Der Laden der unerfüllten Träume -  Amanda Cox

Der Laden der unerfüllten Träume (eBook)

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-800-9 (ISBN)
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»Wenn wir durch eine gebrochene Linse schauen, können wir manchmal etwas Wunderbares und Unerwartetes sehen.« Im Rückblick kann Glory Ann nur staunen, wie aus den Scherben ihres Lebens immer wieder etwas Neues und Schönes entstanden ist. Das Kaleidoskop, das ihr Mann ihr einst geschenkt hat, ist der Ladenbesitzerin zum Sinnbild für ihr Leben geworden: Als sie mit 19 Jahren mit einem Mann verheiratet wurde, den sie sich nicht selbst ausgesucht hatte, schien das Glück sie verlassen zu haben. Damals ahnte sie nicht, welche Kraft die Liebe ihres Mannes entfalten würde. Jahre später steht Glory Anns Enkelin Sarah vor den Trümmern ihres Lebens. Doch als sie hört, dass der Laden ihrer hochbetagten Großmutter vor dem finanziellen Ruin steht, erwacht ein alter Traum zu neuem Leben. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter will sie den Laden in eine gute Zukunft führen. Leider ist ihre Mutter Rosemary rigoros dagegen. Sie hat ihre Gründe ... Ein Generationenroman über drei starke Frauen und ihre Geheimnisse, über Liebe, Schmerz, Hoffnung und die erlösende Kraft der Wahrheit.

Amanda Cox ist Theologin und Seelsorgerin. In der langjährigen Beratung und Begleitung von Menschen hat sie Erfahrungen gesammelt, die sie zur Entwicklung der vielschichtigen, facettenreichen und emotional anrührenden Charaktere ihrer Romane inspirierten. Mit ihrem Mann und drei Kindern lebt sie in Tennessee. www.amandacoxwrites.com Instagram: amandacoxwrites Facebook: Amanda Cox Writes

Kapitel 1

Heute

Sarah schob mit ihrem nackten Fuß den Kleidungshaufen vom Abend zuvor, aus dem das Designer-Label ein wenig zu auffällig herausragte, beiseite. Dann zog sie die Schublade der Kommode in ihrem alten Kinderzimmer auf, in der zweifellos noch alles ganz genau so lag, wie sie es vor zwölf Jahren zurückgelassen hatte. Ein unverkennbarer Lavendelduft strömte ihr entgegen.

Der vertraute Anblick ihrer Lieblings-T-Shirts und der Duftsäckchen, die Mama in jede Schublade legte, linderte den Schmerz in ihrer Brust. Dieser Schmerz war ihr bis auf die Veranda und zur Haustür ihrer Mutter in Brighton, Tennessee, gefolgt.

Sie holte ein T-Shirt und abgeschnittene Shorts aus der Schublade und schlüpfte anstelle ihres geborgten Nachthemds hinein, erleichtert, dass sie immer noch in die alten Shorts passte und den Reißverschluss mühelos schließen konnte. Sarah stand vor dem großen Spiegel in der Ecke und betrachtete ihr Spiegelbild. Das ausgewaschene T-Shirt mit dem Aufdruck »Old Depot Grocery« saß ein wenig enger, als ihr lieb war, aber es passte noch. Ihr Blick wanderte nach unten zu den großen, eckigen Pflastern, die ihre Mutter auf ihre Knie geklebt hatte, um die Schnitte zu schützen, die Sarah erst registriert hatte, als ihre Mutter in der Nacht zuvor auf das getrocknete Blut gedeutet hatte.

Das Bild im Spiegel wirkte wie eine Zeitreise: ein Mädchen mit aufgeschlagenen Knien – wenn sie verdrängte, dass die Verletzungen an ihren Knien nicht von einem Sturz mit den Rollschuhen stammten.

Der köstliche Geruch von Mamas berühmten Waffeln mit Soße drang unter der Tür hindurch ins Zimmer. Sarah passte jetzt vielleicht noch in die Kleidung aus ihrer Schulzeit, aber wenn Mama anfinge, sie zu mästen, wäre das bald vorbei.

Sie ging barfuß über den abgetretenen beigen Teppich durch den Flur ins Badezimmer, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Als sie den Blick hob, um den Korb mit den Handtüchern zu suchen, die ihre Mutter im Regal neben dem Waschbecken aufbewahrte, entdeckte sie ein großes Tritonschneckengehäuse von ihrer Hochzeitsreise mit Aaron vor sechs Jahren. Ein Geschenk, das sie ihren Eltern geschickt hatten.

Sarah hielt sich die Muschel ans Ohr und lauschte, ob sie die Wellen rauschen hören konnte. Sie war damals Hand in Hand mit ihrem Mann am Strand spazieren gegangen und vor ihnen hatte sich ein Ozean an Möglichkeiten ausgebreitet. Sie legte die Muschel ins Regal zurück und nahm ein Handtuch.

Dann versuchte sie, mit dem weichen Frotteestoff diese Erinnerungen wegzuwischen. War es möglich, im Leben die Resettaste zu drücken und noch einmal von vorne anzufangen? So zu tun, als hätte es nie etwas anderes gegeben als diese ländliche Kleinstadt und den Traum eines kleinen Mädchens, für den Rest seines Lebens Kaufladen zu spielen?

Sarah folgte ihrer Nase und begab sich in die Küche. Ihre Mutter hatte eine Baumwollschürze um die Taille gebunden und stand vor dem Herd, wo sie luftige Waffeln auf einen Teller stapelte. Über Mamas Kopf zierte ihre Hühnersammlung die Küchenschränke, die in allen Formen und Größen aufgereiht waren, als marschierten sie in einer Parade durch die Küche. Sarah lächelte.

»Guten Morgen, Mama. Das Frühstück duftet verlockend. Aber du hättest dir nicht so viel Mühe zu machen brauchen.«

Ihre Mutter drehte sich um und musterte sie kurz von Kopf bis Fuß. Ihre Miene blieb unverändert. Undurchschaubar. »Es kommt nicht alle Tage vor, dass meine Tochter zu einem spontanen Besuch hereinschneit.«

Sarah versuchte vergeblich, die Gefühle zu deuten, die Mama zu dieser Aussage veranlassten. Sie war nicht sicher, ob Traurigkeit oder Vorsicht dahintersteckten.

Obwohl Sarah ihre Mutter aus dem Tiefschlaf gerissen hatte, als sie um zwei Uhr morgens vor ihrer Haustür aufgetaucht war, hatte Mama sich das nicht anmerken lassen. Sie hatte Sarah ins Haus geholt, ihre Wunden gereinigt und ihr eine Tasse Kräutertee gekocht, bevor sie Sarah schließlich in ihr altes Zimmer geführt hatte. Ihre Mutter war immer gastfreundlich, auch wenn der Gast völlig unerwartet auftauchte.

Vielleicht hatte Mama aber auch schon seit zwei Wochen mit Sarah gerechnet und war eher überrascht gewesen, dass es so lange gedauert hatte, bis sie den Trost ihrer Mutter suchte.

Sarah setzte sich und ihre Mutter schenkte ihr eine Tasse Kaffee ein. Als Sahne und Zucker untergerührt waren, trank Sarah einen Schluck, aber obwohl sie dieses Getränk normalerweise als tröstlich empfand, rebellierte ihr Magen. Sie stellte die Tasse mit einem dumpfen Geräusch auf den Kieferntisch zurück.

»Stimmt etwas mit dem Kaffee nicht?«

Sarah schluckte die Übelkeit, die in ihrer Kehle aufstieg, hinunter und schüttelte stumm den Kopf, da sie es nicht wagte, den Mund zu öffnen.

Mama stellte Sarah und sich je einen Teller mit Waffeln und Soße hin. Dabei wich ihr Blick keinen Moment von ihrer Tochter, als könnte der unablässige Augenkontakt Sarahs Lippen die Antworten auf nicht ausgesprochene Fragen entlocken. »Fühlen sich deine Knie heute besser an? Glaubst du, wir haben alle Glassplitter erwischt?«

Kristallsplitter. »Ja. Es fühlt sich gut an. Danke.«

Sarah hatte sich seltsam taub gefühlt, als sie auf dem flauschig rosa bezogenen Toilettendeckel gesessen hatte, während Mama die Splitter aus ihrer Haut entfernte.

Ein Unfall, hatte sie geantwortet, als Mama gefragt hatte, was passiert war. Aber das Zerschmettern der zarten Kristallgläser auf den Mahagoniböden, bevor sie gestern das schweigende Haus verlassen hatte, hatte eine ungewohnt reinigende Wirkung gehabt. Die Zerstörung war Absicht gewesen; dass sie sich in dem Chaos, das sie angerichtet hatte, geschnitten hatte, nicht.

»Also …« Mama trank einen kräftigen Schluck aus ihrer Tasse.

Sarah stocherte am Rand ihrer Waffel herum und wappnete sich für die Frage, die dieser langen Pause folgen würde.

Mama stellte die Tasse ab und tupfte sich mit einer Serviette das Kinn ab. »Wie lang hast du vor zu bleiben?«

Sie sagte diese Worte mit einem sanften Lächeln, obwohl sie eigentlich gar nicht wissen wollte, wie viele Tage Sarahs Besuch dauern würde. Sie wollte mit diesen Worten lediglich klarstellen, dass sich Sarah nicht auf Dauer hier verkriechen konnte.

»Wann kommt Papa zurück?«

Mama warf einen Blick auf den Wandkalender, als wüsste sie den Dienstplan ihres Mannes, der als Fernfahrer unterwegs war, nicht auswendig. »In einer Woche hat er frei. Dann ist er sieben Tage zu Hause.«

»Oh gut. Ich freue mich auf die Zeit mit ihm.« Hoffentlich genügte das, um ihre Mutter davon abzuhalten, tiefer nachzubohren, wie Sarahs Pläne aussahen. Und vielleicht genügten zwei Wochen, um ihre Mutter an die Idee zu gewöhnen, aus dem Mutter-Tochter-Team, das den »Old Depot«-Lebensmittelladen betrieb, der seit Jahrzehnten in Familienbesitz war, ein Mutter-Tochter-Enkelin-Trio zu machen.

Sarah hätte nie weggehen sollen. »Wann fährst du zum Laden?«

»Erst kurz vor Mittag.« Mama massierte ihre Hände. »Ich habe einen Arzttermin.«

»Bist du krank?«

»Nur eine Routineuntersuchung.«

Sarah schob sich vom Tisch zurück. »Ich fahre zum Laden, um ein wenig Zeit mit Oma zu verbringen. Und um ihr zu helfen, falls sie Hilfe braucht.«

»Du kannst ihr höchstens helfen, zur Vernunft zu kommen«, murmelte Mama mit dem Mund an ihrer Tasse.

»Was hast du gesagt?« Sarah holte eine Plastikdose aus dem Küchenschrank.

»Willst du nichts mehr essen? Du bist sowieso nur ein Strich in der Landschaft.«

»Tut mir leid. Mein Magen ist heute Morgen ein wenig überreizt.« Sarah legte ihre angebissene Waffel für später in die Plastikdose. Im Haus ihrer Mutter wurde kein Essen weggeworfen. Wenn ihre Mutter wüsste, wie viele Gerichte Sarah vorbeigebracht worden waren, die sie nicht angerührt hatte und die jetzt alle zu Hause im Kühlschrank verschimmelten, bekäme sie einen Schlaganfall.

»Vielleicht solltest du dich noch mal ins Bett legen und dich ein wenig ausruhen.«

Das Letzte, was Sarah brauchte, war noch mehr Zeit allein mit ihren Gedanken. »Nein. Ich denke, ein Tag in unserem Laden ist genau das, was mir der Arzt verschreiben würde.« Sie stellte ihren Teller in die Spüle.

»Sarah …«

»Tschüss. Bis später.« Sarah zwang sich zu einem fröhlichen Tonfall und lächelte. Dann nahm sie ihre Handtasche und Schlüssel vom Garderobenständer neben der Haustür, bevor sie in Mamas zweites Paar Flipflops schlüpfte.

Ihre Mutter rief aus der Küche. »Wir müssen reden. Der Laden …«

Sarah entfloh ihren Worten, indem sie die Tür hinter sich ins Schloss zog.

Während der Fahrt sog sie die Kleinstadtatmosphäre auf. Das Städtchen strahlte etwas Altmodisches aus, abgeschieden in einem unscheinbaren Winkel der Erde, abgeschirmt vor den Veränderungen der Zeit. Nachbarn, die auf der Veranda vor ihren Häusern saßen, hoben die Hände und winkten, als sie an ihnen vorbeifuhr. Andere bearbeiteten bereits fleißig ihre Blumenbeete. Sarah verlangsamte die Geschwindigkeit für einen Traktor, der von der Hauptstraße abbog. Einige Minuten später erreichte sie den alten Laden und konnte sich auf der fast leeren Fläche davor einen Parkplatz aussuchen. Sie ließ den vertrauten Anblick der Schaufensterfront mit den zwei Giebeln auf...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2023
Übersetzer Silvia Lutz
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-96362-800-6 / 3963628006
ISBN-13 978-3-96362-800-9 / 9783963628009
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