Und etliches fiel auf den Fels -  Bo Giertz

Und etliches fiel auf den Fels (eBook)

Roman. Erstmals vollständige deutsche Ausgabe

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
384 Seiten
SCM Hänssler im SCM-Verlag
978-3-7751-7586-9 (ISBN)
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Dieser Romanklassiker bringt die entscheidenden Dinge unseres Glaubens auf den Punkt. Im Glaubenskampf der kleinen schwedischen Gemeinde in Ödesee spiegeln sich auch Fragestellungen der heutigen Christenwelt wider. In drei Erzählungen stellen sich grundlegende Fragen: Wie passen Gehorsam und Barmherzigkeit zueinander? Wie können wir an Gottes Wort und gleichzeitig seiner Gnade festhalten? Wie können wir erweckt glauben, ohne gesetzlich zu werden? In diesem Wechselspiel zwischen Ignoranz des Glaubens, Erweckung, dem Festhalten an Gottes Wort sowie der Gnade und Liebe Gottes wird letztlich deutlich: Es geht nur um einen ... Jesus. Eine tiefgründige Erzählung, die auf Jesus Christus als einziges Fundament hinweist, das uns alle verbindet.

Bo Giertz (1905-1998) war viele Jahre Bischof der schwedischen Staatskirche in Göteborg und Bestsellerautor, u. a. schrieb er mehrere historische Romane. Bei vielen gilt er als der schwedische C. S. Lewis.

Bo Giertz (1905-1998) war viele Jahre Bischof der schwedischen Staatskirche in Göteborg und Bestsellerautor, u. a. schrieb er mehrere historische Romane. Bei vielen gilt er als der schwedische C. S. Lewis.

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DIE ERWECKUNG DES GESETZES


Februar 1809


Es war ungewöhnlich still um das Haus. Zum ersten Mal seit Langem war Tauwetter. Die gewaltigen Schneewehen waren zusammengefallen und nachgedunkelt, und es tropfte sachte und nachdenklich vom Dach. Ab und zu fiel Schnee in nassen Klumpen von den Bäumen und schlug mit dumpfem Geräusch auf den Boden, während die schwankenden Zweige sich seit Wochen wieder einmal aufrichteten.

Der Propst genoss ein bisschen die Stille. Das ewige Gerenne hier in den letzten Wochen war ihm fast auf die Nerven gefallen. Er stand am Hoffenster seiner Studierstube und betrachtete gedankenvoll einen der Seitenflügel. Es war ein kleiner roter Bau mit schmuckem Mansardendach, das bis dicht über die vierteiligen Fenster der Vorderseite herunterging. Heute war die Tür geschlossen, und man hörte keine Stiefel, die den Schnee an den Steinplatten abtraten. Es war wirklich richtig angenehm. Die Ereignisse fingen an, ihm über den Kopf zu wachsen.

Der Propst versuchte, einen Überblick über all das Merkwürdige zu gewinnen, das seit jener Nacht im Juli geschehen war, als Henrik seinen ersten Stoß bekommen hatte.

Anfangs hatte er sich viel im Hause aufgehalten, war schweigsam gewesen und hatte studiert. Nachdem Johann-Christoph heimgekommen war, war Henrik gerade in jenen Tagen in den Seitenflügel hinübergezogen, in die kleine Kammer unter dem Dach drüben im Giebel. Der Propst betrachtete mit leichtem Missmut das quadratische Fenster, das von zwei halbkreisförmigen Öffnungen flankiert war. Der Magister war nicht mehr derselbe gewesen wie früher. Er war schwarz gekleidet gegangen und hatte nicht mehr gedichtet.

Dann war Stück für Stück das andere gekommen: Henrik hatte nun alle Postillenweisheit verschlungen, deren er habhaft werden konnte. Zuerst hatte er Die Seligkeits-Ordnung des gefallenen Menschen gründlich durchgeackert. Das war ja nur gut – Rohrborg gehörte zu den Lieblingsschriftstellern des Propstes. Als Nächstes hatte der Magister die Pia Concordia, Luthers Kirchenpostille und Pontoppidans Collegium Pastorale entliehen. Und anschließend war wohl Fresenius’ Kommunion-Buch an die Reihe gekommen. So weit war alles in Ordnung.

Aber als Henrik sich eines Tages Murbeck vorgenommen hatte, begann der Propst, Unheil zu wittern. Murbeck war zwar gut, wenn man ihn mit Verstand benutzte. Der Propst selbst pflegte ihn kurz vor Weihnachten hervorzuholen, um das rechte Salz in seine scharfe Vermahnung vor der großen Weihnachtssauferei zu kriegen. Aber um diese Jahreszeit – das ging nun doch zu weit. Nicht ohne Grund war Murbeck seinerzeit vom hochwürdigen Domkapitel zu Lund suspendiert worden. Wenn der gute Henrik in dieser Weise fortfuhr, konnte es ihm ebenso übel gehen.

Dass die Predigten des Hilfsgeistlichen besser geworden waren, konnte ja niemand leugnen. In diesem Punkt fühlte sich der Propst fast über die Maßen erhört.

Sehr bald hatte sich ein vermehrter Zulauf in der Kirche bemerkbar gemacht, wenn Savonius predigte. Der Propst und sein Hilfsgeistlicher pflegten abwechselnd jeden zweiten Sonntag zu amtieren. Annähernd voll besetzt war die Kirche ja immer. Doch nun kam es fast zum Gedränge, sobald der Hilfsprediger an der Reihe war. Die Leute standen sogar in den Gängen, und auch Menschen aus den Nachbargemeinden strömten herbei.

Darüber war der Propst empört. Das war ja die reine Neugierde! Getue um Gottes Wort hatte er nie leiden können.

Das Schlimmste war die Sache mit den Auswärtigen. In der letzten Zeit war es richtig betrüblich geworden. Von Süden her kamen die Leute aus Ravelunda in großen Scharen gewandert, und von Norden, von jenseits der Hedingsberge, fuhren ganze Reihen von Schlitten mit klingenden Schellen an der Propstei vorüber.

Das weckte Ärger, in erster Linie bei den Leuten der Gemeinde, denen es in ihren Bänken zu eng wurde und die den Platz teilen mussten. Und doch war ihr Murren leichter zu ertragen als die zornigen Warnungen, die von Pastor Havermann aus Näs und Pastor Warbeck aus Ravelunda kamen.

Die beiden drohten sogar, zum Domkapitel zu gehen und das allgemeine Ärgernis zu melden, das der Hilfsgeistliche von Ödesee bei allen ehrbaren Mitbürgern erregte. Mit seiner affektierten Predigtweise wolle er den einfältigen Haufen dazu verführen, über die Gemeindegrenze zu laufen, statt dankbar die teuren Grundsätze der Religion anzunehmen, die ihnen von ihren rechtmäßigen Lehrern verkündigt wurden.

Um der anstößigen Pfarrerwählerei ein Ende zu machen, hatte sich der Propst einer Kriegslist bedient. Er hatte mitten in der Woche den Plan umgestoßen und am Freitagmorgen verfügt, dass er am nächsten Sonntag selbst zu predigen gedenke. Henrik hatte die Liturgie übernehmen müssen, dann hatte der Propst die Kanzel bestiegen und mit spitzbübischem Lächeln die Bestürzung in der überfüllten Kirche betrachtet.

Als Eingangsspruch hatte er Matthäus 11,7 gewählt: »Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen?« Er hatte eine donnernde Predigt über die Gefahr gehalten, die darin lag, wenn man den geistlichen Strömungen nachlief, statt bei dem schlichten Gotteswort zu bleiben.

Der Triumph hatte nicht lange gedauert. Obwohl er mit dem regelmäßigen Turnus ein Ende gemacht hatte und nicht mehr abkündigen ließ, wer am nächsten Sonntag amtieren würde, musste er ja doch Henrik mehrere Tage vorher benachrichtigen, wenn er predigen sollte. Und woran es nun liegen mochte – immer sickerte es durch, wenn die Reihe an den Hilfsgeistlichen kam, und dann fing wieder das Gerenne auf den Wegen an.

Nun konnte ja nicht geleugnet werden, dass Henriks Art zu predigen etwas Besonderes hatte. Redegewandt war er immer gewesen. Jetzt war eine dunkle Glut in seine Stimme gekommen und in die Gedanken eine feste Linie, der man sich schwer entziehen konnte. Wenn er bloß nicht so übertreiben würde!

Der Propst seufzte tief. Eigentlich war es schade, dass so viel Eifer durch einen solchen Mangel an Weisheit verdorben werden sollte. Denn war der gute Henrik auch glutvoll, so war er jedenfalls nicht vorsichtig mit dem Feuer. Mehr als ein Mal hatte der Propst mit geschlossenen Augen in seiner Bank gesessen, mit einem Gesicht, das wie in Holz geschnitten war. Er hatte in seinem Herzen gebetet, dass all die Blitze von der Kanzel nicht rettungsloses Unheil in der Gemeinde anrichten möchten.

Der Propst war kein Schönfärber, dessen war er sich bewusst. Er konnte gegen Trunksucht und Liederlichkeit predigen, dass die Köpfe da unten in der Menge sich duckten und sich in den Stehkragen verbargen. Aber gegen die Kanonaden des Savonius war es doch nur ein milder Windhauch!

Das Schlimmste war, dass Henrik so mitleidslos handgreifliche Beispiele wählte. Wollte er über Barmherzigkeit predigen, so schilderte er das Los der Armen, dass man geradezu vor sich sah, wie einer der vielen Tagelöhner des Rittmeisters gegen drei Uhr früh mit einem Mehlsack auf dem Rücken zum Gut wanderte. Man sah, wie er auf dem Acker schuftete, wie er auf das Essen verzichten musste, um das Getreide zur Mühle zu schaffen, und wie er endlich in der Abenddämmerung nach dreizehn Stunden Plackerei sein Mehl holen und es schwankenden Schrittes heim zu seiner Kate tragen durfte. Und dann sollte es einen noch wundern, wenn der Rittmeister sich über aufwieglerische Reden und umstürzlerische Revolutionsideen erboste.

Oder das Thema Branntwein! Wenn Savonius darauf zu sprechen kam, erlebte man förmlich mit, wie der Bäckafallbauer eines Herbstmorgens im Landstraßengraben erwachte und ihm die Füße im Schlamm festgefroren waren. Man hörte das Geschrei der Bauern vom Süddorf, die auf dem Heimweg von der Kirche in Svenhester geblieben waren und soffen, bis sie sich auf den Bänken übergaben und wie tote Säcke in den Schuppen hinausgetragen wurden.

All das betraf ja wirkliche Missstände, die rechtschaffene Menschen schweigend oder offen verurteilen mussten. Aber was sollte man zu diesem ständigen Geschimpfe über die unschuldigen kleinen Verschönerungen der Kleidung sagen? Am Allerheiligentag hatten die jungen Frauen wie gewöhnlich geweint und sich in ihre Spitzentaschentücher geschnäuzt.

Da hatte Savonius im Handumdrehen eine furchtbare Salve abgefeuert, in der er von den elegant gekleideten Sklaven der Welt redete, für welche Jesu Blut ein liebliches Parfüm sei. Sie fänden es gerade geeignet, eine angenehme Bewegung im Herzen zu wecken. Das Leiden des Herrn bedeute für sie eine schöne Theatervorführung, mit welcher man wollüstige Tränen hervorlocke. So ergäbe sich die ersehnte Gelegenheit, ein Paar schöne Hände und die verwerfliche Üppigkeit eines eitlen Spitzentaschentuches zu zeigen.

Als er das nächste Mal gepredigt hatte, waren die meisten der jungen Frauen weggeblieben. Nur Rittmeisters Babette und ein paar andere hatten dagesessen – in schlichten schwarzen Wollkleidern.

Sogar mit des Propstes eigener Tochter Hedwig war etwas nicht in Ordnung. Sie ließ den Kopf hängen, antwortete oft ausweichend und wollte nicht mehr zum Tanz gehen. Nicht einmal die Schmucksachen ihrer Mutter, die wahrhaftig nicht auffallend waren, wollte sie mehr tragen. Das also hatte man auf den Hals bekommen, nur weil dieser eigensinnige Magister nichts mit Maß betreiben konnte!

Heute war es draußen auf dem Hof ausnahmsweise ruhig. Sonst gingen und kamen hier die Menschen den lieben langen Tag. Immer war da irgendein Gemeindeglied – und Personen aus fremden Gemeinden übrigens auch – mit einem Anliegen an den Hilfsprediger. Da er jetzt im Seitenflügel wohnte, konnte er Einzelbesuche empfangen, ohne seinen Vorgesetzten geradezu übergehen zu...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2023
Übersetzer Christa-Maria Lyckhage, Friedemann Lux
Verlagsort Holzgerlingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Auf Gott vertrauen • Christliche Literatur • Gemeinde • Gottes Gnade • Kirche • Klassiker • Pfarrer • Schweden • Theologie • zum Nachdenken
ISBN-10 3-7751-7586-5 / 3775175865
ISBN-13 978-3-7751-7586-9 / 9783775175869
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