Nebelhorn-Echos -  Danny Ramadan

Nebelhorn-Echos (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
279 Seiten
Orlanda Verlag
978-3-949545-52-8 (ISBN)
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Eine zärtliche und tragische Liebesgeschichte zweier junger syrischer Männer über den Kampf mit Konventionen, ein Leben im Krieg und auf der Flucht und die Schwierigkeiten, die Schrecken der Vergangenheit zu überwinden, um glücklich und selbstbestimmt leben zu können. »Nebelhorn-Echos« ist ein literarisch exzellenter und aufwühlender Roman über eine queere und daher aussichtslose Liebe in Syrien. Er zeigt eindrucksvoll das Leben zwischen gesellschaftlichen Normen und der eigenen Selbstbestimmung - mit weitreichenden Konsequenzen für die beiden Liebenden. Eine bereichernde Leseerfahrung entsteht auch durch die Erzählung aus zwei Perspektiven - Damaskus und Vancouver. Danny Ramadan ist ein preisgekrönter syrischkanadischer Autor, Redner, Geschichtenerzähler und LGBTQIA+-Geflüchtetenaktivist. Für seinen Debütroman »Die Wäscheleinen-Schaukel« erhielt er zahlreiche Nominierungen und Preise.» »Nebelhorn-Echos sprüht vor Energie. Es brennt hell [...] Dieser Roman ist eine zärtliche und leidenschaftliche Liebesgeschichte für ein Land, für ein Volk und für all jene, die sich weigern, still und leise im Land der Vergessenen zu verschwinden.« Maaza Mengiste Mit Wassim zusammen zu sein war gewesen, wie ein Feuer in den Händen zu halten. Auch mein Herz war entbrannt, und nach der Zeit mit ihm wehte es davon wie Staub. Ein Käfig aus Metall nahm seine Stelle ein.« aus Nebelhorn-Echos

Danny Ramadan ist ein preisgekrönter syrisch-kanadischer Autor, Redner, Geschichtenerzähler und LGBTQIA+-Geflüchtetenaktivist. Für seinen Debütroman »Die Wäscheleinen-Schaukel« erhielt er zahlreiche Nominierungen und Preise. »Nebelhorn-Echos« wurde 2023 mit dem Lambda Award für Gay Fiction ausgezeichnet. Ramadan ist auch der Autor der Kinderbücher »Salma, die syrische Köchin« und »Bei Salma zu Hause«. Für seinen sozialen Aktivismus wurde er mit dem StandOut! Award, dem RBC Top 25 Canadian Immigrants Award und dem Bonham Centre Award der University of Toronto ausgezeichnet. Seit seiner Ankunft in Kanada hat Ramadan mehr als 300.000 Dollar für LGBTQIA+ identifizierende Geflüchtete gesammelt. Er lebt mit seinem Ehemann in Vancouver.

Danny Ramadan ist ein preisgekrönter syrisch-kanadischer Autor, Redner, Geschichtenerzähler und LGBTQIA+-Geflüchtetenaktivist. Für seinen Debütroman »Die Wäscheleinen-Schaukel« erhielt er zahlreiche Nominierungen und Preise. »Nebelhorn-Echos« wurde 2023 mit dem Lambda Award für Gay Fiction ausgezeichnet. Ramadan ist auch der Autor der Kinderbücher »Salma, die syrische Köchin« und »Bei Salma zu Hause«. Für seinen sozialen Aktivismus wurde er mit dem StandOut! Award, dem RBC Top 25 Canadian Immigrants Award und dem Bonham Centre Award der University of Toronto ausgezeichnet. Seit seiner Ankunft in Kanada hat Ramadan mehr als 300.000 Dollar für LGBTQIA+ identifizierende Geflüchtete gesammelt. Er lebt mit seinem Ehemann in Vancouver.

2003


Kinder sollten von den Schrecken des Krieges nichts wissen, doch Hussam war nun alt genug. Anfangs hielten ihn seine Eltern von den Nachrichten fern, während durch ganz Damaskus Geschichten aus dem benachbarten Irak schwirrten: Geschichten von Massengräbern und abgeschossenen Flugzeugen, von berghohen Gebäuden, die zu Staub zerfielen, von amerikanischen Invasoren mit blondem Haar und blauen Augen. In den Cafés lief kein Musikfernsehen mehr, sondern ein endloser Strom von Nachrichtensendungen. In der Schule wurde der Sportunterricht durch militärische Grundausbildung ersetzt; Hussam und seine Mitschüler lernten eine Schusswaffe zu laden und eine funktionsfähige Gasmaske selbst zu bauen. Wohlhabende Nachbarn verkauften hastig ihre Häuser und beschafften sich Flugtickets übers Mittelmeer.

Als seine Mutter seine Hilfe brauchte, um einen Notvorrat an Dosenfrüchten und eingelegtem Gemüse zusammenzustellen, setzte sie sich mit Hussam hin und erzählte ihm vom Krieg.

»Jeder Vorstoß der Amerikaner hat einen Gegenangriff der Iraker zur Folge«, sagte sie: »Es wird keinen Sieger geben.«

Er wiederholte, was er in der Schule gelernt hatte: »Jede Aktion erzeugt eine gleich starke und gegenläufige Reaktion.«

Der Krieg begann Hussam zu faszinieren. Nach dem Unterricht spielte er nicht mehr mit den Freunden auf der Straße Fußball, sondern rannte nach Hause. Er löste den Gürtel seiner Schuluniform, während er die Treppen hochstieg, und warf seine staubigen Schuhe im Eingang der Zweizimmerwohnung ab.

»Im Haus wird nicht herumgerannt«, ermahnte ihn die Mutter.

Hussam wich ihr aus und huschte ins Wohnzimmer, wo er die Lautstärke des alten Fernsehapparats aufdrehte. Er zappte sich durch die drei syrischen Kanäle, auf der Suche nach Neuigkeiten zur amerikanischen Invasion, mit dem gleichen Enthusiasmus, mit dem er früher nach Trickfilmen gesucht hatte. Begeistert von den Kampfjets, den Panzern und den Reden schnauzbärtiger Militärführer, ahmte er die Soldaten nach, wie sie beim Marschieren die Knie hochrissen und vor der Flagge mit Streifen und Sternen salutierten. Er schulterte den hölzernen Besenstiel und stampfte wie ein Wachtposten, bereit zum Sprung in den Flur, um seine Waffe auf einen fliehenden Feind zu richten.

In seinen fünfzehn Lebensjahren war Hussam kein einziges Mal im Irak gewesen. Er kannte das Land bloß aus dem Geschichtsunterricht, wusste, dass es das Herz eines längst untergegangenen islamischen Großreichs war. Sein Vater schwelgte in Erinnerungen an die vergangene Herrlichkeit des Islams, die, wie er sagte, von ruchlosen Angriffen des ungläubigen Westens gegen den einzigen und wahren Allah und sein treues Volk zerschlagen worden sei.

Seit Kurzem hatte Hussam einen irakischen Mitschüler. Ein Flüchtling, so hieß es. Ein schwarzhaariger, aufbrausender Teenager mit sonnengebräunter Haut, der Arabisch mit seltsamem Akzent sprach.

»Habt ihr von dem Iraker gehört, der mit seiner Flinte einen Apache-Hubschrauber abgeschossen hat?«

Hussam saß mit drei Freunden um einen quadratischen Plastiktisch; jeder von ihnen hielt dreizehn Spielkarten vor die Brust gepresst und warf argwöhnische Blicke um sich, so, wie sie es aus den Schwarz-Weiß-Westernfilmen auf geliehenen VHS-Kassetten gelernt hatten. Seine Mutter stellte ein Tablett auf den Tisch, mit schwarzem, honigsüßem Tee und reichlich Ma’amoul. Den Tee goss sie in goldumrandete Gläser. Es war ein Nachmittag Ende Mai, und in den Straßen von Damaskus heulte der Schamal-Wind, peitschte Staub und Sand auf und zwang die Bäume zu respektvollen Verbeugungen.

Wenn Hussams Vater wüsste, dass sie Karten spielten, wäre er außer sich vor Wut. Nur noch ein Monat bis zur Prüfungsphase, sie hatten sich aufs Lernen zu konzentrieren.

»Vor allem der Sohn von Omar und seiner ersten Frau«, sagte sein Vater, und er meinte Wassim, konnte sich aber die Namen von Hussams Freunden fast nie merken. Seine Mutter war nachsichtiger mit seinen Hobbys, sie erlaubte ihm ab und zu die Kartenrunde und warnte ihn rechtzeitig, wenn der Vater nach Hause kam.

»Er soll ihn mit einer einzigen Kugel abgeschossen haben«, sagte Wassim und zog eine Karte.

Er hatte noch nie einen Kampfhelikopter gesehen, bloß die Hubschrauber, aus denen an staatlichen Feiertagen bunte Zettel über den Dächern des Viertels abgeworfen wurden, um das Volk daran zu erinnern, dass der neu gewählte syrische Präsident ein Mann des Fortschritts sei, der die irakischen Brüder in ihrem gerechten Krieg gegen das imperialistische Amerika unterstützte. Wenn das geschah, eilte Wassim hoch aufs Dach und überprüfte seine Taubenkäfige; nicht dass einer der Vögel nach den scharfkantigen Zetteln pickte. Dreiunddreißig Tauben hatte er geerbt, von seinem Onkel, der anderthalb Jahre zuvor jung gestorben war, an einer unbekannten Krankheit. Im vorigen Sommer hatte Wassim aus altem Draht und billigem Holz kleine Verschläge gebaut und sie auf dem Dach seines Elternhauses installiert. Mit schwarzem Filzstift hatte er seinen Namen auf die Federn an der Innenseite der Flügel jeder Taube geschrieben und ihnen Bänder um die Füße gebunden, ehe er sie in den offenen Himmel entließ. Nachdem sie ein paar Stunden lang zwischen den Wolken herumgeflattert und durch das Labyrinth des alten Stadtviertels gesegelt waren, kehrten die Vögel auf Wassims Zeichen hin zurück: ein scharfer Pfiff und ein Wedeln mit einer Flagge, die er aus einem alten T-Shirt gemacht hatte. Er stupste sie wieder in die Käfige, dabei zählte und überprüfte er sie, jedes Mal von Neuem überrascht, dass sie noch vollzählig waren. Er schob die Riegel vor und hängte sich die Schlüssel um den Hals.

Wassim knallte eine Karte auf den Tisch, neue Runde. Und er plapperte nach, was er im Fernsehen gehört hatte: »Der Iraker verwendete seine alte Flinte, um das fliegende Monster vom Himmel zu holen. Das Gewehr war ein Erbstück von seinem Großvater, der damit in den 1920ern britische Invasoren getötet hatte.«

Wassims Stimme veränderte sich, sie wurde spröder und tiefer als zu den Zeiten, in denen er und Hussam spitze Schreie ausstießen, während sie in ihrem Viertel Mazzeh herumrannten und Räuber und Soldat spielten.

Er hielt sich die Karten vors Gesicht, doch Hussam konnte seine Augen sehen – sie waren blau, anders als alle Augen, die er vorher gekannt hatte. Sie bildeten einen starken Kontrast zu seinem gebräunten Gesicht und krönten eine hohe Nase. Auf seiner Oberlippe stand ein Flaum, noch nicht ganz schwarz, von ähnlicher Farbe wie die weichen Haare, die Hussam auf Wassims Körper bemerkt hatte, als sie zum letzten Mal schwimmen waren. Sie bedeckten seine Unterarme, umrundeten seine Brustmuskeln und führten zu seinem Bauchnabel wie ein abwärts weisender Pfeil. Seine helle Haut sah aus, als würde sie sich heiß anfühlen.

Hussam hingegen schlug sich mit Akne herum und versuchte sie mit all den alten Hausmittelchen zu bekämpfen, die seine kundige Mutter ihm angedeihen ließ. Vor einigen Wochen, an seinem fünfzehnten Geburtstag, hatte sie Zimttee in einem Topf mit Honig aufgekocht, so lange, bis nur ein goldfarbener Schlick übrig blieb. Diese heiße Masse hatte sie ihrem Sohn ins Gesicht gekleistert, der dabei vor Schmerz kreischte, hatte ihn dann festgehalten und gepustet, bis der Schlick abgekühlt war.

»Nun werden alle Mädchen im Viertel nach dir gurren.«

Sie fächelte vor seinem Gesicht herum, dann pellte sie die Mixtur ab. Er stöhnte.

»Dein Vater will mit dir sprechen«, sagte sie, als sie mit der Behandlung fertig war. Sie gab ihm ein feuchtes Handtuch für sein brennendes Gesicht und schickte ihn dann ins Elternschlafzimmer.

Diesen Raum durfte er nur selten betreten. Er war warm, die Häkelarbeiten der Mutter fügten den Bettbezügen und anderen Stoffen ihre Farben und Muster hinzu. Fotos unter dem Glas ihres Waschtischs dokumentierten Hussams Kindheit, dazu ein schwarz-weißes Hochzeitsfoto, auf dem sie verängstigt aussah, und ein recht neues Bild vom Vater, wie er am Strand in Lattakia Argileh-Tabak rauchte. Sein Vater saß auf der Bettkante und klopfte zweimal auf die blaue Überdecke, als Einladung an Hussam, sich neben ihn zu setzen.

»Luqman der Weise war hochgeschätzt unter dem Volk Allahs.«

Der Vater nahm den Koran zur Hand, der auf seinem Nachttisch lag.

»Und er gab sein Wissen an seinen Sohn weiter, in zehn Geboten, die nicht missachtet werden dürfen.«

Hussam legte seine Schläfe an die Brust seines Vaters.

»O mein Sohn, setze Allah keine Götter zur Seite«, rezitierte sein Vater aus dem heiligen Buch, seine Stimme tief und rhythmisch: »Und Wir haben dem Menschen aufgetragen, seine Eltern gut zu behandeln. Sei Mir und deinen Eltern dankbar. Zu Mir ist die Heimkehr.«

Hussam hörte die Worte schon aus der Lunge...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2024
Reihe/Serie welt bewegt
Übersetzer Michael Ebmeyer
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Damaskus • Diskriminierung • drag • dragqueen • Drogen • Drogenexzesse • Drogenkonsum • Flucht • Gewalt • Inklusion • Integration • Islam • Kanada • Konventionen • Krieg • LGBTQ+ • lgbtqia+ • Magischer Realismus • männliche Dominanz • Männlichkeit • Migration • Militär • Muslimische Kultur • Patriarchat • Posttraumatische Belastungsstörung • pride • PTBS • PTSD • Queersein • Rassismus • Scham • Seenotrettung • Sexualisierte Gewalt • Syrien • Trauma • Türkei • Vancouver • Zwangsheirat
ISBN-10 3-949545-52-2 / 3949545522
ISBN-13 978-3-949545-52-8 / 9783949545528
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