Was der Tag bringt (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
304 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31115-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was der Tag bringt -  David Schalko
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Wer sind wir ohne Arbeit? Was brauchen wir zum Leben? Was macht uns aus? David Schalkos »Was der Tag bringt« ist ein bestechender Kommentar auf unsere sich radikal verändernde Arbeitswelt - ein Roman, komisch und aufwühlend bis zuletzt. Eine brillante Groteske über unsere postpandemische Gegenwart. Felix ist Ende dreißig, Single und Unternehmer. Mit seinem Start-up für nachhaltiges Catering ist er, endlich, auf einem guten Weg. Dann aber kommt die Pandemie, bleiben die Aufträge aus, gewährt ihm die Bank keinen weiteren Kredit. Felix muss die Firma schließen und sich reduzieren, muss Auto, Möbel, Schmuck verkaufen, um wenigstens die von der Mutter geerbte Wohnung behalten zu dürfen. Um über die Runden zu kommen, ist er fortan gezwungen, die Wohnung monatlich für acht Tage zu vermieten. Monat für Monat zieht Felix also von Gästecouch zu Gästecouch, verstrickt sich vor Scham in bizarren Geschichten, gerät mit guten Freunden aneinander, zweifelt, taumelt durch die Ruinen seines früheren Lebens, sucht nach einem Sinn, der nicht in der Arbeit liegt, und zieht sich schließlich immer weiter zurück, wird sich selbst fremd, fällt und fällt. Wo schlägt er auf? Wer kann ihn halten? Mit unnachahmlichem Witz und Scharfsinn erzählt David Schalko von einem, dem das Leben entgleist und die Gesellschaft abhandenkommt, der um Existenz und Sinn ringt in einer ihm immer fremder werdenden Welt. »Was der Tag bringt« ist ein faszinierendes Psychogramm der Post-Covid-Gesellschaft und ein Text, der die großen Fragen der Zeit mit erzählerischer Leichtigkeit verhandelt.

David Schalko, geboren 1973 in Wien, lebt als Autor und Regisseur in Wien. Bekannt wurde er mit revolutionären Fernsehformaten wie der »Sendung ohne Namen«. Seine Filme und Serien »Aufschneider«, »Braunschlag«, »Altes Geld«, »Ich und die Anderen« und das Remake von »M - eine Stadt sucht einen Mörder« wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen seine Romane »Schwere Knochen« und »Bad Regina«.

David Schalko, geboren 1973 in Wien, lebt als Autor und Regisseur in Wien. Bekannt wurde er mit revolutionären Fernsehformaten wie der »Sendung ohne Namen«. Seine Filme und Serien »Aufschneider«, »Braunschlag«, »Altes Geld«, »Ich und die Anderen« und das Remake von »M – eine Stadt sucht einen Mörder« wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen seine Romane »Schwere Knochen« und »Bad Regina«.

Inhaltsverzeichnis

Er hatte die Koffer gepackt, als würde er verreisen. Er hatte die Wohnung zwei Tage lang geputzt. Swetlana hatte alles poliert. Bis nichts mehr nach ihm roch. Er hatte stundenlang gelüftet. Hatte mehrere Tage die Toilette nur noch zum Urinieren benutzt. Er hatte Beweisfotos gemacht. Laut Vertrag musste er alles so vorfinden, wie er es hinterlassen hatte. Unbehagen bei dem Gedanken, dass zwei Fremde seine Dinge berühren würden. Zu welchen Platten würden sie greifen? Bestimmt würden sie alles durchstöbern. In seine Bücher reinlesen. Womöglich mit angefeuchteten Zeigefingern. Würden Dinge verstellen. Würden sich ausmalen, wie sein Leben aussähe. Würden sich vielleicht über ihn lustig machen. Sie würden in seinem Bett kopulieren. Würden an seinen Lebensmitteln schnuppern. Mit seinem Besteck essen. Sein Geschirr benutzen. Die Pflanzen vergessen zu gießen. Seine Toilette benutzen. Würden die Dinge ihren Geruch annehmen? Er vermietete weit mehr als seine Wohnung. Er vermietete sein Leben.

 

Sonnige Vierzimmerwohnung in Zentrumsnähe. 75 Quadratmeter. Dachgeschoss mit kleiner, charmanter Terrasse. Zahlreiche Vintagemöbel, eine großräumige Bibliothek und geschmackvolle moderne Kunst verleihen dem Ort einen starken Charakter. Für kalte Wintertage steht ein Kamin zur Verfügung. Das Schlafzimmer, das sich unter einer kleinen Kuppel befindet, bietet eine traumhafte Aussicht auf die Altstadt …

 

Es war nicht schwer gewesen, Interessenten zu finden. Er hätte die Wohnung wesentlich länger als die acht Tage vermieten können. Aber er hatte es sich genau ausgerechnet. Mit dem Geld würde er über die Runden kommen. Nein. Er würde eigentlich auf nichts verzichten müssen. Solange er in diesen acht Tagen keine allzu großen Unkosten verursachte.

Die Wohnung hatte Charakter. Seinen Charakter. Das Paar, das in Kürze läuten würde, hatte sich die Wohnung aufgrund der Fotos ausgesucht. Eine Zielgruppe war eine Glaubensgemeinschaft. Man kannte sich. Ohne sich zu kennen. Nur die heikelsten Dinge hatte er in die Speisekammer gesperrt. Persönliche Gegenstände, wie man so schön sagte. Wobei er nicht wusste, was an einem Buch weniger persönlich sein sollte als an einem Schmuckstück. Es handelte sich wohl eher um Dinge, die man in Sicherheit brachte. Schließlich misstraute man der Kundschaft. Großvaters Raucherset. Mutters Schmuckschatulle. Fotoalben aus der Kindheit. Dokumente. Kosmetika. Die gesamte Kleidung. Eine halb gefüllte Erinnerungsbox. Die Summe seiner persönlichen Gegenstände beanspruchte kaum die Hälfte der Kammer, die an die Küche schloss und auch als Lager für die übrig gebliebenen Einweckgläser von Wastefood diente. Haltbarkeit mehrere Monate. Es wäre schade, so viel Nachhaltigkeit an Touristen zu verfüttern.

 

Er könnte nach seiner Rückkehr Freunde einladen. Die Wohnung wieder mit seiner eigenen Energie durchfluten. Er hatte viele Freunde. Verlor sie nie aus den Augen. Milan kochte gerade Fischsuppe. Heinz ging auf ein Konzert. Pia präsentierte ihre Babykatze. Georg echauffierte sich über Rechtsextreme. Christian über Amerika. Hanna über Russland. Thomas über alles. Jonas und Melanie verschoben ihre Hochzeit. Barbara hatte Geburtstag und feierte mit den Kindern. Florian hatte seinen Status in ledig geändert. Akin fotografierte Menschen, die Bäume umarmten. Veronika hielt das Cover eines finnischen Klassikers in die Kamera. Norbert sang Karaoke. Felix hatte eine gute Freundschaftsquote. Mindestens ein Viertel würde auf seine Nachricht innerhalb einer Stunde antworten. Aber nur vier wollte er nach einem Schlafplatz fragen. Acht Tage waren eine lange Zeit. Für beide Seiten. Am Ende hatte er sich entschieden, bei Eugen zu wohnen. Vermutlich, weil er das Gefühl hatte, ihm die Wahrheit sagen zu können.

– Acht Tage, sagst du. Und darauf verlässt du dich? Das wären die ersten Handwerker, die pünktlich fertig werden.

– Sie sehen mir ziemlich verlässlich aus.

– Sie werden dir mit einem Lächeln sagen, dass es länger dauern wird. Wenn sie es überhaupt sagen werden. Meistens sagen sie gar nichts. Und gehen einfach. Manchmal kommen sie wieder. Dazwischen lächeln sie einen aus. Handwerker sind die wahren Herren der Neuzeit.

So wie Architekten, dachte Felix, dem eine fliederfarbene Couch vor einer jadefarbenen Dschungeltapete zugeteilt wurde, auf der bereits ein malvenfarbenes Bettzeug lag. Bei Felix stellte sich ein Boutiquehotelgefühl ein, das die beiden vermutlich mit Gastfreundschaft verwechselten. Es gab nichts, was man den Räumen vorwerfen konnte. Aber auch nichts, was mit Moira und Eugen zu tun hatte. Felix dividierte die Dinge in der Wohnung auseinander. Was würde wem gehören, wenn sie sich trennten? Es war unmöglich festzustellen. Selbst die Gastgeber mussten sich hier wie Gäste fühlen. Felix machte keinen einzigen persönlichen Gegenstand ausfindig, den man in eine Kammer sperren müsste. Eine perfekte Wohnung, um sie zu vermieten. Selbst die Makel wie patinierte Wände, Kratzer im Boden, Flecken am Tisch, Kerben im Türstock wirkten gestaltet. Nichts stand im Weg. Die Leere der Räume strahlte Ruhe, Ausgeglichenheit, Aufgeräumtheit und Entschlossenheit aus. Es war die Wohnung von Menschen, die wussten, was sie wollten. Die zu allem eine klare Meinung hatten.

Eugen war seiner Zeit stets einen Schritt voraus geblieben. Immer nur den einen, um noch als Visionär erkannt zu werden. Felix hatte das Konzept der virtuellen Immobilien erst verstanden, als ihm Eugen die VR-Brille aufgesetzt und ihn durch die Architektur von EUGENIA geführt hatte. Seine Höhenangst war auf den simulierten Wolkenkratzern noch größer gewesen als auf den realen.

– Das hier, Felix, geht über die bloße Nachahmung der sogenannten Wirklichkeit hinaus. Das ist Schöpfung. Es geht hier nicht nur um neue Kolonien. Es geht um eine neue Welt. Die sogenannte Realität verkümmert. Sie ist fahl und banal. Hier aber ist alles Denkbare möglich. Hier werden alle Grenzen des Wachstums gesprengt. Hier wird der Mensch erst Mensch.

Vielleicht lag es an der Schöpfungskraft von Eugen. Vielleicht auch an den begrenzten Kapazitäten des Menschen. Aber für Felix machte es keinen großen Unterschied, ob ein Haus eine Pflanzenform hatte, ob die öffentlichen Busse fliegenden Fischen glichen oder ob man die Skipisten mit Zuckerwatte präparierte. Letztendlich blieb es Nachahmung. Auch dass man selbst Formen annehmen konnte, die dem inneren Aggregatzustand entsprachen – Felix wurde von Eugen zu einem Windwesen erklärt –, änderte daran nichts. Es war einfach nur eine grellere Form der Realität, die sich genauso abnutzen würde. Vielleicht würde man irgendwann die analoge Welt ihrem Abbild anpassen müssen. Vielleicht würde sie irgendwann nur noch aus leeren Räumen bestehen. Selbst das Ich war eine Anhäufung von Versatzstücken, die sich in unendlichen Mutationen zusammensetzen ließ. Keines der Elemente war neu. Jedes hatte es schon milliardenfach gegeben.

Eugen blieb auch virtuell ganz Eugen. Diese randlose Brille mit den farbverändernden Gläsern. Diese Glatze. Kein Haar durfte aus seinem Körper sprießen. Diese Babyhaut. Trotz seiner vierzig Jahre. Das nannte man Charakter. Da steckte Arbeit drin. Während man das Gesicht von Felix gerne vergaß. Nein. Verwechselte.

 

Als Felix ihm ein vergilbtes Foto überreichte, es zeigte Eugen beim Dozieren, war er ganz gerührt von sich selbst.

– Was ist das für eine entsetzliche Brille, lächelte er.

– Eine andere Zeit, sagte Felix.

– Ein anderer Mensch. Du kannst natürlich so lange bleiben, wie du willst. Moira würde sich genauso freuen wie ich.

Ihr Gesicht war teigiger geworden. Ihre schiefen Lippen und ihr verächtlicher Blick wie mit zu viel Haarspray fixiert. Als ob sie sich selbst auf dem Weg zurückgelassen hätte. Als wäre sie ihr eigener Avatar. Seit der Operation sah sie endlich aus wie die Statue, die man von ihr angefertigt hatte. Moira, ein Denkmal. Und Felix dachte an sie. An die alte Moira. Die er anhand der Avatar-Moira wachrufen konnte.

– Es ist so schön, dass du da bist, sagte Moira. Beide freuten sich überschwänglich. Als wäre Felix der erste Hotelgast seit der Öffnung.

Man wurde das Gefühl nicht los, dass sie Publikum für ihre Beziehung brauchten. Felix war ein gutes Publikum. Dafür war er beliebt. Er sprach selten von sich. Konnte zuhören. Und spendete Beifall statt Kritik. Sein Gemüt war wie das Wetter am Äquator. Zu allen Jahreszeiten gleich.

Bereits beim ersten Glas Wein aber sagte er:

– Ich habe gelernt, das Leben nicht mehr ernst zu nehmen. Sonst ist es am Ende eine Anhäufung von Enttäuschungen. Man muss sich von gewissen Vorstellungen verabschieden. Man ist nur frei, wenn man nichts mehr erwartet. Das Leben ist wie ein unzuverlässiger Freund, der sich ausschließlich um einen schert, wenn es ihm passt. Wenn man das akzeptiert, kann man Spaß mit ihm haben.

Sowohl Eugen als auch Moira machten sich Sorgen. Anstelle eines Publikums hatten sie sich einen tragischen Akteur auf die Couch gesetzt.

– Was ist los, Felix?

Insgeheim hoffte Eugen, sein alter Freund würde so etwas antworten wie: Nicht der Rede wert. Stattdessen schenkte sich Felix nach, als müsste er sich Mut antrinken.

– Ich vermiete meine Wohnung. Acht Tage lang. Jeden Monat.

Eugen hob die Hand und bedeutete ihm, er brauche nicht weiterzureden.

– Du musst dich nicht schämen.

– Ich schäme mich nicht. Sonst würde ich es nicht nach dem ersten Glas Wein erzählen.

– Warum dann die...

Erscheint lt. Verlag 26.4.2023
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Arbeitswelt im Wandel • Bad Regina • Corona • David Schalko neuer Roman • Einsamkeit • Existenz-Fragen • Existenzsicherung • Gesellschaft • Individuum • Leben nach der Pandemie • M eine Stadt sucht einen Mörder • Österreich • Post-Covid-Gesellschaft • Post-Covid-Roman • Postpandemische Gesellschaft • Prekariat • Roman über Corona • schwere Knochen • Vereinzelung • Vermieter • Was macht uns aus • Wien • Wohnungsnot • Zusammenhalt
ISBN-10 3-462-31115-8 / 3462311158
ISBN-13 978-3-462-31115-0 / 9783462311150
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