Die Frauen von der Davidwache (eBook)

Lichtblicke. Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Aufl. 2024
431 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7517-5609-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Frauen von der Davidwache - Stephanie von Wolff
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Hamburg, 1947. Leni, Alice und Elsa haben sich mit Einsatz und Tatkraft auf dem Kiez Achtung verschafft. Insbesondere die Frauen vertrauen sich ihnen an, denn die Arbeitsbedingungen sind oft sehr schlecht. Aber als die Schutzpolizistinnen einschreiten wollen, werden sie von den männlichen Vorgesetzten nicht ernstgenommen. Erst als ein Unglück geschieht, wendet sich das Blatt. Leni fühlt sich zunehmend wohl in ihrem Leben als alleinstehende Frau. Ihr winkt sogar eine Beförderung. Als zarte Bande zu ihrem Kollegen Lasse von Hallberg entstehen, ist sie hin und her gerissen. Soll sie ihre Unabhängigkeit aufgeben? Doch dann geschieht etwas, das alles so hart Erkämpfte bedroht ...



<p>Nach einer Ausbildung zur Hotelkauffrau begann <strong>Stephanie von Wolff</strong> 1991 beim Hessischen Rundfunk als Redaktionsassistentin, später als Reporterin, Moderatorin und Redakteurin bei hr3. Sie lebt in Hamburg und ist Autorin der Dilogie <strong>FRÄULEINWUNDER</strong>, die von einer jungen Frau und ihrer Karriere als Moderatorin in Anfängen des deutschen Fernsehens erzählt.</p>

P R O L O G


Hamburg, Winter 1946

Leni starrte die Person vor sich mit weit aufgerissenen Augen an. Alles drehte sich plötzlich, das, was Lotti sagte, schien in Zeitlupe in Lenis Bewusstsein zu dringen. Sie hielt sich an der Wohnungstür fest, wollte schlucken und merkte, dass ihr Hals wie ausgedörrt war. Das musste ein Irrtum sein. Das konnte nicht stimmen.

»Leni …«, hörte sie wie aus weiter Ferne. In ihren Ohren sauste es. Sie brauchte Wasser. Sie brauchte unbedingt Wasser. Nur jetzt nicht umfallen, bat sie sich selbst. Bloß nicht umfallen. Sie versuchte, sich wieder zu fangen, doch es fiel ihr unglaublich schwer.

»Komm doch bitte endlich rein«, hörte sie Lotti sagen. Ihre Stimme hallte, Leni hörte alles doppelt und dreifach. Sie hielt sich weiter an der Tür fest.

Einige winzige Sekunden lang hatte sie geglaubt, dass Alfred gleich vor ihr stehen würde. Doch er war es nicht. Es war … es war … tatsächlich … es war …

»Franzi …«, brachte sie endlich heiser hervor, dann ließ sie die Tür los, ging einen Schritt auf die tot geglaubte Freundin zu und fiel ihr in die Arme. Beinahe hätte sie sie zu Boden gerissen. Es drehte sich immer noch alles.

Franzi war doch 1943 während der Operation Gomorrha umgekommen. Das Haus hatte sie und ihre Familie unter sich begraben. Leni hatte es doch mit eigenen Augen gesehen.

Wie war dies alles möglich?

Sie drückte die Freundin und wollte sie nie wieder loslassen. Jetzt endlich sah sie wieder klar, schien die Zeit sich weiterzudrehen.

»Leni«, murmelte Franzi und hielt sie fest. »Leni, meine liebste Leni. Meine liebe, liebe Freundin.« So standen sie da, minutenlang. Lotti ließ ihnen Zeit. Zeit brauchten die beiden jetzt.

»Bitte erzähle von Anfang an, Franzi«, bat Margot Harding die Freundin ihrer Ältesten. Alle waren völlig durcheinander. »Komm, Kind, setz dich hier hin. Möchtest du etwas trinken?«

Franzi nickte, und Margot stand auf und ging mit schnellen Schritten in die Küche, um einen Krug mit Wasser zu füllen. Leni hatte sich mittlerweile wieder halbwegs im Griff und sah die Freundin genauer an. Franzi war wie so viele während des Krieges schmal geworden, ausgemergelt wirkte sie. Noch mehr als damals, als sie sich kurz vor Gomorrha zum letzten Mal gesehen hatten. Und sie schien ängstlich und schreckhaft geworden zu sein. Bei jedem kleinen Geräusch zuckte sie zusammen. Ihre Hände konnte sie nicht ruhig halten. Dauernd strich sie über den Tisch oder über ihr Knie oder sie verschlang die Finger ineinander.

Am meisten erschreckten Leni Franzis Augen. Einst hatte die Freundin mit leuchtendem Blick ihre Umgebung und ihre Mitmenschen betrachtet, nun aber wirkten die Augen glanzlos und matt und eine Ängstlichkeit lag in ihnen. Es waren die Augen einer Frau, die schon viel zu viel Schreckliches mit ansehen musste. Leni fragte sich, ob sich das in Zukunft wieder ändern würde.

Die Kleidung, die Franzi trug, war schadhaft und löchrig. Die schmutzige Arbeitshose hatte sie mit einem Strick um die viel zu schmale Taille gebunden, der Pullover war aus dünner Wolle, eine Jacke hatte sie nicht. Ihre Schuhe waren abgelaufen und das Leder hatte Löcher. Leni sah, dass Franzi keine Strümpfe trug. Sie musste draußen entsetzlich gefroren haben. Ihr Gesicht war eingefallen, die Haare notdürftig mit einem Band nach hinten gebunden. Leni fragte sich, wann Franzi sich zum letzten Mal gewaschen hatte. Sie würde ihr nachher anbieten, ein Bad zu nehmen.

»Dürfte ich wohl auch eine Scheibe Brot bekommen?«, bat Franzi nun mit brüchiger Stimme, nachdem Margot mit dem Wasser zurückgekommen war. Die stellte den Krug ab, goss Wasser in einen Becher und ging dann wieder Richtung Küche, um Brot zu holen.

Ömchen, die bis jetzt am Tisch gesessen hatte, stand auf. »Ich mach ihr was Richtiges. Bleib du mal sitzen, Margot. Bleib du mal mit den Kindern bei Franziska.«

Ömchen kannte Franzi, seit sie ein kleines Mädchen war. Unzählige Male hatte die Kleine mit Leni bei ihr im Innenhof gespielt, unzählige Male waren die zwei verschwitzt und hungrig hinaufgepoltert, um bei Rundstücken mit Leberwurst und frischer Milch davon zu erzählen, dass sie sich nie trennen und für immer Freundinnen bleiben würden. Manchmal hatten die beiden bei Ömchen und Opa Michel übernachten dürfen, dann hatte Opa ihnen Decken über die Stühle gehängt und ihnen damit ein Zelt gebaut, und Ömchen hatte ihnen Butterbrote geschmiert und frisch gebackenen Streuselkuchen mit Aprikosen oder Kirschen gebracht, sie hatten sich dann wie Abenteurer gefühlt. Es war herrlich gewesen. So lange war das her. Was war seitdem alles passiert! Wie hatte das Leben sich doch verändert. Leni blickte ihrer Oma hinterher. Manchmal schien es ihr, dass ihre Stärke nachließ, langsam zwar, aber spürbar. Sie war nun siebzig, und die letzten Jahre waren alles andere als einfach gewesen. Zwar wurde es nun Stück für Stück besser, aber dieser Hungerwinter war auch nicht ohne. Und doch würden sie das auch noch schaffen. Liebevoll sah Ömchen Franzi an, die dasaß wie ein Häufchen Elend, dann verschwand sie in der Küche.

»Danke, Mutti«, sagte Margot nun, die wie Leni und Lotti immer noch sichtbar durcheinander war. Die Kinder hatten sie rausgeschickt, die kleinen konnten sich gar nicht mehr an Franzi erinnern, nur Lenis beiden ältesten, Hannes und Liesel, kannten Franzi noch von früher. Dass Leni und Franziska wie die Kletten zusammengeklebt hatten, hatte ihre Mutter ihnen erzählt. Auch als sie älter wurden und schließlich erwachsen waren und heirateten. Zusammen mit Alfred und Franzis Mann Paul hatten sie Ausflüge mit dem Fahrrad unternommen, sie waren zum Tanzen gegangen. Und sie hatten ihre »geheimen« Gespräche geführt, weil sie beide das Regime unter Hitler und seinen Schergen verabscheut und verachtet hatten.

Dann war dieser Tag gekommen. Unter dem Decknamen Operation Gomorrha hatten die Alliierten Hamburg bombardiert und ein Feuer ausgelöst, das riesige Teile der Stadt dem Erdboden gleichgemacht und über 34.000 Menschen das Leben gekostet hatte. Auch das Haus von Franziska und ihrer Familie war zerstört gewesen, als Leni und die anderen sich endlich aus ihrem Luftschutzraum getraut hatten. Alle, die sich damals im Keller des Nachbarhauses aufgehalten hatten, waren umgekommen.

Leni hatte damals gedacht, dass sie das nie im Leben würde verkraften können. Alles in ihr war tagelang eiskalt gewesen, sie hatte sich zu nichts in der Lage gefühlt.

Irgendwann dann hatte sie gelernt, nach vorn zu sehen, weiter zu funktionieren, so wie die meisten anderen Menschen in dieser Zeit, bis es halbwegs erträglich geworden war. Weil sie einfach keine andere Möglichkeit hatten, als weiterzumachen. Aber hin und wieder hatte Franzi sie in ihren Träumen besucht und sie angelächelt.

»Wir sehen uns wieder«, hatte sie in diesen Träumen geflüstert, und manchmal war Leni lächelnd aufgewacht und hatte einige Sekunden lang geglaubt, alles wäre gut, dann aber kam die Erinnerung wie ein Fausthieb zurück und mit ihr der Schmerz des Verlusts.

Und nun saß Franzi hier. Sie saß einfach hier und lebte.

»Franzi …«, sagte Leni und streichelte die Hand ihrer Freundin. »Franzi, was ist denn nur passiert? Wo bist du seit 1943 gewesen? Wie konntest du überleben?«

Durfte sie diese Fragen überhaupt stellen? Würde Franzi überhaupt in der Lage sein, darüber zu sprechen? Leni biss sich auf die Lippe und wartete einfach ab.

Franzi antwortete nicht gleich, sondern machte sich über den Teller mit den Broten her und trank von dem heißen Tee, die Ömchen gerade vor ihr abgestellt hatte. Sie musste schrecklich hungrig und durstig sein, denn der Wasserkrug war schon halb geleert.

Margot, Ömchen, Lotti und Leni waren zwar gespannt wie die Flitzebögen, aber sie gaben Franzi die Zeit, die sie brauchte.

Irgendwann sah sie kauend auf. »Danke«, sagte sie leise. »Kann ich wohl ein wenig bei euch bleiben oder muss ich wieder fort?«

Diese Frage zerriss Leni beinahe das Herz. Wahrscheinlich hatte Franzi überhaupt keine Möglichkeit, woanders hinzugehen.

»Franzi! Selbstverständlich bleibst du, solang du willst. Ich bin ja so glücklich, dass du hier bist, dass du lebst! So glücklich. Ich lasse dich nicht wieder gehen!« Wieder streichelte sie die Hand der Freundin, die jetzt von der Teetasse gewärmt war.

»Danke«, sagte Franzi wieder und sah Leni mit hoffnungslosem Blick an. »Es waren ganz schreckliche Zeiten«, erklärte sie dann leise.

»Möchtest du uns davon erzählen?«, fragte Lenis Mutter Margot fürsorglich.

»Ich … ja … ich werde erzählen. Aber es ist schwer, ich versuche, so wenig wie möglich dran zu denken.«

Sie sah so verletzlich aus, wie sie dasaß und versuchte, sich zu sammeln. Leni sah vereinzelte weiße Strähnen in ihren braunen Locken. Sie wagte es nicht, nach Franzis Tochter Marie zu fragen, die sie alle nur Mimi genannt hatten. Auf gar keinen Fall wollte sie Wunden aufreißen. Doch Leni vermutete, dass Marie tot war, so wie der Rest der Familie.

Franzi hatte nun das Brot aufgegessen und trank noch einen Schluck Tee. Leni bemerkte, dass sich um die Augen und die Mundwinkel der Freundin tiefe Falten gegraben hatten.

Nun, dachte sie. Wer hat die nicht? Sie selbst war auch nicht mehr so jung, frisch und sorglos wie vor dem Krieg. Dabei war sie immer so stolz auf ihre fast makellose Haut gewesen. Sie alle waren schneller als gewöhnlich gealtert und hatten dies hinnehmen...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte bücher für frauen • Deutsche Vergangenheit • Emanziaption • Eva Völler • Freundin • Freundinnen • Gewalt • Hamburg • Kiez • Mut • Nachkriegszeit • Nachtleben • Polizei • Polizistin • Prostitution • Reeperbahn • Resilienz • Saga • Solidarität • spannend • Trümmerfrauen • Witwe • zu Herzen gehend • Zusammenhalt
ISBN-10 3-7517-5609-4 / 3751756094
ISBN-13 978-3-7517-5609-9 / 9783751756099
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