Der Papierpalast (eBook)

Roman | Der weltweite Bestseller | Eine Affäre, eine Frau am Scheideweg und ein Familiendrama
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
448 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2673-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Papierpalast -  Miranda Cowley Heller
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Eine Frau zwischen Liebhaber und Familie Elle Bishop, 50, glücklich verheiratet, steht vor einer großen Entscheidung: Bleibt sie bei ihrem Ehemann oder verlässt sie ihn und ihre Familie für ihren Jugendfreund, mit dem sie eine unvergessliche Nacht verbracht hat. Sie hat nur einen Tag Zeit, um herauszufinden, wer sie im Leben sein will und mit wem sie es verbringen möchte. Im Papierpalast, dem Sommerhaus der Familie, steht sie vor der Frage, welche Art des Glücks sie wählen wird. Ein großer Roman über die Sommer unseres Lebens - und darüber, was es heute bedeutet, eine Frau zu sein. ***Ein Buch, das unter die Haut geht.*** » ... unglaublich gute Geschichte« Christine Westermann »Ein Familiendrama, eine geheime Liebe, eine andauernde Tragödie. Der Papierpalast ist ein überwältigendes literarisches Debüt.« The Independent

Miranda Cowley Heller war Senior Vice President und Head of Drama Series bei HBO. Sie hat Serien entwickelt und verantwortet, u.a. Die Sopranos, Six Feet Under, The Wire, Deadwood, Big Love. Als Heranwachsende hat sie jeden Sommer auf Cape Cod verbracht, inzwischen lebt sie in Kalifornien.

Miranda Cowley Heller kommt aus einer Familie von Künstlern, Schriftstellern und Bücherfreunden. Nach ihrem Studium in Harvard war sie Kulturredakteurin bei der Cosmopolitan, dann Senior Vice President und Head of Drama Series bei HBO. Sie hat die Entwicklung und Produktion von Serien wie Die Sopranos, Six Feet Under, The Wire, Deadwood, Big Love u.a. geleitet. Die Sommer ihrer Jugend hat sie in Cape Cod verbracht, heute lebte sie in Kalifornien.

1


Heute. 1. August, Back Woods.


6.30


Die Dinge kommen aus dem Nichts. Der Kopf ist leer. Dann, in einem Rahmen, eine Birne. Glatt, grün, ein gebogener Stiel, ein einzelnes Blatt. Sie liegt zwischen Limonen in einer weißen Steingutschale, die wiederum auf einem ramponierten Picknicktisch steht, auf einer Veranda mit Fliegengittern rundum, am Ufer eines kleinen Sees, tief im Wald und nah am Meer. Neben der Schale steht ein Kerzenhalter aus Messing, Wachstropfen kleben daran und der Staub des langen Winters, in dem der Kerzenhalter im Regal gestanden hat. Teller mit Nudelresten, eine offene Serviette, eine Flasche mit Rotweinsatz, ein grobes Brotbrett, darauf Brotstücke, gerissen, nicht geschnitten. Ein Gedichtband, der Buchdeckel angeschimmelt, liegt aufgeschlagen auf dem Tisch. Ich betrachte das Stillleben des gestrigen Essens und höre in meinem Kopf An eine Lerche, die in den blauen Himmel aufsteigt – schmerzlich, erhebend. »Dann würde die Welt zuhören, so wie ich jetzt zuhöre.« Er hat es so schön gelesen. »Für Anna.« Wir saßen still da, gebannt, mit unseren Erinnerungen an sie. Ich könnte ihn, immer nur ihn, eine Ewigkeit lang ansehen, es würde mich glücklich machen. Ich könnte ihm mit geschlossenen Augen zuhören, seinen Atem spüren, dem Klang seiner Worte lauschen, die über mich hinwegschweben, immer und immer wieder. Nichts anderes will ich.

Das Morgenlicht ist gedämpft, wo es durch die Fliegengitter dringt, heller über den Bäumen und dem reinen Blau des Sees, bis zu den dunklen Schatten der Tupelobäume am anderen Seeufer, wo das Sonnenlicht so früh am Tage hinreicht. Mein Blick fällt auf den Rest Espresso in einem der Tässchen, und ich bin versucht, ihn auszutrinken. Die Luft ist frisch. Ich friere in dem abgetragenen zartlila Bademantel, der meiner Mutter gehört und den ich im Sommer trage, wenn wir in unserem Sommerquartier sind. Der Geruch nach ihr vermischt sich mit dem vom Schrank, in dem der Bademantel monatelang gehangen hat, und dem von Mäusedreck. In Back Woods ist dies meine Lieblingsstunde. Morgens am See, noch bevor die anderen wach werden. Das Sonnenlicht so klar und scharf, das Wasser atemberaubend kalt, die Nachtschwalben endlich still.

Auf dem kleinen Holzdeck vor dem Fliegengitter hat sich zwischen den Brettern Sand angesammelt. Es müsste mal gefegt werden. Ein Besen lehnt an der Fliegentür und drückt eine kleine Beule in den Maschendraht, aber ich lasse ihn stehen und gehe auf dem schmalen Trampelpfad zu unserer Badestelle. Hinter mir kreischt die Fliegengittertür in den Angeln.

Ich lasse den Bademantel von den Schultern gleiten und stehe nackt am Wasserrand. Auf der anderen Seite des Sees, jenseits von Kiefern und Zwergeichen, brüllt das Meer. Es hört sich an, als brächte es einen Sturm aus dem Inneren des Ozeans, aber hier, am Seeufer, ist die Luft süß und still. Ich stehe, warte, lausche … das Zirpen und Summen winziger Insekten, ein zarter Wind, der sich sanft in den Blättern regt. Dann wate ich ins Wasser, bis es mir zu den Knien reicht, und stürze mich kopfüber ins eiskalte Nass. Ich schwimme zur Mitte, vorbei an den Seerosen, und eine Mischung aus Hochstimmung und Freiheitsgefühl treibt mich voran, zusammen mit dem Adrenalinrausch namenloser Panik. Dazu der Schatten einer Angst, dass eine Schnappschildkröte aus der Tiefe heraufkommen und mir in meine schweren Brüste beißen könnte. Vielleicht zieht der Geruch von Sex sie an, wenn ich die Beine öffne und schließe. Unvermittelt überkommt mich der Wunsch, umzukehren in die Sicherheit des seichten Wassers, wo ich den sandigen Grund sehen kann. Ich wünschte, ich wäre mutiger. Aber ich mag auch die Angst, das Stocken des Atems, mein wild klopfendes Herz, als ich aus dem Wasser steige.

Ich wringe das Wasser so gründlich wie möglich aus meinem langen Haar, nehme ein fadenscheiniges Handtuch von der Leine, die meine Mutter zwischen zwei kümmerlichen Kiefern gespannt hat, und strecke mich auf dem warmen Sand aus. Eine leuchtend blaue Libelle landet auf einer Brustwarze, verweilt einen Moment, fliegt weiter. Eine Ameise krabbelt über die Saharadünen, die mein Körper auf ihrem Pfad geformt hat.

Gestern Abend habe ich mit ihm gefickt, endlich. Nach all den Jahren, in denen ich mir das ausgemalt hatte und nie sicher sein konnte, ob er mich noch wollte. Dann war der Augenblick da, und ich wusste, jetzt passiert es: der viele Wein, Jonas’ Stimme, als er das Gedicht las, Peter, mein Mann, im Grappadunst, ausgestreckt auf dem Sofa, unsere drei Kinder schlafend in ihrer Hütte, meine Mutter mit gelben Gummihandschuhen am Spülbecken beim Abwasch, die sich nicht um ihre Gäste kümmerte. Unsere Blicke versenkten sich eine Sekunde zu lang ineinander. Ich stand vom Tisch auf, wo ein angeregtes Gespräch im Gang war, zog in der Speisekammer meinen Slip aus und stopfte ihn hinter den Brotkasten. Dann ging ich durch die Hintertür hinaus in die Nacht. Ich stand im Dunkeln, ich hörte das Klappern von Tellern, Gläsern und Besteck im Spülwasser und wartete. Hoffte. Und dann war er da, drückte mich an die Mauer und griff mir unters Kleid. »Ich liebe dich«, flüsterte er. Ich hielt den Atem an, als er in mich eindrang. Und ich dachte: Jetzt gibt es kein Zurück. Kein Bedauern mehr, dass ich es nicht getan habe. Nur das Bedauern für das, was ich getan habe. Ich liebe ihn und hasse mich. Ich liebe mich und hasse ihn. Das Ende einer langen Geschichte.

1966. Dezember, New York.


Ich schreie. Ich schreie und schreie, bis meine Mutter endlich begreift, dass es etwas Ernstes ist. Sie rennt los, zum Arzt, und als sie angsterfüllt mit ihrem drei Monate alten Baby die Park Avenue entlanghastet, kommt sie sich vor wie Miss Clavel, die Krankenschwester aus dem Kinderbuch Madeline von Ludwig Bemelmans. Mein Vater, den Aktenkoffer in der Hand, läuft aus dem Fred-F.-French-Gebäude an der Madison Avenue herbei. In seinem Kopf geht alles durcheinander, er fürchtet sich vor seiner eigenen Unfähigkeit, jetzt und bei allem anderen, was er tut. Es sei keine Zeit zu verlieren, sagt der Arzt, wenn sie zögerten, werde das Baby sterben, und er entreißt mich meiner Mutter. Auf dem Operationstisch schneidet er meinen Bauch auf wie eine Wassermelone. Eine Geschwulst hat sich um meine Gedärme geschlungen, toxischer Kot vergiftet meinen kleinen Körper. Immer wieder passiert es, dass sich der Kot anstaut, und man muss damit klarkommen – wie, werde ich erst viele Jahre später lernen.

Bei der Operation, in seiner Hast und dem Bemühen, das Tödliche aus mir herauszuschneiden, durchtrennt der Arzt einen Eileiter. Auch das sagt man mir erst Jahre danach. Als ich es erfahre, weint meine Mutter zum zweiten Mal um mich. »Es tut mir so leid«, sagt sie. »Ich hätte darauf dringen sollen, dass er besser aufpasst« – als hätte es in ihrer Macht gestanden, mein Schicksal zu beeinflussen, und sie hätte es versäumt.

Später liege ich im Krankenhaus in einem Kinderbett, die Arme festgebunden, und schreie weiter; ich bin lebendig und schreie aus Empörung über die Ungerechtigkeit. Meine Mutter darf mich nicht stillen. Ihre Milch versiegt. Fast eine Woche vergeht, bevor sie meine Arme losbinden. »Als du zur Welt kamst, warst du ein so zufriedenes Baby«, sagt mein Vater. »Danach«, sagt meine Mutter, »hast du immerzu geweint.«

7.30


Ich drehe mich auf den Bauch und lege den Kopf auf die Unterarme. Ich mag den salzig-süßen Geruch meiner Haut, wenn ich in der Sonne gelegen habe: nussgolden und würzig, fast wie geräuchert. Von den Schlafhütten her höre ich ein leises Türklappen. Jemand ist wach. Füße gehen über trockenes Gras. Die Außendusche wird angedreht. Klopfend und krachend treten die Rohre in Aktion. Mit einem Seufzer richte ich mich auf, ziehe mir den Bademantel über und gehe zum Haus zurück.

Unser Sommerquartier besteht aus einem Haupthaus und vier Einzimmerhütten, die an dem mit Kiefernnadeln bedeckten Pfad zum See liegen. Es sind kleine Holzhütten mit Spitzdächern, damit im Winter der Schnee runterrutschen kann, einem Oberlicht und hohen Fenstern in beiden Giebeln. Sie sind altmodisch, ländlich, ohne Schnörkel. So wie Hütten in Neuengland sein sollten. Zwischen dem Pfad und dem See wächst ein Windschutz aus blühenden Zimterlen, Lorbeersträuchern und wilden Blaubeerbüschen, der uns zudem vor den neugierigen Blicken der Fischer und der tüchtigen Schwimmer schützt, die es von der Badestelle am gegenüberliegenden Ufer zu unserer Seite schaffen. An Land gehen dürfen sie nicht, aber manchmal verweilen sie wassertretend kurz vorm Ufer. Dass sie unsere Privatsphäre stören, kümmert sie nicht.

Ein anderer Pfad führt hinter den Hütten zu dem alten Badehaus. Abblätternde Farbe, ein rostiges Emaillebecken voller Flecken von den Motten, die bei Dunkelheit vom Deckenlicht angezogen werden, eine alte Badewanne mit Klauenfüßen, die aus der Zeit stammt, als mein Großvater die Anlage baute, eine Außendusche, deren Heiß- und Kaltwasserleitungen an einem Tupelobaum aufgehängt sind und von der das Duschwasser in den sandigen Untergrund abfließt.

Das Haupthaus besteht aus einem einzigen großen Raum, Wohnzimmer und...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2022
Übersetzer Susanne Höbel
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affäre • aktuell • Amerika • amerikanische • Amerikanische Literatur • Betrogen • Cape Cod • Eltern Kind • Familie • Familiendrama • Familienleben • Familienroman • Frau • Frauen • Frauenroman • Frauenroman Neuerscheinung • Gegenwartsliteratur • Geheimnis • Gesellschaft • internationaler Bestseller • Lebensentscheidung • Liebesroman • Liebhaber • Literatur • Roman • Scheideweg • Scheidung • Scheidungsroman • Seitensprung • Sommer • Sommerhaus • triggerwarnung • Urlaub • USA • US Literatur
ISBN-10 3-8437-2673-6 / 3843726736
ISBN-13 978-3-8437-2673-3 / 9783843726733
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