ludus draconis (eBook)

Das Drachenspiel
eBook Download: EPUB
2022 | 6. Auflage
495 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7565-5657-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

ludus draconis -  Anna von Thalheim
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Ist das bischöfliche Drachenspiel 'ludus draconis', das alljährlich um die Domburg und die Immunitätsinsel der Bistumsstadt Halberstadt herum als Prozession abgehalten wird nun ein beliebtes Freudenfest? Oder offenbart es hinter verborgenen Mauern seinen wahren berüchtigten Schrecken? Reisende lächeln lüstern. Ordensfrauen verschließen ihre Pforten, und die Bewohner der Stadt wünschen sich nichts sehnlicher, als den Drachen berühren zu dürfen. Jean stellt sich die Frage, ob er zu diesem Anlass unter den Scholaren des Johannisklosters den Einen findet, den er sucht. Der, der sich dort verborgen hält. Er sinnt auf Rache. Er umspinnt Katharina Trebeck mit vertraulichen Gesten und verschafft sich, verboten, Zutritt zum Kreuzgang des Stiftes unserer lieben Frauen und gerät dort an seine physischen und psychischen Grenzen, die erst ihr Ende finden als Jean längst nicht mehr damit rechnet. Es ist eine Episode beinahe vergessener Geschichte, in einem ganz untypischen 'historischen Roman', der die Düsternis seiner Zeit beleuchtet und die Schicksale dahinter in den Vordergrund rückt.

Ich lebe für's Schreiben.

Ich lebe für's Schreiben.


 



Hunde kläfften so urplötzlich, dass Jean aus dem Schlaf schrak.
Er blinzelte, erkannte die niedrige, bröckelige Zimmerdecke und sah an sich herab.
Katharina lag mit dem Gesicht eingekuschelt in den Falten seiner Cotte. Wirre weiche Locken bedeckten seinen Arm. Eine zartrosa Farbe zog sich über ihre Wangen. Sie schlief, geborgen und beschützt und seit langer Zeit friedlich und ohne Hunger.
Jean überlegte, wann er zuletzt so die Nacht verbracht hatte, in einem richtigen Bett, unter Decken, mit einem kleinen, zarten Körper schützend in den Armen.
Vorsichtig betrachtete er Katharina. Er wägte gleichzeitig das Gefühl ab, dass jetzt bei Tageslicht nicht nur Beschützerzwang in ihm wachrief.
Wie sie so lag, so entspannt, so vertraut, so hatte die fromme Theresa nie bei ihm gelegen. Das war eine völlig unbekannte Nähe. Es war, als hätte er sie gefunden, auf einem schier endlos erscheinenden wirren Weg. Sie, die Geborgenheit brauchte, die danach hungerte. Er, der sie ihr geben konnte, rein, freien Herzens.
Vorsichtig zog er die Decken weiter über ihre Schultern. Sie bewegte sich, grub die Nase tiefer in seine Wärme und seufzte genüsslich.
Jean lächelte. Sie war wie ein Mädchen.
Dann schlug sie die Augen auf, völlig unverhofft, rückte mit dem Kopf etwas von seiner Cotte ab, legte die Hand tastend gegen den Stoff und sah auf, direkt tief in ihn hinein.
Durch Jean zuckte ein Funken Glück und ihr sanftes Lächeln ließ ihn zufrieden ihre Wange streicheln. Sie musterte ihn, schob sich wieder näher und schmiegte sich in seine Handfläche
Ihr Blick senkte sich weg von seinen Augen. Sie warte auf zärtliche Worte und im nächsten Moment bereits legte er sinnlich seine Lippen auf die Ihren, versuchsweise. Ein Schauer ließ ihn zittern und bevor er wusste, wie ihm geschah, schob sich schon seine Hand um ihrem Hals. Er war gefangen, überrumpelt.
Ein heftiger Schub Leidenschaft zwang ihn, den Kuss zu vertiefen, intensiv, verführerisch.
Ihre Lippen versetzten ihn in einen ungekannten Rausch, vermischt mit völlig abstrusen Gefühlen. Seine Hände strichen über verbotene Zonen hinein in ihre Locken, verankerten sich dort, führten sie. Wärmedurchflutende Zärtlichkeit floss durch seinen Körper, versenkte sich in den Abgründen seines Martyriums. Taumelnd erkannte er die Macht, die dieses neue Gefühl besaß.
Etwas riss schmerzvoll in seiner Brust und keuchend fand er heraus.
Kaum einen Zentimeter von sich entfernt hielt er Katharina. Er sah auf berauschende Lippen, in Augen, die tiefgrün wie Seen waren, die selbst überrascht und verwirrt nach einem Verstehen suchten.
Er wartete, wartete, bis die Pein abflaute, bis sein Puls sich wieder beruhigte, hielt sie, damit sie blieb.
„Guten Morgen!“, hauchte er und gab ihr ein Lächeln, das sie genauso liebevoll erwiderte.
Sie musterte ihn, legte den Kopf in seiner Hand etwas schief, so dass sie einen anderen Blick auf ihn hatte.
„Guten Morgen!“
Vorsichtig legte er sie zurück, befreie sich aus ihrem Haar.
Der Zauber brach.
„Ich mache Feuer. …Bevor wir erfrieren!“, raunte er.
Sie nickte einverstanden.
Umständlich befreite er seine Glieder aus den Decken. Sie kicherte, weil er sich wiederholt verfing.
Befreit erhob er sich, stand vor ihr und lächelte ebenfalls.
Fürsorglich bettete er sie.
Wie erwartet fand sich etwas Glut. Bedacht entfachte er sie mit etwas Reisig.
„Es ist noch Hühnchen da.“, hörte er Katharina und er nahm die Suche, mit dem Hinweis ihres ausgestreckten Armes, der in die Richtung eines schmalen Schrankes führte, auf.
Er fand das Huhn, sorgfältig abgedeckt, daneben ein eiserner Kessel mit der Brühe.
Hunger meldete sich.
„Habt ihr ein Laib Brot im Haus?“
Sie verneinte, errötete.
Mit einem tiefen Seufzer kniete er sich vor dem Bett nieder und betrachtete sie eingehend.
Betroffen wich sie aus.
„Ihr müsst etwas ändern, ganz dringend!“
„Ich weiß nicht. …Wie?“
„Bittet seine Exzellenz um eine feste Anstellung in seinem Haushalt.“
Sie wehrte resigniert ab, beschämt. Es stimmte sie verzweifelt.
„Tut es! Er wird euch anhören. Er ist ein gerechter Mann.“
Jean wollte ihren Einwurf ignorieren, aber so etwas wie Eifersucht oder Wut, oder eine Mischung aus Beidem, machten Katharina klar, dass er Recht hatte.
„Ihr könnt hier auf der Domburg ein Brot erstehen.“, gab sie nach. „Heute ist Hilariustag und großes Markttreiben. Die Händler werden bereits ihre Buden bauen.“
„Hilarius!“
Für Jean kam es wie aus einer anderen Zeit. Sein Vorhaben rückte wieder in sein Bewusstsein. All das, wozu er hergekommen war. Nicht Katharina, nicht ihre Notlage, nicht seine Sorge.
Er musste Hannah fortschaffen, seinen Platz an der Mauer, am Rande der Prozession einnehmen, alles beobachten, später einen Weg in die Stiftskirche finden und dann endlich, endlich richten.
Er sah nach dem Feuer, legte Scheite hinein.
Mit einem Zwinkern verabschiedete er sich, um die ersten Eindrücke des Tages aufzusaugen.


Der Morgen brachte wieder Nebel. Aber Jean achtete nicht darauf.
Das große Tor, das den Aufgang zur Domburg begrenzte, war verschlossen. Somit blieb jedem, der hinauf wollte nur einer der anderen Zugänge.
Sich den Mantel umschlagend, lief Jean an der Stiftskirche vorbei und sobald er sich dem Plateau zwischen St. Stephanus und St. Maria näherte, erkannte er das Durcheinander aus Menschen, Vieh, bunten Tüchern, das Wirrwarr aus Stimmen, aufgeregten Tierlauten und verschiedensten Gesängen.
Umso näher er kam, umso größer wurde das Spektakel.
Er blieb kurz stehen, orientierte sich und bekam das ganze Ausmaß seltsamer, angespannter Euphorie. Das Treiben um ihn beinhaltete eine Mischung aus Geschrei und Gelächter. Die Kälte schien die Leute gar nicht zu beeindrucken. In Fellmäntel gehüllt, unter dicken Kapuzen verborgen, verrichteten sie den Beginn ihres Markttages.
Bevor Jean sich in das chaotische Getümmel stürzte, suchte er nach einem halben Silberling, der ihm von einem der Händler in zwölf Vierlings-Stephanspfennige gewechselt wurde, wie dieser die hiesigen Hohlpfennige nannte. Er erkannte die Inschrift und den Heiligen Stephan, das Wahrzeichen der Stadt. Er dankte dem Mann, der ihm einen außerordentlich, vergnüglichen Tag wünschte. Er erstand wenig später an einem der hinteren Buden ein Pfund Brot, frisch und duftend. Auf seinem Rückweg nahm er den Bogen über die Westfront der Domburg. Hier hatten sich Plunderleute niedergelassen. Ihm wurde mit blumigen Worten getragene Kleidung angeboten, Mäntel, dicke Röcke, ausgetretenes Schuhwerk; aber Jean währte dankend ab.
Vorausschauend nahm er den Aufbau der Buden in seinem Gedächtnis auf. Seine Umgebung kennen lernen, war nie von Nachteil.
Zufrieden, mit einem schiefen Seitenblick auf die Pforte am Kreuzgang zur Stiftskirche, schlenderte er zurück zu Katharina.
Auf dem Hof erkannte er die zeternde Stimme Hannahs, die bockig mit der Mutter stritt.
Obwohl Jean in seinem alten Zwängen gefangen war, driftete ein Bedürfnis hin zu den beiden.
Mit einem stillen Stoßgebet im Kopf klopfte er an.
Ihm wurde die Tür geöffnet und eine vor Wut sich die Haare raufende Hannah floh zurück ins Innere des Hauses.
Ohne ein Willkommen trat er ein.
Seine stumme Frage beantwortete Katharina mit einem genervten Augenrollen.
„Jean sag du ihr, dass ich zu Dechant Wulbrecht gehen muss. Weil ich doch mein Zeugnis abholen darf. …Mutter will es nicht! Ich soll mit dir gehen, aber ich wollte doch unbedingt die Gaukler sehen. Jean, …ich will doch die Gaukler sehen!“
Sie maulte und schien den Tränen nahe.
Jean ließ sie stehen, legte das Brot auf den Tisch neben die vier Silberlinge der letzten Nacht.
Weder das Eine noch das Andere tangierte das Mädchen. Es stand in der Ecke, die Arme schmollend vor der Brust verschränkt.
Ihm kam ihre Vehemenz wieder in den Sinn, als Katharina von dem Wunsch nach Bildung sprach. Sie kämpfte.
„Hör auf deine Mutter!“
Nachsichtig nickte er ihr zu, aber sie wandte sich brüsk ab.
„Wie verläuft dieses heilige Fest?“, fragte er dann an Katharina gewandt, die sich während seiner Abwesenheit gekleidet und ihr Haar unter einer reinlichen Kappe verborgen hatte.
Auf seine Musterung reagierte sie mit einem warnenden Seitenblick auf Hannah und er fühlte sich ertappt.
„Die Gaukler bieten ihr Schauspiel dar und Spiele werden angeboten, bei denen man gar nichts bezahlen muss!“, antwortete Hannah aus ihrer Ecke mit einem scharfen Blick auf die Mutter.
Jean ignorierte es.
Katharina gab seufzend nach.
„In Halberstadt ist es so, dass man an diesem Tag die Stadträte wählt. Alle zwei Jahre. Dieses Jahr ist es nicht so. Es gibt lediglich eine Ratsversammlung. Findet die Wahl statt, werden die 8 Räte bekannt gegeben und sie zeigen sich anschließend bei einem Umzug durch die Stadt. Auch den Domplatz verschonen sie nicht. Das haben sie beim Dompropst durchgesetzt, gemeinsam mit den Markttreibenden, weil dort das meiste Publikum zu finden ist. Gegen Mittag versammelt sich der Klerus, seine Exzellenz, sein Staat, das gesamte Domkapitel und der Stab der Kanoniker des Hochstiftes neben der Barbara-Kapelle.
Von dort aus beginnt die Drachenprozession, ein Spiel, dass seit vielen, vielen Jahren den Klerikern vorbehalten ist. Währenddessen ruht der Markt. Erst wenn die Prozession die Domburg durch das Düstere Tor unter den Zwicken verlassen hat, dürfen die Schausteller und Händler ihre Geschäfte fortführen.“
„Dann nimmt der Tross den Weg um die Burg herum und anschließend,...

Erscheint lt. Verlag 6.12.2022
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Drache • Keuschheit • Kirche • Kloster • Missbrauch • Mittelalter • Mord
ISBN-10 3-7565-5657-3 / 3756556573
ISBN-13 978-3-7565-5657-1 / 9783756556571
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