Sag Alex, er soll nicht auf mich warten (eBook)

Roman - Von einer wahren Freundschaft in Zeiten des Krieges

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
368 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-28676-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sag Alex, er soll nicht auf mich warten -  Irene Diwiak
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Von einer wahren Freundschaft in Zeiten des Krieges
München, 1941. Die zwei Studenten Hans und Alex scheint auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu verbinden - bis sie eines Tages den Wehrsport schwänzen, um über Kunst und Literatur zu diskutieren anstatt Appell zu stehen. Von da an entwickelt sich zwischen den beiden eine tiefe Freundschaft und Hans wird gern gesehener Gast auf Alex' Debattierpartys. Doch ihr ständiger Alltagsbegleiter ist der Krieg. Und immer stärker brodelt in ihnen der Wunsch, ihre Stimme dagegen zu erheben. Aber ihr Vorhaben ist gefährlich. Vor allem als Hans' jüngere Schwester Sophie nach München zieht, die unter keinen Umständen von ihrem Plan erfahren darf ...

Irene Diwiak erzählt von einer wahren Freundschaft, von der wir noch nie auf diese Weise gelesen haben. Eine Geschichte der »Weißen Rose«, die nicht von ihrem Ende handelt, sondern von ihrem ganz besonderen Anfang - ergreifend, klug und nahbar.

Irene Diwiak, geboren 1991 in Graz, ist eines der großen Erzähltalente ihrer Generation. Für ihre literarischen Texte sowie ihre Theaterstücke wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihr Debütroman »Liebwies« stand bereits auf der Shortlist für den Debütpreis des Österreichischen Buchpreises. Es folgten ihre Romane »Malvita« sowie »Sag Alex, er soll nicht auf mich warten«.

Sommer 1941.


Seltsam, denkt Hans, vor nicht allzu langer Zeit wäre ihm ein Tag wie dieser noch als ideal erschienen. Das frühe Aufstehen in der Kaserne, traute Kameradschaft, sich waschen aus eisernen Schüsseln, einer neben dem anderen, auch das ist Vagabundentum. Das Anziehen der Uniform und die Hoffnung auf eine bessere irgendwann, auf Rang und Namen. In Stille beten während des Frühstücks, schlechter Kaffee und trockenes Brot, auch das ist Fasten. Dem Herrn für alles danken und um einiges bitten, dann ab in die Universität und den Vormittag in geistiger Betriebsamkeit verbringen. Hans hat mehr Fächer belegt als alle, die er kennt. Der Mensch besteht ja nicht aus Haut, Knochen und Blut allein, da reicht die Medizin nicht aus, um den Menschen als Ganzes zu erfassen. Am liebsten sitzt Hans bei den Philosophen im Vorlesungssaal. Dem Führer ist es schnurzegal, ob man etwas lernt oder nicht, solange man nur ja pünktlich zur Wehrsportübung erscheint, ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper und so weiter. Körperliche Ertüchtigung an der frischen Luft wie früher mit den Jungens in Ulm. Abends dann an ein Mädel schreiben, irgendeines. Patriotische Lieder singen. Keine Zeit für Trübsal.

Wie sich ein Mensch verändern kann, und dabei sind nur wenige Jahre vergangen.

Hans tritt in die Pedale. Jedes Mal kostet es ihn ein wenig mehr Mühe, das Fahrrad ist alt, er muss bald ein neues kaufen, und würde er nicht jede Reichsmark, die ihm in die Finger kommt, beim Buchhändler auf dem Tresen liegen lassen, hätte er das Geld sicher schon beisammen. Aber gerade die philosophischen Werke sind so unglaublich teuer und so wahnsinnig interessant, da muss er eben noch etwas länger auf dem alten Drahtesel hocken. Wenn man nur mehr Zeit zum Lesen hätte und der Staat einem nicht ständig im Nacken säße.

In der Ferne hört Hans Kirchenglocken, ein einzelner harter Schlag, die Mittagsstunde ist vorüber. Er tritt fester in die Pedale, immer fester, das Fahrrad scheint davon aber unberührt, es wird nicht schneller. Er fragt sich, ob es technisch möglich ist, dass sein eigener Widerwillen sich auf die Räder unter ihm überträgt und ihn ausbremst. Technisch vielleicht nicht, möglich ist es trotzdem. Ein paar Mädchen grüßen und winken lauthals vom gegenüberliegenden Gehweg herüber, Hans dreht sich nach ihnen um, nein, die kennt er nicht, kommt dabei ein wenig ins Wanken und fährt fast einen Zeitungsstand nieder. Was grüßen die so? Ach ja, er trägt die Uniform. Dumme Puten, wegen denen wäre er fast hingefallen. Sind aber noch ganz jung und im festen Glauben, ein jeder Soldat ist ein Held oder zumindest ein toller Hecht. Dumme Puten und dummer Zeitungsstand, der ihnen das mit seinen fetten Schlagzeilen und den feschen Kerlen auf den Frontseiten überhaupt erst eingebläut hat. »Unsere glorreiche Wehrmacht im Osten«, »unsere glorreiche Wehrmacht im Westen«, unsere glorreiche Wehrmacht hier und dort und überall. Und ein winzig kleiner Teil dieser Wehrmacht wäre jetzt beinahe höchstpersönlich in den Zeitungsstand hineingekracht. Die Mädchen auf der anderen Seite drüben kichern nicht einmal, die sind einfach weitergegangen. Doch kein so toller Hecht. Der Standbesitzer schimpft, einen Stapel Zeitungen hat Hans bei seinem Manöver vom Verkaufstisch gefegt. Der Völkische Beobachter, ausgerechnet. Sollen die Blätter ruhig liegen bleiben im Dreck, Hans ist ohnehin knapp dran. Zu spät bei der Wehrsportübung erscheinen, das ist ganz und gar undeutsches Verhalten, das wird streng geahndet. Der Zeitungsmann schwingt noch kurz und eher komisch als bedrohlich die Faust über dem Kopf, wie ein gehörnter Ehemann im Bühnenschwank, aber die Mühe, das lahmende Fahrrad zu verfolgen, macht er sich dann doch nicht. Der Völkische Beobachter ist diese Anstrengung nicht wert, da scheint er vielleicht gar nicht so anders zu denken als Hans.

Natürlich hätte Hans es sich auch leichter machen können. Die anderen aus seiner Kompanie rauchen jetzt im Kasernenhof, der vor dem Krieg noch ein Schulhof gewesen ist, gerade ihre letzten Zigaretten und machen sich dann in aller Gemütlichkeit auf den kurzen Weg zum Sportplatz hinüber. Hans aber ist über Mittag nicht wie alle anderen in die Kaserne ins Westend zurückgekehrt. Für sein Studentenzimmer zahlt er trotz vorgeschriebener Kasernierung immer noch Miete, irgendwo muss man ja die vielen Bücher unterbringen und zwischendurch auch sich selbst, wenn man es sonst nicht mehr aushält. In seinem Zimmer hat er wenigstens Ruhe, und durch das Fenster kann er in den Blumengarten der Nachbarin blicken. Es blüht jetzt nicht mehr allzu viel, aber herrlich grün ist es doch, und außerdem genießt Hans jeden Augenblick, der ihm nicht von oben vorgeschrieben wird. Und zur Strafe dafür kommt er jetzt ordentlich ins Schwitzen. Unerhört gutes Wetter eigentlich für Zeiten wie diese. Als würde die Sonne alles billigen, was auf der Erde so passiert. Na, wenigstens kann sie nichts dafür.

Hans lässt das Fahrrad achtlos in die Büsche fallen nahe des Kasernentors. Wenn’s ihm gestohlen wird, ist es ein kleiner Verlust verglichen mit dem Disziplinarverfahren, das ihn mit großer Sicherheit sein nächstes freies Wochenende kostet. Bei dieser Wetterlage muss man auf den Jochberg rauf oder an den Starnberger See, man darf seine Zeit nicht einfach in der dunklen Kaserne versitzen, das darf man seiner Seele nicht antun.

Als Hans am Sportplatz ankommt, steht noch niemand in Habachtstellung, kein bellendes Kommando durchschneidet die schwüle Sommerluft, er hat es geschafft, er ist pünktlich. Noch ist da kein Heer, noch ist da nur ein Haufen junger Leute. Ein Schulhof wie früher, allerdings mit sehr großen Kindern, deren Mütter sie zufällig alle gleich angezogen haben. Die einen plaudern und lachen, die anderen kicken eine Dose hin und her, ein paar Übermotivierte messen sich im Armdrücken und machen Liegestütz um die Wette, nur wenige stehen etwas abseits und wirken in der Masse so verloren wie er selbst. Allzu lang kann Hans allerdings nicht verschnaufen, da wird schon zum Appell gebrüllt. Auf der Stelle werden die Studenten zu Soldaten, stehen stramm. Wenn wir sonst schon nichts lernen in dieser Welt, uns in schnurgeraden Linien aufstellen können wir sekundenschnell. Wer weiß, wann man’s noch brauchen kann. Der Kommandant kontrolliert die Anwesenheiten von A bis Z, bis zum S ist es lang. Was man Zeit vertun kann.

Aberer? – Jawohl! Achleitner? Jawohl! – Biedermann? Jawohl!

Was man Jugend verschwenden kann.

Scholl? – Jawoll!

Was für ein dummer Reim, und nie schafft er es, das »o« im »Jawohl« ordentlich zu dehnen, um diesen Kalauer zu umgehen, das hat er sich doch vorgenommen. Auch egal. Weiterstehen und starren bis Z.

Als endlich der letzte Name aufgerufen und die Gruppeneinteilung für die geplante Übung erfolgt ist, machen sich alle wie befohlen auf zu ihren Abschnitten. Hans’ Nebenmann jedoch, Hans hat ihn bisher kaum wahrgenommen, schert aus. Geht einfach weg. Und keiner sonst scheint etwas zu bemerken, jetzt, wo alles in Bewegung ist, geht der einfach auf das Waldstück zu, übersteigt die niedrige Sportplatzumzäunung mühelos mit seinen langen Beinen und verschwindet dahinter mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre es der Kommandant höchstpersönlich gewesen, der ihm dieses Davonstehlen aufgetragen hat. Hans denkt nach. Denunzieren? Wozu? Um dem System zu dienen? Dass ich nicht lache. In Ruhe lassen? Das wäre möglich, aber dann gewinnt doch die Neugier. Eben hätte er noch bereitwillig sein Fahrrad geopfert, um einer möglichen Strafe zu entgehen, jetzt riskiert er eine viel höhere ohne jeden Grund. Blickt sich noch einmal um, alle scheinen beschäftigt, keiner aufmerksam, auch der Kommandant nicht. Hans holt noch einmal tief Luft und marschiert dem anderen hinterher, über das Zäunchen in den Wald hinein, in die Freiheit.

Da sitzt er schon, der lange Kerl, im Schatten eines Baumes, Hans den Rücken zugekehrt. Weit ist er ja nicht gewandert, gerade dem Sichtfeld des Sportplatzes entschwunden hat er sich schon niedergelassen auf seiner Uniformjacke, die wie eine Picknickdecke auf dem Waldboden ausgebreitet liegt. Da kauert er jetzt im Ruderhemd, Hans kann es nicht genau erkennen: Liest er? Komischer Kauz. Vorsicht sieht anders aus. Wahrscheinlich blättert er in einem dieser Schundhefte, die sie in der Kaserne so gerne herumreichen, reine Papierverschwendung, wenn man Hans fragt. Nerven hat der schon, den Wehrsport zu schwänzen für so einen Mist, und doch, Hans tritt näher. Das trockene Geäst knirscht ein wenig unter seinen Stiefeln, der andere scheint ihn nicht zu hören und blättert unverdrossen weiter. Über dessen Schulter hinweg kann Hans jetzt endlich erkennen, was er liest. Kein Heft ist es, sondern ein Buch, und was für eines, ein prächtiger Bildband. Die auf den Fotos Dargestellten tragen zwar wie erwartet alle keine Kleider, aber das müssen sie auch nicht, sie sind aus Stein.

Rodin!, ruft Hans erstaunt.

Der andere zuckt erschrocken zusammen, geräuschvoll fällt ihm das Buch aus der Hand. Er muss Hans für einen Vorgesetzten halten oder sonst einen, der ihm wegen dieser Sache Ärger machen kann. Er rappelt sich auf und versucht gleichzeitig, die Jacke wieder anzuziehen, und versucht gleichzeitig, zu salutieren, und versucht gleichzeitig, eine Entschuldigung hervorzubringen, und versucht gleichzeitig, das alles mit einer gewissen Lässigkeit zu tun, als wolle er sagen: Komm schon, Kamerad, mach mir wegen dieser Lappalie kein Drama. Hans kann nicht anders. Er lacht los. Da weiß der andere: Drama wird es mit dem keines geben.

Kampfgeschrei dringt vom Sportplatz her, eins zwo drei...

Erscheint lt. Verlag 22.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1941-1943 • 2023 • 2. Weltkrieg • Alexander Schmorell • Arno Geiger • Christoph Probst • eBooks • Erster Weltkrieg • Freundschaft • Geschichte • Hans Scholl • Kurt Huber • München • Nationalsozialismus • Neuerscheinung • Robert Seethaler • Sophie Scholl • Weiße Rose • Weltkrieg • Widerstand • Willi Graf • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-28676-X / 364128676X
ISBN-13 978-3-641-28676-7 / 9783641286767
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