Der letzte lange Sommer (eBook)

Ein Island Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
MORE by Aufbau Digital (Verlag)
978-3-96797-469-0 (ISBN)

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Der letzte lange Sommer - Dagmar Trodler
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Die junge Lies Odenthal ist frustriert von ihrem Leben: Ihr Job ist langweilig, und ihr Freund hat sie gerade verlassen. Kurz entschlossen fasst sie sich ein Herz und reist nach Island - um dort ein Jahr auf einer Farm zu arbeiten. Doch bei der Ankunft trifft sie der Schock: Gunnarstaðir ist der einzige Hof im ganzen Tal und hat nur einen einzigen Bewohner, den alten, wortkargen Elías. Doch Lies beißt sich durch und gewöhnt sich langsam an die harte Arbeit im Schafstall, das dürftige Essen und den mürrischen Elías. Sie lernt die verzauberte Landschaft und das einfache Leben kennen und lieben, wobei ihr nicht zuletzt auch der Tierarzt Jói Magnússon hilft ...



Dagmar Trodler, 1965 in Düren/Rheinland geboren. Sie arbeitete zunächst als Krankenschwester und studierte Geschichte und Skandinavistik. Sie lebt heute meistens auf Island. Gleich ihr erster Roman »Die Waldgrä?n« wurde ein Bestseller. www.dagmar.trodler.de

2. Kapitel


»Na, da hat Elías dir ja gleich den richtigen Job gegeben«, brummte jemand hinter ihr. Sie fuhr ob der deutschen Worte herum. »

Ein Mann war unbemerkt in den Türrahmen getreten. Groß und breitschultrig, nachtschwarzes, vom Wind verwirbeltes Haar und unergründlich dunkelblaue Augen. Eine Sonnenbrille klebte kess auf seiner Stirn, obwohl es hier doch gar keine Sonne gab. Er streifte seine Schuhe vor dem Kücheneingang ab und schob sie mit dem Fuß beiseite, ohne den Blick von ihr zu lassen.

»Du kommst aus Deutschland, hab ich gehört«, sprach er gleich weiter. »Ich hab in Deutschland studiert, weißt du. In Heidelberg.« Jetzt schaute er fast stolz drein. Sein isländischer Akzent war dezent, die Stimme tief und angenehm. Interessiert sah er sie an. Lies machte das zwar verlegen, sie fühlte sich jedoch gleichzeitig besser, einfach, weil jemand zu ihr sprach. Und dieser Jemand war nett und jung und sah gut aus. Stumm nickte sie und zog die Hände aus dem Spülwasser. Er sah sogar unverschämt gut aus, und sie war die Putzfrau. Super. Klar muss mir so was passieren, dachte sie noch, da trat er einen Schritt näher, mit schräg gelegtem Kopf, um nicht am Türsturz anzustoßen, denn der war für kleinere Menschen als ihn gebaut.

»Und wo ist er, der Alte?«

Lies zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn seit heute Morgen nicht mehr gesehen.« Auch als die Hände schon trocken waren, trocknete sie sie weiter ab, und das Handtuch litt.

Der Mann nickte nachdenklich. Dann klappte er seine langen Beine zusammen und schob sich hinter den wackeligen Esstisch. »Ich nehm mir ’nen Kaffee. Willst du auch?«

Lies blinzelte. Der schien sich hier ja wie zu Hause zu fühlen … oder war das vielleicht so in Island? Stolperte man einfach in ein Haus und machte es sich bequem? Ohne abzuwarten, goss er auch ihren Becher voll, und sie bekam Gelegenheit, das malträtierte Küchenhandtuch beiseitezulegen. Der Stuhl, auf den sie sich setzte, knarzte. Schweigend tranken sie und hörten der tickenden Wanduhr zu. Dann hielt er ihr eine große, aber erstaunlich feingliedrige Hand hin.

»Jóhann Magnússon. Nenn mich Jói, wenn du magst.«

Sie stutzte, dann gab sie ihm ihre vom Spülen verschrumpelte Hand. »Lies heiß ich. Lies Odenthal.«

»Lies«, wiederholte er.

»Lies«, bestätigte sie.

»Lies Odenthal. Hast du einen Gott in deinem Namen versteckt?«

»Was? Was meinst du?«

»Odenthal. ›Oden‹ ist Odin, ein alter Wikingergott. Hat er dich nach Island gebracht?« Er lächelte sie offen an. Lies verstand überhaupt nicht, wovon er sprach, und nickte nur hilflos. Jói rührte drei Löffel Zucker in den Kaffee und trank.

Das Gespräch versickerte.

Als hätte er sich an den dort gelagerten Schrauben verschluckt, gurgelte der Kühlschrank laut auf, bevor er begann, wieder zu lärmen. Lies erinnerte sich, dass das Kühlfach voller Eis hing und man das Gerät sicher wöchentlich abtauen musste. Sie hasste es, Kühlschränke abzutauen. Sie hasste Speisereste. Sie hasste spülen, wenn kein Ende abzusehen war. Dennoch – ihr Besuch schwieg, und der Abwasch tat sich nicht von allein, weswegen sie aufstand und ihre Hände wieder ins heiße Wasser eintauchte, um mit Abscheu die letzten fettigen Töpfe zu schrubben. Jói schlürfte schweigend seinen Kaffee. Sie spürte, dass er sie beobachtete und seine Blicke über ihre Figur wanderten. Im Geiste verdrehte sie die Augen. Konnte man als Frau nicht mal in Ruhe gelassen werden? Sie hasste glotzende Kerle, und an ihr gab es auch nichts zu glotzen. Keine Figur, kein Busen, kein Hintern. Aschbraune, schulterlange Egalhaare, in die sich erste Silberfäden mischten. Mit 30 graue Haare – toll. Lies wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie kamen alle von Packbier, jede einzelne Strähne. Vielleicht noch von Thomas, aber auf den meisten Strähnen stand breit und dick ›Finanzamt‹. Trotzdem klopfte ihr Herz wegen der Blicke hinter ihr.

Der letzte Topf thronte zum Abtropfen auf dem Abwasch, und während sie die Hände wieder abtrocknete, drehte sie sich zu dem glotzenden Kerl um. Der saß jetzt rittlings auf einem der klapprigen Küchenstühle und sah aus dem Fenster, wahrscheinlich schon die ganze Zeit, weil es an ihr wirklich nichts zu glotzen gab. Lies wusste nicht recht, wie sie das finden sollte. Ihr Herz hörte deswegen jedoch nicht auf zu klopfen, und sie war heilfroh, als er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen.

»Soll ich dir den Hof zeigen?«, fragte er und stand auf.

»Wir finden Elías sicher im Stall. Da kann er dir gleich deine Arbeit zeigen.«

»Hm«, machte Lies.

Jói sah sie prüfend an. »Elías redet nicht viel.«

Stumm schüttelte sie den Kopf. Nicht viel? An genau zwei Worte konnte sie sich erinnern seit gestern Abend. Im Übrigen war ›nicht viel‹ relativ, dieser Jói taugte ja auch nicht gerade zum Alleinunterhalter.

»Weißt du was? Ich bring ihn für dich zum Reden.« Grinsend zog er ein Döschen aus der Westentasche. »Hiermit schaffen wir das. Komm.«

»Hat Elías keine Familie?«, fragte Lies vorsichtig, als sie über die graue Wiese zum Stall herüberwanderten.

Jói schüttelte den Kopf. »Nicht seit ich ihn kenne. Und das tue ich schon seit ein paar Jahren.« Er kratzte sich am Ohr und stapfte mit großen Schritten vorwärts. Erst am Schafgatter sprach er weiter – offenbar war das wohl in Island so. Nur nicht zu viel von allem. Nicht zu viel Sonne, nicht zu viel Grün, nicht zu viel Essen. Bloß nicht zu viele Worte. Sie schluckte. Von anderem hingegen gab es viel. Kaffee. Steine. Wind. Schweigen.

»Die Leute sagen …«, Jói hielt das Gatter für sie offen, »die Leute sagen, es hätte da einen Vetter gegeben, oben in den Westfjorden. Mit dem habe er sich heillos zerstritten. Bestimmt ist der auch schon tot. Und sonst…« Er zuckte mit den Schultern und schloss das Gatter hinter ihnen wieder sorgfältig.

»Ich dachte immer, jeder in Island hat Familie«, sprach Lies, mutig geworden, weiter. So hatte Silke es ihr erklärt – irgendwie waren sie hier alle miteinander verwandt. Keine Kunst bei gerade mal dreihunderttausend Einwohnern. Sollte man meinen.

»Elías hat keine. Ausnahmen bestätigen die Regel«, grinste Jói. »Ich weiß nicht, was mit seiner Familie ist.«

»Hat er mich dann für den Hof bestellt?« Die Tatsache, dass sie nicht wirklich willkommen gewesen war, ließ Lies keine Ruhe.

»Eine Dame aus dem Krankenhaus hat das arrangiert. Er war krank, musst du wissen.«

»Krank?«

»Genau.«

Doch damit war das Gespräch gerade, wo es interessant wurde, leider beendet, denn sie hatten den Stall erreicht. Lies hatte das Gebäude zunächst gar nicht als solches erkannt, weil es in den Hang hineingebaut war und auf der Seite, von der sie sich genähert hatten, komplett aus Grassoden gefertigt und entsprechend niedrig war. Wie grausilberne Brotscheiben lagen die Grassoden aufeinander, fein säuberlich und ohne Lücken gestapelt, und aus manchen Zwischenräumen wuchsen Grasbüschel heraus. Nach hinten streckte sich das Gebäude in die Länge und war in moderner Bauweise aus Wellblech zusammengesetzt. Die niedrige Tür war nur angelehnt, Jói stieß sie auf. Vorsichtig stieg Lies hinter ihm die Stufe hinab, froh darüber, dem eisigen Wind draußen entkommen zu können. War es wirklich schon April?

Heftiger Stallgeruch schlug ihr entgegen, doch empfand sie den beim zweiten Riechen als gar nicht mehr so unangenehm. Sie wunderte sich, Viehställe hatte sie anders in Erinnerung. Vor allem aber war es wärmer als draußen, ein Grund mehr, schnell hereinzukommen und die Tür hinter sich zuzuziehen. Im Halbdunkel erkannte sie Dutzende von Bretterverschlägen, in denen sich weiße Wollknäuel bewegten, hier und da blökte eins, die meisten jedoch waren mit Kauen beschäftigt. Elías war nicht zu sehen.

»Typisch Elías«, grinste Jói, »immer im Dunkeln, Petroleum kostet ja Geld. Eines Tages wird er sich noch den Hals hier brechen.« Scherzhaft rief er etwas ins Dämmerlicht hinein, da tauchte der Alte nicht weit von ihnen aus einem Verschlag auf, richtete sich mühsam auf und grunzte zurück.

»Wir dürfen das Licht anmachen«, sagte Jói leise. Er schien sich auszukennen, denn er tastete sich in eine Ecke, wo eine riesige Petroleumleuchte stand, und hantierte mit Streichhölzern. Funzeliges Licht flackerte auf. Die Lampe hängte er an einen Haken in der Mitte des Stalles. Ein Schaf blökte ärgerlich wegen der Störung auf, ein leises metallisch klingendes Meckern. Woanders hüpfte etwas Weißes über Holzplanken und verschwand unter der Mutter. Lämmer. Es gab Lämmer hier! Lies’ Laune hob sich ein wenig, ihre Miene wurde weicher. Kleine süße Lämmer mit schmalen Kindergesichtern und zierlichen rosafarbenen Mäulern; gleich neben der Tür sah sie eines, im übernächsten Verschlag sogar zwei …

Die Männer tauschten einige Worte, Lies trat näher, um zu sehen, was Elías in dem Verschlag tat. Er sah sie, winkte sie nachdrücklich herbei, bückte sich – und einen Moment später klatschte er ihr eine eklig glibbrige Masse in die Hände, während er mit schmutzigem Finger auf eine Tonne am Ende des Ganges zeigte. Konsterniert sah Lies auf ihre Hände. Der kalte Glibber tropfte zäh durch die Finger, er roch durchdringend nach altem Blut und aufgetautem Fleisch … Reflexartig warf sie das Zeug von sich, rannte aus dem Stall und erbrach sich draußen gleich neben der...

Erscheint lt. Verlag 28.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Barbara Erlenkamp • Das kleine Café an der Mühle • Geheimnisse • Jenny Colgan • Kerstin Gier • Manuela Inusa • Nähen • Neuanfang • Petra Hülsmann • Valerie Lane
ISBN-10 3-96797-469-3 / 3967974693
ISBN-13 978-3-96797-469-0 / 9783967974690
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