Als wir glücklich waren (eBook)

Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
320 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-26573-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als wir glücklich waren -  Jana Winter
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Ein idyllischer Gutshof im Emsland. Ein dunkles Familiengeheimnis. Eine junge Frau auf der Suche nach der Geschichte ihrer Familie.
Für Lenya bricht eine Welt zusammen, als ihr Vater sie am Telefon bittet, ihn zur Beerdigung einer seiner beiden Schwestern zu begleiten. Denn sie wusste weder von ihren Tanten Irma und Katharina noch davon, dass die beiden seit jeher ganz in der Nähe auf einem idyllischen Gutshof lebten. Lenya beschließt, mit ihrem Vater auf den Hof ins Emsland zu fahren, um herauszufinden, was ihre Familie vor langer Zeit auseinandergebracht hat. Dort taucht sie immer mehr in die Geschichte einer Familie ein, deren Leben durch Krieg, Armut und Vertreibung gezeichnet wurde, und deren Schicksal und Fortbestand vielleicht sogar in Lenyas Händen liegen könnte ...

Jana Winter ist das Pseudonym einer im Rheinland lebenden Autorin. Mit dem Schreiben begann sie bereits in ihrer Studienzeit und hat bis heute zahlreiche erfolgreiche Romane veröffentlicht. Sie liebt es zu reisen und zu wandern. In ihrem Roman »Als wir glücklich waren« geht es um eine junge Frau, die versucht der Geschichte ihrer zerbrochenen Familie auf die Spur zu kommen.

2018


Als Kind hatte ihr das Knacken im Gebälk Angst gemacht, das Geräusch aufflatternder Vögel, das Rauschen des Windes hoch oben im Schober. Dann hatte sie die Augen geschlossen und gedacht, der Sturm kehre zurück. Jetzt, über siebzig Jahre später, erfasste Irma dieses Unbehagen immer noch, aber sie konnte es dorthin zurückdrängen, wo es hingehörte – in den verborgensten Winkel ihres Bewusstseins. Und dann gab es Momente wie diesen, in denen sie sich wünschte, sie könnte Wände zum Einsturz bringen, um jenen Mann darunter zu begraben, der sich mitten auf der Stallgasse aufgebaut hatte, die Hände in die Seiten gestemmt und sich umsah, die Augen kritisch verengt.

»Ganz schön heruntergekommen.«

Irma schwieg. Neben ihr stand ihr Stallmeister Hannes, ein Relikt aus alten Zeiten ebenso wie sie. Aus Zeiten, als es undenkbar gewesen wäre, dass so ein Wichtigtuer auf Gut Grotenstein stand, die Backen aufblies und sagte: »Das Einzige von Wert ist das Haus. Na ja, und natürlich die Pferde. Die jungen zumindest, die alten nimmt wohl nur noch der Abdecker.« Er lachte in Irmas versteinertes Gesicht.

Sie schloss die Augen, lauschte auf das Flattern der Vögel im Gebälk, spürte, dass der Sturm schon lauerte, bereit war, im nächsten Moment über sie hinwegzufegen. Rasch öffnete sie die Augen wieder.

»Sie leben hier mit Ihrer Schwester?«, fragte der Mann.

»Nein, seit gestern nicht mehr.«

»Ist sie ausgezogen?«

»Nein.«

Er verstand. »Herzliches Beileid.«

Irma nickte knapp.

Mit einem Räuspern in die hohle Hand wandte der Mann sich ab. »Die Bank braucht Sicherheiten, verstehen Sie?«

»Natürlich.«

»Also gut, ich denke, ich habe genug gesehen. Sie hören von uns, wenn das Gutachten erstellt wurde.«

Sein joviales Lächeln zersplitterte an ihrem Schweigen, und die betont lässige Haltung des Mannes bekam mit einem Mal etwas Gezwungenes.

»Noch einen schönen Tag.« Damit verließ er die Stallungen, und kurz darauf war zu hören, wie er sich schnellen Schrittes entfernte.

»Und nun?«, fragte Hannes.

»Wir werden sehen.«

Das Aufheulen eines Motors war zu hören, das Knirschen von Reifen auf kleinen Steinchen. Es war ein strahlender Sommertag, der sich jedoch nicht in das kühle Halbdunkel der Stallungen verirrte, das hatte er noch nie getan.

»Hast du Rudolf angerufen? Weiß er, dass Katharina tot ist?«

»Ja.«

Nach so langer Zeit hatte sie die Stimme ihres Bruders Rudolf wieder gehört, auch wenn er kaum etwas gesagt hatte. Offenbar war er nach all den Jahren immer noch nicht dazu in der Lage, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Ein Bruder, der nicht reden konnte. Aber das passte wohl zu einer Schwester, die das Lachen, und einer, die das Lieben verlernt hatte.

• • •

»Bestimmt lässt die nette Dame dich einmal aufs Pferd.« Die Frau beugte sich zu ihrer Tochter im Kindergartenalter hinunter, die allerdings nicht so wirkte, als wäre sie besonders versessen darauf. Offenbar hatte das kleine Mädchen mehr Pferdeverstand als seine Mutter. Diese blickte hoch, wartete auf Lenyas Reaktion. »Na, oder auch nicht. Sie hat wohl kein Herz, mein kleiner Schatz.«

Lenya, die nette Dame ohne Herz, tat weiterhin so, als hätte sie nichts gehört, hielt das nervöse Tier am Haltestrick und wartete darauf, es in seine Box zurückführen zu können. Der »kleine Schatz« schenkte ihr ein schüchternes Lächeln, das Lenya erwiderte. Das Kind konnte ja nichts für die Mutter, und die hatte schon allein dadurch einen schlechten Stand bei Lenya, da sie eine gute Freundin ihrer Schwiegermutter war.

»Lernen die Kinder auf solchen Pferden reiten?«, sprach die Frau Lenya nun direkt an. Der Hengst warf den Kopf zurück, tänzelte auf der Stelle. »Dann könnten wir das ja mal ausprobieren.«

»Der ist noch nicht zugeritten.«

Der Mund der Frau wurde schmal und verkniffen. »Na ja, ich meinte halt so ähnliche, nicht dieses da. Ich kenne mich schon ein bisschen aus.«

»Für die Kleinen gibt es Reitponys. Vorausgesetzt, sie sind schon bereit dafür. Wir fangen in der Regel erst mit sechs Jahren an.«

»Mir wurde gesagt, dass Mathilda durchaus Talent hat.«

Wahrscheinlich war sie beim Kirmes-Ponyreiten nicht aus dem Sattel gerutscht. »Das wird sich zeigen, wenn sie ein paarmal bei uns geritten ist«, wich Lenya aus.

»Du kannst ihn reinbringen!« Andreas, der jüngste Auszubildende auf dem Hof, winkte ihr zu. Die Box war bereit, und erleichtert führte Lenya das Tier in den Stall. Sie warf noch einen Blick zurück und sah, wie die Mutter der begabten Mathilda nun wild auf Andreas einredete, und obwohl er Lenya leidtat, überließ sie ihn seinem Schicksal. Das war eine gute Bewährungsprüfung für die Zukunft. Lenya sah auf die Uhr und stellte fest, dass sie bereits weit hinter ihrem Zeitplan für heute zurückhing. Alles Unvorhergesehene warf den gut durchgetakteten Plan über den Haufen, und sie musste sich neu organisieren. Dass der junge Hengst sich verletzt hatte, weil in seiner Box eine Mistgabel gelegen hatte, war so ein Fall.

»Was für eine verdammte Pfuscherei ist das?«, hatte der Stallmeister gebrüllt.

Danach hatten die Auszubildenden die gesamte Box ausmisten und akribisch jeden noch so kleinen Splitter des Holzstiels entfernen müssen. Der Tierarzt hatte kommen müssen, und inzwischen war es beinahe halb vier, was bedeutete, der Kindergarten würde in einer Stunde die Pforten schließen.

Ihre Kinder hatten zum Glück Ganztagesplätze, was nach Dafürhalten von Lenyas Schwiegermutter aber sehr klar für mütterliche Defizite sprach. Schon als die Große, Anouk, in den Kindergarten gekommen war, hatte Alexanders Mutter vor Lenya gestanden, den Mund leicht gespitzt. »Aber du arbeitest doch nicht.«

Damit schien alles gesagt. Lenya arbeitete nicht. Die Hausarbeit, das Kochen, die Reitstunden, die sie nebenher gab, die Buchhaltung für die Reitschule der Schwiegereltern, bei der sie immer wieder mit einsprang – all das war unbezahlt und demnach keine echte Arbeit. Du arbeitest doch nicht. Der Satz war bei jedem weiteren Kind gefallen, das in den Kindergarten ging, und noch einmal, als die Älteste in die Schule gekommen und für den offenen Ganztag angemeldet worden war.

Ihr Handy brummte in der Hosentasche – zum vierten Mal innerhalb der letzten Stunde –, und mit einem entnervten Augenrollen zog Lenya es hervor. Ihr Vater. Schon wieder. Kurz überlegte sie, ihn erneut wegzudrücken, aber wenn er es so oft versuchte, war es wahrscheinlich wichtig.

»Ja, Papa?«

Er ließ einen kurzen Kommentar über ihre schlechte Erreichbarkeit ab. Dann kam er endlich auf den Punkt, und Lenya lauschte ihm zunehmend irritiert.

»Moment«, fiel sie ihm ins Wort, »nur damit ich das richtig verstehe. Du hast eine Schwester?«

Ja, wie gesagt, erklärte er ihr, als wäre es das Normalste der Welt. Als hätte er, den Lenya zeit ihres Lebens allein auf der Welt gewähnt hatte, nicht gerade wie ein Magier eine Familie mitsamt Vergangenheit aus dem Hut gezaubert. Lenya lehnte sich an ihren Wagen, brauchte einen Moment, ehe sie weiterreden konnte.

»Dich hat also deine Schwester angerufen«, wiederholte sie, als wäre sie begriffsstutzig.

Das hatte sie getan, erzählte er, um ihm vom Tod der anderen Schwester zu erzählen. Lenya war – und das geschah ihr selten – schlichtweg sprachlos.

»Darf ich fragen, wie du dir das vorstellst?« Alexander stand mit dem Rücken an die Kochinsel gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Ich kann Anouk nun mal nicht mitnehmen, sie hat Schule.«

»Und wie lange willst du dort bleiben?«

»Nur ein paar Tage, die Beerdigung ist am Samstag.« Lenya schnitt den Rand von den Broten für die beiden Kleinen. »Gibst du mir bitte die Tomaten?«

Alexander reichte sie ihr, und sie wusch sie und richtete sie auf den Tellern an. »Du kennst diese Frau doch nicht einmal«, sagte er.

Die Worte ihres Vaters spukten ihr durch den Kopf. Vier Worte, die alles veränderten. Meine Schwester ist gestorben. Lenya hatte eine Familie. Ich weiß gar nichts über dich, antwortete sie ihrem Vater nun im Stillen, während ihr das Herz in raschen Schlägen ging und ein leichtes Zittern in ihren Atemzügen lag. Deine Schwester züchtet Pferde auf einem Gutshof in Aschendorf?, fragte sie ihn nun stumm, legte all die Bitterkeit hinein, zu der sie während des Telefonats schlicht nicht imstande gewesen war. Auf die Idee, dies deiner reitbegeisterten, mutterlos aufgewachsenen Tochter mitzuteilen, bist du bisher nicht gekommen?

»Bis heute wusstest du nicht einmal, dass dein Vater überhaupt Geschwister hat«, sprach Alexander ihre Gedanken laut aus. »Und jetzt willst du so überstürzt aufbrechen, um irgendeine Frau zu beerdigen, von der du gestern nicht einmal wusstest, dass sie existiert? Was dein Vater von einer weiteren Schwester erfahren hat, von deren Existenz du ebenfalls nichts wusstest.«

»Genau deswegen muss ich hin.« Er verstand es einfach nicht, konnte nicht nachvollziehen, wie sehr das Gespräch mit ihrem Vater sie aus der Bahn geworfen hatte. Da war sie, die Gelegenheit, endlich einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Darauf konnte sie unmöglich verzichten. Zudem stand sie ihrem Vater – aller Schweigsamkeit zum Trotz – sehr nahe. Seit ihrem zehnten Lebensjahr hatte er sie alleine großgezogen, und wenn er sie nun bat, ihn zu einer Beerdigung zu begleiten, dann sagte sie ohne lange Diskussionen zu.

»Ich kann...

Erscheint lt. Verlag 22.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Barbara Leciejewski • dunkles familiengeheimnis • eBooks • Emsland • Familiengeschichte • Familiensaga • Flucht und Vertreibung • Frauenromane • Gutshof • Liebesromane • Münsterland • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Romane für Frauen • Susanne Abel
ISBN-10 3-641-26573-8 / 3641265738
ISBN-13 978-3-641-26573-1 / 9783641265731
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