Die Reporterin - Zwischen den Zeilen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
416 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-25526-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Reporterin - Zwischen den Zeilen -  Teresa Simon
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Eine junge Frau kämpft für ihren großen Traum
Mai 1962: Marie Graf ist Anfang zwanzig und lebt ihr Leben so, wie von den Eltern geplant. Heimlich jedoch hat sie einen Traum: Sie will Reporterin werden. Sie will schreiben, informieren, aufrütteln. Als die neu gegründete Zeitung Der Tag ihr ein Praktikum anbietet, kann sie ihr Glück kaum fassen. Doch Marie muss sich jeden Schritt ihres Weges hart erkämpfen, sich gegen egozentrische Kollegen, schwierige Interviewpartner und ihre eigenen Eltern durchsetzen. Dank der Hilfe ihres Mentors beim Tag bekommt Marie die Gelegenheit, Größen wie Pierre Brice und Hildegard Knef kennenzulernen. Aus ihr wird Malou Graf, Gesellschaftskolumnistin. Doch der Erfolg im Beruf hat Schattenseiten, nicht zuletzt für Malous Liebesleben. Und dann ist da noch ein Familiengeheimnis, das alles zerstören könnte, was sie sich so mühsam aufgebaut hat ...

Teresa Simon ist das Pseudonym der promovierten Historikerin und Autorin Brigitte Riebe. Sie ist neugierig auf ungewöhnliche Schicksale und lässt sich immer wieder von historischen Ereignissen und stimmungsvollen Schauplätzen inspirieren. Die SPIEGEL-Bestsellerautorin ist bekannt für ihre intensiv recherchierten und spannenden Romane, die tiefe Emotionen wecken. Ihre Romane »Die Frauen der Rosenvilla«, »Die Holunderschwestern«, »Die Oleanderfrauen« und »Glückskinder« wurden alle zu Bestsellern.

ZWEI


Juni 1962


Marie war schon fast aus der Küche, da fiel ihr Blick auf den Brotkasten, an dem ein heller Umschlag lehnte.

»Ist schon vorgestern angekommen«, sagte ihre Mutter und legte das Silberpoliertuch zur Seite. Feiertage wie diesen nutzte sie gern zu umfangreicheren Hausarbeiten, zu denen ihr sonst die Zeit fehlte, allerdings nicht ohne sich dabei lauthals darüber zu beklagen, dass immer alles an ihr hängen blieb. »Ich muss den Brief ganz in Gedanken eingesteckt haben. Klär mich doch bitte mal auf: Wer oder was ist dieser Absender – DJ

Deutsche Journalistenschule.

Die Antwort war da!

Marie wurde heiß und kalt zugleich, als sie das Schreiben hastig an sich nahm. Jetzt musste sie nur noch zusehen, die Wohnung so schnell wie möglich zu verlassen, um es ungestört lesen zu können.

»Nichts Wichtiges«, erwiderte sie und war froh, dass ihre Stimme halbwegs normal klang. »Allerdings wäre es mir lieb, wenn ich meine Post zukünftig gleich bekommen könnte.«

»Musst du dich jetzt bei allem aufregen, was von mir kommt?« Maries Mutter klang vorwurfsvoll. »Manchmal weiß ich ja kaum noch, was ich sagen soll! Ich erkenne dich gar nicht wieder, Marie. Wir haben uns doch immer so gut verstanden. Was ist nur in dich gefahren?«

Ja, das Eis, auf dem die beiden Frauen sich bewegten, war nach jener Nacht im Kolibri dünn geworden, und hätte Karin Graf gewusst, dass die Tochter seitdem so manchen Nachmittag keineswegs vor pharmazeutischen Versuchsanordnungen, sondern im gemütlichen Café Schneller hinter der Uni verbrachte, wäre es garantiert längst eingebrochen. Marie liebte diese gestohlenen Stunden in dem leicht dämmrigen Café, wo eigentlich nur noch ihre Schreibmaschine fehlte, um sich dort vollständig glücklich zu fühlen. Aber sie hatte stets ihr Notizbuch dabei, in das sie kleine Beobachtungsskizzen notierte, um sie später zu Hause weiter auszubauen. Es wimmelte hier nur so von skurrilen Persönlichkeiten – wie der Mann in den bunten Frauenkleidern, der mit Falsettstimme Lieder vortrug, oder die alte Dame, die erstaunliche Ähnlichkeit mit ihren beiden Möpsen besaß und sich lautstark mit ihnen in einer Fantasiesprache unterhielt.

Was hätte Maries Mutter wohl dazu gesagt?

Jetzt verplemperst du auch noch deine Zeit mit sinnlosem Herumsitzen oder etwas Ähnliches wahrscheinlich, daher sollte sie besser nichts davon erfahren.

»Ich mach mich jetzt auf den Weg zu Onkel Julius«, sagte Marie. »Wartet nicht auf mich. Könnte spät werden.«

»Aber wir wollten ihn doch ohnehin am Sonntag alle zusammen besuchen …«, hörte sie noch im Gehen.

Draußen schwang Marie sich auf ihr Fahrrad und fuhr los, langsamer als sonst, denn es war drückend heiß. Am Nymphenburger Kanal hielt sie an und suchte sich beim Hubertusbrunnen eine freie Parkbank im Schatten. Mit zitternden Händen riss sie den Brief auf.

»… müssen wir Ihnen leider mitteilen, dass Sie nicht unter den Kandidaten für die nächste Bewerbungsrunde sind …«

Sie musste die knappen Zeilen ganze drei Mal lesen, erst dann war ihr Gehirn in der Lage, die schlechte Nachricht aufzunehmen.

Der Brief sank auf ihren Schoß.

Wie hatte sie sich nur einbilden können, gut genug für diese Eliteausbildung zu sein? Natürlich hatte sie immer wieder an ihren Fähigkeiten gezweifelt – und doch gleichzeitig insgeheim so sehr gehofft, dort angenommen zu werden. Alles, alles in ihrem Leben hatte sie verändern wollen, und nun diese Abfuhr! Wenn sie das Pharmaziestudium schmiss, blieb ihr erst einmal nur der Alltagstrott in der Drogerie. Tag für Tag unter Mamas kritischen Blicken die Kunden zu bedienen und zugleich Papas abgrundtiefe Enttäuschung zu ertragen, weil sie aus freien Stücken aufgab, wonach er sich selbst ein Leben lang vergeblich gesehnt hatte …

Marie fröstelte bei dieser Vorstellung.

Auf der Nachbarbank saß ein innig knutschendes Pärchen, eine Bank weiter fütterte eine ältere Frau die Enten mit Brotresten. Ein Windhauch fuhr durch die Bäume. Alles um Marie herum war friedlich, nahezu idyllisch, nur in ihr selbst herrschte eisige, dunkle Leere.

Was nun? Sich einfach in den nächsten Zug setzen und alles hinter sich lassen?

Italien, ihr Sehnsuchtsland, erschien Marie verlockender denn je. Dabei war sie bislang nur bis zum Gardasee gekommen, wohin sie nach dem Abitur für ein paar Tage gefahren war. Obwohl diese kleine Reise schon drei Jahre zurücklag, war alles noch immer so lebendig in ihr gespeichert, als sei es erst gestern gewesen: der blaue See, die Berge, die bei einsetzender Abenddämmerung wie ein geheimnisvoller Scherenschnitt wirkten, die weiche Luft, aromatisiert von Blütenduft und würzigem Pinienaroma, sowie der Nachklang von Spaghetti und Rotwein auf der Zunge. Was hinderte sie daran, diesen Traum endlich wahr werden zu lassen, jetzt, wo ihr anderer Traum mit einem Schlag zerstört war?

Onkel Julius zum Beispiel, der sie bestimmt schon sehnsüchtig erwartete.

Marie stopfte den Brief in ihre Handtasche, ging zurück zum Fahrrad und stieg wieder auf. Sie fuhr noch ein Stück den Kanal entlang, dann bog sie ab und steuerte das Seniorenheim an, in dem ihr Großonkel seit einigen Jahren lebte.

Sie wusste, wie unendlich schwer es ihm gefallen war, seine Eigenständigkeit aufzugeben und sich professioneller Pflege anzuvertrauen. Doch eine fortschreitende Makula-Erkrankung erst auf dem einen, dann auch auf dem zweiten Auge hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Julius Schwan, daran gewöhnt, mit präzisesten Mengenangaben zu hantieren, musste ertragen lernen, dass seine Welt zunehmend verschwamm. Irgendwann war er in seinem Häuschen nachts die Treppe hinuntergestürzt und hatte sich dabei einen komplizierten Knietrümmerbruch zugezogen. Es hätte noch weitaus schlimmer ausgehen können, aber auch so war er seitdem niemals wieder richtig auf die Beine gekommen. Sein Kopf jedoch funktionierte so schnell und klar wie eh und je, und sein trockener Humor war nach wie vor unwiderstehlich. Alle im Seniorenheim schätzten ihn, Marie jedoch hing mit zärtlicher Liebe an ihm. So war es schon gewesen, als sie mit den ersten unsicheren Schritten zu ihm getapst war und ihre kleine Hand in seine große gelegt hatte. Für Marie war er der Großvater – der einzige, den sie hatte. Sie war erst drei gewesen, als die Eltern ihres Vaters 1943 den britischen Bombenangriffen auf München zum Opfer gefallen waren, und der Vater ihrer Mutter war bereits vor ihrer Geburt in Schlesien verstorben. Onkel Julius aber war immer da gewesen, seit sie denken konnte, und verstand sie bis heute wie kein anderer. Manchmal hatte sie das Gefühl, er könne in ihr lesen wie in einem offenen Buch.

Julius Schwan ruhte auf dem schattigen Balkon in einem Liegestuhl, als Marie sein Zimmer im zweiten Stock betrat, ausgestattet mit einigen der liebevoll restaurierten Biedermeiermöbel und zahlreichen silbergerahmten Fotografien, die auch schon sein früheres Zuhause geziert hatten. Für einen Moment erschrak sie. Wie zerbrechlich er im Schlaf aussah, die silbernen Haare auf dem Kissen licht wie die eines Babys.

Der alte Mann schlug die Augen auf, als sie zu ihm trat. Sie waren nicht mehr so leuchtend blau wie früher, sondern inzwischen weißlich verwaschen.

»Du riechst aber gut, Malou«, sagte er schnuppernd. »Wie ein warmer Sommertag. Und wie schön dein Kleid knistert! Rot ist es, richtig? So viel kann ich gerade noch erkennen.«

Malou – der Name, der nur ihnen beiden gehörte. Marie liebte es, wenn er sie so nannte.

»Wie geht es dir?«, erkundigte sie sich, froh darüber, wie fest ihre Stimme klang. »Und natürlich hast du es richtig erkannt – ich bin heute ganz in Rot.«

»Wie soll es einem alten Knochen wie mir schon gehen? Sehen kann ich kaum noch was, Laufen wird zunehmend zum Problem, nur die Nase ist noch halbwegs zu gebrauchen – und zum Glück auch meine Ohren. Komischerweise wachsen die immer weiter. Keine Ahnung, wohin das noch führen wird! Vielleicht findest du ja eines Tages statt meiner einen Elefanten im Zimmer …« Er grinste verschmitzt, wurde jedoch schnell wieder ernst. »Was ist los, meine Kleine? Ich hör doch ganz genau, dass dich etwas bedrückt. Lass uns zusammen einen schönen Tee trinken, und dabei erzählst du mir, was es ist.«

Marie holte die Teekanne, die schon im Zimmer bereitstand, und füllte zwei Tassen.

»Kuchen?«, fragte sie, während sie sich einen Klappstuhl heranzog.

»Aber immer! Agnes, die treue Seele, war so lieb, mir gestern ihren herrlichen selbstgebackenen Nusszopf vorbeizubringen. Steht drinnen zugedeckt auf der Kommode. Was täte ich nur ohne sie? Selbst bei dieser Hitze schwingt sie das Nudelholz für mich.«

Marie schnitt von dem Kuchen ab. Dabei fiel ihr Blick auf die Fotos im Silberrahmen, die sie immer wieder gern betrachtete: Mama und Papa als Hochzeitspaar, ein süßes Babyfoto von ihr, drei junge Männer in Seglerkluft – Onkel Julius mit seinen Cousins Franz und Gustl, der eine dunkel, der andere blond.

Wie jung er damals noch gewesen war!

Ein hübscher Mann mit einer kecken Himmelfahrtsnase.

Jetzt war er alt und auf ihre Hilfe angewiesen. Marie brachte ihm das Gewünschte. Julius kostete zunächst und verzehrte danach zwei Stücke mit sichtlichem Genuss, während sie ihres auf dem Teller nur zerkrümelte.

Anschließend lehnte Julius sich mit einem behaglichen Seufzer zurück.

»Und jetzt raus damit: Was liegt dir auf der...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2023
Reihe/Serie Die Reporterin-Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Bestsellerautorin • Die Frauen der Rosenvilla • Die Holunderschwestern • Die Lilienbraut • Die Oleanderfrauen • eBooks • Familiengeheimnis • Frauenromane • Geschenk Frauen • Glückskinder • Große Liebe • Historische Liebesromane • Historische Romane • Liebesroman • Liebesromane • München • Neuerscheinung • Reporterin • Roman 60er • Romane für Frauen • Roman Familiengeheimnis • Roman Journalistin • Roman Neuerscheinungen 2023 • Roman Sechziger • Sechzigerjahre • Starke Frauen • Teresa Simon neuer Roman
ISBN-10 3-641-25526-0 / 3641255260
ISBN-13 978-3-641-25526-8 / 9783641255268
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