Gesammelte Dramen -  Anton Pawlowitsch Tschechow

Gesammelte Dramen (eBook)

Der Bär + Ein Heiratsantrag + Die Möwe + Onkel Wanja + Drei Schwestern + Der Kirschgarten
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2023 | 1. Auflage
Sharp Ink (Verlag)
978-80-282-8249-3 (ISBN)
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Anton Pawlowitsch Tschechow (1860-1904) war ein russischer Schriftsteller, Novellist und Dramatiker. Mit der für ihn typischen, wertneutralen und zurückhaltenden Art, Aspekte aus dem Leben und der Denkweise der Menschen in der russischen Provinz darzustellen, gilt Tschechow als einer der bedeutendsten Autoren der russischen Literatur. Inhalt:

Zweiter Aufzug


Ein Krocketplatz. Rechts im Hintergrund ein Haus mit großer Terrasse, links sieht man den See, in dem die sonne sich im Reflex spiegelt. Blumenbeete. Mittag. Es ist heiß.

Arkadina zu Mascha: Stehen wir mal auf. Beide erheben sich. Stellen wir uns nebeneinander. Sie sind zweiundzwanzig Jahre, und ich bin fast doppelt so alt. Jewgeni Ssergejewitsch, wer von uns beiden sieht jugendlicher aus?

Dorn: Sie natürlich.

Arkadina: Sehen Sie? Und woher kommt das? Weil ich arbeite, weil ich empfinde, ewig in Bewegung bin, während Sie immer auf einer Stelle sitzen und nicht leben. – Und dann hab' ich den Grundsatz, nie in die Zukunft schauen. Ich denke nie ans Alter, nie an den Tod. Was kommen muß, dem entgeht man nicht.

Mascha: Und ich habe das Gefühl, als wär' ich schon vor langer, langer Zeit geboren; ich schleife mein Leben hinter mir her wie eine endlose Schleppe … und oft verlier' ich alle Lust zu

leben. Setzt sich. Natürlich ist das alles Unsinn. Man muß sich ermannen, muß das alles von sich abschütteln.

Dorn singt leise: »O sagt ihr, meine holden Blumen ...«

Arkadina: Dabei halt' ich mich korrekt wie ein Engländer. Ich bin immer adrett, meine Liebe – Toilette, Frisur – alles comme il faut. Daß ich mir mal erlauben würde, in der Morgenjacke oder unfrisiert aus dem Hause zu gehen, wenn auch nur in den Garten … niemals! Das hat mich eben konserviert, daß ich nie salopp war, mich nie habe gehenlassen, wie so manche … Geht, die Arme in die Hüften stemmend, über den Platz. Da, sehen Sie – wie ein Vögelchen. Könnte ohne weiteres noch eine Fünfzehnjährige spielen.

Dorn: Das soll mich nicht hindern, trotz alledem in der Lektüre fortzufahren. Nimmt das Buch. Wir waren beim Krämer und den Ratten stehengeblieben ...

Arkadina: Und den Ratten. Lesen Sie. Setzt sich. Oder nein, geben Sie her – ich werde lesen. Ich bin an der Reihe. Nimmt das Buch und sucht Dorn mit den Augen. Und den Ratten … da … liest. »Und natürlich ist's für Leute von Welt ebenso gefährlich, Romanschriftsteller an sich zu ziehen und ihnen den Hof zu machen, wie etwa für den Krämer, in seinen Speichern Ratten zu züchten. Und dennoch liebt man sie. Und wenn eine Frau sich einen Schriftsteller erkoren hat, den sie an sich zu locken wünscht, so attackiert sie ihn erst mit Komplimenten, kleinen Liebenswürdigkeiten und Gefälligkeiten.« – Na, das ist bei den Franzosen so – bei uns dagegen gibt es nichts dergleichen, da geschieht alles ohne Programm. Bei uns ist eine Frau, bevor sie noch den Schriftsteller zu fesseln vermag, gewöhnlich schon selbst bis über die Ohren in ihn verschossen. Ja, meine Verehrten, Sie brauchen nicht weit zu suchen – nehmen Sie nur mich und Trigorin.

Ssorin kommt, auf einen Stock gestützt, und mit ihm zugleich Nina. – Medwjedenko schiebt den leeren Rollstuhl hinter ihnen her.

Ssorin liebkosend, wie man zu Kindern spricht: Wirklich? Wir haben also mal eine Freude? Sind also vergnügt am Ende? Zur Schwedter. Wir haben heute eine Freude! Der Vater und die

Stiefmutter sind nach Twer gefahren, und wir sind für ganze drei Tage jetzt frei.

Nina setzt sich neben die Arkadina und umarmt sie: Ich bin glücklich. Ich gehöre jetzt Ihnen.

Ssorin nimmt in seinem Rollstuhl Platz: Sie ist heute so hübsch.

Arkadina: So nett gekleidet, so interessant … Das ist vernünftig. Küßt Nina: Aber man darf sie nicht zu sehr loben, das bringt Unglück. Wo ist Boris Alexejewitsch?

Nina: Im Badehaus, er angelt.

Arkadina: Daß ihn das nicht langweilt! Will in der Lektüre fortfahren.

Nina: Was lesen Sie?

Arkadina: Maupassant. »Auf dem Wasser«, mein Herzchen. Liest ein paar Zeilen für sich. Nun, was weiter kommt, ist nicht interessant und nicht wichtig. Macht das Buch zu. Ich bin so unruhig. Sag mir, was ist mit meinem Sohn? Warum ist er so übel gelaunt und so schroff? Er verbringt ganze Tage auf dem See, und ich sehe ihn fast gar nicht.

Mascha: Ihm ist nicht wohl ums Herz. Zu Nina, schüchtern. Bitte, tragen sie uns etwas aus seinem Stücke vor!

Nina mit einem Achselzucken: Wollen Sie wirklich? Es ist so uninteressant!

Mascha mit verhaltenem Entzücken: Wenn er selbst etwas vorträgt, dann glühen seine Augen, und sein Gesicht wird ganz bleich. Er hat eine schöne, traurige Stimme; und Manieren – ganz wie ein Dichter.

Man hört Ssorins Schnarchen.

Dorn: Gute Nacht!

Arkadina: Petruschka!

Ssorin: Hä?

Arkadina: Du schläfst?

Ssorin: Bewahre!

Pause.

Arkadina: Du tust nichts für deine Gesundheit; das ist nicht recht; Bruder.

Ssorin: Ich möcht's schon, aber hier der Doktor will nicht.

Dorn: Was ist da viel zu machen bei einem Sechziger!

Ssorin: Auch ein Sechziger will noch leben.

Dorn ärgerlich: Ah! Nun, nehmen Sie Baldriantropfen.

Arkadina: Ich glaube, eine Badekur würde ihm guttun.

Dorn: Vielleicht – vielleicht auch nicht.

Arkadina: Daraus soll man klug werden.

Dorn: Was heißt klug werden, es ist doch alles klar.

Pause.

Medwjedenko: Pjotr Nikolajewitsch, Sie sollten das Rauchen lassen.

Medwjedenko: Unsinn.

Dorn: Nein, kein Unsinn. Wein und Tabak berauben den Menschen seiner Persönlichkeit. Nach einer Zigarre oder einem Glas Wein sind Sie nicht mehr Pjotr Nikolajewitsch plus noch jemand. Ihr Ich zerfließt gleichsam, und Sie verhalten sich zu sich selbst wie zu einer dritten Person, einem »Er«.

Ssorin lacht: Sie haben gut reden. Sie haben etwas von Ihrem Leben gehabt – und ich? Ich habe achtundzwanzig Jahre im Justizressort gedient, aber noch nicht gelebt, noch nichts erlebt, am Ende, und selbstverständlich habe ich da ein starkes Verlangen nach dem Leben. Sie sind gesättigt, gleichgültig geworden und neigen daher zur Philosophie – ich aber will leben und trinke darum Sherry zu Tisch, rauche Zigarren. So liegt die Sache.

Dorn: Man muß das Leben ernst nehmen – aber als Sechziger mit dem Kurieren anfangen und darüber jammern, daß man in der Jugend wenig genossen hat – das ist, verzeihen sie – Leichtsinn.

Mascha erhebt sich: 's ist wohl schon Zeit zum Frühstücken. Geht mit trägem, schleppendem Gange. Mein Bein ist eingeschlafen. Ab.

Dorn: Jetzt geht sie und trinkt noch vor dem Frühstück ihre zwei Gläschen.

Ssorin: Hat eben kein persönliches Glück, die Ärmste.

Dorn: Nicht so schlimm, Exzellenz!

Ssorin: Sie reden wie ein satter Mensch.

Arkadina: Ach, was kann's Langweiligeres geben als diese liebe ländliche Langeweile! Es ist heiß und still, kein Mensch tut etwas, alles philosophiert … Es ist ganz schön hier bei euch, meine Freunde, man hört euch mit Vergnügen zu, aber … in seinem Hotelzimmer sitzen und seine Rolle studieren – ist doch, weiß Gott, schöner!

Nina begeistert: Schön! … ich verstehe Sie.

Ssorin: Gewiß, in der Stadt ist's schöner. Man sitzt in seinem Kabinett, der Diener läßt niemand ohne Anmeldung vor, man hat Telefon … Droschken vor der Tür und so …

Dorn singt für sich. – Schamrajew tritt ein, hinter ihm Polina Andrejewna.

Schamrajew: Da sind unsere Herrschaften. Guten Tag! Küßt zuerst Frau Arkadina und dann Nina: die Hand. Sehr erfreut, Sie munter zu sehen. Zu Arkadina: Meine Frau sagte, Sie wollten heut mit ihr in die Stadt fahren. Stimmt das?

Arkadina: Ja, wir haben die Absicht.

Schamrajew: Hm … Das ist ja großartig, aber wie wollen Sie denn hinfahren, Verehrteste? Heut wird bei uns der Roggen geerntet. Alle Arbeiter sind beschäftigt. Welche Pferde wollen Sie nehmen, wenn ich fragen darf?

Arkadina: Welche Pferde? Wie soll ich das wissen?

Ssorin: Wir haben doch die Kutschpferde!

Schamrajew erwägt: Die Kutschpferde, so – und woher soll ich die Geschirre nehmen? Das ist ja wundervoll! Nicht zu glauben! Verzeihen Sie, Verehrteste – ich bewundere ihr Talent, bin bereit, zehn Jahre meines Lebens für Sie hinzugeben, aber Pferde kann ich Ihnen nicht geben.

Arkadina: Aber wenn ich fahren muß? Sonderbar!

Schamrajew: Verehrteste! Sie wissen nicht, was Wirtschaft heißt.

Arkadina aufbrausend: Die alte Geschichte. Dann reise ich noch heut nach Moskau ab. Lassen Sie für mich Pferde im Dorf besorgen, sonst geh' ich zu Fuß zur Bahnstation.

Schamrajew aufbrausend: In diesem Falle verzichte ich auf meine Stelle. Suchen sie sich einen anderen Verwalter. Ab. b

Arkadina: Jeden Sommer dasselbe. Jeden Sommer muß ich mich hier beleidigen lassen. Nie wieder setz' ich meinen Fuß hierher.

Ab nach links, wo das Badehaus angenommen wird; einen Augenblick später sieht man sie ins Haus eintreten, hinter ihr Trigorin mit Angeln und einem Eimer.

Ssorin aufbrausend: Das ist eine Unverschämtheit! Das ist – der Teufel weiß was! Ich hab'...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2023
Übersetzer Alexander Eliasberg, August Scholz, Korfiz Holm, Wladimir Czumikow
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 80-282-8249-0 / 8028282490
ISBN-13 978-80-282-8249-3 / 9788028282493
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