verblüht (eBook)

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2023 | 111. Auflage
136 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7584-0088-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

verblüht -  Robin Bade
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Was, wenn das Loch in deinem Garten immer größer wird? Werner Malwitz ist empört. Das ganze Leben war er durch die Hallen seines Baumarktes gelaufen und hatte diesen sonderbaren Menschen die Natur nähergebracht. Er hatte mit seinem Garten Preise gewonnen und jetzt, wo er pensioniert war, fraß sich diese dunkle Macht in seinen Rasen und wollte nicht aufhören zu wachsen. Zentimeter um Zentimeter drängt das Unheil den alten Eigenbrötler in eine fremde Welt, die sich ganz plötzlich wahnsinnig für ihn interessiert. (Überarbeitete Fassung)

1988 in Kühlungsborn geboren, schreibt und musiziert Robin Bade seit Jahren in Hamburg.

1988 in Kühlungsborn geboren, schreibt und musiziert Robin Bade seit Jahren in Hamburg.

  1. II.

      

Der Brief hatte kaum die Hand des Postboten verlassen, da betrat ein Mann in Werners Alter den Vorgarten der Malwitzer Residenz und klopfte an die Verandatür.

Ein aus dem Schlaf gerissener Werner kam nach vorne und erkannte den Störenfried als einen langjährigen Kunden. «Hallo Paul! Was willst du denn hier?»

«Nach dir sehen, Werner. Ich hab von deiner Krankheit erfahren.»

Werner streckte sich und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht Schultern und Rücken. In diesem Moment fühlte er sich tatsächlich nicht besonders gut – er hatte den ganzen Vormittag Möbel geschleppt, versucht auf einem Küchenstuhl zu schlafen und letztendlich auf dem Teppich im Wohnzimmer für ein paar Minuten Ruhe gefunden –, aber Krankheit, nein, das war etwas anderes! Er sah Paul verdutzt an.

«Hast du etwa gedacht, keiner würde Wind davon bekommen, wenn der nationale Rekordhalter der Gartenkünste absagt?»

«Schon. Natürlich. Nur nicht so schnell.» Werner bot seinem Gast einen Sitz auf der Veranda an und die beiden Herren nahmen Platz.

«Ach, ich war gerade im Vereinshaus, wollte mich selbst anmelden, da hab ich in der Liste dein Kreuz bei den Absagen entdeckt. Und nachgefragt. Wie geht es dir?»

«Ich will nicht lügen, Paul, aber momentan ist die Situation wirklich desaströs», sagte Werner. «Es ist möglich, dass es nie mehr so wird wie früher.»

Paul verzog mitleidig den Mund und fuhr sich mit der Hand über die Glatze. «Dabei warst du doch immer der Fitteste von uns. Und mit Verlaub: Dein Garten sieht noch so schön aus wie im letzten Jahr. Eine Schande, dass du nicht teilnimmst.»

Eine Pause entstand. Der Gast ließ den Blick schweifen und blieb an der Stelle hängen, die ihm schon beim Hereinkommen aufgefallen war. Es war eindeutig, dass er seit seiner Ankunft darauf ansprechen wollte. Er beugte sich näher zum pensionierten Gartenabteilungsleiter. «Ziehst du in ein Heim, Werner?»

Die Augen des Gefragten weiteten sich. «Warum zum Teufel sollte ich das tun?»

«Nun ja», und Paul Hinzmann zeigte mit dem Finger zur Mitte des Gartens. «Dort steht ein Bett, dort steht ein Sofa. Was soll man da denken? Und du wärst nicht der Erste-»

«Unsinn!», fiel ihm Werner ins Wort. Doch damit war der Neugier seines ehemaligen Kunden kein Abbruch getan. Er brauchte eine plausible Ausrede. In keinem Fall würde er mehr Menschen als notwendig in seine missliche Lage einweihen.

«Und erklärst du mir dann, warum deine gesamte Einrichtung im Freien steht? Kein Werner Malwitz, den ich kenne, würde unnötige Druckstellen im Rasen in Kauf nehmen, wenn die Sache nicht einen triftigen Grund hätte!»

Paul Hinzmann – der Primeln nicht von Tulpen unterscheiden konnte, der einst in den Nachrichten auftauchte, weil die Kuh, die er sich in seinem winzigen Schrebergarten hielt, ausgebüchst und erst auf den Gleisen einer Regionalbahnstrecke zum Grasen gekommen war – nervte Werner. Aber ihm kam eine Idee. «Weißt du noch, was du Kanal 4 sagtest, als das mit Betsy passierte, Paul?»

«Nichts stutzt einen Rasen so gut wie eine handelsübliche Kuh!»«Nein, das war nicht bei Kanal 4.»            

«Hmm. Stimmt. Nach dem Tod meines Jagdhunds Waldmeister wollte ich endlich wieder Gesellschaft-»

Kopfschütteln.

«Und für schlechte Zeiten etwas zu futtern.»

«Paul, nein! Ich meine die Aussage, die noch Wochen danach immer wieder von der Presse aufgegriffen wurde!»

«Oh, das wurde aber auch ziemlich oft gedruckt. Besonders von den hiesigen vegetarischen Vereinen.»

Werner stieß genervt Luft durch die Nase. Wie lange sollte das hier dauern? Wie lange würden seine Ruhe- und Schlafmöglichkeiten das Loch noch vor der Außenwelt verbergen können, und wann würden sie dem Beispiel von Muckelchen und seinem Gartenzwerg folgen und in die Tiefe stürzen?

«Worauf willst du hinaus, Werner? Ich verstehe nicht, was das mit deinem-», und jetzt erhellte ein Geistesblitz das Gesicht des alten Mannes. Er holte Luft, als würde er im Folgenden eine historische Rede rezitieren und sprach mit gehobener Stimme: «Was ich in meinem Garten treibe, geht den Rest der Welt einen Scheiß an!» Man konnte fast Orchestertrommeln hören. Er schickte ein Grinsen hinüber zu seinem Gastgeber, bis das Verständnis den Weg in seinen Kopf fand. «Oh», sagte er bedröppelt und sah erst zu Boden und dann zu Werner. «Möchtest du, dass ich gehe?»

«Es ist nichts gegen dich, alter Freund. Die Geschehnisse der letzten Zeit haben mir ein Loch ins Herz gebrannt. Ich brauche einfach ein wenig Ruhe. Richte das bitte auch jedem anderen aus, der sich wundert, warum ich in diesem Jahr nicht teilnehme.»

Der alte Herr nickte, beide gaben sich die Hand, und dann war Werner wieder alleine. Er hing seinen Gedanken nach und ließ die Leica von der einen zur anderen Hand wandern, als würde er ihr Gewicht abschätzen.

Auf dieser Kamera befanden sich fünf Bilder: Die letzten vier dokumentierten einen schwarzen Kreis inmitten von akkurat geschnittenem Grün, der mit Voranschreiten der Bilderzahl immer mehr Rasen aus dem Foto drängte. Die erste Aufnahme jedoch zeigte einen opulent bepflanzten Grabstein, unter dessen Blumenkleid kaum noch die gemeißelten Lettern auszumachen waren. Das Foto hatte Werner am Abend, bevor er das Loch im Garten bemerkt hatte, geschossen. Hier lag Elisabeth Malwitz, geborene Schuster. Seine Mutter. Die Frau, deren Name dem Großteil der Hinterbliebenen, die den Friedhof häufiger aufsuchten, bekannt war. War ihre Ruhestätte doch seit 1965 die schönste auf dem Radenhofer Friedhof. Radenhof, das lag nur wenige Kilometer entfernt von Billingstedt; und so konnte man alle zwei Wochen an einem Montag Werner Malwitz mit dem Rad zum Grab seiner Mutter fahren sehen. Über die Jahre verschwand dabei sein langes Haar, dessen Enden anfangs keine Trauer kennend im Fahrtwind wehten, während sich mit der Zeit eine Brille auf den Höcker seiner Nase setzte, deren Gläser sich zusehends verdickten. Und wenn auch die Farben seiner Kleidung immer blasser wurden, so blieb der verbissene Blick stets derselbe, wenn er die Strecke mit den Füßen in den Pedalen niederkämpfte.

Elisabeth hatte sich, von ihrem Mann aus dem Haus geworfen, in der nahen Umgebung eine kostspielige Wohnung angemietet, so dass sie weiterhin in gehobener Gesellschaft verkehren konnte. Im August nach der Trennung tuschelte man über ihre finanzielle Situation, hatte sich doch herumgesprochen, dass Ludwig Malwitz seinen Ehemaligen für gewöhnlich keinen Pfennig zukommen ließ. Im darauf folgenden Monat wunderte man sich über eine magere, aufgedrehte Frau im edlen Ballkleid, die sich hemmungslos an jeden halbwegs gut betuchten Mann ranschmiss. Als man sie im Oktober und November auf keiner Party mehr antraf, geschweige denn ihr in der Stadt über den Weg lief, machte man sich allmählich Sorgen. Zum Anfang des neuen Jahres meldete ihr Vermieter, Elisabeth Malwitz sei tot in ihrer leeren Wohnung aufgefunden worden. Alle Möbel hatte sie verkauft, um Geld für Make-Up und teure Kleider zu erlangen. Aufgerüscht, mit knalligem Lippenstift und den toten Wangen rot vom Rouge, in einem schwarzen Petticoatkleid, hatten Räumungshelfer sie zuerst für eine ausrangierte Schaufensterpuppe gehalten. Im Arm hielt sie eine Flasche Champagner, für deren Preis sie sich einige Wochen Kohle zum Heizen und geraume Mengen Nahrung hätte leisten können.

Der Tag, an dem Werner erfuhr, dass seine Mutter diese Erde verlassen hatte, war er in die Bibliothek gefahren und hatten sich ein Buch über den Garten Eden ausgeliehen. In seiner vagen Vorstellung war dies der Ort, an dem seine Mutter jetzt glücklich sein musste. Doch von Vertreibung und Trockenheit las er, je weiter er kam. Und als er das Buch zurückgab, zitterten seine Hände und er hatte Tränen in den Augen.

Im Hier und Jetzt seufzte Werner, stand aus seinem Schaukelstuhl auf, holte einen Zollstock aus dem Schuppen und schob unter größten Kraftaufwendungen Bett, Sofa und Ottomane zurück in die Richtung seines Hauses. Als er die Spuren sah, welche die Möbel-Beine im Rasen hinterließen, seufzte er ein zweites Mal. Doch es half nichts. Unter keinen Umständen würde er nochmals versuchen, auf dem Fußboden Schlaf zu finden. Und was gewann er schon, wenn er auch noch seine Einrichtung an das Loch verlor?

Doch plötzlich: Verwunderung! Vielleicht hatte er den Zollstock verkehrt angelegt. An der falschen Stelle womöglich. Er klappte ihn ein Stück weit zusammen und betrachtete den Punkt, an dem er einen zweiten befestigt hatte. Es ging hier um möglichst große Genauigkeit. Nichts: Keine Verschiebung! Erneut manövrierte er das Ende des Messgegenstands über die Lochmitte zum gegenüberliegenden Rand. Dann sah Werner auf die Zahl vor seinem Daumen und addierte sie im Kopf: 391 Zentimeter. So wie heute Morgen. Keine Veränderung!

«Donnerwetter!», rief er aus. Doch dabei rutschte ihm der Zollstock aus der Hand und wurde schnell von der Dunkelheit geschluckt. Der Blick nach unten dämpfte Werners erste Freude: Er sah keinen Grund mehr. Scheinbar hatte sich das Loch zwar nicht in die Breite, doch sehr wohl noch in die Tiefe ausgedehnt. Schnell lief er in seinen Slippers ins Haus, um eine Taschenlampe zu holen.

Wieder am Loch und wieder auf den Knien tastete Werners Lichtstrahl die gewölbten Erdwände nervös nach...

Erscheint lt. Verlag 6.9.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Garten • Loch • Rasen • Rentner • Sekte • Soziopath • Wissenschaftler
ISBN-10 3-7584-0088-0 / 3758400880
ISBN-13 978-3-7584-0088-9 / 9783758400889
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