Die Perserinnen -  Sanam Mahloudji

Die Perserinnen (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
352 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60688-2 (ISBN)
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Flucht aus dem Iran und der Kampf um Identität und Anerkennung Seit 1979, mit dem Sturz des Schahs, sind die Töchter der hochgestellten iranischen Familie Valiat im amerikanischen Exil. Nur ihre Mutter, die noch immer Heimat, Tradition und Stolz verkörpert, blieb damals in Iran. Als bei dem alljährlichen Familientreffen in Aspen die Dinge aus dem Ruder laufen und die exaltierte Shirin erst gegen Kaution wieder aus der Arrestzelle entlassen wird, verändert sich etwas in den Frauen, jede muss sich schmerzlichen Fragen stellen: Wie sie zu ihren persischen Wurzeln steht. Und wer sie in Zukunft sein will. Die Exil-Iranerin Sanam Mahloudji legt ihren ersten Roman vor. Elegant, politisch, voller absurder Komik erzählt sie eine außergewöhnliche Familiengeschichte, die internationales Aufsehen erregen wird.

Sanam Mahloudji wurde in Teheran geboren und wuchs in Los Angeles auf, nachdem sie während der iranischen Revolution in die USA geflohen war. Sie veröffentlichte zahlreiche Essays und Kurzgeschichten u.a. in McSweeney's Quarterly Concern, im Kenyon Review, Idaho Review, Passages North und anderen literarischen Zeitschriften. 2018 war ihre erste Kurzgeschichte für den PEN/Robert J. Dau Short Story Prize for Emerging Writers nominiert. Eins ihrer Essays fand Eingang in die Anthologie Mothers Before: Stories and Portraits of Our Mothers as We Never Saw Them. Sie lebt heute mit ihrer Familie in London.

Sanam Mahloudji wurde 1977 in Teheran geboren und wuchs in Los Angeles auf, nachdem sie mit ihrer Familie während der iranischen Revolution in die USA geflohen war. Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern in London. Bevor sie sich dem Schreiben zuwandte, arbeitete Sanam Mahloudji als Juristin im Finanzwesen und am Gericht in Manhattan. Sie veröffentlichte zahlreiche Essays und Kurzgeschichten u.a. in McSweeney's Quarterly Concern, im Kenyon Review, Idaho Review, Passages North und anderen literarischen Zeitschriften. 2018 war ihre erste Kurzgeschichte für den PEN/Robert J. Dau Short Story Prize for Emerging Writers nominiert. Eins ihrer Essays fand Eingang in die Anthologie Mothers Before: Stories and Portraits of Our Mothers as We Never Saw Them.

BITA


Die Woche war eine einzige Cartoon- und Drogenparty gewesen, bis vor einer Stunde, als ich meine Tante Shirin gegen Kaution aus dem Gefängnis von Aspen holen musste, wo sie wegen versuchter Prostitution festgehalten wurde.

Auf der Rückbank des Taxis, eines weißen Suburban, der durch die unebenen verschneiten Straßen pflügte, steckte sie den Kopf aus dem Fenster und wich meinen Fragen aus. Irgendwann drehte sie sich zu mir um, die Wangen rosig und lebendig, und schrie mich auf Farsi an, ich solle mich nicht einmischen. »Fozuli nakon!«

Zurück im Hotel marschierte Tante Shirin in ihren zwölf Zentimeter hohen Overknees den Flur im dritten Stock entlang und ohne ihr Tempo zu drosseln an der 3E vorbei. »Keinen Nerv für Houmans Kumbaya-Bullshit. Bita Jun, mein Schatz, ich komm mit zu dir.«

Ich hielt die Schlüsselkarte vor das Schloss, und die Tür ging auf.

Eine halbe Stunde später kam Shirin in einem weißen Hotelbademantel und mit einem Handtuch um den Kopf aus dem Badezimmer. Der Wasserdampf, der durch die Tür quoll, roch süßlich chemisch.

Sie nahm das Handtuch ab und schüttelte ihr Haar aus. Dann legte sie sich mit dem Gesicht voraus auf die wolkige Daunendecke im breiten Doppelbett. Wir hatten mein Zimmer Club 3M getauft. Shirins Sohn Mo, ich und die ganzen idiotischen Sprösslinge der Freunde unserer Eltern. Dass sie mein Zimmer zum Partyraum erkoren hatten, lag nicht daran, dass ich so eine Stimmungskanone gewesen wäre, im Gegenteil – nachdem Mom letztes Jahr gestorben war, hatten wir die Reise sausen lassen, wie sollte ich da ohne einen kleinen Schubs in Stimmung kommen? Seit elf Jahren, seit 1994, flogen wir jetzt schon aus New York, L. A. und Houston hierher, als hätte es 1979 und die Islamische Revolution nie gegeben. Als gehörten wir immer noch den wichtigsten Familien im Iran an, als wären wir die Nachkommen mächtiger, uralter Dynastien, obwohl das hier Amerika war und sich kein Mensch für diese Dinge interessierte. Die Einheimischen hassten uns. Sie zeigten es nicht, aber es war so. Ich stellte mir vor, dass sie wie die Cowboys aus der Pace-Picante-Werbung vor sich hin murmelten – »Get a rope!« –, wenn sie uns, ganz in Schwarz, im Laden an der Ecke für tausend Dollar Kaviar und Champagner einkaufen sahen.

»Bita Jun, bring mir ein Fiji und eine Marlboro Light.« Auntie Shirin drehte den Kopf, schmiegte die Wange an das weiße Kissen, hob den Arm und griff fordernd in die Luft. »Sei ein braves Mädchen und tu, was deine Tante dir sagt.«

»Okay«, sagte ich und verdrehte die Augen.

Im Iran, vor 1979, hatte Tante Shirin Chauffeure und Bedienstete gehabt. Einmal erzählte sie mir ohne einen Funken Selbstreflexion: »Sogar die Fahrer redeten davon, den Schah zu stürzen, Bita. Mich haben sie zu den Protesten gefahren. Die haben die Pahlavi fast genauso sehr gehasst.«

Ihr dickes, dunkles Haar ergoss sich über das weiße Kissen wie Tinte über ein Blatt Papier. Sie war ein Wrack, und ich hasste sie und liebte sie zugleich.

Ich nahm eine kühle blaue Wasserflasche aus der Minibar und eine Zigarette aus der Packung in meiner Daunenjacke, steckte sie mir zwischen die Lippen und zündete sie mit dem Streichholzbrief vom Caribou Club an. Das aufgedruckte Goldgeweih des muskulösen Tiers hob sich deutlich von der schwarzen Pappe ab. In diesem Club war meine Tante wegen Anbahnung der Prostitution festgenommen worden. Ich nahm einen tiefen Zug von der Zigarette, sah zu, wie sich die marmorierte Spitze glutrot färbte und hielt sie Shirin hin.

»Hier, bitte«, sagte ich und stieß den ersten Rauch aus.

»Braves Mädchen«, sagte Tante Shirin.

Sie führte die Zigarette mit ihren dunkelrot glitzernden Nägeln zum Mund. Ein Blick zum Nachttisch, was so viel hieß wie: »Stell das Wasser da hin.« Ich gehorchte.

Es war vier Uhr morgens, und ich war nicht mehr high. Auch nicht betrunken. Nur müde und genervt. Ich hatte Shirin gegen zehntausend Dollar Kaution aus dem Gefängnis geholt, und sie hatte, als der Polizist sie barfuß in den leeren Wartebereich führte, nicht mehr gesagt als: »Danke, Bita Jun« und »Wusste ich doch, dass du rangehst. Wie unfassbar genial von mir, als Erstes dich anzurufen, meine kleine Nachwuchs-Juristin. Das war eine gute Übung für dich. Houman wäre nur an die Decke gegangen.«

Der Polizist drückte mir eine große Plastiktüte in die Hand, außerdem ihre Stiefel, denn selbst ihm war klar, dass er die unmöglich einfach zu ihrer Handtasche in die Tüte stecken konnte.

Tante Shirin lag immer noch auf dem Rücken wie eine versickernde Pfütze. Aus ihrem Mund stieg Rauch. »Wag es ja nicht, bei ihm zu klopfen«, sagte sie und meinte ihren Mann, der bewusstlos in einem anderen Zimmer im dritten Stock lag.

Ich setzte mich in den geblümten Sessel neben dem Bett. Im Fernsehen stand ein Nachrichtensprecher in einem schwarzen Mantel im weißen Schneegestöber und atmete weiße Luft aus. Ich stellte den Ton ab.

»Die haben mich behandelt wie eine gewöhnliche Kriminelle. Das Allerletzte«, sagte Tante Shirin und inhalierte den Zigarettenrauch.

»Haben sie dir deine Rechte vorgelesen? Wurdest du durchsucht?«, fragte ich.

»Machst du Witze? So eine widerliche Schlampe hat mir die Hand in den Arsch geschoben. Die verklage ich, darauf kannst du Gift nehmen.«

»Warum konzentrieren wir uns nicht lieber darauf, dass sie die Vorwürfe gegen dich fallen lassen, Auntie? Das ist alles kein Spaß. Willst du einen Eintrag ins Strafregister? Oder ins Gefängnis? Die Sache kann wirklich ernst werden. Denk an dein Geschäft – du bist schließlich das Gesicht von Valiat Events.« Meine Stimme wurde schrill und zitterte leicht.

Sie riss die Augen auf, die Asche an ihrer Zigarette wurde immer länger. »Mashallah, Bita«, sagte sie. »Für eine Ivy-League-Juristin pisst du dich ganz schön ein.«

Ich wandte den Blick ab, auf den stumm geschalteten Fernseher, immer liefen die Nachrichten. Dass Shirin jetzt mit Allah ankam, war ziemlich scheinheilig, wo sich in unserem Kreis eigentlich niemand als Muslim fühlte. Auch wenn irgendeiner unserer Vorfahren bekanntermaßen den Hadsch gemacht und die große schwarze Kiste umkreist hatte.

»Du schuldest mir was«, sagte ich. »Ich hätte dich auch zitternd auf der Plastikmatratze liegen lassen können, bis die ganzen Perser gekommen wären und dich gegrillt hätten wie ein Marshmallow.«

»Ganz fein hast du das gemacht!«, sagte sie lächelnd.

Ich verdrehte die Augen. »Du bist echt ein Arsch, Auntie. Das war übel, sogar für deine Verhältnisse. Wenigstens hast du es nicht durchgezogen. Oder?« Ich stellte mir Shirin unter einem kolossartigen Mann vor, wie sie sich ihm hingab.

»Dieser Drecksack. Dieses dämliche Bullenschwein, macht einen auf Dallas-Playboy«, sagte Shirin und aschte auf den Boden.

»Denkst du, die haben dich gezielt ins Visier genommen?«

»Wie? Weil ich so schön bin?«

Ich schüttelte lachend den Kopf. »Wir Iraner sind doch immer eine Gefahr. Heute Geiselnehmer und haarige Terroristen, morgen eine nukleare Bedrohung oder eine Frau von zweifelhaftem Ruf.«

Sie starrte mich herausfordernd an. Ich schwieg.

»Er sagt: ›Hey, Baby, sei heute Nacht meine Cleopatra. Ich mach dir den Scheich.‹ Ich habe diese Scheiße so was von satt. Also sage ich: ›Okay, Süßer, ich kann deine Prinzessin Jasmin sein, aber das wird nicht billig. Gib mir fünfzig Riesen.‹ Bastard.« Shirin kniff die Augen zusammen, ihre glänzenden schwarzen Wimpern berührten einander.

Ich lachte. »Wie bist du denn auf diese Summe gekommen?«

»Ich bin mindestens das Doppelte wert«, sagte sie. Gähnend streckte sie die Arme aus und lehnte die Hand mit der Zigarette ans Kopfteil.

»Achtung!«, sagte ich. Hinter ihrem Kopf stob Asche auf.

Shirin versenkte die Zigarette in der vollen Wasserflasche. »Die Leute sind so ungebildet«, sagte sie. »Für die ist jeder ein Scheißaraber. Die wissen nichts über die Perser, dass wir die wichtigste Zivilisation der Welt waren. Von der Bedeutung unserer Familie ganz zu schweigen. Er sagt also: ›Okay, Baby, komm einfach mit zum Automaten.‹ Aber ich bin ja nicht bescheuert. Ich weiß, dass der Automat solche Summen nicht ausspuckt. Also sage ich: ›Du...

Erscheint lt. Verlag 31.5.2024
Übersetzer Katharina Martl
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte amerikanischer Roman • Auswanderung • Bestseller • Buch • Ehe • einflussreiche Familie • Exil • Exiliraner • Großmutter • Identität • Iran • iranische Frauen • Iranische Geschichte • iranische Gesellschaft • Iranische Revolution • Migration • Mullahs • Mutter-Tochter • Persien • Revolution • übersetzter Roman • weiblicher Körper • Zugehörigkeit
ISBN-10 3-492-60688-1 / 3492606881
ISBN-13 978-3-492-60688-2 / 9783492606882
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