Werke (eBook)
600 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76101-4 (ISBN)
Die in diesem Band abgedruckten Stücke sind zwischen 1967 und 1977 entstanden. In der Theaterpraxis und vor allem in der Zusammenarbeit mit Robert Wilson entwickelt Müller neue ästhetische Möglichkeiten des Theaters. Im Zentrum seiner Arbeiten steht die Auseinandersetzung mit historischen und mythologischen Stoffen sowie großen literarischen Vorlagen. Was ihn beschäftigt, ist mit den Stichworten Deutschland, deutsche Geschichte, Nationalsozialismus, Preußen, Geschichte der russischen Revolution, Shakespeare, Antike, Terror und Gewalt im geschichtlichen Prozeß nur grob umrissen. Stets versucht Müller, die im historischen Material liegende allgemeine Gewalt historischer Verhältnisse aufzurufen und erkennbar zu halten.
<p>Heiner Müller, geboren am 9. Januar 1929 in Eppendorf, Sachsen, war einer der wichtigsten deutschsprachigen Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zudem war er Lyriker, Prosa-Autor und Essayist sowie Präsident der Akademie der Künste Berlin (Ost). Er ist am 30. Dezember 1995 in Berlin verstorben.</p>
PROMETHEUS
Nach Aischylos
PERSONEN
Prometheus
Kratos und Bia
Hephaistos
Okeanos
Io
Hermes
Chor
KRATOS UND BIA Ans Ende sind wir gekommen der Welt
Von Menschen leer. Deine Arbeit, Hephaistos
Mußt du jetzt ausführen, die der Vater befohlen hat
Zeus, an den Fels schlagen den da
Mit unlöslichem Eisen das Fleisch
Das sich empört hat
Und beraubt dein Feuer
Das allgeschickte
Menschen zum Gebrauch
Damit er lerne des Zeus Herrschaft
Und aushalten den Stolz
Und die Liebe zu Sterblichem
Fleisch an Stein.
HEPHAISTOS Für dich dein Auftrag
Hat ein Ende also, und nichts mehr zwischen
Mir und meinem Auftrag. Aus dem Griff
Deiner Fäuste entlassen in meine Hand
Ist der Verwandte.
Wie kann ichs aber
An den Berg binden roh in harten Winter
Weil er das glänzende nahm, mein Feuer
Und seinen Gebrauch weiß, diesen?
Das muß ich jetzt tun.
Nicht achten nämlich des Zeus Wort
Ist schwer und nicht
Trägt das mein Rücken, mit Arbeit krumm.
Sohn der Themis, viel planender, unwillig
In haltbarer Fessel dich Unwilligen jetzt
Werde ich aufhängen an dieser Gegend
Damit nicht Stimme noch Gestalt
Von Sterblichen du weißt mehr, sondern verbrannt
Von der Sonne mit gleißendem Licht
Deiner Haut vergeht die Blüte. Dir nicht
Zur Freude die bunt gewandete Nacht wird
Über das Licht gehn, noch die Sonne
Essen den Tau, und bei dir immer
Dein Schmerz und im Herzen die Kränkung. Denn
Der dich befreit
Ist nicht geboren.
Solchen Gewinn
Aus deiner Liebe zu Sterblichen hast du
Der vom Himmel gepflückt hat
Nicht achtend Götterzorn
Verbotenen Vorteil ihnen.
Für das den unerfreulichen den Berg jetzt
Wirst du bewachen
Aufrecht, schlaflos, nicht beugen könnend das Knie
Viel schreiend aber
In kein Ohr. Denn unausweichlich
Herrscht Zeus, in harter Herrschaft. Denn lang noch nicht
Übt er die.
KRATOS UND BIA Was flennst du zwecklos
Willst du nicht hassen den Götterfeind?
Ausgeliefert was dein ist Sterblichen hat er.
HEPHAISTOS Mein Bruder ist er. Das
Macht mich langsam.
KRATOS UND BIA Mehr als lieben den magst du fürchten
Des Vaters Zorn.
HEPHAISTOS Frech warst du immer
Im Herzen roh.
KRATOS UND BIA Wen heilt dein Klaglied? Nicht zu nichts
Brauch deine Stimme.
HEPHAISTOS O Handwerk, vielmal mir verhaßt
Für solche Übung.
KRATOS UND BIA Verachte das nicht. Ist aus deiner
Kunst sein Unfall?
HEPHAISTOS Wär sie eines andern.
KRATOS UND BIA Last ist alles, außer den Göttern
Herr sein. Frei nämlich ist Zeus allein.
HEPHAISTOS Das weiß ich nun, und nichts mehr
Entgegen sagen kann ich.
KRATOS UND BIA Wirst du die Fessel dem antun also
Schnell, daß dich nicht langsam sieht der Vater.
HEPHAISTOS In meinen Händen das Erz mag er ansehn.
KRATOS UND BIA An den Berg nagle, kleid mit dem Hammer
In sein Kleid ihn.
HEPHAISTOS Das wird jetzt, und nichts hilft heraus mehr.
KRATOS UND BIA Stärker schlag, enger bind ihn, geschickt
Wo kein Ausweg ist, den Ausweg
Findet der.
HEPHAISTOS Eher den Berg bewegt
Als diesen, den Arm, er.
KRATOS UND BIA Den andern jetzt. Damit er lernt, der Schlaukopf, Zeus denkt schneller.
HEPHAISTOS Mit meinen Händen. Und keinen Tadel mehr
Verdient von ihm das Werkzeug.
KRATOS UND BIA Den Keil durch die Brust jetzt treib ihm
Mit Gewalt.
HEPHAISTOS
Ah Prometheus! Hör mich beschrein deine Qual.
KRATOS UND BIA Zauderst du wieder, bejammerst neu
Des Zeus Feind? Daß du nicht um dich weinst, sorge.
HEPHAISTOS Ein Bild, mit Augen nicht anzusehn, seh ich.
KRATOS UND BIA Ich seh erlangen den das Verdiente.
Jetzt um die Seiten wirf das Erz ihm.
HEPHAISTOS Zu tun das ist Zwang
Von Zeus. Treib du mich nicht an.
KRATOS UND BIA Mehr dich antreiben werd ich
Da dus brauchst. Schmied um die Beine ihm den Ring jetzt.
HEPHAISTOS Getan ists, und nicht mit großer Mühe.
KRATOS UND BIA Die Füße durchbohr ihm kräftig
Mit dem Stachel. Genau blickt
Das auf unsre Arbeit sieht, das Auge.
HEPHAISTOS Deiner Gestalt sehr gleich bellt die Stimme.
KRATOS UND BIA Zeig du dich mild. Mein Hartes
Wird nicht getadelt noch meines Zornes Dichte.
HEPHAISTOS Laß uns fortgehn. Ganz in meiner Arbeit
Hängt er befestigt.
Ab.
KRATOS UND BIA Hier jetzt übe du
Deinen Trotz, und Raub an Göttern.
Von deinen Qualen wieviel werden Sterbliche dir
Abschöpfen?
Brauch die gepriesene, deine Vorsicht.
Wälz dich heraus aus dieser Kunst.
Ab.
PROMETHEUS Himmel der Götter, und mit schnellem Flügel
Ihr, Winde. Quell, Fluß und des Meeres
Wellen, die ohne Zahl gehn.
Erde, kreisende Mutter, und oben
Dein, Sonne, allsehendes Rund.
Seht, was von Göttern ich leid, ein Gott, zertrümmert
Mit solchen Mißhandlungen und gehalten
In die tausendjährige Zeit
In der schmählichen Fessel.
Das hat für mich erfunden der neue
Herr der Unsterblichen.
Das gegenwärtige Leid
Und das kommende schrei ich. Wo wird auftauchen
Meinem Elend die Grenze?
Was klag ich. Weiß ich doch was kommt
Genau, und nicht mir ungewohnt
Wird die kommende Qual sein. Das recht Erworbene aber muß man tragen
Als Leichtes. Aber zu schwer
Ist Stummsein. Des Feuers Quelle nämlich gestohlen habend
Mit meinen Händen den Sterblichen brachte ich
Grund aller Künste. Das bezahl ich jetzt
Unter dem Himmel befestigt mit Nägeln.
Was kommt unsehbar? Gott, Mensch, oder von beiden
Zu meinem, der Erde letztem Berg, zu sehn
Meine Leiden oder zu mehren die?
Seht gefesselt mich unglücklichen Gott
Zeus Feind und in den Haß gekommen
Aller die gehn in seinem Himmel
Wegen zu großer Liebe für Menschen.
Was für Geräusch wieder
Beinah wie von Vögeln, der Himmel von leichten
Schlägen der Flügel saust, schrecklich
Jedes mir, das herankommt.
CHOR Nichts fürchte. Dir freundlich
Komm ich auf schnellem Wind
Im Schwarm der Flügel. Der Schall nämlich
Von Stahl ging durch das Eingeweid
Meiner Höhlen, heraus
Schlug er meine ernst blickende Scham
Ungeschuht auf geflügeltem Fahrzeug her kam ich.
PROMETHEUS Töchter der viel gebärenden
Thetis, und des Okeanos, der um die ganze
Erde mit nicht ermüdendem Fluß geht, seht, ihr
In welcher Fessel am steilen Felsen den Abgrund ich
Bewache, unbeneidet.
CHOR Ich seh, Prometheus
Und meinen Augen furchtbar im Rauch aus Tränen dicht
Schrumpft am Felsen deine Gestalt, befestigt
Mit dieser stählernen Beschimpfung
Weil im Olymp neu das Steuer hält
Und herrschend mit frischen Gesetzen
Das vor ihm Gewaltige jetzt vernichtet Zeus.
PROMETHEUS Hätt er doch
Einem Gott nicht noch andern zur sichtbaren Freude
Unter den Boden mich der die Toten hält, eingetaucht
Grenzlos, in ganz überdauernder Fessel.
Jetzt aber ein luftiger Spielball ich Unglücklicher
Meinen Feinden Erfreuliches leide ich.
CHOR Wer ist im Herzen von Göttern schlimm genug, dem
Das gefiele. Wen über das Leid, das deine, färbt nicht
Zorn mit, Zeus ausgenommen. Mit Vorsatz
Zwingt das himmlische Geschlecht und nicht aufhören wird der
Eh das Herz ihm satt ist oder andre Hand
Die schwer zu fangende, die Macht, nimmt.
PROMETHEUS
Freilich sehr brauchen wird der Leiter der Seligen
Mich Mißhandelten mit mächtiger Fußfessel
Ich weiß es nämlich, von wem
Er aufhört, aus der Macht geworfen und beraubt
Der Ehren, die er schmeckt
Und mich nicht mit Gesängen honigzungig
Wird er bezaubern und niederducken vor seinen
Schrecklichen Drohungen werde ich nicht so weit
Und es aussagen, eh mich er losläßt
Aus der Fessel und Strafe zahlen
Für diese Schmach will.
CHOR Frech bist aber und nicht herauskommen
Aus...
Erscheint lt. Verlag | 17.4.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater | |
Schlagworte | 20. Jahrhundert • Bühne • Deutschland • Drama • Dramatiker • Heiner Müller • Müller • Ostdeutschland DDR • Sammlung • Schauspiel • Stücke • Theater • Werke |
ISBN-10 | 3-518-76101-3 / 3518761013 |
ISBN-13 | 978-3-518-76101-4 / 9783518761014 |
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