Die Wolkengucker (eBook)

Roman. Eine Geschichte über die Kraft der Fantasie
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
384 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-4790-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Wolkengucker -  Kristina Fritz
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Matt Williams kann nicht verstehen, warum seine kleine Tochter Mia so hingebungsvoll Wolken betrachtet. Sie sieht darin eine ganze Welt, für ihn sind es schlicht viele kleine Wassertröpfchen. Das ändert sich, als er und Mia die alte Wilma kennenlernen. In ihrer alten Münchener Villa trifft sich nämlich die Wolkengucker-Gesellschaft, ein Grüppchen der unterschiedlichsten Menschen. Hier teilt man nicht nur Mias Liebe zu den Zuckerwatte- und Sahneeis-Gebilden am Himmel, sondern noch viel mehr ...



Kristina Fritz ist das Pseudonym einer erfolgreichen Autorin von Liebesromanen, die die Leser:innen am Ende stets mit einem wohligen Gefühl schließen. In ihrem neuen Roman macht sie sich auf die Suche nach dem Glück im Großen und im Kleinen. Und dabei können Wolken eine große Hilfe sein. Einfach mal den Blick heben ...

Kristina Fritz ist das Pseudonym einer erfolgreichen Autorin von Liebesromanen, die die Leser:innen am Ende stets mit einem wohligen Gefühl schließen. In ihrem neuen Roman macht sie sich auf die Suche nach dem Glück im Großen und im Kleinen. Und dabei können Wolken eine große Hilfe sein. Einfach mal den Blick heben ...

Wilma


Es muss ja weitergehen

Wilma lag auf der Récamiere im Wohnzimmer und sah hinaus in den Garten. Margaretes warmes Schultertuch, ihr Vermächtnis an sie, hatte sie sich eng um den Körper gelegt. Der bunte Stoff hüllte sie ein, und zu ihrem Erstaunen spürte sie für einen kurzen Moment Behaglichkeit. Doch dann knallte etwas im Haus, und Wilma riss entsetzt die Augen auf. Dem Knall folgte ein heftiges Wummern. Sie lauschte.

Das war doch keine Musik! Als die neue Putzfrau sie gefragt hatte, ob sie Musik anmachen dürfte, hatte sie damit nun wirklich nicht gerechnet. Das Mädchen wirkte immer so still und zurückhaltend. Ein hämmerndes Dröhnen, untermalt mit Explosionen in einem so schnellen Rhythmus, dass sie befürchtete, die alten Mauern könnten ihren Putz abwerfen. Wilma legte das Schultertuch ab und setzte sich halb auf, was ihr Herz dazu brachte, einige Male hektisch zu schlagen. Besänftigend legte sie sich eine Hand auf die Brust und hielt notgedrungen still. Das war angeraten, wenn der eigene Herzschlag aus dem Takt kam und wie ein wild gewordenes Pony durch die Brust galoppierte. Sonst würde es ihr wie Margarete ergehen. Sagte zumindest ihr Arzt.

Sie seufzte, ohne dass sie es verhindern konnte. Immer wenn sie an Margarete dachte, legte sich ein eisiger Mantel über ihre Seele.

»Schluss jetzt!«, sagte sie energisch zu sich selbst und meinte das Geseufze, allerdings hörte auch der Lärm schlagartig auf. Sie wünschte, sie könnte ihrem Herzen ebenso befehlen, mit diesem Herumgestolper aufzuhören, aber es schien sich in letzter Zeit immer häufiger zu fragen, ob es sich tatsächlich lohnte, die mühsame Arbeit des Schlagens fortzuführen, oder ob es nicht viel sinnvoller sei, dem gesegneten Alter endlich seinen Lauf zu lassen. Wie bei Margarete. Wenn man, wie sie, mit siebenundachtzig Jahren starb, sagten die Leute »Welch ein gesegnetes Alter!« Oder: »Sie hatte ein schönes Leben!«, und dann gingen sie zur Tagesordnung über.

Margarete war aber tot.

Weg.

Sie kam nicht zurück. Nicht, um noch ein Eis zu essen, ihren extravaganten gelben Pullover zu tragen oder mit Wilma eine Partie Rommé zu spielen und dazu ein Glas Primitivo zu trinken. Wilma würde die Leute, die so etwas sagten, dann gerne schütteln und sie fragen, ob das irgendetwas besser machte, aber sie ließ es bleiben. Leute, die so etwas sagten, waren jung, zumindest jünger als sie, und hatten nicht ständig vor Augen, dass das eigene Herz jederzeit aufhören konnte zu schlagen. Junge Menschen ahnten nicht, wie zerbrechlich das Leben war.

»Ach«, seufzte Wilma erneut und biss sich dann auf die Lippen, weil dieses verdammte Gejammere so gar nicht zu ihr passte. Sie war doch eigentlich ihr Leben lang die Fraktion »Arschbacken zusammenkneifen und weitermachen« gewesen. Die Musik setzte wieder ein. Der Krach aus der Küche brachte sie ein wenig zur Besinnung, und sie richtete sich jetzt endlich ganz auf. Bässe hämmerten abermals durch das Haus. Margarete hatte ihr mit ihrem Tod wirklich etwas eingebrockt. Auf sehr vielen Ebenen.

Sie griff in die Tasche ihrer Strickjacke und zog Margaretes Brief hervor. Aus einem grauen Gefühl der Melancholie trug sie ihn schon seit Tagen mit sich herum. Genau wie sie sich in ihr Schultertuch einhüllte, weil es noch ganz schwach nach Chanel duftete, Margaretes Lieblingsparfum, das sie immer aufgelegt hatte, wenn sie das Haus verlassen hatte.

Die Zeilen waren nun ganz zerknittert, und Wilma strich sie glatt. Dann blickte sie aus dem Fenster, hoch in den Himmel. Heute gab es viele Wolken. Margarete hätte ihre Freude daran gehabt. Gemeinsam in die Wolken zu schauen war ihr gemeinsames Hobby gewesen.

Wilma umklammerte den Brief, den ihre Freundin, um ihre immer schlechter werdende Sehkraft wissend, offenbar von irgendjemandem auf dem Computer hatte tippen lassen. Die Schrift war so groß, dass nur wenige Worte in eine Zeile passten. Früher hätte sie darüber gelacht. Heute war es die einzige Möglichkeit, das Geschriebene zu entziffern.

Am Himmel tauchte eine Kumuluswolke auf. Sie sah aus wie ein großes Blumenkohlröschen, dessen oberer Teil dramatisch hell leuchtete, während der Bauch in ein tiefes Grau gehüllt war. Margarete wäre zu dieser Wolke sicherlich noch mehr eingefallen. Sie hätte in ihr verschiedene Bilder entdeckt oder eine hübsche Geschichte dazu erzählt. Wilma erinnerten die Wolken aber immer an etwas ganz anderes.

Sie legte den Brief zur Seite und hob die Hände. Sie konnte es zwar nicht mehr, aber sie stellte es sich wenigstens vor; wie es wäre, das Steuer einer Cessna zu halten, die in Richtung der Wolkendecke raste. Und dann dieses Gefühl der unendlichen Freiheit, wenn der gleißende Sonnenschein einen in Empfang nahm, nachdem man die physikalische Brücke durchflogen hatte, auf der anderen Seite herauskam. Im nächsten Moment schob sich eine weitere Wolke über den Himmel und verdunkelte ihn. Wilma ließ die Hände sinken und runzelte die Stirn. Das Gebilde am Himmel hatte entfernte Ähnlichkeit mit Margaretes Methusalem-Pudel Darcy. Ihr Lebensbegleiter für fast zwanzig Jahre, der ständig auf die Teppiche gepinkelt hatte.

»Also bitte«, murmelte Wilma und schob den Gedanken, es könne ein Gruß von Margarete sein, peinlich berührt zur Seite. Die letzten Wochen hatten offenbar ihre Spuren hinterlassen, sie wurde sentimental. »Das ist jetzt doch ein bisschen offensichtlich.«

Im selben Moment verstummte die musikalische Lärmbelästigung, und wie aufs Stichwort klingelte es Sturm an der Haustür. Eine willkommene Ablenkung von den Wolken, dem Seufzen und Margaretes Brief. Sie lauschte kurz, ob ihre neue Putzfrau sich der Sache annahm, doch außer, dass die Musik nicht wieder einsetzte, passierte nichts. Wilma raffte sich also endlich auf, erhob sich langsam, wobei sie sich an der Lehne der Récamiere festhielt, und wartete kurz, bis sie sich sicher auf den Beinen fühlte. So sicher, wie es mit fast neunzig möglich war. Das erneute Klingeln klang jetzt dringlicher, doch Wilma ging bedächtig. Sie war zu alt, um sich hetzen zu lassen. Außerdem war der Weg weit. Die Villa hatte fast 400 Quadratmeter. Zwei Etagen mit zehn Zimmern, von denen sie nur noch drei bewohnte.

Sie durchquerte den Salon mit seinen Biedermeiermöbeln, die sie mit Ludwig vor über vierzig Jahren voller Stolz auf einer Antiquitätenmesse erstanden hatte. Weiter durch den Flur, von dem sich die alte Freitreppe ins Obergeschoss erstreckte und sie jeden Tag daran erinnerte, wie sehr ihr Raum zusammengeschrumpft war. Sie wusste nicht, wann sie das letzte Mal eines der Zimmer im zweiten Stockwerk betreten hatte.

Wieder klingelte es. Sie ahnte schon, wer sich in selbstgerechter Pose vor der Haustür aufgebaut hatte. Als sie an der Küche vorbeikam, warf sie einen Blick hinein. Ayla, Margaretes ehemalige Putzfrau und Wilmas ganz persönliches Erbe, war irgendwas am Schrubben, mit gelben Gummihandschuhen an den Händen und zusammengezogenen Augenbrauen, während ihr die Haare ins Gesicht hingen. Es roch selbst im Flur zitrusfrisch, was Wilma erstaunte. Wenn die Putzfirma da gewesen war, hatte es erst chemisch gestunken und wenige Minuten nachdem das Personal gegangen war, hatte sich die alte staubige Ausdünstung wieder über das Haus gelegt.

»Sie dürfen durchaus an die Tür gehen«, sagte sie schroff in die Küche.

Dann hatte sie endlich die Haustür erreicht und öffnete sie. Unangenehm warme Luft strömte ihr entgegen.

»Die Musik ist zu laut«, erklärte Ferdinand Huber. Ihr Nachbar. Ein lästiger Mensch. Seitdem er vor fünf Jahren in den modernen Bungalow von Trude und Heinz gezogen war, die, als hätten sie sich abgesprochen, nur wenige Wochen nacheinander gestorben waren, meckerte er. Wie ein sehr alter Mann, den alles und jeder störte, dabei konnte er noch keine vierzig sein. Nun stand er mit puterrotem Kopf vor ihr. Er fand immer einen Grund, sich aufzuplustern.

»Welche Musik?«, fragte Wilma und verspürte eine kleine, diebische Freude dabei, denn Herr Huber riss sofort empört die Augen auf und schnappte nach Luft.

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«, fragte er mit bebender Stimme. Wilma hätte am liebsten genickt, doch sie bewahrte selbstverständlich ihre Contenance. Mit der war sie immerhin fast neunzig geworden, es gab keinen Grund, sie auf der Endgeraden aufzugeben.

»Sie werden noch einen Herzinfarkt bekommen, wenn Sie sich weiter so aufregen«, meinte sie. »Besonders bei dieser Hitze. Es ist viel zu heiß für Mai. Guten Tag.« Energisch schloss sie die Tür und wartete, ob er noch einmal klingeln würde, doch sie hörte stattdessen seine wütenden Schritte die Treppe der Villa hinunterpoltern. Für einen Moment genoss sie es, wie ihr Herz – angeregt von diesem hübschen Disput – in ihrer Brust schlug. Kräftig und beständig. Sie legte sich eine Hand auf das Brustbein und lauschte dem Klang des Organs.

Margarete hatte immer gesagt, ein bisschen mehr Aufregung würde ihrem Leben guttun. Vielleicht hatte sie damit recht gehabt.

Sie ging durch den Flur in die Küche, wo die Putzfrau an der Küchentheke lehnte und ihr mit zerknirschtem Gesichtsausdruck entgegenblickte. Es war nicht zu übersehen, dass sie Herrn Hubers Schimpftirade gehört hatte.

»Er ist zwar ein Idiot, aber mit der Musik können Sie ja Tote wecken«, erklärte Wilma ernst, woraufhin Ayla eine Augenbraue hob. Margarete hatte eine enge Beziehung zu ihr gepflegt, was Wilma stets ein wenig seltsam vorgekommen war. Immerhin hatte Margarete die Frau für ihre Dienste bezahlt. Da sollte nicht zu viel Nähe aufkommen.

»Tut mir sehr leid, Frau von Eidsfeld. Margarete hatte...

Erscheint lt. Verlag 22.12.2023
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte alleinerziehend • Altern • Älter werden • Buchgeschenk • Einsamkeit • Feel-Good-Romane • Freundschaft • Gemeinschaft • Inspiration • Märchen für Erwachsene • Vaterschaft • Wohlfühlbuch
ISBN-10 3-7517-4790-7 / 3751747907
ISBN-13 978-3-7517-4790-5 / 9783751747905
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