

 

Die sechs Monate Sommerpause neigen sich dem Ende zu, und ich kann es kaum erwarten, unsere Grabungen in Abu Ghurab fortzusetzen. Wenn sich die Vermutungen bewahrheiten und wir es mit einer religiösen Kultstätte zu tun haben, wird unsere Bitte um eine Finanzierung vielleicht von den preußischen Göttern erhört werden. Mit Freude vernehme ich, dass immerhin Sie sich von der Güte meiner Funde überzeugen konnten. Nicht nur deshalb bin ich glücklich, dass es mir gelungen ist, einige der Reliefblöcke für Berlin abzuzweigen. Dort weiß ich, wo sie sind. Hier ist man vor nichts gefeit. Als ich kürzlich nach Feierabend über den Souk schlenderte, entdeckte ich bei einem Antiquitätenhändler eine Bildhauerarbeit, die mir erstaunlich bekannt vorkam. Auf meine Frage nach der Herkunft bekam ich das in diesem Fall zweifelsohne zutreffende »echt antik!« zu hören und einen Preis, über den selbst ein indischer Maharadscha den Kopf geschüttelt hätte.

Man darf gespannt sein, wer außer solchen tüchtigen Gewerbetreibenden während unserer sechsmonatigen Abwesenheit noch dafür gesorgt hat, dass die Arbeit in Abu Ghurab nicht ruht. Ich erinnere nur an die Tunichtgute vom letzten Jahr, die sich in dem von uns freigelegten Felsengrab mit Feldbetten und Bridge-Tisch häuslich eingerichtet hatten. Leider ließen sie das Quartier unmöbliert zurück, als wir sie aufforderten zu verschwinden.

Neben den erwähnten Geldern fehlt uns noch ein Kamel. Zwar herrscht hier genau wie in Berlin an Kamelen kein Mangel. Mit dem Unterschied, dass man in diesem Land für alles Zeit braucht. Eile bezahlt man teuer. Dann passiert Folgendes: a) Der Kamelhändler nennt einen Phantasiepreis, b) der Kamelhändler bietet einem die Ladenhüter an, c) eine Kombination aus a) und b). Aber Mustafa ist Gold wert. Er hat bereits das Zelt für unsere Instrumente geflickt, und in wenigen Tagen wird er unsere Vierbeiner-Flotte vervollständigt haben. Derweil üben wir uns im Menahouse in der in diesem Land so beliebten Disziplin des Nichtstuns. Das Hotel liegt unweit der Pyramiden von Gizeh und bietet nicht nur Tennisplätze, die außer früh morgens von einigen sportversessenen Engländern nicht genutzt werden, sondern auch einen Swimmingpool, in dem niemand badet. Der Koch, ein Österreicher, gibt sich alle Mühe, damit wir die Vorzüge der Zivilisation in den vor uns liegenden Wüstenmonaten in Erinnerung behalten. Von dieser bescheidenen Herberge reiten wir noch gut zwei Stunden mit dem Esel Richtung Süden, dann werden wir, wenn alles klappt, im Hotel der tausend Sterne unsere Zelte aufschlagen.

Über den Sommer bin ich meine Aufzeichnungen durchgegangen und zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei den Resten der Rampe, die wir in Abu Ghurab freilegen konnten, um eine provisorische Konstruktion zur Beförderung der Kalksteinblöcke handeln dürfte. Warum sie nicht wieder abgebaut wurde, weiß kein Mensch. Es wäre sinnvoll, wenn unsereins die großen Pyramiden nicht nur nach längst geplünderten Schatzkammern, sondern auch nach Spuren solcher Rampen absuchen würde. Dann fänden wir womöglich eine Antwort darauf, wie die Ägypter ihre gigantischen Bauten technisch bewältigten. Seit Herodot haben sich diese Frage schon viele gestellt, auf den Grund gegangen ist ihr noch niemand.

Nach meinem erneuten Besuch der Meidun-Pyramide beziehungsweise dessen, was seit der Umwidmung zum Steinbruch von ihr übrig ist, habe ich eine Berechnung über die Menge des verbauten Materials und die erforderliche Hebeleistung angestellt. An die 700 000 Kubikmeter Kalkstein mussten gebrochen, über den Nil befördert und auf die Bauhöhe gehoben werden. Dem entspräche, 17 Jahre lang täglich ohne Unterbrechung die Ladung von 26 Zehn-Tonnen-Eisenbahnwaggons vom Pflaster des Gendarmenmarktes auf die Höhe des höchsten Gesimses des Schauspielhauses zu heben. Da sollen unsere Baumeister noch einmal über den märkischen Sand klagen.

Neben baugeschichtlichen Erkenntnissen dürfte eine groß angelegte Grabung in Abu Ghurab noch einiges an exzellenten Skulpturen und Reliefs zu Tage fördern. Selbst wenn unsere Erwartungen enttäuscht werden sollten, was ich nicht glaube, können wir gleich in dem angrenzenden Abusir weitermachen. Ein Ensemble aus mehreren Pyramiden mit Aufwegen, Torbauten und allem Drum und Dran. Derzeit gleicht das Erscheinungsbild einem großen Schutthaufen. Es sollte mir gelingen, die Grabungslizenz beim Service des Antiquités dorthin auszuweiten.

Gaston Maspero, der nun die Leitung des Antikendienstes übernommen hat, kann mir auf ewig dankbar sein, dass ich die Erstellung eines Zentralkatalogs für sein Kairoer Museum auf mich genommen habe. Seine Begeisterung über meinen Vorstoß hätte mir allerdings gleich zu denken geben sollen. Mir zeigt sich erst jetzt, was ich mir mit der Katalogisierung aufgehalst habe. Ich ging davon aus, dass im Museum die Herkunft jedes Stücks genauestens bekannt ist. Es gibt auch ein Eingangsjournal, das im Jahr 1858 beginnt. Nur finden sich die fortlaufenden Nummern für jeden Zugang, inzwischen sind es über 30 000, auf den Stücken selbst nicht wieder. Das Journal ist also so gut wie unbrauchbar.

Positiv kann ich vermerken, dass mein Antrag auf zusätzliche Stellen Erfolg hatte. Die Caisse de la Dette Publique bezahlt mir vier Hilfsarbeiter, mein eigenes Honorar übernimmt das Ministerium. Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle (unwahrscheinlich), können wir die Inventarliste in drei Jahren vollständig vorliegen haben. Dann wird der Neubau des Museums in Kairo (voraussichtlich) bezugsfertig sein, und wir können eine nach historischem Prinzip geordnete Sammlung präsentieren, aus der Publikum wie Forscher Nutzen und Bildung ziehen werden.

Eine lückenlose Inventarisierung dürfte auch dafür sorgen, dass Stücke aus den Depots nicht mehr einfach verschwinden. Manch einer im Museum ist so undurchschaubar wie der Inhalt der Kisten und Regale. Bei diesen Subjekten, die sich ihre Arbeit vorzugsweise selbst definieren, bin ich weniger gern gesehen. Alles in allem zeigt man sich aber erfreut, in mir jemanden gefunden zu haben, der sich der Aufgabe mit Respekt und Sachverstand annimmt.

Für Tonscherben und Gefäße habe ich einen jungen Engländer gewonnen, Reliefs und Bauelemente besorgt Dupont, ich selbst nehme mir die Statuen vor. Die Ägypter mit ihrer Affinität zum tatenlos Herumstehen scheinen sich in den Skulpturen wiedergefunden zu haben. Jedenfalls konnten sie von ihnen nicht genug bekommen, allein das Museum besitzt über 2000 Figuren unterschiedlicher Größe. Schreiber und Bauern, Könige und Königinnen, Götter, Paare, in der typischen aufrechten Haltung, als wollten sie eine Parade abnehmen. Ob schreitend oder stehend oder auf Kuben sitzend, aus hellem Kalkstein, weißem Alabaster mit schwarz umrandeten Augen, aus Holz mit aufgemaltem Halsschmuck, seit ich mich tagein, tagaus mit ihnen...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2024
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ägypten • Archäologie • Berlin • Berlin 20er Jahre • Büste • Debütroman • James Simon • Kolonialgeschichte • Museum • Nofretete • Weimarer Republik
ISBN-10 3-462-31281-2 / 3462312812
ISBN-13 978-3-462-31281-2 / 9783462312812
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