Der Mann im Untergrund (eBook)

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2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-9494-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Mann im Untergrund -  Richard Wright
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Erstmals in ungekürzter Form: Der wiederentdeckte Roman von einem der bedeutendsten afroamerikanischen Autoren der USA. Es scheint ein Samstagabend wie jeder andere zu sein: Der schwarze Arbeiter Fred Daniels ist auf dem Weg nach Hause zu seiner hochschwangeren Frau, den Wochenlohn in der Hosentasche. Völlig unvermittelt halten ihn drei Polizisten an und verhaften ihn. Fred geht anfänglich noch von einem Missverständnis aus, aber als man ihn des Doppelmordes beschuldigt, ahnt er, in was für einen Albtraum er geraten ist. Schläge, Kreuzverhör, psychische Manipulation entfremden ihn von der Welt und der Realität: Er unterschreibt ein Geständnis, das ihm in einem schwachen Moment und unter falschen Versprechungen vorgelegt wird. So bleibt ihm nur die Flucht in den Untergrund - in das dunkle, nasse Labyrinth der Kanalisation.

Richard Wright (1908-1960) ist bis heute einer der einflussreichsten afroamerikanischen Schriftsteller des letzten Jahrhunderts. Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören der Roman 'Sohn dieses Landes' (2019 bei Kein & Aber erschienen), die Memoiren 'Black Boy' (American Hunger) und die Kurzgeschichtensammlung 'Uncle Tom's Children'. Wright befasst sich in seinem eindringlichen Schreiben hauptsächlich mit dem Thema Rassismus, sein Werk trug dazu bei, die Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen Mitte des 20. Jahrhunderts neu zu definieren.

Die große, weiße Tür schloss sich hinter ihm. Er zog sich seine zerschlissene Kappe tief über die Augen und lief in der sommerlichen Abenddämmerung zur Bushaltestelle zwei Straßen weiter. Es war Samstagabend, er hatte gerade seinen Lohn bekommen. Ein stetiger, leichter Wind vom Meer trocknete sein verschwitztes Hemd. Über ihm, über den Dächern der Mehrfamilienhäuser, trieben rote und purpurne Wolken. Er näherte sich einer Kreuzung, hielt inne und sah auf die schmale Rolle grüner Geldscheine in seiner rechten Hand. Im dunkler werdenden Zwielicht zählte er nach:

»Fünf, zehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn …«

Er ging weiter, gluckste: Yeah, sie machte niemals einen Fehler. Er war müde und glücklich, er mochte das Gefühl, wenn er samstagabends bezahlt wurde. Eine drückend heiße Woche lang hatte er mit aller Kraft für dieses Geld gearbeitet, um Brot kaufen und die Miete für die nächste Woche bezahlen zu können. Den Tag morgen würde er in der Kirche verbringen und sich am Montag, wenn er wieder zur Arbeit ging, wie neu fühlen. Vorsichtig, um es auf keinen Fall zu verlieren, schob er das ordentliche Bündel frischer Geldscheine sicher in die rechte Hosentasche, seine Arme schwangen frei neben seinem Körper. Plötzlich flammten die Straßenlaternen auf, und zwei träge gelbe Streifen fanden in der Ferne vor ihm zusammen.

»Mir tut die Hand vom Rasenmähen weh«, sagte er laut.

Vor ihm blickte das weiße Gesicht eines Polizisten über das Lenkrad eines Autos, zwei weitere weiße Gesichter beobachteten ihn vom Rücksitz. Für einen scheinbar endlosen Moment stand er unbeweglich in der lauen Luft des frühen Sommerabends, die mit Blasen bedeckte Hand erhoben, und starrte den nur verschwommen zu erkennenden Fahrer an, der eine grelle Stablampe direkt auf seine Augen gerichtet hielt. Er wartete darauf, dass sie ihm Fragen stellten, damit er ihnen einen befriedigenden Bericht über sich geben konnte. Schließlich war er Mitglied der White Rock Baptist Church und bei Mr und Mrs Wooten angestellt, die zu den bekanntesten Bürgern der Stadt gehörten.

»Komm her, Junge.«

»Ja, Sir«, hauchte er automatisch.

Er ging steif zum Trittbrett des Polizeiwagens.

»Was machst du hier?«

»Ich arbeite dahinten, Mister«, antwortete er. Seine Stimme war leise, atemlos, flehend.

»Für wen?«

»Mrs Wooten, gleich dahinten in Nummer 5679, Sir«, sagte er.

Die Tür des Polizeiwagens schwang auf, und der Mann hinter dem Lenkrad stieg aus. Sofort, wie auf ein verabredetes Zeichen hin, kamen auch die beiden anderen Polizisten heraus, und zu dritt traten sie ihm entgegen. Sie tasteten ihn von Kopf bis Fuß ab.

»Er ist sauber, Lawson«, sagte einer der Männer zum Fahrer des Wagens.

»Wie heißt du?«, fragte der Polizist, der Lawson genannt worden war.

»Fred Daniels, Sir.«

»Schon mal in Schwierigkeiten gewesen, Junge?«, fragte Lawson.

»Nein, Sir.«

»Was glaubst du, wohin du gehst?«

»Ich gehe nach Hause.«

»Wo wohnst du?«

»In der East Canal, Sir.«

»Mit wem wohnst du da?«

»Mit meiner Frau.«

Lawson wandte sich an den Polizisten rechts neben sich.

»Wir nehmen ihn besser mit, Johnson.«

»Aber, Mister!«, protestierte er jammernd mit hoher Stimme. »Ich hab doch nichts getan …«

»Schon gut«, sagte Lawson. »Reg dich ab.«

»Meine Frau kriegt ein Kind …«

»Das sagen sie alle. Komm«, sagte der rothaarige Mann, der Johnson genannt worden war.

Empörung brandete in ihm auf, und er fuhr zurück, weg von ihnen. Ihre Finger schlossen sich um seine Handgelenke, gruben sich ihm ins Fleisch. Sie schoben ihn zum Auto.

»Willst du dich schlagen, hä?«

»Nein, Sir«, sagte er schnell.

»Dann rein ins Auto, verdammt!«

Er stieg in den Wagen, und sie stießen ihn auf den Sitz. Zwei der Polizisten rutschten rechts und links neben ihn und hielten ihn an den Armen fest. Lawson setzte sich hinters Steuer. Aber seltsamerweise fuhren sie nicht los. Er wartete, wachsam, aber bereit zu gehorchen.

»Nun, Junge«, begann Lawson langsam, fast schon freundlich, »sieht aus, als wärst du dran, hä?«

Lawsons hintergründige Stimme ließ Hoffnung in ihm aufkommen.

»Mister, ich hab nichts gemacht«, sagte er. »Sie können Mrs Wooten dahinten fragen. Sie hat mich grade bezahlt, und ich war auf dem Weg nach Hause …« Seine Worte klangen wirkungslos, und er versuchte es auf eine andere Weise. »Hören Sie, Mister, ich bin in der White-Rock-Baptistenkirche. Wenn Sie mir nicht glauben, rufen Sie Reverend Davis an …«

»Hast es dir genau zurechtgelegt, wie, Junge?«

»Nein, Sir«, sagte er und schüttelte energisch den Kopf. »Ich sage die Wahrheit …«

Eine Reihe Fragen gab ihm neue Hoffnung.

»Wie heißt deine Frau?«

»Rachel, Sir.«

»Wann soll das Baby kommen?«

»Jede Minute, Sir.«

»Wer ist bei deiner Frau?«

»Meine Cousine, Ruby.«

»Ah, ja«, sagte Lawson bedächtig.

»Ich glaube, er passt, Lawson«, sagte der große, knochige Polizist, der bisher geschwiegen hatte.

Lawson lachte und ließ den Motor an.

»Nun, Junge, du wirst mit uns kommen müssen«, sagte er mit einer komischen Mischung aus Mitgefühl und Härte.

»Mister, rufen Sie Reverend Davis an … Ich unterrichte in der Sonntagsschule für ihn. Ich singe im Chor, und ich hab den Gesangsverein organisiert …«

»Leg ihm besser die Armbänder an, Murphy«, sagte Lawson.

Der große, knochige Mann ließ Handschellen um seine Handgelenke klicken.

»Angst, Junge?«, fragte Murphy.

»Ja, Sir«, antwortete er, obwohl er die Frage nicht wirklich verstand. Er hatte das gesagt, weil er ihnen gefallen wollte. Dann korrigierte er sich: »Oh, nein, Sir.«

»Wo sind deine Mutter und dein Vater, Junge?«, fragte Lawson.

»Sir? Oh, ja, Sir. Die sind tot …«

»Irgendwelche Verwandten in der Stadt?«

»Nein, Sir. Nur Cousine Ruby.«

»Kommt. Nehmen wir ihn mit«, sagte Lawson.

Sein Blick verschwamm mit den ersten Tränen seit seiner Kindheit. Der Wagen fuhr nordwärts, und er sah, dass es dunkel geworden war. Ja, sie bringen mich zum Revier in Hartsdale, dachte er. Er hatte keine Angst, nein, was das alles anging, sah blind vor sich hin und vertraute darauf, dass er ihnen am Ende eine Erklärung geben würde, die ihn befreite. Das alles war nur ein Traum, aber bald schon würde er erwachen und sich wundern, wie wirklich es ihm vorgekommen war. Der Wagen schaukelte, bog in die Court Street und raste über stählerne Straßenbahnschienen nach Westen. Was würde Rachel denken, wenn er nicht pünktlich nach Hause kam? Zu Tode würde sie sich sorgen. Er staunte, als er auf einer großen Uhr in einem Schaufenster sah, dass es sieben war. Bei der Vorstellung, wie sein warmes Abendessen auf dem Tisch auf ihn wartete, zog sich sein Magen zusammen. Nun, sobald er sich auf dem Revier ausreichend identifiziert hatte, würden sie ihn gehen lassen. Und später heute Abend, zu Hause bei Rachel, im Sessel beim Radio, würde er über diesen kleinen Vorfall lachen. Wenn er ihr die Geschichte erzählte, würde er die dramatischsten Teile hinauszögern und Rachel dazu bringen, ungeduldig viele Fragen zu stellen.

Der Wagen rumpelte voran, und der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen. Die Sirene heulte auf, und er erinnerte sich, wo er war. Ja, er musste diesen Polizisten sagen, dass er kein Verbrecher und Reverend Davis, sein Freund, eine angesehene Persönlichkeit in der Schwarzengemeinde war. Er würde den Polizisten klarmachen, dass sie es nicht mit einem herumlungernden Faulenzer zu tun hatten, den keiner kannte, der keine Familie, Freunde oder Verbindungen hatte …

»So ists richtig, Junge. Denk dir ein gutes Alibi aus«, sagte Lawson.

»Nein, Sir«, rief er schuldbewusst. Er hatte das Gefühl, Lawson hätte einen Röntgenblick und könnte in seinen Kopf sehen und seine Gedanken lesen. Dann jammerte er: »Mister, ich hab nichts getan. Bei Gott, ich habe nichts …«

Seine Stimme erstarb, während das Auto über den Asphalt heulte. Ihn einsperren zu wollen war so absurd, dass er am liebsten gelacht hätte, doch er hielt sich zurück. Er war so zuversichtlich, dass er das alles nicht ernst nehmen konnte. Bis jetzt hatten die Polizisten noch keine Anschuldigung gegen ihn vorgebracht.

»Sagen Sie, Mister«, begann er mit hoher, brüchiger Stimme, in der ein winziger Vorwurf mitschwang, »was wollen Sie von mir?«

»Was hast du mit dem Geld gemacht?«, entgegnete Lawson.

»Mit welchem Geld?«, keuchte er.

»Du weißt, wovon wir reden, Junge«, sagte Lawson mit lauter Stimme. »Das Geld, das du genommen hast, nachdem du sie umgebracht hast …«

Panik durchfuhr ihn. Seine Lippen bewegten sich mehrmals, bevor Worte über sie kamen.

»Umgebracht? Wen?«, rief er, und seine Stimme fuhr fort, ohne auf eine Antwort zu warten: »Mister, ich hab niemanden umgebracht. Warum fahren Sie nicht zurück und fragen Mrs Wooten …?«

»Mrs Wooten ist heute erst spät nach Hause gekommen, hä?«, fragte Johnson.

»Ja, Sir. Wie oft war ich bei der Arbeit allein, habe das Auto poliert, die Fenster geputzt, den Keller gestrichen …«

»Das wissen wir alles«, sagte Lawson.

Er hatte das entsetzliche Gefühl, dass diese Männer...

Erscheint lt. Verlag 10.5.2022
Übersetzer Werner Löcher-Lawrence
Sprache deutsch
Original-Titel The Man Who Lived Underground
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1940er Jahre • 40er-Jahre • Afro-Amerikaner • Flucht • Folter • Gerechtigkeit • Haft • Polizeigewalt • Prozess • Rassismus • Untergrund • USA
ISBN-10 3-0369-9494-7 / 3036994947
ISBN-13 978-3-0369-9494-9 / 9783036994949
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